Sozialhilferecht: Voraussetzungen für die Verpflichtung zum Kostenersatz nach § 92a BSHG
Tatbestand:
Am 19.1.1985 hatte der Kläger seiner (damaligen) Ehefrau im Rahmen einer Auseinandersetzung Stichverletzungen am Kopf und
in der linken Brustseite beigebracht, worauf die Ehefrau mit einem Rettungswagen des Beklagten in ein Hospital eingeliefert
werden mußte. Sie wurde dort stationär behandelt und am 20.1.1985 entlassen.
Die Krankenkasse des Klägers lehnte gegenüber dem Hospital die Übernahme der geltend gemachten Behandlungskosten von 219,--
DM ab, weil kein Anspruch der Ehefrau des Klägers auf Leistungen der Familienkrankenhilfe durch die Krankenversicherung bestanden
habe. Am 8.8.1985 entschied der Beklagte, daß zur Deckung der Kosten des Krankenhausaufenthalts der Ehefrau des Klägers und
des Transportes in das Hospital von ihm "Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG zu gewähren ist".
Nachdem der Beklagte dem Kläger zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hatte, nahm er ihn mit Leistungsbescheid vom 15.9.1988
aufgrund von § 92a BSHG auf Kostenersatz (Krankenhausbehandlung und Krankentransport) in Anspruch.
Das VG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist gemäß § 92a BSHG nicht verpflichtet, dem Beklagten die Kosten der vom diesem erbrachten Sozialhilfeleistungen zu ersetzen. Nach Abs. 1 Satz
1 dieser Vorschrift ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen
für die Gewährung von Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder
grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. Die Verpflichtung zum Kostenersatz setzt aber voraus, daß die Hilfegewährung
rechtmäßig erfolgt ist. Der Träger der Sozialhilfe kann Kostenersatz nach § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG nur dann beanspruchen, wenn er sich nicht entgegenhalten lassen muß, er habe die Hilfe von vornherein nicht zu leisten brauchen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.1983 - 5 C 112.81 -, BVerwGE 67, 163, 166 = FEVS 33, 5, 8; Urteil vom 21.10.1987 - 5 C 39.85 - BVerwGE 78, 175 = FEVS 37, 1; OVG NW, Urteil vom 23.5.1990 - 8 A 2224/87 -, FEVS 41, 432, 433.
Im vorliegenden Falle war der Beklagte nicht verpflichtet, der damaligen Ehefrau des Klägers Krankenhilfe zu gewähren.
Entgegen der Auffassung des Beklagten kam Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG nicht in Betracht. Ein dahingehender Anspruch der (damaligen) Ehefrau des Klägers scheiterte schon an § 5 BSHG. Nach § 5 BSHG setzt die Sozialhilfe und damit gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 4, 37 BSHG auch die Krankenhilfe ein, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt wird, daß die
Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen. Die Sozialhilfe wird nicht rückwirkend gewährt, denn die Gewährung von Sozialhilfe
setzt grundsätzlich einen im Zeitpunkt der behördlichen Kenntniserlangung (noch) bestehenden Bedarf voraus. Der Träger der
Sozialhilfe ist grundsätzlich nicht verpflichtet, frühere Aufwendungen des Hilfesuchenden zu erstatten oder Schulden des Hilfesuchenden
zu übernehmen.
Ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. u.a. Urteil vom 18.1.1979 - V C 4.78 - in: FEVS 27, 229; Gottschick/Giese, Das Bundessozialhilfegesetz, 9. Auflage 1985, § 5 Anm. 4.1 m.w.N..
Vor dem Zeitpunkt der Kenntnis (§ 5 BSHG) entstandene Aufwendungen können nicht (mehr) vom Hilfeempfänger, sondern unter den besonderen Voraussetzungen des § 121 BSHG nur noch von dem "Nothelfer" beansprucht werden, der an Stelle des Trägers der Sozialhilfe in einem Eilfall die Hilfeleistungen
erbracht hat.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.1987 - 5 C 67.84 -, BVerwGE 77, 181, 186 = FEVS 36, 361, 363 f; OVG NW, Urteil vom 27.3.1990 - 8 A 327/88 -, FEVS 41, 76, 78 f.
Maßgebend ist dabei die Kenntnis der speziell mit der Durchführung des Bundessozialhilfegesetzes beauftragten Verwaltungsstelle,
vgl. dazu u.a. Gottschick/Giese, aaO, § 5 Anm. 2 m.w.N.
Dies war hier das Sozialamt des Beklagten als die vom zuständigen Träger der Sozialhilfe im Sinne des § 96 Abs. 1 Satz 2 BSHG beauftragte Stelle.
Zu dem Zeitpunkt, als das Sozialamt des Beklagten Kenntnis von der Hilfebedürftigkeit der Hilfesuchenden erhielt, waren der
Krankentransport und die Krankenhausbehandlung der (damaligen) Ehefrau des Klägers im Hospital bereits abgeschlossen. ...
(wird ausgeführt)
Der Beklagte kann Kostenersatz vom Kläger nach § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG auch nicht deshalb beanspruchen, weil ihm Kosten der Sozialhilfe durch Erstattung von Aufwendungen gemäß § 121 BSHG entstanden wären. Hat jemand in einem Eilfall einem anderen Hilfe gewährt, die der Träger der Sozialhilfe bei rechtzeitiger
Kenntnis nach diesem Gesetz gewährt haben würde, sind ihm, d.h. dem "Nothelfer", nach § 121 Satz 1 BSHG auf Antrag die Aufwendungen in gebotenem Umfange zu erstatten, wenn er sie nicht aufgrund rechtlicher oder sittlicher Pflicht
selbst zu tragen hat. Eine Erstattung von Aufwendungen auf der Grundlage dieser Vorschrift ist durch den Beklagten jedoch
nicht erfolgt. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Aufwendungen, die dem Beklagten durch den Einsatz des Rettungswagens, des
Notarztwagens und des Notarztes am 19.1.1985 in Höhe von 505,-- DM entstanden waren, als auch hinsichtlich der Kosten für
die Krankenhausbehandlung der (damaligen) Ehefrau des Klägers im Hospital am 19./20.1.1985 in Höhe von 219,-- DM. Mit diesen
Leistungen erfüllte der Beklagte keine etwaigen Ansprüche des Hospitals und der Stadt auf Erstattung von Nothelferkosten nach
§ 121 BSHG, sondern - in der irrigen Annahme, die Ehefrau des Klägers habe einen Anspruch auf Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG - einen vermeintlichen vertraglichen Ersatzanspruch der AOK. Sowohl der Beklagte als auch der Oberkreisdirektor als Widerspruchsbehörde
und örtlicher Träger der Sozialhilfe gingen in ihren Bescheiden davon aus, daß die durch den Krankentransport und die Krankenhausbehandlung
entstandenen Kosten als Krankenhilfe nach § 37 BSHG getragen wurden. Obwohl das Hospital mit Schreiben vom 18.6.1985 einen "Antrag auf Kostenerstattung gemäß § 121 BSHG" beim Beklagten gestellt hatte - ein Antrag der Stadt auf Erstattung der Transportkosten gemäß § 121 BSHG läßt sich an Hand der vorgelegten Verwaltungsvorgänge nicht feststellen -, erfolgten die Bewilligung und Gewährung der Leistungen
des Beklagten auf der Grundlage des § 37 BSHG als Krankenhilfe. Das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 121 BSHG wurde vom Beklagten ersichtlich nicht einmal geprüft.
Unter den gegebenen Umständen rechtfertigt auch der Umstand, daß die Zahlungen des Beklagten letztlich zu einer Kostendeckung
beim Hospital und bei der Stadt (Stadtkasse) geführt haben, nicht, die Leistungen des Beklagten als Aufwendungsersatz im Sinne
des § 121 BSHG zu werten.
Da nach alledem die Hilfegewährung als Krankenhilfe gemäß § 37 BSHG rechtswidrig war, bedarf es keiner Entscheidung, ob ein Aufwendungsersatz nach § 121 BSHG im Hinblick darauf, daß § 92a BSHG die Gewährung der Sozialhilfe an den Ersatzpflichtigen selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen voraussetzt,
überhaupt eine Kostenersatzpflicht nach § 92a BSHG auslösen kann. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob der Beklagte im konkreten Fall zu einer Erstattung von Aufwendungen
gemäß § 121 BSHG an das Hospital hinsichtlich der Krankenhauskosten und an die Stadt hinsichtlich der Kosten für Rettungswagen, Notarzt und
Notarzteinsatzwagen berechtigt gewesen wäre.