Sozialhilferecht: Umfang des notwendigen Bedarfs an einer Haushaltshilfe, Mehrbedarfszuschlag
Tatbestand:
Der Kläger, der seit Jahren in der sozialhilferechtlichen Betreuung des Beklagten stand, hatte bei dem Beklagten u.a. Hilfe
zur Pflege nach dem Bundessozialhilfegesetz beantragt. Der Beklagte war zu dem Ergebnis gekommen, daß beim Kläger eine schwere Hilflosigkeit vorliege. Er hatte deshalb
ein Pflegegeld gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz BSHG in Höhe von monatlich 290,-- DM bewilligt.
Mit Schreiben vom 29.11.1987 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten einer Haushaltshilfe. Auf diesen Antrag teilte
der Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 11.1.1988 mit, im Rahmen des § 22 BSHG werde ein Sonderbedarf zur Abgeltung der Kosten der Haushaltshilfe mit monatlich 628,24 DM bewilligt. Er gehe davon aus,
daß der Einsatz einer Haushaltshilfe in einem Zeitraum von mindestens 2 Stunden täglich = monatlich 60,67 Stunden erforderlich
sei. Ausgehend von dem zur Zeit gültigen Stundensatz, den die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege ihren nebenamtlichen Kräften
zahlten -- dieser betrage 10,80 DM --, ergebe sich ein monatlicher Betrag in Höhe von 655,24 DM. Allerdings müßten Personen,
die das 65. Lebensjahr vollendet hätten, sich die bereits im pauschalierten Mehrbedarf (Alter) für Dienstleistungen enthaltenen
Anteile anrechnen lassen. Ein Drittel des jeweiligen pauschalierten Mehrbedarfs diene der Abgeltung von Aufwendungen für Dienstleistungen
fremder Personen. Danach sei ein Betrag von 27,-- DM (1/3 von 81,-- DM) in Abzug zu bringen.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe:
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Haushaltshilfe, der über den ihm zuerkannten Betrag hinausginge,
nicht zu.
Ob die streitige Hilfegewährung im vorliegenden Fall als Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß §§ 11 ff. BSHG einzuordnen ist, ob sie -- wovon der Beklagte ausgegangen ist -- im Wege einer von den Regelsätzen abweichenden Bemessung
der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG erfolgen konnte oder ob die begehrte Hilfegewährung als Hilfe in besonderen Lebenslagen, etwa in Gestalt der in § 70 BSHG vorgesehenen "Hilfe zur Weiterführung des Haushalts", zu charakterisieren ist, mag dahinstehen. Jedenfalls ist bei den genannten
Hilfearten eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Hilfegewährung jeweils begrenzt auf einen angemessenen, d.h. zur
Erreichung des in § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG normierten Ziels der Sozialhilfe, dem Hilfeempfänger ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, notwendigen Umfang.
Vgl. in diesem Zusammenhang BVerwG, Urteile vom 11.11.1970 -- V C 32.70 --, FEVS 18, 86, und vom 9.6.1971 -- V C 84.70 --, FEVS 18, 372; OVG NW, Urteil vom 20.2.1986 -- 8 A 1019/84 --.
Gemessen hieran ist gegen die vom Beklagten in Ansatz gebrachte Zeitspanne von täglich zwei Stunden zur Bewältigung der beim
Kläger anfallenden hauswirtschaftlichen Verrichtungen nichts zu erinnern; der vom Beklagten zuerkannte Bedarf an hauswirtschaftlichen
Tätigkeiten in einem Umfang von täglich zwei Stunden war ausreichend bemessen, um ein menschenwürdiges Leben des Klägers zu
gewährleisten.
Von den Verrichtungen, die der Kläger zeitlich mit täglich vier Stunden bemessen sehen will, sind zunächst diejenigen Verrichtungen
auszunehmen, die unmittelbar der Wartung und Pflege der Person des Kranken dienten und denen der Beklagte in nicht zu beanstandender
Weise durch Gewährung eines Pflegegeldes gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1, 1. Halbsatz BSHG in Höhe von monatlich 290,-- DM Rechnung getragen hat.
Außer Betracht zu bleiben hat auch die vom Kläger in der Berufungsschrift hervorgehobene Gartenpflege, welche keinen Bedarf
an hauswirtschaftlichen Verrichtungen zu begründen vermochte.
Schließlich kann es bei der Bemessung des (ein menschenwürdiges Leben des Klägers ermöglichenden) zeitlichen Umfangs für die
anfallenden hauswirtschaftlichen Verrichtungen von vornherein keine Rolle spielen, daß der Kläger seiner Haushaltshilfe täglich
auf seine Kosten ein Frühstück dargereicht haben will; denn Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur das vom Beklagten
zu berücksichtigende, sich an der erforderlichen Stundenzahl für hauswirtschaftliche Verrichtungen orientierende Entgelt für
eine Haushaltskraft, nicht aber etwa der Aufwand für eine (vermeintlich notwendige) Beköstigung der Haushaltshilfe.
Der nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen überhaupt berücksichtigungsfähige Bedarf an hauswirtschaftlichen Verrichtungen
war mit (tag-) täglich zwei Stunden ausreichend bemessen. Insofern ist maßgeblich darauf abzustellen, daß der Kläger in dem
hier in Rede stehenden Zeitraum allein lebte; von daher hielten sich die von der Haushaltskraft zu bewältigenden Aufgaben
mit dem Ziel, den Kläger ausreichend zu beköstigen, das anfallende Geschirr zu spülen, für das Waschen, Bügeln und Ausbessern
der Wäsche zu sorgen und die damalige Wohnung des Klägers zu säubern -- diese Wohnung wies eine Wohnfläche von 50 qm auf --
in Grenzen (wird ausgeführt).
Unter Berücksichtigung des -- nicht mehr streitigen -- Stundensatzes von 10,80 DM ist der Beklagte daher zutreffend von einem
Bedarf in Höhe von 655,24 DM ausgegangen.
Bei der Bemessung der Hilfe hat der Beklagte im Ergebnis zu Recht ein Drittel des Zuschlags nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BSHG abgezogen.
Ein solcher Abzug konnte allerdings -- ungeachtet der bereits oben aufgeworfenen Frage, ob die begehrte Hilfeleistung überhaupt
als eine von den Regelsätzen abweichende Bemessung der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt angesehen werden kann -- entgegen
der Auffassung des Beklagten nicht in der Weise erfolgen, daß der Bedarf an einer Haushaltshilfe deshalb teilweise gekürzt
wurde, weil der Hilfesuchende zugleich einen Mehrbedarfszuschlag gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 BSHG erhielt. Dem steht entgegen, daß der Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BSHG keinen spezifischen Bedarfsposten für eine Haushaltskraft beinhaltet. Dies hat zur Folge, daß ein solcher (nicht existierender
spezifischer) Bedarfsposten auf einen -- von den Regelsätzen abweichenden (zusätzlichen) -- Bedarf eines Hilfeempfängers an
einer Haushaltshilfe auch nicht angerechnet werden kann.
Vgl. dazu VG Hannover, Urteil vom 2.6.1987 -- 3 VG A 385/86 --, ZfF 1987, 251.
Der vom Beklagten vorgenommene Abzug ist aber vorliegend auf der Grundlage des § 23 Abs. 1 letzter Halbsatz BSHG gerechtfertigt. Ein Mehrbedarf in Höhe von 20 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes ist nach dieser Bestimmung nur dann
anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Schon nach dem Wortlaut der Vorschrift kann danach
im Einzelfall in bezug auf den Mehrbedarfszuschlag eine abweichende Bemessung in Betracht kommen, und zwar sowohl "nach oben"
als auch "nach unten". Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Entstehungsgeschichte der Norm; denn mit der durch Art. 21
Nr. 7 des 2. Haushaltsstrukturgesetzes vom 22.12.1981 (BGBl I 1523) bedingten Neufassung der Vorschrift wurde die bis dahin
geltende Formulierung "soweit nicht im Einzelfall ein höherer Bedarf besteht" durch die Worte "soweit nicht im Einzelfalle
ein abweichender Bedarf besteht" ersetzt.
Vgl. dazu auch Gottschick/Giese, BSHG, Kommentar, 9. Aufl., § 23 Rndn. 1; Knopp/Fichtner, BSHG, Kommentar, 5. Aufl., § 23 Rndn 6a; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, Kommentar, 13. Aufl., § 23 Rndn. 19.
Vorliegend war die oben zuletzt genannte Alternative für eine vom Regelfall abweichende Bemessung des Mehrbedarfszuschlags
gegeben. Ein Unterschreiten des Zuschlags nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BSHG war wegen der Besonderheiten des Einzelfalles geboten, weil der altersbedingte Mehrbedarf des Klägers teilweise bereits anderweitig,
nämlich durch die Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe, befriedigt war.
Der gesetzliche Mehrbedarf für ältere Personen soll einen zusätzlichen Bedarf umfassen, der regelmäßig infolge des Alters
entsteht. Dieser zusätzliche Bedarf erwächst vor allem aus der verminderten Leistungsfähigkeit und Beweglichkeit älterer Personen
sowie aus der damit im Zusammenhang stehenden geminderten Geschicklichkeit bei den Verrichtungen des täglichen Lebens.
Vgl. Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 55, 1976, Seite 12, Rndn. 9.
Ausgehend von diesen Grundsätzen vermochte die dem Kläger vom Beklagten gewährte Übernahme von Aufwendungen für eine Haushaltskraft
jedenfalls einen Teil der Erschwernisse aufzufangen, denen der Kläger in dem hier interessierenden Zeitraum infolge seines
Alters unterworfen war (wird ausgeführt).
Der Senat bemißt unter Würdigung der dem Kläger nach Maßgabe der vorstehenden Erwägungen zuteil gewordenen Erleichterungen
in bezug auf seine durch sein Alter hervorgerufenen Erschwernisse den Umfang, in dem der altersbedingte Mehrbedarf des Klägers
bereits anderweitig durch die Gewährung von Leistungen für eine Haushaltshilfe befriedigt war, in entsprechender Anwendung
des §
287 ZPO mit 30 v.H. des Mehrbedarfszuschlags nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 BSHG. Im Ergebnis ist mithin die Höhe der vom Beklagten gewährten Hilfe nicht zu beanstanden.