Sozialhilferecht: Freibetrag des Erben bei Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers
Tatbestand:
Der Beklagte gewährte der Pflegemutter der Klägerin, Frau A., vom 12.10.1978 bis Ende April 1986 Hilfe zur Pflege von 36809,60
DM, nachdem Frau A. im September 1978 einen Schlaganfall erlitten hatte und linksseitig gelähmt war. Die Hilfeempfängerin
wurde tagsüber von ihrer im Hause lebenden Freundin, Frau K., und der Gemeindeschwester, abends und nachts von der Klägerin
gepflegt, welche mit ihrem Ehemann gleichfalls im Hause wohnte. Nach einem Testament der Frau A. vom 29.04.1982 sollte die
Klägerin dieses Hausgrundstück nebst Inventar und Frau K. das Barvermögen sowie ein lebenslanges Wohnrecht in dem Hause erhalten
und von der Klägerin gepflegt werden.
Am 14.04.1986 verstarb Frau A. Das zuständige Notariat gab dem Beklagten den Feuerversicherungswert des Hauses mit 147296,--
DM und den Wert der beweglichen Sachen mit 500,-- DM an. Hinzu komme ein Giroguthaben von 1042,-- DM und das von der Krankenkasse
gezahlte Sterbegeld von 2850,-- DM. Nachlaßverbindlichkeiten bestünden in Höhe von rund 5000,-- DM.
Mit Bescheid vom 31.12.1986 zog der Beklagte die Klägerin als Erbin von Frau A. gemäß § 92 c BSHG zu einem Kostenersatz von 34004,-- DM (angenommener Sozialhilfeaufwand 36276,-- DM, Freibetrag nach § 92 c Abs. 1 Satz 2 BSHG 2272,-- DM) heran. Dagegen erhob die Klägerin am 22.01.1987 Widerspruch mit der Begründung, sie habe Frau A. abends und nachts
gepflegt und bis zu deren Tod 36047,75 DM aufgewendet, um das in schlechtem Zustand befindliche Haus für ihre Pflegemutter
bewohnbar zu machen und zu modernisieren. Sie habe daher durch die Erbschaft keinen finanziellen Vorteil erhalten; sie auf
Kostenersatz in Anspruch zu nehmen, sei deshalb eine besondere Härte im Sinne von § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG. Durch Widerspruchsbescheid vom 21.05.1987 wies der Beklagte nach Anhörung sozial erfahrener Personen den Widerspruch zurück
und führte aus, auch bei Berücksichtigung der geltend gemachten Reparaturaufwendungen von 36047,-- DM verbleibe bleibe der
Klägerin bei einem Feuerversicherungswert des Hauses von 147296,-- DM noch ein Vermögenszuwachs von 111249,-- DM. Damit sei
die Klägerin in einem Maß bereichert, der den Aufwand, den sie erstatten solle, weit überschreite. Ein Freibetrag nach § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG in Höhe von 30000,-- DM stehe der Klägerin nicht zu. Sie sei als Pflegetochter keine Verwandte der Erblasserin gewesen. Inwieweit
sie die Hilfeempfängerin tatsächlich gepflegt habe, sei daher ohne Belang. Auch sonst stelle die Inanspruchnahme der Klägerin
keine besondere Härte dar.
Am 19.06.1987 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Freiburg Klage erhoben mit dem Antrag, den Bescheid des Beklagten vom
31.12.1986 und dessen Widerspruchsbescheid vom 21.05.1987 aufzuheben. Sie hat vorgebracht: Die von ihr zu Lebzeiten von Frau
A. bezahlten Investitionen für das Haus beliefen sich sogar auf 38258,07 DM; hinzu kämen Eigenleistungen ihres Ehemanns. Sie
habe dafür einen Kredit von 20000,-- DM für den Einbau einer Heizung aufnehmen müssen. Auch nach dem Tode ihrer Pflegemutter
seien noch erhebliche Renovierungskosten von mehreren 10000,-- DM angefallen, was eine Darlehensaufnahme von 60000,-- DM erfordert
habe. Bei der Berechnung des Nachlaßwerts müßten ihre Pflegedienste mit mindestens täglich 30,-- DM, für September 1978 bis
April 1986 also mit 82800,-- DM berücksichtigt werden. Der Nachlaßwert werde ferner durch das Wohnrecht von Frau K. gemindert.
Beerdigungskosten seien in Höhe von 7295,90 DM angefallen. Bei ihrem Nettoeinkommen von nur rund 1200,-- DM sei es ihr nicht
möglich, 34004,-- DM an den Beklagten zu erstatten.
Der Beklagte hat Klagabweisung beantragt und die angefochtenen Bescheide verteidigt. Ergänzend hat er ausgeführt, die von
der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen könnten nur in Höhe der nachgewiesenen Beerdigungskosten von 7085,90 DM und der
notwendigen Investitionen von 29203,34 DM anerkannt werden. Der Nachlaßwert sei damit immer noch bedeutend höher als der Kostenersatzanspruch
von 34004,-- DM.
Das Verwaltungsgericht hat ein Gutachten des Gutachterausschusses des Gemeindeverwaltungsverbands M über den Verkehrswert
des Nachlaßgrundstücks eingeholt. Der Ausschuß hat den Wert des Grundstücks auf 99670,-- DM geschätzt.
Durch Urteil vom 09.05.1989 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die Klägerin sei nach
§ 92 c BSHG zum Ersatz der ihrer Pflegemutter geleisteten Sozialhilfe in der verlangten Höhe von 34004,-- DM verpflichtet. Vom Rohnachlaß
von 103541,-- DM (Verkehrswert des Hausgrundstücks 99670,-- DM, bewegliche Sachen 500,-- DM, Sterbegeld 2850,-- DM, Barvermögen
521,-- DM) seien ein zweifacher Grundbetrag nach § 81 Abs. 1 BSHG von 2208,-- DM, die nachgewiesenen Beerdigungskosten von 7295,-- DM und -- als besondere Härte im Sinne von § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG -- die in den Jahren 1981 bis 1984 von der Klägerin aufgewendeten Renovierungskosten von 36677,48 DM abzuziehen. Nicht abzugsfähig
seien die Kosten für einen Telefonanschluß, einen Müllcontainer, für Brennstoffe und Gardinen. Es handle sich dabei nicht
um Kosten, die unmittelbar dazu dienten, das Haus der Erblasserin "bewohnbar" zu machen. Gleiches gelte für die im gerichtlichen
Verfahren geltend gemachten Kosten von 1448,-- DM für den Kauf einer Waschmaschine. Schließlich könnten auch die Renovierungskosten,
die nach dem Tode von Frau A. -- insbesondere in den Jahren 1988 und 1989 -- angefallen seien, keine besondere Härte begründen.
Diese Renovierungen hätten nämlich nach dem Tode der Hilfeempfängerin eine Wertsteigerung bewirkt und damit der Vermögensbildung
der Klägerin gedient. Auch für die von der Klägerin zugunsten von Frau A. erbrachten Pflegedienste könne nichts vom Nachlaßwert
abgezogen werden, weil diese im Rahmen eines auf Anstand und Sitte beruhenden Gefälligkeitsverhältnisses geleistet worden
seien. Ferner müßten das Frau K. eingeräumte Wohnrecht und die für sie erbrachten Pflegeleistungen der Klägerin unberücksichtigt
bleiben. Es handle sich dabei um Vermächtnisse, die als Passiva bei der Berechnung des Nachlasses außer Ansatz blieben, weil
dieser und damit der Ersatzanspruch nach § 92 c Abs. 1 BSHG nicht durch Nachlaßverbindlichkeiten reduziert werden könne, welche gegenüber dem Kostenersatzanspruch selbst nachrangig
seien. Dieser Vorrang des Ersatzanspruches nach § 92 c BSHG gegenüber Pflichtteils- und Vermächtnisansprüchen ergebe sich aus Sinn Zweck der Vorschrift. Sie solle Vorteile des § 88 Abs. 2 und 3 BSHG, welche nur dem Hilfeempfänger, nicht jedoch seinen Erben oder Nachlaßgläubigern zugute kommen sollten, beim Erbfall wieder
ausgleichen. Erben und Nachlaßgläubiger sollten so gestellt werden, wie sie stünden, wenn der Hilfeempfänger gezwungen gewesen
wäre, zunächst sein eigenes Vermögen zu verwerten. In diesem Falle wäre jedoch der den Erben zur Verfügung stehende Nachlaß
von vornherein vermindert. Nach Abzug des zweifachen Grundbetrages, der Beerdigungskosten und des anzuerkennenden Renovierungsaufwands
sowie der Kostenforderung von 34004,-- DM bleibe die Klägerin mit immer noch 23355,62 DM bereichert. Selbst wenn man zu ihren
Gunsten noch weitere 5000,-- DM für Zinsen und Kosten anläßlich des Heizungseinbaus als besondere Härte anerkenne, verbleibe
eine Bereicherung von 18355,62 DM. Sonstige Umstände persönlicher und wirtschaftlicher Art, die auf einen Härtesachverhalt
hindeuteten, seien nicht ersichtlich.
Gegen dieses ihr am 12.06.1989 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 06.07.1989 Berufung eingelegt. Sie wiederholt ihr bisheriges
Vorbringen und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 09.05.1989 -- 4 K 125/87 -- zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 31.12.1986 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 21.05.1987 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Dem Senat liegen die zur Sache gehörenden Sozialhilfeakten des Beklagten und die Prozeßakten des Verwaltungsgerichts Freiburg
vor.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Beklagte darf von der Klägerin als Erbin gemäß § 92 c BSHG nicht 34004,-- DM, sondern nur 27359,62 DM an Kostenersatz für geleistete Sozialhilfe verlangen.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, daß für die Kostenersatzforderung des Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt
des Erbfalls ein Rohnachlaß von 103541,-- DM zur Verfügung stand, von dem (nur) die Beerdigungskosten von 7295,90 DM sowie
gemäß § 92 c Abs. 3 Nr. 1 BSHG der zweifache Grundbetrag nach § 81 Abs. 1 BSHG von 2208,-- DM und nach § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG die von der Klägerin bis zum Erbfall auf den wichtigsten Nachlaßgegenstand, nämlich das Wohnhaus, gemachten Aufwendungen
von 36677,48 DM abgesetzt werden können. Das Verwaltungsgericht hat ferner überzeugend begründet, daß die von der Klägerin
erbrachten Pflegeleistungen für Frau K. und der Wert des dieser eingeräumten Wohnrechts auf erbrechtlichen Vermächtnissen
beruhen, welche der Kostenersatzpflicht nach § 92 c BSHG nachrangig sind. Der Senat schließt sich allen diesen Ausführungen an und braucht sie daher nicht zu wiederholen (Art. 2
§ 6 EntlG). Die Ansicht des Verwaltungsgerichts, daß bei der Ermittlung des Nachlaßwerts nach § 92 c BSHG Vermächtnisse nicht wertmindernd sind, steht im Einklang mit dem bürgerlichen Recht, welches den Begriff "Wert des Nachlasses"
in §
2311 BGB in gleicher Weise bestimmt (Palandt-Edenhofer,
BGB, 49. Aufl, § 2311 Anm. 2 b). Diese Begriffsbestimmung wird auch von der sozialhilferechtlichen Kommentarliteratur übernommen (Gottschick/Giese,
BSHG, 9. Aufl., § 92 c RdNr. 4.1; Mergler/Zink, BSHG, § 92 c RdNr. 23; Knopp/Fichtner, BSHG, 6. Aufl., § 92 c RdNr. 8). Die vom Verwaltungsgericht -- von seinem Standpunkt aus folgerichtig -- offengelassene Frage, ob nicht nur die
tatsächlichen Aufwendungen für den Einbau einer Heizungsanlage, sondern auch die Zinsen und Kosten für den dazu aufgenommenen
Kredit abzugsfähig sind, ist allerdings zu verneinen. Der eigentliche Grund dafür, daß Aufwendungen, die zur Renovierung des
Wohnhauses gemacht wurden, vom Nachlaßwert nach § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG abgesetzt werden können, liegt nämlich darin, daß sie den Wert des Nachlaßgegenstands erhöht haben. Müßte der Erbe, welcher
die Mittel für die Renovierung aufgebracht hat, gerade deshalb mehr an Sozialhilfekosten ersetzen, weil der Nachlaß in Höhe
seiner Aufwendungen wertvoller geworden ist, läge darin eine besondere Härte. Zinsen und Kosten für solche Aufwendungen erhöhen
den Nachlaßwert aber nicht, so daß ihre Absetzung nicht gerechtfertigt ist. Desgleichen kann der Wert der vom Ehemann der
Klägerin erbrachten Eigenleistungen bei der Hausrenovierung den Nachlaßwert nicht mindern. Der Klägerin sind nämlich dadurch
keine baren Auslagen entstanden, so daß die soeben beschriebene Härtesituation nicht vorliegt. Der Ehemann hat vielmehr Leistungen
an die Klägerin erbracht.
Der Anspruch des Beklagten auf Ersatz seiner Sozialhilfeaufwendungen kann aber nur geltend gemacht werden, soweit der noch
zu berücksichtigende Nachlaßwert von 57359,62 DM (Rohnachlaß von 103541,-- DM abzüglich Beerdigungskosten von 7295,90 DM,
des zweifachen Grundbetrags nach § 81 Abs. 1 BSHG von 2208,-- DM und der Renovierungskosten von 36677,48 DM) 30000,-- DM überschreitet, also in Höhe von 27359,62 DM. Denn
eine höhere Inanspruchnahme der Klägerin wäre für sie eine (weitere) besondere Härte im Sinne von § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG.
Die Klägerin hat nach ihren glaubhaften Angaben Frau A., mit der sie bis zu deren Tod in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat,
besonders abends und nachts gepflegt, während Frau K. und die Gemeindeschwester die Pflege bei Tag übernommen haben. Die direkte
Anwendung von § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG, wonach der Nachlaß in solchen Fällen bis zu einem Wert von 30000,-- DM geschützt ist, scheitert allein daran, daß die Klägerin
mit Frau A. nicht verwandt war. Schon in der Amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des Zweiten Änderungsgesetzes zum
BSHG (BT-Drucks. V/3495) wird jedoch ausgeführt, daß die Inanspruchnahme eines Erben bis zu dem in § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG genannten Betrag für ihn eine besondere Härte bedeute, wenn die Voraussetzungen der Nr. 2 nicht alle erfüllt seien, der zu
beurteilende Einzelfall aber dem dort geregelten vergleichbar sei. Eine solche Vergleichbarkeit ist gerade dann, wenn es wie
hier nur an der Verwandtschaft mit dem verstorbenen Hilfeempfänger fehlt, durchaus gegeben. Denn durch das Abstellen auf die
Verwandtschaft wird nur die besondere persönliche Verbundenheit betont, welche die Pflegeperson zur Betreuung des Hilfeempfängers
veranlaßt hat. Eine solche Verbundenheit besteht aber auch im Verhältnis Pflegeeltern-Pflegekind. Dies kam hier besonders
dadurch zum Ausdruck, daß die Pflegemutter ihr Pflegekind, die Klägerin, durch Testament zur Erbin eingesetzt hat. Im übrigen
ist es auch nach dem Sinn des Gesetzes, nämlich einen Anreiz zur häuslichen Pflege Hilfsbedürftiger zu schaffen, durchaus
gerechtfertigt, nicht verwandte Erben über die Härtevorschrift, im Ergebnis also in analoger Anwendung des § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG, in gleicher Weise zu begünstigen. Das ist -- gestützt auf die bereits dargelegte Entstehungsgeschichte der Vorschrift --
in der Kommentarliteratur zu § 92 c BSHG allgemein anerkannt (Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., § 92 c RdNr. 4.3; Mergler/Zink, BSHG, § 92 c RdNr. 30; Knopp/Fichtner, BSHG, 6. Aufl., § 92 c RdNr. 10; LPK-BSHG, 2. Aufl., § 92 c RdNr. 12). Der Senat hat keinen Anlaß, dieser allgemeinen Ansicht nicht zu folgen.
Daß die Klägerin Frau A. nicht allein gepflegt hat, führt nicht etwa dazu, ihr die Begünstigung nur teilweise zukommen zu
lassen. § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG setzt nicht voraus, daß der Erbe die Pflege ausschließlich geleistet hat (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 13. Aufl., § 92 c RdNr. 23). Das zeigt der Umstand, daß die Wertgrenze von 30000,-- DM ebenso wie die des zweifachen Grundbetrags nach § 81 Abs. 1 BSHG (§ 92 c Abs. 3 Nr. 1 BSHG) "nachlaßbezogen" ist und deshalb z. B. unabhängig von der Zahl der Erben nur einmal zu deren Gunsten berücksichtigt werden
kann (BVerwG, Urt. v. 26.10.1978, BVerwGE 57, 26 = FEVS 27, 100). Fällt der Nachlaß also einem Erben an, welcher den Hilfsbedürftigen nur teilweise gepflegt hat, steht ihm
die (volle) Begünstigung des § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG zu. Es ist kein Grund ersichtlich, davon nur deshalb abzuweichen, weil diese Vorschrift hier nicht direkt, sondern nur über
die "Auffangnorm" des § 92 c Abs. 3 Nr. 3 BSHG sinngemäß angewendet wird.