Sozialhilferecht: Abzugsfähigkeit von Kinderbetreuungskosten bei Teilzeitbeschäftigung einer alleinerziehenden Mutter
Tatbestand:
Die Klägerin hat einen Sohn, der am 06.01.1988 geboren wurde. Sie wurde als alleinerziehende Mutter mit Wirkung vom 31.03.1988
bis zum 05.01.1991 in das Programm "Mutter und Kind" aufgenommen; sie erhielt neben laufender Hilfe zum Lebensunterhalt einen
Erziehungszuschlag. Nachdem die Klägerin der Beklagten mitgeteilt hatte, daß sie seit Januar 1990 eine Teilzeitbeschäftigung
mit wechselnden Einkünften (durchschnittlich 470,-- DM netto im Monat) angenommen hatte, setzte die Beklagte die Hilfe zum
Lebensunterhalt durch Bescheid vom 27.02.1990 neu fest und bewilligte für Februar sowie März 1990 jeweils 483,-- DM statt
wie bisher 756,-- DM. Hierbei berücksichtigte sie das Nettoeinkommen der Klägerin abzüglich eines Pauschbetrages für Arbeitsmittel
in Höhe von 10,-- DM sowie Fahrtkosten in Höhe von 27,60 DM.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid am 27.02.1990 Widerspruch und brachte vor, bei der Neufestsetzung der Sozialhilfe seien
die Kosten für die Tagespflegestelle von nicht berücksichtigt worden, nämlich 70,-- DM für Februar 1990 und 75,-- DM für März
1990. Diese Kosten seien gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG einkommensmindernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 26.06.1990 nach Anhörung sozial erfahrener Personen als unbegründet zurück.
Sie führte aus, die nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG zu berücksichtigenden Ausgaben müßten unmittelbar zur Erzielung des Einkommens notwendig sein. Aufwendungen für die Tagespflege
seien dagegen nur mittelbar damit zusammenhängende Ausgaben und könnten nicht berücksichtigt werden. Auch müsse die Mutter
nach dem Programm "Mutter und Kind" auf eine Berufstätigkeit im Interesse der Erziehung und Betreuung des Kindes während dessen
erster drei Lebensjahre verzichten. Allerdings werde es als unschädlich angesehen, wenn eine Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 1 Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG - ausgeübt werde, was bei der Klägerin der Fall sei, und daneben Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe nicht erforderlich
würden. Der Richtliniengeber gehe somit davon aus, daß etwaige Kosten für eine zeitweilige Fremderziehung des Kindes infolge
der Berufstätigkeit der Mutter von dieser selbst bestritten würden. Im übrigen werde nicht nur ein Erziehungszuschlag, sondern
auch ein Mehrbedarfszuschlag nach § 23 Abs. 2 BSHG gewährt. Wenn das Kind nicht ausschließlich von der Mutter erzogen werde, könne erwartet werden, daß sie hierfür auch einen
Teil ihres Erziehungszuschlages abzweige. - Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 28.06.1990 zugestellt.
Am 30.07.1990 (einem Montag) hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben und beantragt, den Bescheid
der Beklagten vom 27.02.1990 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 26.06.1990 für die Monate Februar und März 1990
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr weitere 145,-- DM zu bewilligen. Sie hat sich auf ihre bisherigen Ausführungen
bezogen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen.
Durch Urteil vom 13.09.1990 hat das Verwaltungsgericht die Bescheide der Beklagten vom 27.02.1990 und 26.06.1990 aufgehoben
und die Beklagte verpflichtet, der Klägerin weitere Sozialhilfe in Höhe von 145,-- DM für die Monate Februar und März 1990
zu bewilligen. Die Berufung hat das Verwaltungsgericht nicht zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Aufwendungen
für die Tagespflege seien einkommensmindernd zu berücksichtigen. Nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG seien von dem Einkommen die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Eine notwendige
Aufwendung liege immer dann vor, wenn objektiv ein Zusammenhang mit der auf Einnahmeerzielung gerichteten Tätigkeit bestehe
und diese Aufwendung geeignet sei, die Erzielung der Einnahmen in besonderem Maße zu fördern bzw. überhaupt erst zu ermöglichen.
Der Höhe nach stünden sämtliche Aufwendungen unter dem Vorbehalt der Angemessenheit. Bei der Feststellung im Einzelfall müsse
die Sozialüblichkeit berücksichtigt werden, die sich auch unter Anlehnung an die steuerrechtliche Praxis ermitteln lasse.
Das von der Beklagten angewandte Kriterium der Unmittelbarkeit sei nicht sachgerecht. Die Aufwendungen der Klägerin für die
Kinderbetreuung seien angemessen und notwendig. Ohne eine Kinderbetreuung könne sie die in Frage stehenden Einnahmen nicht
erzielen. Außerdem würden nach § 33 c Abs. 1
Einkommensteuergesetz -
EStG - Aufwendungen für die Kinderbetreuung wegen der Erwerbstätigkeit eines Alleinstehenden als außergewöhnliche Belastungen
anerkannt. Notwendige Aufwendungen seien auch zwingend vom Einkommen abzusetzen mit der Folge, daß es auf die von der Beklagten
aufgeworfene Frage, ob die Aufwendungen aus dem Erziehungszuschlag bzw. aus dem Mehrbedarfszuschlag zu finanzieren seien,
nicht ankomme. Im übrigen könne die Klägerin aber auch auf diese ihr gewährten weiteren zusätzlichen Leistungen im Hinblick
auf deren Sinn und Zweck nicht verwiesen werden.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Verwaltungsgerichts, das der Beklagten am 05.11.1990 zugestellt worden
ist, hat die Beklagte am 07.11.1990 Beschwerde erhoben. Der erkennende Senat hob durch Beschluß vom 05.07.1991 die Nichtzulassung
der Berufung auf und ließ die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu.
Die Beklagte trägt zur Begründung der Berufung vor, in den Erläuterungen zu II. 5.2 der Rahmenrichtlinien zum Programm "Mutter
und Kind" werde ausgeführt, daß auch durch eine Teilzeitbeschäftigung der Mutter keine Leistungen der Sozialhilfe anfallen
dürften. Einer solchen Aussage hätte es jedoch nicht bedurft, wenn Kinderbetreuungskosten während der Berufstätigkeit vom
Einkommen abgesetzt werden könnten und die Sozialhilfeleistungen sich dadurch entsprechend erhöhten. Auch sei es gerade Sinn
und Zweck des Programms, der Mutter zu ermöglichen, sich in den ersten drei Lebensjahren des Kindes allein um dessen Pflege
und Erziehung zu kümmern und auf eine - zumindest volle - Berufstätigkeit zu verzichten. Zudem könne es nicht angehen, daß
auf der einen Seite ein Erziehungsgeld gezahlt werde, damit die Mutter sich um ihr Kind kümmere, daß sie aber auf der anderen
Seite durch eine teilweise Erwerbstätigkeit diesen Erziehungszuschlag quasi um weitere Leistungen der Sozialhilfe erhöhe,
indem sie die Erziehungskosten auf ihr Einkommen anrechnen wolle. Erwägungen nach dem
EStG würden hier nicht weiterhelfen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 13.09.1990 - 9 K 2185/90 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ergänzend trägt sie vor, die Beklagte ignoriere, daß das Programm "Mutter
und Kind" den Zweck habe, berufstätigen Müttern einen Anreiz zu geben, daß sie sich befristet um ihre Kinder kümmerten und
gleichzeitig die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Teilnahme am sozialen Leben sowie am Arbeitsleben beibehielten. Es könne
nicht Sinn des Programms sein, daß die ursprünglich berufstätige Mutter, die schon die Last der Mutterschaft auf sich genommen
habe, am Ende zu einer wirklichen und dauerhaften Sozialhilfeempfängerin werde.
Die Beteiligten haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Dem Senat liegen die Akten der Beklagten sowie die Prozeßakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart vor. Auf sie sowie auf die
Akten des Senats wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (vgl. §§
101 Abs.
2,
125 Abs.
1 VwGO).
Das Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht wird nach der Zulassung der Berufung
durch den Senat als Berufungsverfahren fortgesetzt, ohne daß die Beklagte Berufung einzulegen brauchte (vgl. § 131 Abs. 8
VwGO).
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Ausgaben
der Klägerin für die Betreuung ihres Sohnes während der Arbeitszeit von ihrem Einkommen abzusetzen waren und ihr daher weitere
145,-- DM für die Monate Februar 1990 und März 1990 zustehen.
Nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG sind die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben vom Einkommen abzusetzen. Zu dieser Vorschrift
hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 04.06.1981 (5 C 46.80, BVerwGE 62, 275, 278) ausgeführt, dem Begriff "verbunden" sei nicht das Merkmal der Unmittelbarkeit in dem überdies verschärften Sinn eigen,
daß ohne die Ausgabe die Erzielung des Einkommens undenkbar wäre. § 3 Abs. 4 Nr. 3 der Verordnung zur Durchführung von § 76 BSHG zähle zu den Ausgaben im Sinne von § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG notwendige Beiträge für Berufsverbände, obwohl die Ausübung nichtselbständiger Arbeit die Mitgliedschaft in einem Berufsverband
nicht voraussetze.
Hieran gemessen, sind die Aufwendungen der Klägerin für Kinderbetreuung mit der Erzielung ihres Einkommens verbundene und
zudem auch notwendige Auslagen. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, ist es für den streitigen Zeitraum nicht ersichtlich,
wie die Klägerin überhaupt einer Arbeit hätte nachgehen können, ohne ihr Kind während der Arbeitszeit in Betreuung zu geben.
Es ist auch allgemein üblich, für die Betreuung ein Entgelt zu zahlen. Die Höhe des Entgelts (70,-- bzw. 75,-- DM im Monat)
ist keineswegs unangemessen. Da die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG mithin vorliegen, kann es offenbleiben, ob als zusätzliche Auslegungshilfe auf das
Einkommensteuergesetz zurückgegriffen werden kann, wie das Verwaltungsgericht dies getan hat, oder ob dies nicht möglich ist, wie das Bundesverwaltungsgericht
im Urteil vom 04.06.1981 a.a.O. entschieden hat.
Eine andere Auslegung des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG folgt auch nicht daraus, daß die Klägerin in das Landesprogramm "Mutter und Kind" aufgenommen wurde und daher neben Hilfe
zum Lebensunterhalt sozialpädagogische Beratung sowie einen Erziehungszuschlag erhielt (vgl. hierzu die Rahmenrichtlinien
Programm "Mutter und Kind" vom 04.12.1985 mit Änderungen vom 17.05.1988 und Erläuterungen dazu, beide abgedruckt im Anhang
12 zu den Sozialhilferichtlinien des Landkreis- und Städtetages Baden-Württemberg). Es ist schon methodisch nicht zulässig,
die bundesrechtliche Vorschrift des § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG aufgrund von Regelungen eines landesrechtlichen Programmes auszulegen. Ferner sind die besonderen Leistungen des Programmes
"Mutter und Kind" nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Wenn eine Teilnehmerin an dem Programm die Voraussetzungen
hierfür nicht mehr erfüllt, kann dies zwar dazu führen, daß die besonderen Leistungen dieses Programmes entfallen (vgl. z.
B. IV. 13.1 der Rahmenrichtlinien). Hilfe zum Lebensunterhalt nach Maßgabe der Vorschriften des BSHG muß dagegen weiterhin gewährt werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen des BSHG vorliegen. Mithin kann es im vorliegenden Rechtsstreit nicht auf die Rahmenrichtlinien (insbesondere II. 5.2) und die Erläuterungen
dazu ankommen. Abgesehen hiervon, dürfte die Arbeit der Klägerin aber auch "unschädlich" im Sinne von II. 5.2 der Rahmenrichtlinien
sein. Die Beklagte hat selbst nicht geltend gemacht, der Klägerin bleibe nicht mehr ausreichend Zeit für die Erziehung von.
Leistungen der Jugendhilfe wurden ebenfalls nicht erforderlich. Soweit in den Erläuterungen zu Nr. 5.2 ausgeführt wird, es
dürften auch keine Leistungen der Sozialhilfe für die Pflege des Kindes - "Großeltern-Pflegegeld" - notwendig werden, so ist
zu bedenken, daß die Klägerin infolge ihrer Arbeitstätigkeit weniger und nicht mehr Sozialhilfe erhielt als zuvor. Die Absetzung
der Betreuungskosten bedeutet eine schlichte sozialhilferechtliche "Bereinigung" des Einkommens der Klägerin (vgl. BVerwG,
Urt. v. 04.06.1981 a.a.O.), ist aber keine zusätzliche Sozialhilfeleistung.
Schließlich kommt es auf die Frage, ob die Betreuungskosten aus dem Erziehungszuschlag oder aus dem Mehrbedarfszuschlag nach
§ 23 Abs. 2 BSHG zu finanzieren sind, nicht an, denn Absetzungen vom Einkommen nach § 76 Abs. 2 BSHG sind zwingend vorzunehmen. Dies hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt.