8/5 Sonstiges Schulrecht, 21/2 Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII): Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Gestützte Kommunikation, Kommunikationshelfer, Schulbegleiter, angemessene Schulbildung,
Sonderschule, Sonderschulpflicht, Nachranggrundsatz
Gründe:
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es mit Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung nach §
123 Abs.
1 VwGO zu verpflichten, der Antragstellerin - vorläufig - Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten einer medizinisch-pädagogisch
geschulten Fachkraft (Schulbegleitung zur "Gestützten Kommunikation") für den Besuch der Realschule zu gewähren.
Die Antragstellerin leidet an frühkindlichem Autismus ("Kanner-Syndrom") und ist damit nicht nur vorübergehend erheblich behindert.
Sie hat daher dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Der Senat geht davon aus, dass es sich im Schwerpunkt um eine
seelische Behinderung handelt, so dass vorrangig Leistungen der Jugendhilfe - und nicht der Sozialhilfe - in Betracht kommen
(§ 10 Abs. 2 Satz 2, § 35a SGB VIII).
Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe zählen auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, § 12 Nr. 1 EinglVO). Die Antragstellerin wünscht eine Schulbegleitung zur "Gestützten Kommunikation" für den Besuch einer allgemeinen
Schule, nämlich der 5. Klasse der Realschule. Sie hat indes nicht glaubhaft gemacht, dass dies die für sie "angemessene Schulbildung"
im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG darstellt.
1. Ob der Besuch einer allgemeinen Schule dem behinderten Kind eine angemessene Schulbildung vermittelt, hat nicht der Träger
der Jugendhilfe (oder der Sozialhilfe) zu beurteilen. Dies richtet sich vielmehr allein nach Schulrecht. Dieser Vorrang des
- landesgesetzlichen - Schulrechts ergibt sich aus dem zweiten Halbsatz des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht unberührt bleiben.
a) Nach dem Schulgesetz sind schulpflichtige Kinder gewöhnlich zum Besuch der allgemeinen Schulen - der Grundschule, einer
auf ihr aufbauenden Schule, ggfs. der Berufsschule - verpflichtet (§§ 72 ff. SchG). Behinderte Schüler mit sonderpädagogischem
Förderbedarf, die in den allgemeinen Schulen nicht die ihnen zukommende Erziehung, Bildung und Ausbildung erfahren können,
sind stattdessen zum Besuch der für sie geeigneten Sonderschule verpflichtet (§ 15 Abs. 1 Satz 1, § 82 Abs. 1 SchG). Darüber,
ob die Pflicht zum Besuch einer Sonderschule im Einzelfall besteht, und darüber, welcher Typ der Sonderschule geeignet ist,
entscheidet die Schulaufsichtsbehörde (§ 82 Abs. 2 Satz 1 SchG). Solange die Schulaufsichtsbehörde die Sonderschulpflicht
eines behinderten Kindes nicht festgestellt hat, hat dieses eine allgemeine Schule zu besuchen; dann kann der Sozial- oder
Jugendhilfeträger nicht einwenden, ein besonderer Hilfebedarf würde bei Besuch einer Sonderschule nicht entstehen (BVerwG,
Urt. vom 16.01.1986 - 5 C 36.84 -, NVwZ 1987, 412 = FEVS 36, 1; VGH Bad.-Württ., Urt. vom 17.09.1997 - 6 S 1709/97 -, NVwZ-RR 1998, 657 = FEVS 48, 305; OVG NRW, Urt. vom 15.06.2000 - 16 A 3108/99 - FEVS 52, 513; vgl. auch VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228). Solange umgekehrt ein behindertes Kind nach der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde zum Besuch einer
Sonderschule verpflichtet ist, kann es gegenüber dem Sozial- oder Jugendhilfeträger nicht geltend machen, die "angemessene"
Schulbildung vermittle ihm nur eine allgemeine Schule (vgl. Bayer. VGH, Urt. vom 14.05.2001 - 12 B 98.2022 -, FEVS 53, 361).
Auch die "Angemessenheit" einer integrativen Unterrichtung eines behinderten Kindes an einer allgemeinen Schule richtet sich
allein nach Schulrecht. Nach § 15 Abs. 4 Satz 2 SchG werden behinderte Schüler in allgemeinen Schulen unterrichtet, wenn sie
aufgrund der gegebenen Verhältnisse dem jeweiligen gemeinsamen Bildungsgang in diesen Schulen folgen können. Dies erfordert
eine komplexe Beurteilung, in welche nicht nur die individuellen Fähigkeiten und der individuelle Förderbedarf des behinderten
Schülers, sondern auch die personellen, räumlichen, sächlichen und organisatorischen Möglichkeiten der in Betracht kommenden
allgemeinen Schule einzubeziehen sind. Solange die Sonderschulpflicht des Schülers nicht festgestellt ist, obliegt die Förderung
behinderter Schüler der jeweiligen allgemeinen Schule (§ 15 Abs. 4 Satz 1 SchG), die hierbei von sonderpädagogischen Diensten
unterstützt werden, welche die Schulaufsichtsbehörde einrichtet (Ziff. 3 der Verwaltungsvorschrift "Kinder und Jugendliche
mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf" vom 08.03.1999, K.u.U. S. 45). Ist die Sonderschulpflicht des Schülers festgestellt,
so entscheidet die Schulaufsichtsbehörde, ob der behinderte Schüler in die allgemeine Schule (re-) integriert werden kann.
Das gilt nicht nur für die Feststellung, dass die Sonderschulpflicht insgesamt endet (§ 83 Nr. 3 SchG), sondern - in entsprechender
Anwendung von § 82 Abs. 2 Satz 1 und § 83 Nr. 3 SchG - auch für eine probeweise Unterrichtung des behinderten Schülers an
der allgemeinen Schule (vgl. Ziff. 4.7 VwV vom 08.03.1999, a.a.O.).
b) Gegenstand der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde ist auch, ob eine - und sei es probeweise - Umschulung eines sonderschulpflichtigen
Schülers in eine allgemeine Schule ohne weiteres möglich ist oder aber zusätzliche Maßnahmen erfordert (vgl. Ziff. 4.7 VwV
vom 08.03.1999, a.a.O.). Das Schulgesetz erlaubt die Umschulung nur, wenn der Sonderschulpflichtige mit Erfolg am Unterricht
der allgemeinen Schule teilnehmen kann (§ 83 Nr. 3 SchG); eine integrative Beschulung setzt voraus, dass der behinderte Schüler
dem Bildungsgang an der allgemeinen Schule nach Maßgabe der bestehenden Verhältnisse folgen kann (§ 15 Abs. 4 Satz 2 SchG).
Ob dies besondere Maßnahmen erfordert, kann nur die Schulverwaltung beurteilen. Dabei kommt es nämlich nicht nur darauf an,
die Behinderung des jeweiligen Schülers soweit erforderlich zu kompensieren. Zusätzlich muss geprüft werden, ob die hierzu
erforderlichen Maßnahmen mit den Bildungs- und Erziehungszielen der allgemeinen Schule nach deren Schulart vereinbar sind
und ob die konkret in Betracht kommende allgemeine Schule für die integrative Beschulung geeignet ist.
Das gilt auch für den vorliegend im Streit stehenden Einsatz eines Schulbegleiters als "Kommunikationshelfer". Hier ist nicht
nur zu prüfen, ob diese Art der PC-vermittelten "gestützten" Kommunikation mit einem einzelnen Schüler im Rahmen des Unterrichts
an einer allgemeinen Schule möglich ist oder ermöglicht werden kann. Es ist auch sicherzustellen, dass die derart vermittelten
Äußerungen tatsächlich solche des "gestützten" Schülers und nicht solche des Kommunikationshelfers sind. Gehört zum Auftrag
der Schule, die Leistungen eines Schülers festzustellen und zu bewerten, so muss deren Authentizität feststehen, auch aus
Gründen der gebotenen Gleichbehandlung mit den anderen Schülern.
2. Denkbar ist, dass die Umschulung besondere Maßnahmen erfordert, welche außerhalb des Aufgabenbereichs und daher außerhalb
der Kostenzuständigkeit der Schulverwaltung liegen und auch nicht vom Schulträger bereitgestellt werden müssen, sondern -
im Verhältnis zur Schule - in den Verantwortungsbereich des Schülers und seiner Eltern fallen. Das schließt die Entscheidung
der Schulaufsichtsbehörde über die Umschulung und deren besondere Voraussetzungen nicht aus, setzt aber das - auch sonst zu
suchende - Einverständnis des Schülers bzw. seiner Eltern voraus, dass diese besonderen Voraussetzungen vom Schüler gestellt
und grundsätzlich finanziert werden. Der Schüler seinerseits kann hierzu nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften beim Sozial-
oder Jugendamt Eingliederungshilfe in Anspruch nehmen. Die Schulaufsichtsbehörden sind gehalten, das Sozial- oder Jugendamt
im Einverständnis mit den Eltern von sich aus einzuschalten (Ziff. 2 a.E. der VwV vom 08.03.1999, a.a.O.).
Hat die Schulaufsichtsbehörde die Umschulung des behinderten Schülers in eine allgemeine Schule unter der Voraussetzung einer
besonderen Maßnahme verfügt, so steht für die Sozial- und Jugendämter damit fest, dass diese Maßnahme zur Ermöglichung oder
Erleichterung des Schulbesuchs im Sinne von § 12 Nr. 1 EinglVO erforderlich und geeignet ist. Das Sozial- oder Jugendamt kann
die Bereitstellung dieser besonderen Maßnahme oder die Übernahme ihrer Kosten im Wege der Eingliederungshilfe daher nicht
mehr mit dem Argument ablehnen, die Unterrichtung in einer allgemeinen Schule sei dem behinderten Schüler nicht angemessen
oder die besondere Maßnahme sei zur Ermöglichung des Besuchs der allgemeinen Schule nicht erforderlich oder nicht geeignet.
Das Sozial- oder Jugendamt hat indes in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe im
übrigen gegeben sind. So verbleibt ihm die Prüfung, ob die besondere Maßnahme generell - unabhängig vom Schulbesuch - geeignet
ist, die Aufgabe der Eingliederungshilfe nach § 39 Abs. 3 BSHG zu erreichen (dazu Senat, Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2199/02 -). Ebenso zählt hierzu der Grundsatz, dass der Hilfe nicht bedarf, wer sich selbst helfen kann (vgl. § 2 Abs. 1 BSHG). Hiernach bleibt der Einwand möglich, der behinderte Schüler bzw. seine Eltern könnten auf den Besuch der allgemeinen Schule
verzichten und mit dem Besuch einer Sonderschule einverstanden sein, in der die nötige Hilfe von Seiten der Schule ohnehin
geleistet werde (Hess. VGH, Beschluss vom 09.06.1999 - 1 TG 759/99 -, FEVS 51, 315). Dieser Einwand kommt freilich nur in Betracht, wenn dem jeweiligen
Schüler auch mit dem Besuch einer Sonderschule eine angemessene Schulbildung vermittelt werden kann. Das führt dazu, dass
der Sozial- oder Jugendhilfeträger nur dann eintreten muss, wenn das behinderte Kind eine angemessene Schulbildung nur in
der allgemeinen Schule erhalten kann. Erscheinen hingegen eine allgemeine Schule und eine Sonderschule als hierzu gleichermaßen
geeignet, so braucht der Sozial- oder Jugendhilfeträger nicht einzutreten, wenn das Kind nach der Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde
und im Einvernehmen mit den Eltern die allgemeine Schule vorzieht.
Vom Vorstehenden zu unterscheiden ist der denkbare Einwand des Sozial- oder Jugendhilfeträgers, die Bereitstellung oder Finanzierung
der besonderen Maßnahme gehöre auch in der allgemeinen Schule zum Verantwortungsbereich der Schulverwaltung oder des Schulträgers,
etwa weil es sich um eine Maßnahme der sonderpädagogischen Förderung handele (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 03.07.1997 - 6 S 9/97 -, FEVS 48, 228; Bay. VGH, Beschluss vom 25.10.2001 - 12 CE 01.1734 -). Ein Streit zwischen den verschiedenen Kostenträgern hierüber (vgl. § 2 Abs. 2 BSHG, § 10 Abs. 1 SGB VIII) darf nicht auf dem Rücken des Hilfebedürftigen ausgetragen werden. Leisten die Schulverwaltung und der Schulträger die benötigte
Hilfe nicht und nimmt der Hilfebedürftige darum den Träger der Sozial- oder Jugendhilfe in Anspruch, so kann dieser nicht
seinerseits auf die Leistungspflicht des Trägers der Schulverwaltung oder des Schulträgers verweisen, sondern muss die begehrte
Eingliederungshilfe - nach Maßgabe des Sozial- und Jugendhilferechts im übrigen - gewähren. Ihm bleibt freilich unbenommen,
beim Träger der Schulverwaltung oder beim Schulträger etwaige Erstattungsansprüche geltend zu machen (dazu Kunkel, ZfJ 1997,
315; Wiesner u.a., SGB VIII - Kinder- und Jugendhilfe, 2. Aufl. 2000, Rdnr. 25 zu § 10 SGB VIII).
3. Bei Anlegung dieser Maßstäbe kann der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keinen Erfolg haben.
Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass eine allgemeine Schule - sei es die Grundschule, die Haupt- oder die
Realschule - die ihr angemessene Schule ist. Sie besuchte im Zeitpunkt ihres Hilfeantrags (am 04.12.2001) und besucht noch
heute eine Schule für Geistigbehinderte. Es ist daher davon auszugehen, dass die Schulaufsichtsbehörde zuvor entschieden hatte,
dass die Pflicht zum Besuch einer derartigen Sonderschule besteht. Die Schulaufsichtsbehörde hat offenbar bislang nicht festgestellt,
dass die Antragstellerin nunmehr mit Erfolg am Unterricht der allgemeinen Schule teilnehmen kann und dass die Sonderschulpflicht
deshalb geendet hätte (§ 83 Nr. 3 SchG). Es ist auch nicht erkennbar, dass die Schulaufsichtsbehörde ihrer integrativen Beschulung
in einer allgemeinen Schule - sei es der Grundschule, sei es der Haupt- oder der Realschule - zugestimmt hätte. Schließlich
fehlt es auch an jedem Beleg dafür, dass der Antragstellerin von der Schulaufsichtsbehörde gestattet worden wäre, probeweise
für einzelne Unterrichtsstunden am Tag am Unterricht einer allgemeinen Schule teilzunehmen. Derartiges ergibt sich weder aus
dem Schreiben des Staatlichen Schulamts Freudenstadt an den Antragsgegner vom 30.04.2002 noch aus der Stellungnahme des Ansprechpartners
für Autismus dieses Schulamts, des Sonderschullehrers T., vom 03.03.2002. In dieser Stellungnahme ist zwar ausgeführt, dass
die Antragstellerin in der von ihr besuchten Sonderschule für Geistigbehinderte unterfordert ist und dass eine Umschulung
in eine allgemeine Schule wünschenswert sei. Eine dahingehende Entscheidung der Schulaufsichtsbehörde stellt das aber nicht
dar, zumal bislang offen ist, welche allgemeine Schule sie aufnehmen soll.
Die Antragstellerin hat ebenfalls nicht glaubhaft gemacht, dass die Schulaufsichtsbehörde einer - und sei es probeweisen -
Umschulung in eine allgemeine Schule unter der Voraussetzung zugestimmt hätte, dass sie sich der "Gestützten Kommunikation"
bedient und hierzu von einem Kommunikationshelfer begleitet wird. Der Meinungsbildungsprozess des Staatlichen Schulamts hierzu
ist bislang offenkundig noch nicht abgeschlossen. Während der Ansprechpartner für Autismus dieses Schulamts die generelle
Eignung dieser Methode zur Überwindung der Kommunikationsschwierigkeiten autistischer Kinder ebenso wie ihre konkrete Eignung
im Falle der Antragstellerin in mehreren Stellungnahmen bejaht, hat sich das Staatliche Schulamt selbst im Schreiben an den
Antragsgegner vom 30.04.2002 erkennbar skeptisch geäußert und eine weitere ärztliche Begutachtung für nötig erachtet. Die
Antragstellerin hat nunmehr ein ärztliches Gutachten vorgelegt (mit Datum vom 16.12.2002). Das Staatliche Schulamt wird nunmehr
zu entscheiden haben, ob eine Umschulung der Antragstellerin in eine allgemeine Schule - und in welche - erfolgen kann. Zweckmäßigerweise
wird das Schulamt hierbei auch feststellen, welche Möglichkeiten einer angemessenen Beschulung auf einer Sonderschule bestehen.
Der Senat geht davon aus, dass diese Entscheidung unverzüglich ergeht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
2 VwGO. Das Verfahren ist gemäß §
188 VwGO gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.