Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage
Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von dem beklagten Rentenversicherungsträger eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte unter Berücksichtigung
von Entgeltpunkten, anstatt Entgeltpunkten Ost. Einen Anspruch hierauf hat das LSG unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung
des SG (Gerichtsbescheid vom 23.8.2012) verneint und die Klage hierauf abgewiesen. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen
(Urteil vom 6.6.2018).
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde an das BSG und macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
II
Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2), oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Dass der Kläger das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr,
vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; s auch Senatsbeschluss vom 15.4.2019 - B 13 R 233/17 B - Juris RdNr 5; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
Die Beschwerdebegründung, mit der sich der Kläger vorliegend allein auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache beruft,
genügt nicht den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG.
Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) muss die Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden
Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit)
und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen,
inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt
darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr, zB BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; vgl auch BVerfG [Kammer] Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 7; jüngst BSG Beschluss vom 29.6.2018 - B 13 R 9/16 B - Juris RdNr 12).
Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung zu,
"... ob Personen, die mehrere Jahre in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne die Beitrittsgebiete verbracht haben
nach §
30 Abs
3 S 2
SGB I iVm §
254d Abs
2 S 1 Nr
1a SGB VI einen Anspruch auf die Berechnung der Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten West haben, wenn diese Personen
noch durch Kinder sowie Ehegatten einen Bezug zu den Beitrittsgebieten haben".
Damit hat der Kläger schon keine abstrakt-generelle Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit
einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht formuliert (vgl allgemein BSG Beschluss vom 24.10.2018 - B 13 R 239/17 B - Juris RdNr 8 mwN). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar,
damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, Kap IX RdNr 181). Anstatt auf die Klärung
einer Rechtsfrage zielt die formulierte Frage erkennbar auf die Rechtsanwendung im Einzelfall und damit die vermeintlich inhaltliche
Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils, auf die die Beschwerde - wie oben ausgeführt - nicht gestützt werden kann.
Darüber hinaus fehlen in der Beschwerdebegründung Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit der vom Kläger
formulierten Frage. Weder wird dargelegt, dass diese Frage noch nicht geklärt ist, noch geht die Begründung darauf ein, dass
das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt.
Eine Rechtsfrage ist dann als höchstrichterlich geklärt und damit als nicht (mehr) klärungsbedürftig anzusehen, wenn diese
bereits beantwortet ist. Ist sie noch nicht ausdrücklich entschieden, genügt es, dass schon eine oder mehrere höchstrichterliche
Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beantwortung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten
Rechtsfrage geben (BSG Beschluss vom 30.8.2016 - B 2 U 40/16 B - SozR 4-1500 § 183 Nr 12 RdNr 7 mwN; s auch Beschluss vom 28.11.2018 - B 12 R 34/18 B - Juris RdNr 6). Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG lässt die Beschwerde aber vermissen.
Insoweit reicht es - wie hier geschehen - nicht lediglich zu behaupten, höchstrichterliche Rechtsprechung liege nicht vor
sowie SG und LSG hätten im konkreten Verfahren die ausgemachte Rechtsfrage divergierend beantwortet. Es hätte hier daher zumindest
einer eingehenden Auseinandersetzung mit der bereits vom LSG zitierten Entscheidung des Senats vom 31.10.2012 (B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6) bedurft. Der erkennende Senat hat dort ausgeführt (aaO - Juris RdNr
25 ff), ob sich jemand iS des §
30 Abs
3 S 2
SGB I gewöhnlich an einem Ort oder in einem Gebiet aufhalte oder nur vorübergehend dort verweile, ließe sich nur im Wege einer
vorausschauenden Betrachtungsweise (Prognose) entscheiden (BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 97 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 183; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 86 = SozR 1200 § 30 Nr 17 S 17). Dabei seien alle bei Prognosestellung für die Beurteilung der künftigen Entwicklung erkennbaren Umstände zu
berücksichtigen. Sei nach der Prognose davon auszugehen, dass die betreffende Person "bis auf weiteres" an dem Ort oder in
dem Gebiet verweilen werde, so habe sie dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt. Die Prognose (als solche) und die Feststellung
der dafür erheblichen Anhaltspunkte sei Aufgabe der Tatsachengerichte. Sie hätten die notwendigen Ermittlungen durchzuführen
und daraus die Prognose zu stellen. Das Gericht entscheide, wenn es eine Prognose treffe, nach freier Überzeugung. Es habe
aber alle Umstände des Einzelfalls zu würdigen. Die Prognose sei rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht die der Prognose zugrunde
zu legenden Tatsachen nicht richtig festgestellt oder nicht alle wesentlichen in Betracht kommenden Umstände hinreichend gewürdigt
habe bzw wenn die Prognose auf rechtlich falschen oder unsachlichen Erwägungen beruhe (vgl BSG vom 22.3.1988 - BSGE 63, 93, 98 = SozR 2200 § 205 Nr 65 S 184; BSG vom 17.5.1989 - BSGE 65, 84, 87 = SozR 1200 §
30 Nr 17 S 18; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, §
128 RdNr 9 f). Ausführungen dazu, warum sich aus diesen Ausführungen keine Anhaltspunkte für die Beantwortung der aufgeworfenen
Frage ergäben, finden sich in der Beschwerdebegründung nicht.
Die Behauptung, der unbestimmte Rechtsbegriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" werfe Auslegungszweifel auf, die auch nicht durch
die von der Rechtsprechung entwickelte dreigliedrige Prüfung sowie die programmatischen Äußerungen in den Gesetzesmaterialien
ausgeräumt würden, stellt keine hinreichende Untermauerung der behaupteten Klärungsbedürftigkeit dar. Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung befunden, Ausgangspunkt der dreistufigen Prüfung des §
30 Abs
3 S 2
SGB I sei ein "Aufenthalt". Dann seien die mit dem Aufenthalt verbundenen "Umstände" festzustellen und schließlich daraufhin zu
würdigen, ob sie "erkennen ließen", dass der Betreffende am Aufenthaltsort oder im Aufenthaltsgebiet "nicht nur vorübergehend
verweile oder verweilt habe" (vgl BSG vom 25.6.1987 - BSGE 62, 67, 68 f = SozR 7833 § 1 Nr 1 S 2; s auch BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 1/12 R - BSGE 112, 116 = SozR 4-1200 § 30 Nr 6 - Juris RdNr 24). Zumindest hätte daher in der Beschwerdeschrift dargelegt werden müssen, an welchem
"Punkt" der Prüfung sich hier welche zusätzlichen Fragen ergeben, die unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des BSG nicht zu beantworten seien.
Ferner fehlt es zur Beurteilung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage insbesondere an einer zumindest knappen,
geordneten Darstellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Tatsächlich ist der Beschwerdebegründung schon nicht der
genaue Gegenstand des Rechtsstreits zu entnehmen. Es bleibt nach der Beschwerdeschrift unklar, für welchen Zeitraum Entgeltpunkte
anstatt Entgeltpunkte Ost begehrt werden. Daher vermag der Senat nicht einmal zu beurteilen, ob die vom Kläger in der Rechtsfrage
benannten Normen einschlägig sind und die Frage in einem Revisionsverfahren überhaupt beantwortet werden müsste, mithin Klärungsfähigkeit
vorliegt.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.