Nichtzulassungsbeschwerde
Verfahrensrüge
Verletzung rechtlichen Gehörs
Verbot von Überraschungsentscheidungen
Richterliche Hinweispflicht
1. Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels gerügt, so müssen bei dessen Bezeichnung wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb
einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt
werden .
2. Darüber hinaus ist bei der Rüge einer Gehörsverletzung die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung - ausgehend
von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht, denn
eine Gehörsverletzung stellt gemäß §
202 SGG i.V.m. §
547 ZPO keinen absoluten Revisionsgrund dar.
3. Gemäß §
62 Halbsatz 1
SGG, der dem schon in Art.
103 Abs.
1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör
zu gewähren.
4. Die richterliche Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion
insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen.
Gründe:
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger den allein geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensfehlers,
auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, nicht in der gebotenen Weise bezeichnet hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2
SGG, §
169 SGG).
Wird das Vorliegen eines Verfahrensmangels gerügt, so müssen bei dessen Bezeichnung wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb
einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt
werden (vgl nur BSG SozR 1500 §
160a Nr 14 und 36; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160a RdNr 16 mwN). Darüber hinaus ist bei der Rüge einer Gehörsverletzung die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung
- ausgehend von der Rechtsansicht des LSG - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils
besteht (BSG SozR 1500 §
160a Nr 36), denn eine Gehörsverletzung stellt gemäß §
202 SGG iVm §
547 ZPO keinen absoluten Revisionsgrund dar.
Die Beschwerdebegründung des Klägers wird diesen Darlegungserfordernissen nicht gerecht. Er macht geltend, in der mündlichen
Verhandlung vor dem LSG habe das Gericht, nachdem die Parteivertreter nochmals zur Sach- und Rechtslage vorgetragen hätten,
mit keinem Wort zu erkennen gegeben, zu welcher Rechtsauffassung es in dem einen oder anderen Punkt neige, sondern stattdessen
in der Sache entschieden. Dies stelle eine Verletzung der §§
112 Abs
2,
62 und §
106 Abs
1 SGG dar. Die Entscheidung des LSG sei vom Ergebnis überraschend, denn vor der mündlichen Verhandlung sei eine Beweisaufnahme
erfolgt und es sei auch über vergleichsweise Regelungen gesprochen worden. Wegen des überraschenden Ergebnisses beruhe die
Entscheidung auch auf den Verfahrensmängeln.
Gemäß §
62 Halbsatz 1
SGG, der dem schon in Art
103 Abs
1 GG verankerten prozessualen Grundrecht entspricht (vgl Neumann in Hennig,
SGG, §
62 RdNr 6 ff, Stand Juni 2015), ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren. Die richterliche
Hinweispflicht (§
106 Abs
1 SGG) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Hauck in Hennig,
SGG, §
106 RdNr 10, Stand September 2010) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen
(vgl BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1500 §
114 Nr 2 RdNr 34 vorgesehen). Auch §
112 SGG, der den Gang der mündlichen Verhandlung regelt, dient der Verwirklichung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (B. Schmidt
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
112 RdNr 2).
Eine den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzende Überraschungsentscheidung liegt danach vor, wenn das Urteil auf Gesichtspunkte
gestützt wird, die bisher nicht erörtert worden sind, und dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt, mit der
auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl
vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl nur BSG vom 22.4.2015 - B 3 P 8/13 R - BSGE 118, 239 = SozR 4-3300 §
23 Nr 7, RdNr 37; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
62 RdNr 8b). Allerdings besteht keine allgemeine Pflicht des Gerichts zu einem Rechtsgespräch oder zu einem Hinweis zu seiner
Rechtsauffassung (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
62 RdNr 8e mwN). Denn diese würde eine tatsächliche und rechtliche Würdigung voraussetzen, die sich regelmäßig erst aufgrund
einer abschließenden Beratung des Gerichts ergeben kann (vgl hierzu BVerwG vom 21.9.2011 - 5 B 11/11 - RdNr 3; BSG vom 26.7.2016 - B 4 AS 47/15 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-1500 § 114 Nr 2 RdNr 35 vorgesehen).
Bereits deshalb erscheint zweifelhaft, ob die offenbar von umfassenden Hinweispflichten des Gerichts ausgehende Beschwerdebegründung
eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör als Verfahrensmangel ausreichend bezeichnet hat. Doch kann dies im Ergebnis
offen bleiben, weil der Kläger jedenfalls nicht aufzeigt, warum auf diesem Verfahrensmangel die Entscheidung des LSG beruhen
kann. Denn er führt nicht aus, was er nach einem Hinweis des Gerichts dazu, wie es entscheiden werde, weiter vorgetragen hätte
und warum dieser Vortrag geeignet gewesen wäre, die Entscheidung zu beeinflussen. Insofern hätte es auch einer Darstellung
der Sach- und Rechtslage in Bezug auf den Streitgegenstand bedurft, an der es ebenfalls fehlt. Die Aussage, weil das Ergebnis
überraschend gewesen sei, beruhe das anzugreifende Urteil bereits auf einem Verfahrensmangel, trifft nicht zu und vermag die
unterbliebene Auseinandersetzung in der Sache nicht zu ersetzen.
Der Kläger hat auch nicht schlüssig aufgezeigt, warum das Urteil des LSG auf einer möglicherweise verfahrensfehlerhaften unzureichenden
Protokollierung beruhen könnte. Aus seinem Vorbringen ergibt sich, dass die Beteiligten vortragen konnten, Anträge gestellt
haben und das Gericht sodann ein Urteil verkündet hat, die Verhandlung mithin tatsächlich beendet wurde. Welche Bedeutung
es vor diesem Hintergrund für das Ergebnis der Entscheidung haben soll, ob der Vorsitzende des Senats die mündliche Verhandlung
"förmlich" - wie es der Kläger für erforderlich hält - für geschlossen erklären muss und ob er dies getan hat, erschließt
sich nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.