Versorgung mit einem Liegedreirad
Grundsatzrüge
Begriff der Entscheidungserheblichkeit
Mehrfach begründetes Berufungsurteil
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einem Liegedreirad. Ein solches Liegedreirad einschließlich
eines Kupplungssystems für einen Rollstuhl wurde ihm als "Teamwork Rehabilitationsfortbewegungsgerät" vertragsärztlich verordnet.
Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil Krankengymnastik und Funktionstraining vorrangig seien. Im Klageverfahren hat der
Kläger ausgeführt, das beantragte Gerät "Speedy-Teamwork" sei mit handelsüblichen Liegerädern nicht zu vergleichen, weil es
behindertenspezifische Ausstattungsmerkmale wie die individuelle Einstellbarkeit der Kurbellänge und des ergonomisch geformten
Griffgummis, Schlupf- oder Fußschale mit oder ohne Wadenunterstützung, einen automatischen Kettenspanner, einen einstellbaren
Pendelsitz mit in der Neigung verstellbarer Rückenlehne und einen einstellbaren Lenker aufweise. Das Gerät habe einen besonders
geformten Sattel und eine besondere Fahrgestellsymmetrie, welche die Druckbelastung von Schulter- und Beckengürtel auf die
Beine verlagere. Der Hersteller hat angegeben, das "Speedy-Teamwork" komme für Gehbehinderte in Frage, die sich das nähere
Wohnumfeld nicht mehr zu Fuß erschließen könnten, aber noch nicht auf einen Rollstuhl angewiesen seien.
Die beigeladene Berufsgenossenschaft, die die Beschwerden des Klägers am Schultergelenk als Folgen eines Arbeitsunfalls anerkannt
hat, lehnte die Versorgung des Klägers mit dem begehrten Liegerad ab, da der beauftragte Sachverständige ausgeführt habe,
der Kläger könne problemlos ein normales Fahrrad nutzen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum ein Patient mit Schultersteife
nicht ein Fahrrad besteigen solle. Wegen der Sturzgefahr sei allerdings ein feststehendes Trainingsfahrrad vorzuziehen.
Klage und Berufung gegen die beklagte Krankenkasse sind erfolglos geblieben (Urteile des SG Mainz vom 25.3.2014 und des LSG
Rheinland-Pfalz vom 20.11.2014). Das LSG hat ausgeführt, der Anspruch scheitere bereits daran, dass es sich bei dem begehrten
Liegedreirad um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Liegedreiräder würden nicht speziell für Menschen
mit Behinderungen hergestellt und auch nicht ausschließlich oder überwiegend von solchen Menschen gekauft. Lediglich bestimmte
Teile der Ausstattung könnten behindertenspezifisch sein. Diese machten das Rad nicht insgesamt zu einer Sonderanfertigung.
Ein Anspruch auf eine behindertengerechte Zubehörausstattung bestehe ebenfalls nicht. Eine Versorgung des Klägers mit dem
begehrten Liegedreirad komme auch dann nicht in Betracht, wenn es sich hierbei nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens handele. Das Liegedreirad sei weder zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung noch zur Vorbeugung einer drohenden
oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung erforderlich. Nach den für die beigeladene Berufsgenossenschaft gefertigten
Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. sowie nach dem Entlassungsbericht der Rehaklinik seien andere Therapiemöglichkeiten
besser geeignet.
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, soweit sie nicht bereits unzulässig ist, weil der Rechtssache weder die geltend
gemachte grundsätzliche Bedeutung zukommt (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), noch das Urteil von den zitierten Entscheidungen des BSG abweicht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG), noch einer der geltend gemachten Verfahrensmängel vorliegt (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
1. Die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) erfordert eine Rechtsfrage, der eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt, und die klärungsbedürftig sowie
im zu entscheidenden Fall klärungsfähig, dh entscheidungserheblich ist (vgl hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160 RdNr 7 ff mwN).
Der Kläger hat folgende Fragen formuliert, die er für grundsätzlich bedeutsam hält:
- "Die Frage, ob alleine schon die Möglichkeit der Nutzung eines Fortbewegungstherapiegerät (in Form eines behindertengerechten
Liegedreirades) durch einen Menschen ohne Behinderungen oder gesundheitliche Einschränkungen schon die Annahme rechtfertigt,
dass sich das Fortbewegungstherapiegerät ein Gegenstand des täglichen Lebens sei und somit kein Hilfsmittel gem. §
33 Abs.
1 SGB V".
- "Ferner ist die Frage zu klären, wie weit ein Fortbewegungstherapiegerät von der Grundkonzeption eines Liegefahrrades abweichen
muss, um kein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens mehr zu sein."
- "Kann alleine die Tatsache, dass der Hersteller nicht ausschließlich Liegefahrräder für Menschen mit Behinderungen produziert,
schon die Annahme begründen, dass ein Fortbewegungstherapiegerät ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist?"
- "Die Frage, wann ein therapeutisches Gerät in seiner Nutzung so in den allgemeinen täglich Gebrauch übergeht, dass die Hilfsmitteleigenschaft
aufgehoben wird, ist nicht abschließend geklärt."
Die vom Kläger aufgeworfenen Fragen beziehen sich ausschließlich auf den Aspekt, ob und inwieweit das begehrte Liegedreirad
ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens ist. Diesen Fragen kommt jedoch keine grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG zu, weil sie nicht entscheidungserheblich sind. Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden
Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt, und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung
des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen. Daran mangelt es insbesondere, wenn die Entscheidung der Berufungsinstanz
auf verschiedene Begründungen gestützt wird, die jede für sich den Urteilsspruch tragen, aber nicht alle von der aufgeworfenen
Rechtsfrage betroffen sind (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 69
f). In solchen Fällen ist die Zulassung der Revision nur möglich, wenn für jede Begründung ein Zulassungsgrund vorliegt und
entsprechend geltend gemacht wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 5 und 38, BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5).
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung nicht lediglich damit begründet, dass Liegedreiräder grundsätzlich als Gebrauchsgegenstände
des täglichen Lebens anzusehen seien. Es hat vielmehr ausdrücklich ausgeführt, der Anspruch des Klägers käme selbst dann nicht
in Betracht, wenn das Liegedreirad nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gewertet würde, weil es weder zur Sicherung
des Erfolgs der Krankenbehandlung noch zur Vorbeugung einer drohenden oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung erforderlich
sei. Hierzu hat sich das LSG auf die verschiedenen Stellungnahmen der Ärzte und der Rehaklinik bezogen. Danach gebe es zur
Sicherung der Krankenbehandlung und zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung besser geeignete Möglichkeiten. Zum Behinderungsausgleich
sei das Liegedreirad nicht erforderlich, weil der Hilfsmittelanspruch beim mittelbaren Behinderungsausgleich auf die Befriedigung
von Grundbedürfnissen beschränkt sei. Der Wunsch des Klägers, seine Ehefrau bei Rollstuhlfahrten zu begleiten, gehöre nicht
dazu. Auch das SG hatte die Klage bereits mit einer ähnlichen Begründung abgewiesen.
Die ablehnende Entscheidung des LSG wird somit durch beide Alternativbegründungen eigenständig getragen. Im Hinblick auf die
Begründung, das Liegedreirad sei nicht erforderlich - weder zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung noch zur Vorbeugung
einer drohenden oder zum Ausgleich einer bestehenden Behinderung - macht der Kläger keine Revisionszulassungsgründe geltend.
Nach den vorinstanzlichen Entscheidungen müsste die Revision auch ohne Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Fragen nach
den Voraussetzungen eines Gebrauchsgegenstandes des täglichen Lebens erfolglos bleiben.
2. Der Zulassungsgrund der Divergenz setzt nach §
160 Abs
2 Nr
2 SGG voraus, dass das angefochtene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Revision kann auch unter dem Aspekt der Divergenz
nicht zugelassen werden, wenn das angefochtene Urteil auf mehrere Begründungen gestützt ist, die geltend gemachte Abweichung
sich aber nur auf eine Begründung bezieht, und hinsichtlich sonstiger entscheidungserheblicher Begründungen kein anderer Zulassungsgrund
vorliegt (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl 2014, §
160 RdNr 10, 15a mwN), weil die Entscheidung dann nicht auf der Abweichung beruht.
Auch soweit der Kläger eine Abweichung der Entscheidung des LSG von Entscheidungen des BSG geltend macht, bezieht er sich ausschließlich darauf, dass das Berufungsgericht einen Anspruch des Klägers auf Versorgung
mit dem begehrten Liegedreirad deswegen abgelehnt habe, weil es sich hierbei um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
handele, obwohl das Liegedreirad - seiner Ansicht nach - therapeutischen Zwecken diene.
Das LSG brauchte aber der Frage, ob das Liegedreirad auch therapeutischen Zwecken dient, welche konkreten Nutzungsmöglichkeiten
und therapeutischen Einsatzmöglichkeiten es bietet, nicht nachzugehen. Denn es hielt das Liegedreirad jedenfalls für therapeutische
Zwecke nicht für erforderlich. Zur Vermeidung der Sturzgefahr sei nach der Stellungnahme von Dr. F. ein feststehendes Trainingsfahrrad
besser geeignet und im Reha-Entlassungsbericht würden lediglich weitere physiotherapeutische Maßnahmen, nicht aber Radfahren
empfohlen. Selbst wenn also - wie der Kläger meint - das Liegedreirad aufgrund seiner therapeutischen Funktionen nicht als
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu qualifizieren sei, könnte seinem Begehren nicht entsprochen werden. Die angefochtene
Entscheidung des LSG beruht daher nicht auf einer Divergenz zu den vom Kläger angeführten Entscheidungen.
3. Soweit der Kläger meint, das LSG gehe in seiner Entscheidung davon aus, dass alleine schon die Nichtaufnahme eines Fortbewegungstherapiegerätes
in den Hilfsmittelkatalog Indiz für die Ablehnung der Kostenübernahme wäre und allein die Möglichkeit der Nutzung über den
Hilfsmittelzweck hinaus eine Kostenerstattung ausschlösse, ist dies der Entscheidung des LSG nicht zu entnehmen. In der Entscheidung
wird der Hilfsmittelkatalog nicht erwähnt. Auch eine über den Hilfsmittelzweck hinausgehende Möglichkeit der Nutzung wird
in den Entscheidungsgründen nicht erörtert.
4. Schließlich rügt der Kläger ohne Erfolg Verstöße gegen §
103 SGG und §
128 SGG als Verfahrensmängel. Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Bevollmächtigten des Klägers vorgeschlagenen Ergänzungen zum Beweisbeschluss
des Berufungsgerichts die Voraussetzungen eines Beweisantrags iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG erfüllen. Denn jedenfalls beziehen sich die aufgeführten Anregungen zur Ergänzung des Beweisbeschlusses jeweils ebenfalls
lediglich auf die Frage, ob das Therapiefahrrad als solches geeignet ist. Bei der vom Berufungsgericht angenommenen fehlenden
Notwendigkeit eines solchen Therapiegerätes, weil besser geeignete andere Therapien zur Verfügung ständen, ist auch diesbezüglich
eine Entscheidungserheblichkeit weder dargelegt noch erkennbar. Das LSG hatte daher keinen Anlass, der Beweisanregung weiter
nachzugehen. Gleiches gilt für die Rüge, das LSG habe die Gründe, die zu seiner richterlichen Überzeugung geführt hätten,
dass es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele, nicht dargelegt.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.