Beschädigtenrente nach dem OEG
Einholung eines weiteren Gutachtens
Umstände des Einzelfalls
Aufstellenden eines abweichenden Rechtssatzes
1. Mit dem Vorbringen, das LSG hätte zusätzlich zu bereits vorliegenden noch ein weiteres aussagepsychologisches Gutachten
einholen müssen, kann die Beschwerde im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht gehört werden.
2. Die Entscheidung, ob die Umstände des Einzelfalls ein solches Gutachten gebieten, trifft das Tatsachengericht im Rahmen
der Amtsermittlung nach §
103 SGG.
3. Divergenz kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen
abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat.
4. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die
das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt Beschädigtenrente nach dem
OEG iVm den Vorschriften des BVG.
Die Klägerin beantragte im Juli 2006 bei dem Beklagten Beschädigtenversorgung, weil ihr Vater sie in der Zeit zwischen 1968
und 1980 sexuell missbraucht habe. Der Beklagte holte medizinische Befundunterlagen und nähere Angaben der Klägerin zum Tatgeschehen
ein, befragte ua ihre Mutter und ihren Bruder schriftlich und lehnte den Antrag auf dieser Grundlage ab (Bescheid vom 21.7.2007,
Widerspruchsbescheid vom 23.1.2008).
Das von der Klägerin angerufene SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.8.2010). Das von der Kammer eingeholte aussagepsychologische Gutachten habe keinen
ausreichenden Erlebnisbezug der Angaben der Klägerin feststellen können. Die Aussagen der befragten Zeugen könnten den behaupteten
sexuellen Missbrauch ebenfalls nicht hinreichend glaubhaft machen.
Das LSG hat die von der Klägerin eingelegte Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 29.1.2015). Auch nach dem abgesenkten Beweismaßstab
aus § 15 S 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei nicht glaubhaft gemacht, dass sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei. Die vom SG sowie vom Senat eingeholten aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten könnten allerdings nach der Rechtsprechung des
BSG nicht allein Entscheidungsgrundlage sein, weil sie die vom BSG aufgestellten Anforderungen nicht erfüllten. Der Senat habe gleichwohl davon abgesehen, ein weiteres aussagepsychologisches
Gutachten einzuholen mit auf den abgesenkten Beweismaßstab des § 15 S 1 KOVVfG ausgerichteter Fragestellung. Dies sei nach den überzeugenden Ausführungen im Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G.,
das der Senat ins Verfahren eingeführt habe, unmöglich. Bei der Beweiswürdigung sei zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen,
dass ihr Belastungserleben ihre Fähigkeit erheblich eingeschränkt habe, über den belastenden Sachverhalt auszusagen. Da der
abgesenkte Beweismaßstab des § 15 KOVVfG gelte, spreche auch die von den Sachverständigen beschriebene Möglichkeit fremd- und autosuggestiver Prozesse nicht entscheidend
gegen die Angaben der Klägerin. Deren Glaubhaftigkeit stehe gleichwohl die fehlende Konstanz in der Schilderung des Kern-
und Rahmengeschehens entgegen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt, für die sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Der sexuelle Missbrauch zum Nachteil der Klägerin
sei im Vollbeweis nachgewiesen. Das LSG konterkariere die vom BSG aufgestellten Grundsätze zur Einholung aussagepsychologischer Gutachten und verhalte sich widersprüchlich. Das Gericht sei
verpflichtet gewesen, ein weiteres aussagepsychologisches Gutachten einzuholen, anstatt selber die Aussagen der Klägerin zu
würdigen.
II
Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten
zu gewähren, ist abzulehnen. Nach §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §§
114,
121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg bietet. Daran fehlt es.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
weder ein Verfahrensmangel (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Die Beschwerde trägt umfangreich zu ihrer Ansicht vor, die Tatsacheninstanzen hätte eine geschlossene Indizienreihe verkannt,
die auf den sexuellen Missbrauch der Klägerin in ihrer Kindheit verweise. Damit wendet sich die Beschwerde gegen die Beweiswürdigung
des LSG, die indes §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG der Beurteilung durch das Revisionsgericht vollständig entzieht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen
Anordnung kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar
angegriffen werden (Karmanski in Roos/Wahrendorf,
SGG, 2014, §
160 RdNr 58 mwN).
Mit ihrer Kritik, das LSG hätte zusätzlich zu den beiden bereits vorliegenden noch ein weiteres aussagepsychologisches Gutachten
einholen müssen, kann die Beschwerde im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls nicht gehört werden. Die Entscheidung,
ob die Umstände des Einzelfalls ein solches Gutachten gebieten, trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach
§
103 SGG (BSGE SozR 4-3800 §
1 Nr
20). Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes kann die Beschwerde wegen §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG nicht mit Erfolg rügen, weil sie keinen Beweisantrag bezeichnet hat, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Ein bis zuletzt aufrechterhaltener Beweisantrag der anwaltlich vertretenen Klägerin ist vielmehr überhaupt nicht ersichtlich.
2. Soweit die Beschwerde mit ihren Angriffen auf den Umgang des LSG mit den im Verfahren eingeholten aussagepsychologischen
Gutachten der Sache nach - ausdrücklich hat sie keinen Zulassungsgrund benannt - wohl eine Divergenz rügen will, verfehlt
sie jedenfalls die dafür geltenden speziellen Darlegungsanforderungen.
Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen.
Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten
Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des
LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene
Entscheidung auf der Abweichung beruht. Daher muss die Beschwerdebegründung erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz
in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch
steht (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN).
Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Ihre Behauptung, das LSG konterkariere die vom
BSG aufgestellten Grundsätze zur Einholung aussagepsychologischer Gutachten, benennt bereits keinen tragenden abstrakten Rechtssatz
des LSG, sondern wendet sich gegen dessen Anwendung der BSG-Rechtsprechung im Einzelfall. Die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG ist indessen nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde
(BSG SozR 1500 § 160a Nr 7). Im Übrigen geht die Beschwerde selber davon aus, das LSG habe seiner Entscheidung im Ausgangspunkt die Grundsätze
des BSG zur Einholung von aussagepsychologischen Gutachten zugrunde gelegt, wenn sie auch meint, das LSG unterlaufe durch seine Rechtsanwendung
diese Grundsätze.
Soweit das LSG auf der Grundlage seiner Ermittlungen in einem anderen Verfahren bezweifelt, ob überhaupt aussagepsychologische
Gutachten unter Berücksichtigung des abgesenkten Beweismaßstabs des § 15 KOVVfG erstellt werden können, hat die Beschwerde nicht dargelegt, warum diese Zweifel die Entscheidung des LSG tragen und deshalb
entscheidungserheblich gewesen sein sollten. Das Berufungsgericht hat einzelne Aussagen der beiden im Verfahren der Klägerin
eingeholten aussagepsychologischen, zu ihren Lasten ausgefallenen Gutachten gleichwohl zu ihren Gunsten verwertet. Sein ablehnendes
Urteil hat es maßgeblich auf eine eigene Würdigung der klägerischen Aussagen gestützt. Diese Tatsachenwürdigung entzieht §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG, wie ausgeführt, im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde der revisionsgerichtlichen Kontrolle.
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.