Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten im Zusammenhang mit einer Kryokonservierung befruchteter Eizellen.
Die am 06.06.1989 geborene, ledige und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin erkrankte im Jahr 2014 an einer Leukämie/einem
Lymphom (Diagnosestellung am 23.06.2014). Die Klägerin suchte am 03.07.2014 persönlich den zuständigen Sachbearbeiter der
Beklagten auf und beantragte im Hinblick auf die bevorstehende Chemotherapie zwecks der Erhaltung der Fruchtbarkeit die Übernahme
von Kosten für eine Hormonbehandlung mit anschließender Eizellentnahme, Befruchtung der Eizellen und Kryokonservierung der
befruchteten Eizellen. In diesem Gespräch teilte der Sachbearbeiter der Klägerin mit, dass derzeit Kosten für eine künstliche
Befruchtung nicht übernommen werden könnten, da sie nicht verheiratet sei. Auch die Kryokonservierung könne nicht übernommen
werden. Ob die Hormonbehandlung jetzt gezahlt werden könne, hänge von einer Stellungnahme des Arztes ab.
Die Klägerin begann die hormonelle Stimulierung mit Medikamenten am 04.07.2014. Die Eizellentnahme, Befruchtung der Eizellen
und anschließende Kryokonservierung erfolgte zwischen dem 07.07.2014 und 15.07.2014. Die von der Klägerin bezahlten Gesamtkosten
belaufen sich auf 3.848,31 EUR. Die Klägerin begann anschließend die stationäre Chemotherapie am 08.08.2014.
Die Beklagte holte ein Gutachten beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein. Im Gutachten vom 27.08.2014
führte Dr. S.-G. aus, die zur hormonellen Stimulation verordneten Präparate seien nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
verordnungsfähig, da die geltenden Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung die prophylaktische Durchführung
einer hormonellen Stimulationsbehandlung mit Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung und Kryokonservierung als Leistung der
gesetzlichen Krankenversicherung ausschließen. Auch für den Transfer der aufgetauten befruchteten Eizelle bestehe keine Leistungspflicht
der Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 15.09.2014 lehnte die Beklagte die Erstattung der bisher entstandenen Gesamtkosten im Zusammenhang mit der
künstlichen Befruchtung in Höhe von 3.848,31 EUR unter Bezugnahme auf das Gutachten des MDK ab.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 09.10.2014 Widerspruch ein, zu dessen Begründung sie vortrug, die Chemotherapie
habe mit hoher Wahrscheinlichkeit den Eintritt der Unfruchtbarkeit zur Folge, weswegen ihr die behandelnden Ärzte das Einfrieren
von befruchteten Eizellen empfohlen hätten. Da die Kryokonservierung medizinisch erforderlich gewesen sei, seien die Kosten
von der Krankenkasse zu übernehmen. Im Falle des Abwartens bis nach der Chemotherapie und des Versuchs einer künstlichen Befruchtung
würden die Kosten zu 50 % von der Krankenkasse übernommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass nach
den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschuses (GBA) zur künstlichen Befruchtung Leistungen, welche über die künstliche
Befruchtung hinausgehen wie etwa die Kryokonservierung imprägnierter Eiszellen ausgeschlossen seien. Ferner habe die Klägerin
das in den Richtlinien zwingend vorgeschriebene Antragsverfahren für die Kinderwunschbehandlung nicht eingehalten. Weiter
sei die Klägerin nicht mit ihrem Partner verheiratet. Ferner gehe aus der von der Klägerin vorgelegten Bescheinigung der Kinderwunschpraxis
Dres. G. vom 08.07.2014 hervor, dass die Klägerin und ihr Partner anamnestisch gesund seien und sich beim Partner der Klägerin
ein unauffälliges Spermiogramm gezeigt habe. Der GBA habe die Kryokonservierung aus der vertragsärztlichen Versorgung ausdrücklich
ausgeschlossen. Auch das Bundessozialgericht (BSG) habe entschieden, dass die Kryokonservierung nicht der Krankenbehandlung diene und sich nicht als Maßnahme zur Herbeiführung
einer Schwangerschaft erweise. Nach der Rechtsprechung des BSG gehöre die Kryokonservierung nicht zu den Maßnahmen im Sinne von §
27 a SGB V, weil sie nicht unmittelbar dem Zeugungsakt entspreche und keinen einzelnen natürlichen Zeugungsakt ersetzen solle. Daher
könnten auch die Kosten der vorgeschalteten Maßnahmen der Stimulation und Eizellentnahme nicht von der Beklagten übernommen
werden.
Hiergegen hat die Klägerin am 26.02.2015 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben und die Zahlung von 1.924,15 EUR (= Erstattung von 50 % der angefallenen Kosten) beantragt.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2016 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass es bereits an einem Anspruch
der Klägerin auf die begehrte Naturalleistung als Voraussetzung für einen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V fehle. Ein solcher könne weder auf §
27a SGB V noch auf §
27 SGB V gestützt werden. Zwar handle es sich bei der bei der Klägerin vorgenommenen Hormonbehandlung mit dem Ziel der Heranreifung
mehrerer Eizellen und operativen Eizellgewinnung mittels Folikelpunktion um Maßnahmen der künstlichen Befruchtung im Sinne
von §
27a SGB V. Jedoch scheitere ein Anspruch bereits daran, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der medizinischen Behandlung
nicht mit ihrem Partner verheiratet gewesen sei. Die anschließende Kryokonservierung sei keine Maßnahme der künstlichen Befruchtung.
Eine von der Klägerin geltend gemachte verfassungskonforme Auslegung im Lichte von Art
6 GG sei nicht möglich, da Grenze der Auslegung einer Norm der jeweilige Wortlaut sei. Auch das BSG habe dargelegt, dass keine Leistungsausweitung der Leistungen zur künstlichen Befruchtung auf nichteheliche Lebensgemeinschaften
erfolgen könne. Ein Anspruch folge auch nicht aus §
27 SGB V. Zur Krankenbehandlung gehörten auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit
nicht vorhanden sei oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen sei.
Zwar spreche vieles dafür, dass die Klägerin unter einer Krankheit gelitten habe. Es spreche auch vieles dafür, dass aufgrund
der vorhandenen Krebserkrankung der Klägerin und der Behandlungsfolgen durch die Chemotherapie eine unmittelbare, konkrete
Gefahr, dass die Klägerin ihre Empfängnisfähigkeit verlieren würde, bestanden habe. Dies genüge für die Annahme einer Krankheit.
Jedoch habe die Lagerung der befruchteten Eizellen nicht der Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit durch natürlichen Zeugungsakt,
sondern der künstlichen Befruchtung gedient. Unter §
27 SGB V würden aber nur solche Leistungen fallen, die dazu bestimmt seien, die Empfängnisunfähigkeit selbst zu beheben. Durch die
Krankenbehandlung solle die natürliche Zeugungs- bzw. Empfängnisfähigkeit wiederhergestellt werden. Die vorliegend von der
Klägerin vorgenommene hormonelle Stimulierung, Eizellentnahme und -befruchtung sowie die anschließende Kryokonservierung der
befruchteten Eizellen sei nicht auf die Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit durch natürlichen Zeugungsakt gerichtet
gewesen, sondern habe lediglich eine künftige künstliche Befruchtung ermöglichen sollen. Dies jedoch betreffe den Versicherungsfall
der Herbeiführung einer Schwangerschaft nach §
27a SGB V und nicht den Versicherungsfall einer Krankheit.
Gegen den dem Klägerbevollmächtigten am 15.02.2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser am 08.03.2016 Berufung zum Landessozialgericht
Baden-Württemberg eingelegt.
Die Klägerin trägt vor, sie habe nach Erhalt einer Krebsdiagnose vor Beginn der dringend erforderlichen Chemotherapie nur
noch wenige Tage Zeit gehabt, durch Kryokonservierung befruchteter Eizellen sich die Möglichkeit der späteren Erfüllung eines
Kinderwunsches offenzuhalten, ohne durch die Folgen der erforderlichen Chemotherapie an der Erfüllung des Kinderwunsches gehindert
zu sein oder dies nur noch unter nicht abschätzbaren Risiken realisieren zu können. Sie ist der Ansicht, dass §
27a SGB V verfassungskonform im Hinblick auf Art
6 GG ausgelegt werden müsse. Es sei denkbar, die Vorschrift insoweit auszulegen, dass der Anspruch zwar bei noch nicht geschlossener
Ehe noch nicht fällig sei bzw erst dann zu befriedigen sei, wenn die Ehe tatsächlich abgeschlossen worden sei. Der Umstand,
dass aufgrund der lebensbedrohlichen Notlage die Voraussetzungen einer bestehenden Ehe nicht geschaffen hätten werden können,
sei zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung des BSG, wonach einer Leistungsausweitung auf nichteheliche Lebensgemeinschaften eine Absage erteilt worden sei, sei auf den hier
maßgeblichen Sachverhalt nicht übertragbar. Die Klägerin ist zudem der Auffassung, dass die Ausführungen des SG zu §
27 SGB V nicht überzeugen würden. Dass die Behandlung nicht der Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit gedient habe, könne nicht
alleiniger Maßstab sein. Einzubeziehen sei die eigentliche Erkrankung der Klägerin, nämlich ihr Krebsleiden. Die hier streitgegenständliche
Maßnahme habe eine Wiederherstellung der Empfängnisfähigkeit gewissermaßen im präventiven oder antizipierten Sinne betroffen.
Ferner sei das rein auf den Vergleich mit der künstlichen Befruchtung im technischen Sinn beschränkte Verständnis des BSG zu eng, da die Kryokonservierung beim Krankheitsbild der Klägerin ein notwendiger Schritt gewesen sei, welcher nicht hinweggedacht
werden könne, ohne den Erfolg zu gefährden oder auszuschließen. Die vom SG dargestellte Rechtslage sei auch systemwidrig. Alternativ zur hier angewandten Methode der Kryokonservierung wäre auch eine
Gewebeentnahme aus den Eierstöcken und deren Widereinsetzung in Betracht gekommen. Diese Kosten hätte die Beklagte nach ihrer
Kenntnis übernommen. Sie wäre allerdings mit deutlich höheren Risiken einhergegangen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.02.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.09.2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 29.01.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1.924,15 EUR nebst gesetzlichen Zinsen
seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist hinsichtlich der Forderung nach verfassungskonformer Auslegung auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 28.02.2007 (1 BvL 5/03), wonach Maßnahmen nach §
27a SGB V vom Bestehen einer Ehe abhängig zu machen seien. Die Eizellgewinnung sei bereits Bestandteil der streitgegenständlichen Leistung.
Im vorliegenden Fall gehe es nicht um die lebensbedrohliche Krebserkrankung, sondern um den drohenden Verlust der Zeugungsfähigkeit.
Dieser sei nach der Rechtsprechung des BSG keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung.
Bei der Implantation von Eierstockgewebe zur Herstellung der Zeugungsfähigkeit handle es sich um eine neue Untersuchungs-
und Behandlungsmethode, die vor dem Hintergrund der fehlenden Lebensbedrohlichkeit keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
darstelle.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung am 25.04.2017 eine Bescheinigung über die Anmeldung der Eheschließung vorgelegt,
wonach die Eheschließung am 05.05.2017 beabsichtigt ist.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster
und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 15.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.01.2015, mit dem
die Beklagte eine Kostenerstattung für eine Hormonstimulation mit Kryokonservierung befruchteter Eizellen abgelehnt hat. Das
SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Erstattung von im Zusammenhang mit der Behandlung entstandenen Kosten.
Ein Erstattungsanspruch aus §
13 Abs
3a SGB V scheidet aus, weil dessen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Danach hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen
zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme,
insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang
zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen
und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich
Stellung. Kann die Krankenkasse diese Fristen nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der
Gründe rechtzeitig schriftlich mit. Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der
Frist als genehmigt. Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die
Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. Die Klägerin hat sich bereits am 03.07.2014 bei
der Beklagten persönlich vorgestellt und bei Auslegung des Begehrens die Kostenübernahme für eine Kryokonservierung konkret
beantragt. Bereits in diesem Termin hat der Sachbearbeiter der Beklagten mitgeteilt, dass Kosten für die Kryokonservierung
in keinem Fall übernommen werden können. Insoweit war die Übernahme der Kosten bereits mündlich abgelehnt. Bei dieser Sachlage
ist kein Raum für eine Genehmigungsfiktion im Sinne von §
13 Abs
3a SGB V, auch wenn später dann die Rechnungen dennoch mit der Bitte um Kostenerstattung übersandt werden.
Ob tatsächlich ein Anspruch auf eine Alternativbehandlung bestanden hätte, kann dahinstehen. Tatsächlich wurde die Alternativbehandlung
nicht durchgeführt. Zudem verbietet sich im Rahmen der Beurteilung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung
ein Kostenvergleich.