Regelaltersrente
Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten
Kindererziehung im Ausland
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten.
Die 1945 geborene Klägerin besitzt die französische Staatsangehörigkeit und lebt mit ihrem deutschen Ehemann, dem Beigeladenen,
in F. Von Oktober 1965 bis Ende September 1970 war sie in Frankreich versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 7. September
1970 bis zum 6. Mai 1971 arbeitete die Klägerin versicherungspflichtig in Deutschland mit einer sich anschließenden Mutterschutzzeit
bis 23. August 1971. Der gemeinsame Sohn der Klägerin und des Beigeladenen wurde 1971 geboren. Am 25. Juli 1971 zog die Familie
nach Frankreich, wo die Klägerin vom 10. September 1971 bis Dezember 1979 versicherungspflichtig als Lehrerin beschäftigt
war. Die gemeinsame Tochter kam im Juni 1972 zur Welt. Die Erziehung der Kinder habe gleichberechtigt durch sie und den Beigeladenen
stattgefunden, der mit seinem Antrag auf Altersrente bei der Beklagten keine Zeiten für Kindererziehung geltend gemacht habe,
die dann im Rentenbescheid vom 13. Mai 2008 auch nicht berücksichtigt worden seien. Die französische Schulaufsichtsbehörde
Rouen bescheinigte unter dem 20. Oktober 2004, dass die Klägerin für ihren Sohn nicht die Gutschrift von vier Trimestern für
Kindererziehung nach dem französischen
Beamtenversorgungsgesetz erhalte.
Antragsgemäß bewilligte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 12. Mai 2014 (Änderungsbescheid vom 14. Juli 2014) ab 1. September
2013 Regelaltersrente in Höhe von 34,46 € monatlich unter Anerkennung der Zeiten vom 1. Juli bis 31. Juli 1971 als Kindererziehungszeit
und vom 1. Dezember 1979 bis zum 28. Juni 1981 als Berücksichtigungszeit für den Sohn bzw. bis zum 24. Juni 1982 für die Tochter.
Ihren Antrag vom 31. Oktober 2014 auf Mütterrente und Feststellung zusätzlicher Entgeltpunkte, den die Beklagte als Überprüfungsantrag
in Bezug auf den Bescheid vom 12. Mai 2014 auslegte, lehnte jene mit Bescheid vom 6. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 10. März 2015 ab. Zur Begründung heißt es, der Bescheid vom 12. Mai 2014 in der Fassung des Bescheides vom 6. November
2014 sei rechtmäßig. Weitere Kindererziehungszeiten für den Sohn könnten nicht berücksichtigt werden, da sich die Klägerin
seit August 1971 von der deutschen Arbeits- und Erwerbswelt gelöst habe. Die Erziehung werde durch den französischen Versicherungsträger
in Form der "majoration pour mère de famille" berücksichtigt, worüber der französische Träger in eigener Zuständigkeit entscheide.
Da für den Sohn im zwölften Kalendermonat nach der Geburt keine anrechenbare Kindererziehungszeit mehr vorgelegen habe, habe
auch ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für Kindererziehung (Mütterrente) nicht gewährt werden können.
Ihre nachfolgende Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Gerichtsbescheid vom 4. Februar 2016 abgewiesen und zur Begründung
auf den angefochtenen Widerspruchsbescheid Bezug genommen. Ergänzend ist ausgeführt, aus dem von der Klägerin zitierten Urteil
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 10. März 1991 - C-111/91 -) folge nicht, dass Zeiten der Kindererziehung, welche im Rentensystem eines Mitgliedstaats berücksichtigt werden, zugleich
in einem weiteren Mitgliedstaat Berücksichtigung finden müssen. Nichts anderes ergebe sich aus dem europarechtlichen Diskriminierungsverbot.
Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, der französische Rentenversicherungsträger habe für die Erziehung ihrer Kinder
statt des üblichen Aufschlags von vier Jahren nur drei Jahre angerechnet erhalten, weil sie im Zeitpunkt der Geburt des Sohnes
den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland unterlegen habe. Angesichts des inländischen Arbeitsverhältnisses vor
und nach der Geburt habe sie einen Anspruch auf Anerkennung einer Pflichtbeitragszeit wegen Kindererziehung für ein Jahr bis
zum 30. Juni 1972, und zwar unabhängig davon, dass sie seit September 1971 in Frankreich beschäftigt gewesen sei. Die in Frankreich
fortgesetzte Erziehung ihres in Deutschland geborenen Sohns stehe einer in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten Erziehung
gleich. Zu Unrecht habe die Beklagte mit dem zwischenzeitlich ergangen Bescheid vom 20. Mai 2016 die Zeit der Kindererziehung
auf den 31. August 1971 beschränkt; vielmehr ende die Kindererziehungszeit zwölf Monate nach der Geburt. Dies entspreche dem
Gedanken der Anerkennung der Erziehung von Kindern im Sinne des Generationenvertrages und der hiermit korrespondierenden Verpflichtung
des Staates auch zu materieller Unterstützung.
Die Klägerin beantragt sinngemäß noch,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2016 zu ändern und ihr unter Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten für die
Zeit vom 1. September 1971 bis 30. Juni 1972 und eines Zuschlags an Entgeltpunkten für Kindererziehung eine höhere Rente rückwirkend
ab dem 1. September 2013 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Eine weitere Kindererziehungszeit sei zwar, wie mit dem Neufeststellungsbescheid vom 20. Mai 2016 erfolgt, vom 1. August bis
zum 31. August 1971 für die Zeit ab Rentenbeginn anzuerkennen, weil in dieser Zeit das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin
in Deutschland aufgrund des Mutterschutzes geruht habe. Die Berücksichtigung weiterer Erziehungszeiten komme hingegen nicht
in Betracht, weil die gleichzeitige Anrechnung von Erziehungszeiten für dasselbe Kind in mehreren Mitgliedstaaten ausgeschlossen
sei. Insofern komme es nicht darauf an, ob der erziehenden Person im Einzelfall vom ausländischen Träger konkret Erziehungszeiten
angerechnet worden seien. Es genüge die abstrakte Feststellung, dass das Kind in einem Mitgliedstaat erzogen worden ist, dessen
Rechtsvorschriften die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten vorsehen. Die Klägerin verfüge auch über die erforderliche
rentenrechtliche Beziehung zu Frankreich aufgrund einer entsprechenden Vorversicherung. Im Übrigen komme angesichts der Berücksichtigung
von insgesamt drei Jahren Kindererziehungszeiten durch den französischen Rentenversicherungsträger eine Anrechnung der noch
streitbefangenen Zeiten ab 1. September 1971 nicht in Betracht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren
vorbereitende Schriftsätze Bezug genommen.
Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben
(§§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -).
Streitgegenstand ist vorliegend - nach zulässigerweise von der Klägerin eingelegter Berufung - nur noch der gemäß §
96 Abs.
1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Verfahrens gewordene Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2016, mit dem die Beklagte die Regelaltersrente
ab Rentenbeginn unter Anerkennung einer weiteren Zeit der Kindererziehung vom 1. bis 31. August 1971 neu festgesetzt und hiermit
den mit der Klage zunächst angefochtenen, im Überprüfungsverfahren ergangenen Bescheid vom 6. November 2014 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2015, mit dem die Klägerin eine Änderung des Rentenbescheides vom 12. Mai 2014 in
der Fassung des Änderungsbescheides vom 14. Juli 2014 begehrt hatte, ersetzt hat; diesen Bescheiden kommt keine Regelungswirkung
mehr zu. Damit ist der angefochtene Gerichtsbescheid des SG, das die Klage gegen den Bescheid vom 6. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2015 abgewiesen
hat, gegenstandslos geworden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - B 4 RA 22/02 R - juris). Der Senat hatte daher - insoweit erstinstanzlich kraft Klage - nur noch über den Rentenneufeststellungsbescheid
vom 20. Mai 2016 zu befinden. Die Anträge der Beteiligten waren entsprechend sachdienlich auszulegen (vgl. §§
103,
106 Abs.
1 SGG).
Die von der Klägerin gegen den Bescheid vom 20. Mai 2016 weiterverfolgte, statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs-
und Leistungsklage i.S.v. §§
54 Abs.
1 und 4, 56
SGG, gerichtet auf die Neufeststellung der ihr gewährten Regelaltersrente und Zahlung eines höheren Rentenbetrags unter Anerkennung
weiterer Zeiten der Kindererziehung und eines Zuschlags an Entgeltpunkten, ist zwar zulässig aber nicht begründet. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung weiterer Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung vom 1. September 1971 bis 30.
Juni 1972 mit der Folge, dass auch kein Anspruch auf die sogenannte Mütterrente im Sinne eines Zuschlags an Entgeltpunkten
besteht.
Zwar kommt dieser Zeitraum grundsätzlich als Kindererziehungszeit in Betracht, da gemäß §
56 Abs.
1 Satz 1
Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (
SGB VI) Kindererziehungszeiten Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren sind. Nach Satz 2 der Vorschrift
wird eine Kindererziehungszeit für einen Elternteil jedoch nur dann angerechnet, wenn
1. die Erziehung diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen worden ist.
Nicht sämtliche dieser Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Die Zuordnung der Erziehungsleistung innerhalb der mit Ablauf des Geburtsmonats beginnenden Frist (Kindererziehungszeit für
ein vor dem 1. Januar 1991 geborenes Kind: §
249 Abs.
1 SGB VI) ist zwar nach der insoweit übereinstimmenden Äußerung der Klägerin und des Beigeladenen (vgl. auch §
56 Abs.
2 Satz 3
SGB VI) bzw. jedenfalls gemäß §
56 Abs.
2 Satz 8
SGB VI der Klägerin zuzuordnen.
Gemäß §
56 Abs.
3 Satz 1
SGB VI ist eine Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt, wenn der erziehende Elternteil sich mit dem Kind dort
gewöhnlich aufgehalten hat. Dies ist hier in Bezug auf den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. September 1971 bis 30. Juni
1972 nicht der Fall, da sich die Klägerin, der Beigeladene und ihr im Juni 1971 geborener Sohn in dieser Zeit gewöhnlich in
Frankreich aufhielten, so dass das Kind nicht, wie von §
56 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 i.V.m. Abs.
3 Satz 1
SGB VI vorausgesetzt wird, in der Bundesrepublik Deutschland erzogen wurde.
Anders als die Klägerin meint, steht die Erziehung des Sohnes in Frankreich auch einer solchen auf dem Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland nicht gemäß §
56 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 SGB VI gleich. Denn die Voraussetzungen des §
56 Abs.
1 Satz 2 Nr.
2 i.V.m. Abs.
3 Satz 2
SGB VI liegen nicht vor. Danach steht einer Erziehung in der Bundesrepublik Deutschland gleich, wenn der erziehende Elternteil sich
mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten hat und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes
wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat. Dies gilt bei einem gemeinsamen
Aufenthalt von Ehegatten oder Lebenspartnern im Ausland auch, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner des erziehenden Elternteils
solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehörte
oder von der Versicherungspflicht befreit war. Dies würde Pflichtbeiträge der Klägerin zur deutschen Rentenversicherung wegen
einer Beschäftigung oder selbstständigen Tätigkeit im Ausland voraussetzen bzw. jedenfalls eine fortbestehende Integration
in das inländische Arbeits- und Erwerbsleben (vgl. BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 4 RA 43/93 - juris Rn. 21 ff.). Solches ist hier nicht gegeben. Pflichtbeiträge, die, wie hier, wegen einer im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit gezahlt worden sind, führen nach deutschem Recht dagegen
nicht zur Berücksichtigung einer ihnen nachfolgenden Kindererziehungszeit während eines gewöhnlichen Aufenthalts im Ausland,
weil grundsätzlich nur die Kindererziehung im Inland rentenrechtlich relevant ist. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden, da der gewöhnliche Aufenthalt einer Person im jeweiligen Staatsgebiet systemgerechter Anknüpfungspunkt für die
mitgliedschaftliche Einbeziehung in nationale Sozialversicherungssysteme ist (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 6. März
2017 - 1 BvR 2740/16 - juris Rn. 3 m.w.N.).
Nichts Abweichendes folgt zugunsten der Klägerin daraus, dass sie als französische Staatsangehörige die Erziehungsleistung
im gegenständlichen Zeitraum in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union erbracht hat und insofern von der in Art. 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) i.d.F. der Bek. v. 9. März 2008 (ABl. C 115 S. 47) verbürgten Personenfreizügigkeit Gebrauch gemacht hat bzw. unmittelbar
aus dem seit 1. Mai 2010 geltenden § 44 der Verordnung - VO - (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung
der Systeme der sozialen Sicherheit sowie der in diesem Zusammenhang ergangen Rechtsprechung des EuGH. Art. 21 AEUV bildet das zentrale Recht der Unionsbürgerschaft, wodurch für jeden Unionsbürger ein unmittelbar anwendbares Individualrecht
begründet wird, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (EuGH, C-413/99, Baumbast, Slg. 2002, I-7091). Indes ist der Anspruch auf Leistungen im Alter und der insofern in Betracht kommenden Anrechnung
von Kindererziehungszeiten unionsrechtlich eigenständig in § 44 VO (EG) Nr. 987/2009 geregelt.
Gemäß Art. 44 Abs. 1 VO (EG) Nr. 987/2009 bezeichnet der Ausdruck "Kindererziehungszeit" im Sinne dieses Artikels jeden Zeitraum,
der im Rahmen des Rentenrechtes eines Mitgliedstaats ausdrücklich aus dem Grund angerechnet wird oder Anrecht auf eine Zulage
zu einer Rente gibt, dass eine Person ein Kind aufgezogen hat, unabhängig davon, nach welcher Methode diese Zeiträume berechnet
werden und unabhängig davon, ob sie während der Erziehungszeit anfallen oder rückwirkend anerkannt werden. Nach Abs. 2 dieser
Vorschrift bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften anwendbar waren, weil die betreffende Person zu
diesem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach dessen Rechtsvorschriften
begann, eine Beschäftigung oder eine selbständig Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung der Kindererziehungszeit
nach seinen eigenen Rechtsvorschriften, wenn in dem Hoheitsgebiet des grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaats keine Kindererziehungszeit
berücksichtigt wird. Dahinstehen kann, ob dies hier der Fall ist. Denn diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn für die
betreffende Person die Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder einer
selbständigen Erwerbstätigkeit anwendbar sind oder anwendbar werden (§ 44 Abs. 3 VO (EG) Nr. 987/2009). So liegt es hier.
Die streitbefangenen Erziehungszeiten werden zunächst - obgleich vor Inkrafttreten der Regelung geleistet - von der Regelung
erfasst, weil sich gemäß Art. 87 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April
2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der zeitliche Geltungsbereich der Verordnung ausdrücklich auch
auf Versicherungssachverhalte erstreckt, die vor ihrem Inkrafttreten liegen.
Zwar regelt § 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 eine Anspruchsgrundlage für einen individuellen Anspruch auf Berücksichtigung
von Kindererziehungszeiten gegen den nach Titel II der VO (EG) Nr. 883/2004 (vgl. Art. 1 Abs. 1 a VO (EG) Nr. 987/2009) zuständigen
Träger des Mitgliedstaats. Dahinstehen kann, ob hiermit §
56 Abs.
2 und
3 SGB VI europarechtskonform auszulegen ist oder ob sich aus der unionsrechtlichen Regelung ein eigenständiger Anspruch zugunsten
der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ergibt, §
56 Abs.
3 Satz 2
SGB VI mithin im Ergebnis nur noch für Angehörige von Drittstaaten rentenrechtlich relevant ist (vgl. hierzu BVerfG, Nichtannahmebeschluss
vom 6. März 2017 - 1 BvR 2740/16 - a.a.O.). Offenbleiben kann für den vorliegenden Fall auch, ob durch § 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009, wie die Beklagte meint,
lediglich abstrakt vorausgesetzt wird, dass der Mitgliedstaat, in dem das Kind erzogen wurde, nach seinen Rechtsvorschriften
keine Erziehungszeiten berücksichtigt, oder ob es nach Sinn und Zweck der Regelung zur Vermeidung der gleichzeitigen Anrechnung
von Erziehungszeiten ausreichend ist, auf eine konkrete zeitliche Betrachtungsweise abzustellen. Denn angesichts der Beschäftigungsaufnahme
der Klägerin in Frankreich am 10. September 1971 greift (jedenfalls) die Rückausnahme nach § 44 Abs. 3 VO (EG) Nr. 987/2009
ein mit der Folge, dass sie nicht so zu stellen ist, als hätte die Kindererziehung im gegenständlichen Zeitraum in Deutschland
stattgefunden, es sich also nicht um eine gleichgestellte Erziehungszeit handelt.
Nichts Abweichendes folgt aus der Regelung über die Sachverhaltsgleichstellung nach Art. 5 b VO (EG) 883/2004 für den noch
gegenständlichen Zeitraum ab September 1971. Denn insbesondere mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat
- hier in Frankreich (vgl. Art. 11 Abs. 3 a VO (EG) 833/2004) - endet die Sachverhaltsgleichstellung in Bezug auf den bisher
zuständigen Mitgliedstaat, so dass auch nach dieser Regelung die Anrechnung von Kindererziehungszeiten durch die Beklagte
über die anerkannten Zeiträume hinaus nicht in Betracht kommt.
Aus dem weiteren Vorbringen der Klägerin folgt nichts Gegenteiliges. Anders als in den zu Kindererziehungszeiten ergangenen
Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) hat die Klägerin sowohl in Deutschland als auch in Frankreich für die begehrten
Kindererziehungszeiten relevante Versicherungszeiten erworben (vgl. EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-522/10 Rs. Reichel-Albert - juris Rn. 35 unter Hinweis auf die Urteile vom 23. November 2000 - C-135/99 Elsen - Rn. 25-28 und vom 7. Februar 2002 - C-28/00 Kauer - Rn. 32, die jeweils Sachverhalte betrafen, in denen nur in einem Mitgliedstaat Versicherungszeiten zurückgelegt worden
waren. Obgleich die erziehende Personen ihren Wohnsitz vorübergehend aus rein familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat
verlegt hatte, ohne dort gearbeitet oder Beiträge erzielt zu haben, folgerte das Gericht hieraus, dass eine hinreichende Verbindung
zwischen Kindererziehungszeiten und den Rentenversicherungszeiten in dem Mitgliedstaat fortbestehe; eine Anwendung des Art.
44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009 wird mithin nicht ausgeschlossen, wenn die erziehende Person bis zum Erziehungsbeginn keine
versicherungsrelevanten Zeiten im Mitgliedstaat, in dem die Erziehung stattfand, hatte; so liegt es im Falle der Klägerin
indes, wie ausgeführt, nicht).
Der Senat weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) mit Urteilen vom 22. Februar 1995 - 4 RA 43/93 - (juris) und vom 24. Juni 2010 - B 10 EG 12/09 R - (juris) ab, der er vielmehr folgt. Im erstgenannten Revisionsverfahren erfüllte die dortige Klägerin die für die Gleichstellung
des Erziehungsortes Bundesrepublik Deutschland mit dem ausländischen Erziehungsort erforderliche weitere Voraussetzung für
die Anerkennung einer Pflichtbeitragszeit wegen einer Kindererziehung im Ausland, da sie vor der Geburt und während der Erziehung
der Kinder in der inländischen Arbeitswelt integriert war (BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 4 RA 43/93 - a.a.O. Rn. 21). Einheitlicher Grundgedanke des §
56 Abs.
3 SGB VI ist im Hinblick auf den Normzweck, dass die Erziehenden (bzw. dessen Ehegatte, vgl. Abs. 3 Satz 3), die vor der Geburt oder
während der Kindererziehung aufgrund der Kindererziehung keine oder nur geringe Rentenanwartschaften erwerben können, eine
solche enge Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben haben, dass die typisierende und pauschalierende Grundwertung
Platz greift, während dieser Zeit seien ihnen nicht wegen der Integration in eine ausländische Arbeitswelt, sondern im wesentlichen
wegen der Kindererziehung deutsche Rentenanwartschaften entgangen (a.a.O. Rn. 23; vgl. auch BSG, Urteil vom 23. Oktober 2003 - B 4 RA 15/03 - juris Rn. 24 ff.). Gerade dies ist aber bei der Klägerin, die im September 1971 ein Beschäftigungsverhältnis in Frankreich
aufgenommen hatte, nicht der Fall. Nach dem Gesamtkonzept des §
56 SGB VI kommt es hiernach im Falle der Auslandskindererziehung maßgeblich auf die fortbestehende Bindung des im Ausland Erziehenden
zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben an. Nichts Abweichendes folgt daraus, dass die Gewährung von Bundeserziehungsgeld
von - im Vergleich zur Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten - engeren Grenzen im Falle der Auslandserziehung abhängt
(vgl. BSG, Urteil vom 24. Juni 2010 - B 10 EG 12/09 R - juris).
Darauf, dass die Klägerin ihren "Anteil an Erziehungsleistung als Beitrag zur Aufrechterhaltung der als Generationenvertrag
ausgestalteten deutschen Rentenversicherung erbracht habe" und ihre Kinder seit Jahrzehnten Beiträge zur deutschen Rentenversicherung
leisteten, kann der geltend gemachte Anspruch auf Anerkennung weiterer Zeiten der Kindererziehung, über den im Rahmen einer
gesetzlich gebundenen Entscheidung zu befinden ist, von vornherein nicht mit Erfolg gestützt werden.
Bei dieser Sachlage kommt auch der begehrte Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten für ein vor dem 1. Januar 1992 geborenes
Kind gemäß §
307d SGB VI in der Fassung des Gesetzes vom 23. Juni 2014 (BGBl. I S. 282) nicht in Betracht, der u.a. voraussetzt, dass am 30. Juni 2014 ein Anspruch auf Rente bestand und dass in der Rente eine
Kindererziehungszeit für den 12. Kalendermonat nach Ablauf des Monats der Geburt des Kindes angerechnet wurde. Auf letzteres
hat die Klägerin indes, wie ausgeführt, keinen Anspruch.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und entspricht dem Gesamtergebnis des Verfahrens, das für die Klägerin im Ergebnis nur in sehr geringem Umfang erfolgreich
war.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 oder 2
SGG liegen nicht vor.