Retaxierung von Zytostatika-Rezepturen
Unterschied zwischen Verordnung und Anforderungsschein
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Retaxierung der Zytostatika-Rezepturen für die Behandlung der Patientin C., geb. 1934, in
Höhe von insg. 14.832,66 EUR.
Die Klägerin ist Inhaberin einer öffentlichen Apotheke mit der Filiale "D." in A-Stadt. Die Beklagte ist die gesetzliche Krankenkasse
der Patientin C., die in der Zeit vom 20.02.2009 bis 10.07.2009 mit insgesamt elf Zyklen ambulant in einer der vertragsärztlichen
Praxis des Prof. Dr. E. im sog. F. Zentrum auf dem Gelände des Klinikums A-Stadt mit einer Chemotherapie mit liposomalem Doxorubicin
als Zytostatikum behandelt wurde.
Der Herstellung und Abrechnung dieser Zytostatika liegt ein Vertrag zwischen der Klinikum A-Stadt GmbH und der Klägerin als
Inhaberin der G.-Apotheke und der D.apotheke vom 23.12.2008/08.01.2009 zugrunde. Nach diesem als "Vereinbarung nach § 11 Abs. 3 ApoG" bezeichneten Vertrag sollten die beiden Apotheken der Klägerin Aufträge von der Praxis Prof. Dr. E. zur Herstellung von
Zytostatikalösungen annehmen und ihrerseits die Krankenhausapotheke des Klinikums A-Stadt schriftlich mit der Herstellung
und ggf. mit dem Transport beauftragen (§ 1 Abs. 1 und 3 des Vertrages). Grundlage hierfür waren Gespräche zwischen der Chefapothekerin
der Klinikum A-Stadt GmbH und dem Regierungspräsidium Darmstadt im Januar und März 2008. Aus diesen Gesprächen ergab sich,
dass das Regierungspräsidium Darmstadt es toleriere, wenn das Brustzentrum A-Stadt von der Klinikapotheke des Klinikums A-Stadt
beliefert werde unter der Voraussetzung, dass die Krankenhausapotheke hierfür von einer öffentlichen Apotheke schriftlich
den Auftrag erhalte, die Herstellung eines Zytostatikums vorzunehmen und den Transport durchzuführen. Der Plan für den gesamten
Ablauf ist in einem allgemeinen Ablaufplan als Vertragsbestandteil festgehalten.
Die Zytostatikalösungen für die Patientin C. wurden vom behandelnden Arzt Prof. Dr. E. auf einem Anforderungsschein bestellt.
Auf den Anforderungsscheinen finden sich vorgedruckt im Kopf eingerahmt der Text "Klinikum A-Stadt GmbH - Apotheke - Zentrale
Zytostatikazubereitung Telefon xxx1 - Telefax yyy1". Daneben ist vorgedruckt "Indikation: Ovar-Ca" und "Fax: D.-Apotheke yyy2
(G.-Apotheke xxx2)". Des Weiteren sind das Therapieschema und die Medikation, nämlich Doxorubicin liposom, vorgedruckt. Für
weitere behandlungsrelevante Angaben finden sich Platzhalter, die handschriftlich ausgefüllt wurden. Solche handschriftlichen
Angaben betrafen den Namen der Patientin, Angaben zur Diagnose, Größe und Gewicht der Patientin, Datum, an dem die Patientin
gewogen wurde, Telefon-Nr. Station und Datum der geplanten Behandlung. Auch die Dosis wurde handschriftlich eingetragen; bei
manchen, aber nicht allen Anforderungsscheinen finden sich auch handschriftliche Korrekturen der Normdosis. Schließlich ist
ein größerer Teil der Anforderungsscheine frei, so dass auf ihm Patientenaufkleber oder Stempel aufgebracht werden können.
Die Anforderungsscheine wurden jeweils eine Woche vor dem Termin der Zytostatikagabe, beim Wiegen der Patientin ausgefüllt.
Der konkrete Bestellweg für die Zytostatika ist nicht klar. Jedenfalls stellte die Krankenhausapotheke des Klinikums A-Stadt
ein bis zwei Tage vor der Gabe an die Patientin jeweils das Zytostatikum her. Dies dokumentierte sie auf dem Anforderungsschein
durch das Aufbringen eines Patientenaufklebers, der u.a. das Datum und exakte Uhrzeit der Herstellung des Zytostatikums enthielt.
Für die Herstellung und die Freigabe sind auf dem Aufkleber jeweils Freiflächen vorgesehen, auf denen mit Handzeichen abgezeichnet
werden kann. In den meisten Fällen sind diese beiden Felder entsprechend abgezeichnet. Die Krankenhausapotheke lieferte dann
das Zytostatikum direkt in das F.-Zentrum auf dem Gelände des Klinikums A-Stadt, in dem die ambulante Behandlung der Patientin
erfolgte.
Deutlich nach der jeweiligen Behandlung stellte Prof. Dr. E. die jeweilige vertragsärztliche Verordnung aus, die nur über
"Doxorubicin 30 mg in 500ml Glucose 5%-Lösung" lautete. Einen Hinweis "lip." oder "liposom." enthielt sie nicht. Mit dieser
Verordnung rechnete dann die Klägerin das Arzneimittel mit der Beklagten ab. Neunmal stellte sie 1.488,17 Euro, einmal 1.468,17
Euro und einmal 1.559,02 Euro in Rechnung. Die Beklagte korrigierte im Rahmen von Rezeptprüfungen mit Schreiben vom 04.12.2009,
29.01.2010, 19.03.2010 und vom 07.05.2010 die Abrechnungsbeträge, da das rezeptierte Doxorubicin aufgrund des Vertrags über
die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen auf der Grundlage von §§ 4 und 5 Arzneimittelverordnung i.d.F. vom
15.04.1998 (Vertrag zur Hilfstaxe für Apotheke) und der Anlage 3 i.d.F. vom 01.01.2006 nur mit wesentlich geringen Beträgen
in Rechnung zu stellen war. Neunmal reduzierte die Beklagte den Betrag auf 144,28 Euro, zweimal auf 145,07 Euro.
Die Klägerin legte hiergegen jeweils Einspruch ein und hat nach deren Zurückweisung am 13.08.2011 Klage vor dem Sozialgericht
Darmstadt erhoben. Die Patientin habe liposomales Doxorubicin erhalten, wie es auch auf den Anforderungsscheinen vom behandelnden
Arzt Prof. Dr. E. angeordnet worden sei. Da das Rezept erst nachträglich zu Abrechnungszwecken von Prof. Dr. E. ausgestellt
und an die Berufungsklägerin übersandt worden sei, sei durch ein Versehen der Mitarbeiterin der Zusatz "lip." bzw. "liposom."
vergessen worden. Es handele sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der auch im Nachhinein korrigiert werden könne.
Dies habe Prof. Dr. E. mit Schreiben vom 20.04.2010 getan. Damit seien die Voraussetzungen des Sozialgesetzbuch Fünftes Buch
- Gesetzliche Krankenversicherung -
SGB V zur Kostentragung für die notwendige Heilbehandlung der Patientin erfüllt.
Das Sozialgericht Darmstadt hat mit Urteil vom 07.11.2011 der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe einen (weiteren) Vergütungsanspruch
gemäß §
433 Abs.
2 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) analog in Verbindung mit §
129 SGB V und dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung gemäß §
129 SGB V in Verbindung mit dem Arzneimittellieferungsvertrag. Klägerin und Beklagte hätten durch den vom Vertragsarzt unterschriebenen
Anforderungsschein einen Vertrag über liposomales Doxorubicin geschlossen. Die in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) bestätigte strenge Formalisierung der Arzneimittelabrechnung, die allein auf die Angaben auf der Verordnung abstellt, sei
auf die vorliegende Konstellation nicht anwendbar, da hier wegen der Besonderheiten der ambulanten Chemotherapie Vertragsgrundlage
nicht die Verordnung, sondern der Anforderungsschein sei.
Gegen das ihr am 8. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Dezember 2011 Berufung beim Hessischen Landessozialgericht
in Darmstadt eingelegt. Sie stützt sich darauf, dass verschreibungspflichtige Arzneimittel nur gegen Vorlage einer ärztlichen
Verschreibung auf ordnungsgemäß ausgestellten Vordrucken nach § 3 Abs. 1 Arzneimittellieferungsvertrag zu Lasten einer Krankenkasse
abgegeben werden dürften. Die von Prof. Dr. E. verwendeten Anforderungsscheine erfüllten diese Voraussetzung nicht. Eine vertragliche
Anspruchsgrundlage bestehe daneben nicht. Vielmehr ergebe sich der Vergütungsanspruch der Berufungsbeklagten aus §
129 SGB V i.V.m. dem Rahmenvertrag und dem Arzneimittellieferungsvertrag. Die Heilungsmöglichkeiten etwaiger Fehler der Verordnung
seien in § 4 Abs. 2 S. 1 ALV abschließend geregelt und hier nicht einschlägig.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 7. November 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
Frau Dr. H., Mitarbeiterin der Krankenhausapotheke des Klinikums A-Stadt zu dem Ablauf der Beauftragung zu befragen.
Sie hält an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen fest. Der Fehler auf der Verordnung sei heilbar. Der medizinische Standard
habe die Verabreichung liposomalen Doxorubicins verlangt.
Die Bestellung der Zytostatika sei so erfolgt, dass die Praxis Prof. Dr. E. ein bis zwei Tage vor der jeweiligen Zytostatikagabe
den Anforderungsschein gleichzeitig an die Klägerin und an die Krankenhausapotheke gefaxt habe. Auch der Behandlungsplan sei
jeweils mitgefaxt worden. Die Klägerin bzw. ihre Mitarbeiter hätten den Anforderungsschein daraufhin geprüft, ob die aufgeführte
Dosierung mit den Angaben zur Statur der Klägerin stimmig ist und ob Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, die sich aus
dem Behandlungsplan ergeben könnten, zu besorgen seien. Diese Prüfung habe jeweils ca. eine halbe Stunde in Anspruch genommen.
Sodann sei der Anordnungsbogen mit einem Stempel versehen worden, mit dem um Herstellung und Transport dieser Zubereitung
in die Praxis für ambulante Chemotherapie im Dr. E. F. Zentrum gebeten wurde. Diesen Anforderungsschein habe man sodann an
die Krankenhausapotheke des Klinikums A-Stadt gefaxt. Diese habe erst nach dieser Auftragserteilung mit der Herstellung des
Zytostatikums begonnen. Nach der Herstellung habe die Krankenhausapotheke den Anforderungsschein mit einem Etikett, aus dem
sich die Herstellung des Zytostatikums ergebe, wieder an die Klägerin gefaxt. Diese habe dann nochmals geprüft und dann erst
die Freigabe mittels eines eigenen Stempels und Unterschrift erteilt.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin zwei Faxe des Anforderungsscheins für den vierten Behandlungszyklus vorgelegt,
zum einen ein Fax von 13:08 Uhr, auf den der Stempel aufgebracht wurde, mit dem um Herstellung und Transport der Zubereitung
gebeten wird, und zum anderen ein Fax von 15:49:06 Uhr mit dem Aufkleber über die Herstellung, auf den der Freigabestempel
aufgebracht wurde. Außerdem sind zehn Privatrezepte über Doxorubicin lipos. vorgelegt worden, die die Klägerin nur zu Abrechnungszwecken
erhalten habe, sowie die Kopien des Privatrezeptes und des Kassenrezeptes für den vierten Behandlungszyklus am 03.04.2009.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Beklagten und
der Gerichtsakte, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte aus §
129 SGB V auf Vergütung liposomalen Doxorubicins für die Behandlung der Patientin C. von Februar bis Juli 2009.
Ein solcher Anspruch ergibt sich nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 3 KR 13/08 R, BSGE 105, 157) unmittelbar aus §
129 SGB V i.V.m. dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach §
129 Abs.
2 SGB V zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. in der Fassung vom 17.01.2008, dem
Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen vom 30.10.1998 i.d.F. vom 01.01.2006 und dem Arzneilieferungsvertrag
gemäß §
129 Abs.
5 S. 1
SGB V zwischen dem Hessischen Apothekerverband e.V. und den Hessischen Landesverbänden der Krankenkassen vom 01.04.2008.
Erforderlich ist hierfür die Abgabe des Arzneimittels entsprechend den gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben, insbesondere
§ 3 des Hessischen Arzneilieferungsvertrages. Nach dessen Abs. 1 erfolgt die Abgabe zu Lasten der Krankenkasse aufgrund einer
ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Verordnung. Ob die Herstellung und Lieferung des Zytostatikums durch die Krankenhausapotheke
als Abgabe des Arzneimittels durch die Klägerin gewertet werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden (1.). Denn
jedenfalls erfolgte sie nicht aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Verordnung (2.). Deshalb kann auch offen
bleiben, ob eine nachträgliche Korrektur des verordneten Medikaments von "schlichtem" Doxorubicin in liposomales Doxorubicin
zulässig wäre (3.).
Die Abgabe eines Arzneimittels erfolgt grundsätzlich in den Räumen der Apotheke (s. § 17 Abs. 1a Apothekenbetriebsordnung). Für Zytostatika sieht § 11 Abs. 2 Apothekengesetz vor, dass eine öffentliche Apotheke diese unmittelbar an den anwendenden Arzt abgeben kann. Die Bestimmung betrifft nach
ihrem Wortlaut ausschließlich anwendungsfertige Zytostatika, die in der öffentlichen Apotheke im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs
hergestellt worden sind. In der Praxis tritt außerdem die Situation auf, dass eine öffentliche Apotheke diese Zytostatika
nicht selbst herstellt, sondern ihrerseits eine andere Apotheke - entweder eine öffentliche oder eine Krankenhausapotheke
- mit der Herstellung beauftragt. Von den für die Apothekenaufsicht zuständigen Regierungspräsidien wird - wie hier - darüber
hinaus auch toleriert, dass die "abgebende" öffentliche Apotheke tatsächlich das Arzneimittel gar nicht abgibt, sondern die
herstellende Apotheke auch mit dem direkten Transport des Zytostatikums an den anwendenden Arzt beauftragt. Die Krankenkassen
akzeptieren diese apothekenrechtliche Abgabepraxis, wenn entsprechende Tolerierungen der zuständigen Regierungspräsidien bestehen.
Angesichts des klaren apothekenrechtlichen Regulierungsregimes, das die Belieferung ambulanter Chemotherapiepraxen den öffentlichen
Apotheken vorbehält, bestehen zwar Zweifel, ob diese Praxis die gesetzlichen Vergütungsanforderungen des §
129 SGB V erfüllt. Dies kann hier aber dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls müssten in diesen Konstellationen für die Geltendmachung
eines Vergütungsanspruchs die Voraussetzungen eingehalten worden sein, die für den tolerierten Versorgungsweg von den Beteiligten
und den Aufsichtsbehörden aufgestellt wurden.
Es bestehen Zweifel daran, dass für die Herstellung des Zytostatikums für die Patientin C. eine schriftliche Beauftragung
der Krankenhausapotheke durch die Klägerin vorlag, so wie dies in der Vereinbarung vom 23.12.2008/08.01.2009 zwischen der
Klägerin und dem Krankenhaus vorgesehen ist. Zwar hat die Klägerin dies auch in der mündlichen Verhandlung vorgetragen. Allerdings
ist die Abfolge des tatsächlichen Geschehens anhand der in den Akten befindlichen und im Termin vorgelegten Faxe nicht nachvollziehbar.
Zwischen dem Eingang des Faxes für den vierten Behandlungszyklus von der Praxis für ambulante Chemotherapie bei der Klägerin
und dem Zeitpunkt, für den die Herstellung auf dem Patientenaufkleber vermerkt ist, liegen nur 52 Minuten. Da die Überprüfung
durch die Klägerin ca. eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, bliebe der Krankenhausapotheke weniger als eine halbe Stunde für
die Herstellung, wenn sie erst nach der Beauftragung durch die Klägerin damit beginnen würde. Auch für die anderen Behandlungszyklen
sind die Zeitfenster zwischen Faxeingang des Anforderungsscheins bei der Klägerin und Fertigstellung des Zytostatikums in
der Krankenhausapotheke ähnlich kurz. Nach dem Allgemeinen Ablaufplan der Vereinbarung vom 23.12.2008/08.01.2009 ist zur Beschleunigung
der Beauftragung der Herstellerapotheke der parallele Faxversand des Anordnungsbogens direkt von der Praxis an die Krankenhausapotheke
vorgesehen.
Einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts bedurfte es jedoch nicht. Denn auch dann, wenn man die Herstellung und den Transport
des Zytostatikums durch die Krankenhausapotheke der Klägerin als Arzneimittelabgabe zurechnet, scheitert ein Vergütungsanspruch
daran, dass diese Abgabe nicht aufgrund einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Verordnung i.S.d. § 3 Hessischer Arzneiliefervertrag
erfolgte.
Unstreitig lag der Klägerin zum Zeitpunkt der Herstellung und Lieferung des Zytostatikums keine Verordnung entsprechend dem
Hessischen Arzneiliefervertrag vor, sondern der Anforderungsschein. Zwar mag es sein, dass für die Herstellung eines Zytostatikums
Informationen notwendig sind, die auf dem Muster für ärztliche Verordnungen keinen Platz finden. Deshalb mag die Versendung
des Anforderungsscheins seine Berechtigung haben. Allerdings kann dieser die ärztliche Verordnung allenfalls ergänzen, nicht
ersetzen.
Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ausschließlich aufgrund einer ärztlichen Verordnung ist bereits arzneimittelrechtlich
geboten. Ob arzneimittelrechtlich auch ein Anforderungsschein genügt, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn für die Vergütung
ist die aus dem Sachleistungsprinzip und der öffentlich-rechtlichen Vergütungsstruktur zwischen Apothekern und Krankenkassen
folgende Bindung der Abgabe an eine ordnungsgemäß ausgestellte Verordnung konstitutiv. Denn mit dieser Verordnung konkretisiert
der Vertragsarzt das Rahmenrecht des Versicherten auf Arzneimittelversorgung (BSGE 105, 157). Erst auf dieser Grundlage kann die Apotheke durch die Abgabe des Arzneimittels unmittelbar die Krankenkasse zur Zahlung
verpflichten. § 3 Hessischer Arzneiliefervertrag regelt die Abgabe von Arzneimitteln im Detail. Aus den Einzelbestimmungen
wird deutlich, dass stets die Verordnung bei der Abgabe bereits vorliegen muss. Indirekt wird dies auch durch § 3 Abs. 8 Hessischer
Arzneiliefervertrag deutlich. Bei Vorlage eines Privatrezeptes ist der Versicherte berechtigt, das Privatrezept innerhalb
eines Monats in eine ordnungsgemäße Verordnung umzutauschen und dadurch die Krankenkasse zur Vergütung für das bereits zuvor
aufgrund des Privatrezeptes abgegebene Arzneimittel zu verpflichten. Es handelt sich hier um eine Ausnahme von dem Grundsatz,
dass bei Abgabe die ordnungsgemäße Verordnung vorliegen muss. Daher besteht aber neben dieser geregelten Ausnahme kein Raum
für weitere Abweichungen vom Arzneiliefervertrag. Vielmehr stünde es eben den Partnern dieses Vertrages zu, etwa für die ambulante
Chemotherapie eine weitere Ausnahme vorzusehen. Entsprechende besondere Vereinbarungen wurden auf Bundesebene mit dem Vertrag
über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitung von Stoffen (sog. Hilfstaxe) vorgenommen. Sie enthalten aber keinen Verzicht
darauf, dass die ordnungsgemäße Verordnung bei Abgabe vorliegen muss.
Die Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Krankenhaus vom 23.12.2008/08.01.2009, die nach dem dort beigefügten allgemeinen
Ablaufplan vorsieht, dass das Rezept nach der Applikation in der Praxis ausgestellt wird, vermag hieran nichts zu ändern.
Denn einzelne Apotheker können nicht durch Verträge mit Dritten Krankenkassen unter abweichenden Bedingungen als im Arzneilieferungsvertrag
vorgesehen zur Vergütung verpflichten. Daher konnte auch die Klägerin nicht durch die Vereinbarung mit dem Krankenhaus ihre
Pflichten gegenüber der Beklagten aus dem Arzneilieferungsvertrag abbedingen.
Es bedarf daher auch keiner weiteren Erörterung, ob die nachträglich ausgestellte Verordnung durch bzw. aufgrund eines Schreibens
des verordnenden Arztes korrigiert werden konnte. § 3 Hessischer Arzneilieferungsvertrag sieht verschiedene Korrekturmöglichkeiten
von ärztlichen Verordnungen durch den Arzt oder Apotheker vor. Stets sind die Korrekturen auf der Verordnung selbst und vor
der Abrechnung vorzunehmen. Nach Übersendung der Verordnungsblätter zur Abrechnung sind diese Korrekturen nicht mehr möglich.
Entsprechendes gilt auch nach der Vereinbarung über die Übermittlung von Daten im Rahmen der Arzneimittelabrechnung gemäß
§
300 SGB V zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Deutschen Apothekerverband e.V. Diese Formalisierung ist angesichts
der Herausforderungen eines Massenverfahrens zulässig. Dass die Patientin - unstreitig - liposomales Doxorubicin erhalten
hat und auch die Annahme, dass dieses und nicht das "einfache" Doxorubicin medizinisch indiziert war, vermag hieran nichts
zu ändern. Denn der leistungskonkretisierende Charakter der ärztlichen Verordnung (vgl. BSGE 105, 157) bleibt gleichwohl bestehen. Wegen der auch womöglich sachlich unzutreffenden - Verordnung von Prof. Dr. E. hatte die Patientin
nur einen Leistungsanspruch auf "einfaches" Doxorubicin und die Krankenkasse muss entsprechend nur dieses vergüten. Dass die
Patientin tatsächlich ein anderes Arzneimittel erhalten hat, als auf der ärztlichen Verordnung angegeben, beruht hier gerade
auf dem Umstand, dass die Herstellung des Zytostatikums gar aufgrund der ärztlichen Verordnung, sondern aufgrund des Anforderungsscheins
erfolgte. Die Maßgabe, dass die vergütungswirksame Abgabe des Arzneimittels stets aufgrund einer ärztlichen Verordnung zu
erfolgen hat (s.o. unter 2.), erhält gerade hierdurch nochmals ihre Berechtigung.
Die Revision wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bisher liegt keine höchstrichterliche Entscheidung
dazu vor, dass auch für Zytostatika die abrechnungsfähige ordnungsgemäße Verordnung bereits bei ihrer Abgabe vorliegen muss.
Der Streitwert bestimmt sich aus §
197a Abs.
1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.