Unfallversicherungsrecht
Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit
Gonarthrose an beiden Kniegelenken
Neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung
Verdichtung zur BK-Reife
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung der bei dem Kläger diagnostizierten beidseitigen Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit
nach §
9 Abs.
2 SGB VII und Gewährung einer Rente wegen deren Folgen.
Der 1952 geborene Kläger ist selbstständiger Installateurmeister und in dieser Tätigkeit bei der Beklagten im Rahmen der gesetzlichen
Unfallversicherung versichert.
Ursprünglich hatte der Kläger bei der Beklagten die Anerkennung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 2102 der Anlage zu
BKV (beruflich bedingte Meniskusschäden) beantragt. Nach ablehnendem Bescheid vom 9. April 2002 und Widerspruchsbescheid vom
5. Dezember 2002 hatte er Klage bei dem damals zuständigen Sozialgericht Wiesbaden (Az.: S 13 U 10/03) erhoben. Das Sozialgericht Wiesbaden hatte ein unfallchirurgisches Gutachten bei Prof. Dr. C. und Dr. D. vom 14. Januar
2004 und ein Gutachten des Arztes für Orthopädie, Rheumatologie, Sportmedizin und Physikalische Medizin Dr. E. vom 4. Juli
2004 eingeholt. Prof. Dr. C. und Dr. D. hatten bei dem Kläger eine beidseitige hochgradige Gonarthrose und Retropatellarthrose
festgestellt, Dr. E. eine fortgeschrittene Panarthrose rechts mehr als links. Dr. E. hatte u. a. ausgeführt, der Befund der
Ganzkörperszintigraphie der radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. F. vom 18. Juni 2004 habe ergeben: "Kein Beleg für primär
entzündlichen Prozess wie rheumatoide Polyarthritis. Hinweis auf aktivierte Arthrosen, vorwiegend im Bereich des rechten Kniegelenks,
der Fußwurzeln (linksbetont) sowie Rizarthrose (Daumensattelgelenk) links". Die Beteiligten schlossen im Klageverfahren mit
dem Az. S 13 U 10/03 am 18. Januar 2006 einen verfahrensbeendenden Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, ein Verwaltungsverfahren
wegen einer beruflich bedingten Gonarthrose nach §
9 Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (
SGB VII) durchzuführen.
In dem im Januar 2006 eingeleiteten Verwaltungsverfahren zog die Beklagte diverse medizinische Unterlagen bei. Ihr Präventionsdienst
ermittelte in seinen Stellungnahmen vom 22. November 2006 und 29. Dezember 2006 unter Heranziehung der Tätigkeitsmerkmale
an Vergleichsarbeitsplätzen eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten im Sinne einer Gonarthrose von 16.799,3 Stunden.
Der Kläger war bei der Befragung durch den Präventionsdienst zunächst nicht bereit gewesen, individuelle Angaben über seine
Arbeitstätigkeit zu machen. Der beratende Arzt der Beklagten G. kam in seiner Stellungnahme vom 30. Januar 2007 zu dem Schluss,
die Knieerkrankung des Klägers könne nicht wie eine Berufskrankheit anerkannt werden. Die Gonarthrose sei erstmals 1990 in
ärztlichen Unterlagen dokumentiert. Zu diesem Zeitpunkt habe nur eine Einwirkungsdauer von 9.485,7 Stunden bestanden und damit
deutlich unter den nach wissenschaftlicher Begründung zu fordernden 13.000 Stunden. Es sei nicht abschließend geklärt, ob
bei dem Erkrankungsbild des Klägers - entgegen der Auffassung des Dr. E. - nicht doch eine rheumatoide Arthritis zugrunde
liege.
Mit Bescheid vom 4. April 2007 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen im Zusammenhang mit der Gonarthrose des Klägers
ab, weil weder eine Berufskrankheit nach §
9 Abs.
1 SGB VII in Verbindung mit der
BKV noch eine Krankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VII vorliege. Bei dem Erkrankungsbeginn im Jahr 1990 hätten die erforderlichen beruflichen Voraussetzungen nicht vorgelegen.
Hiergegen erhob der Kläger am 24. April 2007 Widerspruch. Der Landesgewerbearzt Prof. Dr. I. schlug in seiner Stellungnahme
vom 16. April 2007 vor, die Erkrankung des Klägers als Berufskrankheit anzuerkennen. Prof. Dr. C. und Dr. D. hätten erstmals
eine Gonarthrose des rechten Kniegelenks anhand des MRT vom 26. Februar 1999 und des linken Kniegelenks anhand der Röntgenaufnahme
vom 2. März 1999 diagnostiziert. In der Arthroskopie 1990 hätten sich bei dem Kläger lediglich zweitgradige Knorpelschäden
gefunden. Der Kläger sei im Februar 1999 31 Jahre kniebelastend im Sinne einer Gonarthrose tätig gewesen. Dies ergebe bei
einer Einwirkungsdauer von 2 Stunden/Tag, 220 Schichten pro Jahr und 31 Expositionsjahren eine kumulative Expositionsdauer
von ca. 13.640 Stunden. Hinreichende Hinweise für konkurrierende Ursachenfaktoren lägen nicht vor. Eine rheumatoide Arthritis
habe durch das Gutachten des Dr. E. ausgeschlossen werden können.
Des Weiteren zog die Beklagte Röntgenaufnahmen vom 11. Juli 1990 und 31. Juli 1990 bei. Der beratende Arzt Dr. H., Facharzt
für Orthopädie, führte hierzu in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 2007 aus, röntgenologisch finde sich eine erhebliche Verschmälerung
des medialen Gelenkspaltes rechts mit osteophytären Randausziehungen im Sinne Kellgren III. Links sei der Befund nicht ganz
so ausgeprägt. Zusammenfassend ergebe sich aus frühzeitig bestehenden Knieschmerzen, dem rheumatoiden Krankheitsbild mit entsprechenden
Symptomen auch an anderen Gelenken eine schwere Gonarthrose beidseits, die nicht berufsbedingt sei. Mit weiterer Stellungnahme
vom 4. Juni 2007 bestätigte Dr. H. seine Auffassung.
Der Präventionsdienst der Beklagten erstattete am 14. September 2007 eine erneute Stellungnahme zu den beruflichen Voraussetzungen
für eine Gonarthrose, die auf den Angaben des Klägers vom 27. August 2007 beruhte. Er gelangte zu dem Ergebnis, in der Zeit
vom 1. August 1967 bis zum 11. Juli 1990 habe eine Gesamtstundenzahl kniebelastender Tätigkeiten von 15.868 Stunden vorgelegen,
für den Zeitraum vom 1. August 1967 bis zum 28. Februar 1999 von 24.093,28 Stunden. Die vom Kläger gemachten Angaben stimmten
jedoch nicht mit den Erfahrungen an Vergleichsarbeitsplätzen überein. Dies gelte sowohl für die hohe Anzahl der Arbeitstage
als auch für die hohen Stundenzahlen kniender Tätigkeiten pro Arbeitsschicht. Die Beklagte zog sodann u. a. das Ergebnis eines
MRT des rechten Kniegelenks und einer Knochenszintigraphie vom 26. Februar 1999, einen Befundbericht der Dres. J./K. vom 12.
November 2007, der bei dem Kläger keine Hinweise für Rheuma oder Gicht gefunden hatte, sowie ärztliche Berichte der Klinik
für Rheumatologie, Physikalische Medizin und Balneologie der Justus-Liebig-Universität Gießen, Dr. L. vom 30. Januar 1997
und 10. April 1997 bei (Diagnose: Chronische Oligoarthritis noch unklarer nosologischer Zuordnung; ein Nachweis von Rheumatoidfaktoren
fand sich danach nicht). In einer weiteren Stellungnahme vom 25. September 2007 ging der beratende Arzt G. bei dem Kläger
von einer primär chronischen Polyarthritis (PCP) als Ursache der Kniegelenkserkrankung aus. Als Brückensymptom finde sich
rezidivierend seit 1990 eine Synovialitis. Auch die seit 1994 konsequent dokumentierten BSG-Erhöhungen sprächen für eine PCP.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 7. Februar 2008 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 20. Februar 2008 Klage bei dem Sozialgericht Gießen (Sozialgericht) erhoben.
Das Sozialgericht hat von Amts wegen ein orthopädisches Sachverständigengutachten des Dr. M., Universitätsklinikum Gießen
Marburg vom 2. Januar 2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 14. April 2009 eingeholt. Dr. M. hat ausgeführt, bei dem
Kläger sei eine beiderseitige Gonarthrose in weit fortgeschrittenem (links) bzw. finalem (rechts) Krankheitsstadium im Vollbeweis
gesichert. Die Darstellung des Landesgewerbearztes vom 16. April 2007, die arthroskopisch 1990 festgestellten stärkeren Knorpelschäden
Grad II seien keine Gonarthrose gewesen, gehe insoweit fehl, als es sich anfänglich zwar um wieder rückbildungsfähige Veränderungen
handele, wenn die auslösenden fehlstatischen, entzündlichen oder berufsbedingten Einwirkungen wegfielen, bei einem Andauern
der Noxe aber um Initialstadien einer dauerhaften Arthrose. Zusammenfassend würden zwei mögliche Ursachen der Kniegelenkserkrankungen
konkurrieren, eine exogene berufliche Belastung und endogene Oligoarthritis (Gelenkentzündung). Weitere Arthrosen an beiden
Fußwurzeln und am linken Daumensattelgelenk seien nicht als Berufskrankheiten anerkennungsfähig, wohl aber ebenfalls als postarthritische
Arthrosen einer primär entzündlichen Gelenkerkrankung aus innerer Ursache oder einer primären Arthrose aus anlagebedingter
Ursache erklärbar. Aus dem skelettszintographischen Untersuchungsbefund von 2004 sei im Sinne einer späteren "Momentaufnahme"
lediglich der Schluss zu ziehen, dass - wie bei "ausgebrannten" systementzündlichen Erkrankungen immer wieder zu beobachten
- charakteristische postarthritische Arthrosen als Nachfolgestadium zurückgeblieben seien. Eine über eine allgemeine Möglichkeit
hinausgehende konkrete Wahrscheinlichkeit, dass die beruflichen Einflüsse die Krankheitsgeschichte maßgeblich bestimmt hätten,
vermöge er nicht mit hinreichender Sicherheit abzugrenzen. Unabhängig davon werde die MdE auf eher 30 als 20 v.H. geschätzt.
Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht ein weiteres orthopädisches Gutachten bei Prof. Dr. N. vom 1. Februar 2010 eingeholt.
Der Sachverständige hat ausgeführt, die im rechten Kniegelenk festgestellten Veränderungen 1990 seien in den Röntgenaufnahmen
als beginnende Veränderungen des inneren Kniegelenkspaltes und der Kniescheibenrückfläche gewürdigt worden (Bl. 57 VA). Dies
stimme nicht mit dem Befund dieser Röntgenbilder durch Dr. H. in dessen Stellungnahme vom 16. Mai 2007 überein. Regelmäßige
Behandlungen der Kniesymptomatik seien seit April 1994 durchgeführt worden, so dass man seit diesem Zeitpunkt von einer klinisch
relevanten Gonarthrose ausgehen könne. Die Röntgenaufnahmen vom 2. März 1999 zeigten bereits einen ausgeprägten Verschleiß.
Ein Rheumaleiden sei nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu bestätigen, könne aber auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden.
Weitere konkurrierende Faktoren seien nicht anzunehmen. Bei der Entstehung der Arthrose der Kniegelenke seien neben genetischen
Veranlagungen auch die berufliche Exposition zu diskutieren. Im Falle einer Anerkennung sei von einer MdE von 30 v. H. auszugehen.
Der Sachverständige Dr. M. ist in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28. Juni 2010 bei seiner bisherigen Auffassung verblieben.
Mit Urteil vom 28. Januar 2011 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es im Wesentlichen
ausgeführt, bei der Prüfung im Gerichtsverfahren sei die neue Listenberufskrankheit nach BK Nr. 2112 zugrunde zu legen, da
diese als Listen-BK die im Verwaltungsverfahren schon vorhandenen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. §
9 Abs.
2 SGB VII) mit Wirkung vom 1. Juli 2009 in die
Berufskrankheitenverordnung habe einfließen lassen. Bei dem Kläger könne keine Berufskrankheit nach BK Nr. 2112 festgestellt werden. Schon die arbeitstechnischen
Voraussetzungen seien zweifelhaft. Zwar habe der Kläger während seines gesamten Berufslebens bis zum Jahr 2006 eine Mindesteinwirkungsdauer
von 16.799 Arbeitsstunden erfüllt und damit den geforderten Wert von 13.000 Arbeitsstunden überschritten. Allerdings sei die
bei ihm bestehende Gonarthrose erstmals 1990 diagnostiziert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei die Mindesteinwirkung von 13.000
Arbeitsstunden nicht erfüllt gewesen. Auch die medizinischen Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Das Sozialgericht schließe
sich dem bei Dr. M. eingeholten Gutachten an. Dieser habe ausgeführt, dass zwar beim Kläger an beiden Kniegelenken eine Gonarthrose
im Vollbeweis gesichert sei. Er gehe aber für das Sozialgericht überzeugend davon aus, dass sich die Gonarthrosen durch einen
entzündlichen Krankheitsprozess aufgrund eines Rheumaleidens des Klägers gebildet hätten. Der auf Antrag des Klägers gehörte
Sachverständige Prof. N. habe dieses Ergebnis nicht erschüttern können.
Gegen das ihm am 1. April 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27. April 2011 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht
eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts eine
wesentliche Erkrankung erst 1999 eingetreten sei. Auf die Stellungnahme des Prof. Dr. I. im Verwaltungsverfahren von 16. April
2007 werde Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Januar 2011 und den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 7. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die bei ihm am 2. März 1999 diagnostizierte Gonarthrose an
beiden Kniegelenken als Wie-Berufskrankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VII festzustellen und ihm Rente nach einer MdE von 20 v. H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.
Der Senat hat u. a. Laborbefunde und sonstige medizinische Unterlagen über den Kläger von der Stiftung Deutsche Klinik für
Diagnostik GmbH vom 6. August 2012 (erhoben im Jahr 1999) beigezogen, Laborbefunde und medizinische Unterlagen der Kerckhoffklinik
GmbH, Abt. Rheumatologie und Klinische Immunologie vom 14. September 2012 (erhoben im Zeitraum 1996/1997). Die Beklagte hat
Laborbefunde des AMD Limburg aus 1994 und 2001 zu den Akten überreicht. Außerdem sind diverse Röntgenaufnahmen beigezogen
worden.
Sodann hat Senat hat auf Antrag des Klägers ein Zusammenhangsgutachten bei dem Sachverständigen Prof. Dr. I. vom 13. Februar
2014, ein Zusatzgutachten bei Prof. Dr. O., Leiter Schwerpunkt Rheumatologie/Immunologie der Medizinischen Klinik und Poliklinik
der Johannes Gutenberg Universität Mainz vom 22. Oktober 2013 und ein radiologisches Zusatzgutachten des Dr. P. vom 26. April
2013 eingeholt.
Dr. P. ist im radiologischen Zusatzgutachten vom 26. April 2013 zu dem Schluss gelangt, dass nach den vorliegenden Röntgenaufnahmen
des rechten Kniegelenks vom 11. Juli 1990 und 31. Juli 1990 noch weder von einer Gonarthrose noch von einer Femoropatellararthrose
ausgegangen werden könne. Nach der Kernspintomographie des rechten Knies vom 26. Februar 1999 und der Röntgenaufnahme vom
2. März 1999 sei von einer nach Kellgren drittgradigen medial betonten Gonarthrose und zweitgradigen Retropatellararthrose
auszugehen. Ebenso sei nach der Röntgenaufnahme des linken Knies vom 2. März 1999 von einer nach Kellgren drittgradigen medial
betonten Gonarthrose und zweitgradigen Retropatellararthrose auszugehen. Röntgenaufnahmen beider Knie vom 21. April 2004 zeigten
verglichen mit den Voruntersuchungen eine zunehmende beidseitige Gonarthrose, weiterhin drittgradig, ebenso Röntgenaufnahmen
vom 9. Dezember 2008. Auch Röntgenaufnahmen vom 10. April 2014 zeigten beidseitig eine nach Kellgren drittgradige Gonarthrose
und Retropatellararthrose.
Prof. Dr. O. ist im rheumatologischen Zusatzgutachten vom 22. Oktober 2013 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kniegelenkserkrankung
des Klägers ausschließlich auf eine wiederholt entzündlich aktivierte Arthrose zurückzuführen sei, für eine Erkrankung aus
dem rheumatischen Formenkreis ergebe sich nach Zusammenschau der Befunde kein Anhalt. Die Diagnose eines primär-entzündlichen
Krankheitsbildes habe primär auf dem Nachweis der beschleunigten Blutsenkungsgeschwindigkeit (BSG) gefußt, die Rheumafaktoren (RF) seien einmal grenzwertig gewesen, wiederholt und auch zuletzt bei der Begutachtung jedoch
nicht nachweisbar, ebenso wenig CCP-Antikörper oder andere Autoimmunmarker. Die beschleunigte BSG sowie das Ansprechen auf Steroide seien jedoch ebenfalls typisch für die aktivierte Arthrose. Die einmalig erfolgte histopathologische
Untersuchung der Gelenkhaut habe eine "mäßiggradige Synovialitis" gezeigt, die heute zur Anwendung kommende Unterteilung nach
Kellgren in low-grade oder high-grade Synovialitis habe man damals noch nicht gekannt, so dass eine sichere Zuordnung zu einem
primär-entzündliche Krankheitsbild aufgrund der histopathologischen Beschreibung nicht möglich sei. Wiederholt seien Skelettszintigraphien
erfolgt, die jeweils das typische Bild der aktivierten Arthrose zeigten, nie das typische Verteilungsmuster einer primärentzündlichen
Erkrankung. Es seien Veränderungen im Bereich der linken Fußwurzel und des linken Daumensattelgelenkes gezeigt worden, die
aufgrund des Verteilungsmusters typisch für eine degenerative und nicht entzündliche Veränderung seien. Mehr als 30 Jahre
nach Beginn der Beschwerden in den Knien seien keine anderen Gelenke betroffen, die Hände seien beschwerdefrei, eine Morgensteifigkeit
werde verneint. Die zusätzlich veranlasste Röntgenuntersuchung zeige keinen Anhalt für erosive Veränderungen, wie man sie
bei einer rheumatoiden Arthritis oder einer anderen entzündlichen Grunderkrankung erwarten würde. Lege man die 2010 erneuerten
ACR-Klassifikationskriterien der rheumatoiden Arthritis zugrunde, lasse sich diese Diagnose nicht stellen, auch für eine andere
primär-entzündliche Erkrankung ergebe sich nach dieser langen Krankheitsdauer kein Anhalt.
Prof. Dr. I. hat in seinem Gutachten vom 13. Februar 2014 ausgeführt, bei dem Kläger sei erstmals am 2. März 1999 eine drittgradige
Gonarthrose im Femorotibialgelenk und eine zweitgradige Gonarthrose im Femoropatellargelenk beiderseits diagnostiziert worden.
Der Kläger sei nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten zwischen August 1967 und Februar 1999 einer gefährdenden
Tätigkeit im Sinne einer BK Nr. 2112 im Umfang von 24.093 Stunden ausgesetzt gewesen und erfülle somit die arbeitstechnischen
Voraussetzungen. Bei ihm bestehe keine Berufskrankheit nach BK Nr. 2112, weil die Erkrankung vor dem 30. September 2002, der
Rückwirkungsklausel für die BK Nr. 2112, diagnostiziert worden sei. Es bestehe aber ein hinreichend wahrscheinlicher Zusammenhang
der beruflichen Tätigkeit des Klägers mit der bei ihm diagnostizierten Gonarthrose im Sinne einer Wie-Berufskrankheit (§
9 Abs.
2 SGB VII). Beginn des Versicherungsfalls sei der 2. März 1999, die MdE werde auf 20 v. H. geschätzt.
Der beratende Arzt G. hat mit Stellungnahme vom 24. April 2014 eingewandt, das Gutachten des Prof. Dr. I. überzeuge nicht.
Für eine Arthrose des Kniegelenks sei ungewöhnlich, dass sich diese in einem Zeitraum von 9 Jahren (von 1990 bis zur erstmaligen
Feststellung einer Gonarthrose Grad III nach Kellgren am 2. März 1999) relativ rasch entwickelt habe, um dann über einen Zeitraum
von 14 Jahren stabil zu bleiben. Üblicherweise verlaufe diese Erkrankung kontinuierlich progredient. Prof. Dr. I. habe sich
nicht mit den folgenden Ausführungen des Dr. L. in dessen ärztlichem Bericht vom 30. Januar 1997 auseinandergesetzt: "Familien-anamnestisch
erwähnenswert vor 20 Jahren eine durchgemachte Polyarthritis der Schwester, welche in der Rheumaklinik Wiesbaden mit Goldspritzen
eingestellt worden sei. Bei der Geburt der Tochter damals Spontanremission". Sowohl Prof. Dr. I. als auch Prof. Dr. O. seien
irrtümlich von einer leeren Familienanamnese ausgegangen. Im radiologischen Befund vom 2. März 1999 werde für beide Knie und
Füße eine gelenknahe Osteoporose beschrieben. Auch der Befund im Rahmen der Beckenübersicht: "Degenerationen beider ISG re.>li.
mit gelenknahen Ileumsklerosen und Kantenentrundungen, die cranialen Anteile des rechten ISG sind nicht einsehbar (Knochenbrücken
durch frühere Entzündung?)" und der Befund der HLA-Merkmale vom 3. März 1999, der auf die Autoimmunkrankheit Pemphigus vulgaris
hindeute, wären von Prof. Dr. O. abzuklären gewesen. Es sei nicht diskutiert worden, dass bei der DKD am 8. März 1999 neben
einer BSG-Erhöhung auf 100/133 eine deutliche Erhöhung des CRP auf das 13fache der Norm vorgelegen habe, während am 18. Mai 1999 die
BSG mit 14/130 grenzwertig normal gewesen sei und sich auch das CRP mit 0,93 dem Referenzbereich von bis zu 0,5 mg/dl angenähert
habe. Die ähnlichen von Dr. L. 1996 erhobenen Befunde (BSG 33/63, CRP 8,5 mg/dl) und bei Prof. Dr. O. hätten keinen Eingang in die Diskussion des Kausalzusammenhangs gefunden.
Hierzu hat Prof. Dr. O. mit ergänzender Stellungnahme vom 25. August 2014 ausgeführt, aus dem Verweis des Beratungsarztes
auf die durchgemachte Polyarthritis der Schwester des Klägers lasse sich eine den Klassifikationskriterien einer rheumatoiden
Arthritis entsprechende Diagnose nicht herleiten. Es bleibe unklar, ob die Schwester unter einer rheumatoiden Arthritis, einer
im jungen Lebensalter ebenfalls häufigen parainfektiösen Arthritis oder unter hormonell induzierten Arthralgien gelitten habe.
Hinsichtlich der Beurteilung der Progredienz der Erkrankung sei insbesondere auch die klinische Untersuchung von Bedeutung,
danach wäre bei dem Kläger eine endoprothetische Versorgung sicherlich längst indiziert. Da der Kläger zu keinem Zeitpunkt
über Rückenbeschwerden geklagt habe, sei eine Bildgebung im Bereich der ISG nicht für notwendig erachtet worden. Die Hinweise
darauf, dass die HLA-Merkmale A2,26, B38,61 Cw2 auf einen Pemphigus vulgaris hindeuteten, könnten nicht nachvollzogen werden.
Prof. Dr. I. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. September 2014 ausgeführt, entgegen der Annahme des Beratungsarztes
habe sich die bei dem Kläger auf Röntgenbildern vom 2. März 1999 als drittgradige Gonarthrose im Femorotibialgelenk beidseits
und zweitgradige Gonarthrose im Femoropatellargelenk festgestellte Kniegelenkserkrankung während der beruflichen Einwirkung
bis zum 27. August 2007 weiter verschlimmert. Nach den Röntgenbildern der Kniegelenke am 30. Mai 2001 habe bereits eine drittgradige
Gonarthrose im Femoropatellargelenk vorgelegen. Danach habe sich diese drittgradige Gonarthrose nicht mehr verschlimmert.
Zum zeitlichen Verlauf fordere die Begutachtungsempfehlung für die BK Nr. 2112 lediglich, dass die mindestens zweitgradige
Gonarthrose nach Kellgren während der beruflichen Einwirkung oder eines Zeitraums seit Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit
von ca. 5 Jahren diagnostiziert werde. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Keiner der Veröffentlichungen der Konsensus-Arbeitsgruppe
zur Begutachtung der BK Nr. 2112 sei zu entnehmen, dass eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises bei den Geschwistern
des Erkrankten als gesicherter außerberuflich bedingter konkurrierender Ursachenfaktor für die Entwicklung einer Kniegelenksarthrose
anzusehen sei. Ferner sei nach der ergänzenden Stellungnahme des Prof. Dr. O. vom 25. August 2014 aufgrund der vorliegenden
Unterlagen bei dem Kläger keine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises gesichert.
Der beratende Arzt G. ist in seiner weiteren Stellungnahme vom 11. November 2014 bei seiner bisherigen Auffassung verblieben
und hat insbesondere darauf hingewiesen, der Krankheitsverlauf habe sich nicht belastungskongruent entwickelt. Ebenso hat
Prof. Dr. I. in der auf Antrag des Klägers eingeholten Stellungnahme vom 10. Februar 2017 seine bisherige Beurteilung aufrechterhalten.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug
genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger begehrt eine Feststellung seiner Knieerkrankung als Wie-Berufskrankheit und Rente wegen deren Folgen. Soweit erstinstanzlich
in der mündlichen Verhandlung lediglich ein Antrag auf Anerkennung einer Listenberufskrankheit nach BK Nr. 2112 und Gewährung
von Rente wegen deren Folgen protokolliert wurde, kann unter Berücksichtigung des bisherigen Streitstoffs und Prozessverlaufs
nicht von einer (konkludenten) Klagerücknahme ausgegangen werden. Vielmehr war die Antragsformulierung in der mündlichen Verhandlung
offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass das Sozialgericht - ohne Auseinandersetzung mit der Rückwirkungsklausel des §
6 BKV - ausweislich der Entscheidungsgründe irrtümlich von der Auffassung ausgegangen ist, bei "der Prüfung im Gerichtsverfahren"
sei (nur) "die neue Listenberufskrankheit nach BK Nr. 2112 zugrunde zu legen, denn diese hat die im Verwaltungsverfahren schon
vorhandenen neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. §
9 Abs.
2 SGB VII) mit Wirkung vom 1. Juli 2009 in die
Berufskrankheiten-Verordnung als Listen-BK einfließen lassen". Ein übergangener Anspruch kann bei verdecktem Teilurteil, d. h. bei einem Urteil, das als
Vollurteil gedacht war, aber nicht den gesamten Streitgegenstand erfasst, unter dem Gesichtspunkt des sog. Heraufholens von
Prozessresten Gegenstand des Berufungsverfahrens werden (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, Rdnr. 2a zu § 140 unter Hinweis auf BSGE 97, 217, 226; BSG, Urteil vom 20. Dezember 2013 - B 13 R 91/11 R - SozR 4-2600 § 249b Nr. 1 Rdnr. 16 m. Anm. Mrozynski SGb 15, 41; BSG, Urteil vom 9. Dezember 2016 - B 8 SO 1/15 R - juris Rdnr. 15). Der Kläger muss den Anspruch in der Berufungsinstanz weiter
verfolgen, von der BSG-Rechtsprechung wird überdies eine zumindest eine konkludente Zustimmung des Prozessgegners gefordert (vgl. BSGE 97, 217, 226). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Dass der Kläger seinen Anspruch auf Feststellung einer Wie-Berufskrankheit
in der Berufungsinstanz weiterverfolgt hat, ergibt sich u. a. aus seinem Vorschlag im Schriftsatz vom 24. Juli 2012, den Sachverständigen
auch zu einer Wie-Berufskrankheit anzuhören (Bl. 249 ff Gerichtsakte). In der zustimmenden Äußerung der Beklagten mit Schriftsatz
vom 8. August 2012 (Bl. 282 Gerichtsakte) hierzu liegt jedenfalls eine konkludente Zustimmung vor.
Das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 28. Januar 2011 und der Bescheid vom 4. April 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 7. Februar 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat sowohl Anspruch auf Feststellung
der bei ihm am 2. März 1999 diagnostizierten beidseitigen Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit nach §
9 Abs.
2 SGB VI als auch auf Rente wegen deren Folgen.
Gemäß §
56 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch - Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Versicherungsfälle sind gemäß §
7 Abs.
1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen
und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§
56 Abs.
2 Satz 1
SGB VII).
Bei Berufskrankheiten ist nach §
9 SGB VII zwischen "Listen-Berufskrankheiten" und "Wie-Berufskrankheiten" zu unterscheiden. Eine Listen-Berufskrankheit nach §
9 Abs.
1 SGB VII setzt voraus, dass die Krankheit als Berufskrankheit in einem Tatbestand der
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) erfasst ist und diesen erfüllt. Hingegen ist eine "Wie-Berufskrankheit" nach §
9 Abs.
2 SGB VII als Versicherungsfall anzuerkennen, wenn die Krankheit nicht in der
BKV bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, aber im Zeitpunkt der Entscheidung nach neuen
Erkenntnissen der Wissenschaft die Voraussetzungen für eine Bezeichnung nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII vorliegen. Es muss sich um neue Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung handeln, die in
der letzten Änderung der
BKV noch nicht berücksichtigt wurden. Dies ist der Fall, wenn sie überhaupt erst nach dem Erlass der letzten
Berufskrankheiten-Verordnung gewonnen worden sind oder zu diesem Zeitpunkt im Ansatz vorhanden waren, aber trotz Nachprüfung nicht ausreichend bewertet
wurden und sich erst danach zur sogenannten BK-Reife verdichtet haben (vgl. BSG, Urteil vom 21. Januar 1997- 2 RU 7/96, juris Rdnr. 17 m. w. N.). Unter dem nach §
9 Abs.
2 SGB VII maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung ist der jeweils letzte Zeitpunkt im Laufe eines Verwaltungsverfahrens über eine Anerkennung
"wie eine Berufskrankheit" bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss zu verstehen (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, Rdnr. 121 zu §
9).
Mit Wirkung vom 1. Juni 2009 wurde mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der
BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl. I 2009, 1273) als Nr. 2112 eine "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer
während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt 1 Stunde pro Schicht"
in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen.
Leidet ein Versicherter am 1. Juli 2009 an einer Berufskrankheit nach BK Nr.
2112, kommt nach der Rückwirkungsklausel des §
6 Abs.
2 Satz 1
BKV i. d. Fassung der Dritten Verordnung zur Änderung der
BKV vom 22. Dezember 2014 (BGBl. I 2014, 2397) - zuvor §
6 Abs.
1 Satz 1
BKV i. d. Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der
BKV vom 11. Juni 2009 (BGBl. I 2009, 1273) - eine Anerkennung als Listen-Berufskrankheit nur in Betracht, wenn der Versicherungsfall nach dem 30. September 2002 eingetreten
ist. Bei dem Kläger wurde die für die Feststellung einer Berufskrankheit nach BK Nr. 2112 erforderliche beidseitige Gonarthrose
bereits am 2. März 1999 diagnostiziert, ebenso lagen zu diesem Zeitpunkt die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen einer BK
Nr. 2112 und damit der Versicherungsfall vor dem 30. September 2002 vor. Daher scheidet die Feststellung einer Berufskrankheit
nach BK Nr. 2112 aus. Jedoch steht im Falle des Klägers weder die Bezeichnung der Erkrankung als Listen-Berufskrankheit in
der
BKV noch die Rückwirkungsregelung der Feststellung der Gonarthrose als einer Wie-Berufskrankheit entgegen. Die Rückwirkungsregelung
des §
6 BKV erfasst im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängige Verfahren auf Feststellung einer Wie-Berufskrankheit nicht. Denn nicht
der Anerkennungsbescheid des Versicherungsträgers ist "konstitutiv" für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit, sondern
das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 KN 1/08 U R - juris Rdnrn. 16 ff.; BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - Leitsatz und juris Rdnrn. 22 ff.). Die Bezeichnung einer Erkrankung als Listen-BK in der
BKV führt nicht zum Erlöschen eines schon vorher entstandenen Anspruchs auf Anerkennung dieser Erkrankung als Wie-Berufskrankheit
(vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 KN 1/08 U R - a. a. O.).
Im Falle des Klägers war bereits vor Aufnahme der BK Nr. 2112 als neue Listen-Berufskrankheit in die
BKV am 1. Juni 2009 und Inkrafttreten der Rückwirkungsklausel auf sein Entschädigungsbegehren ein Verwaltungsverfahren über die
Feststellung der bei ihm am 2. März 1999 diagnostizierten Gonarthrose als Wie-Berufskrankheit anhängig, ebenso haben die gesetzlichen
Voraussetzungen für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit bereits vor diesem Zeitpunkt vorgelegen. Die generellen Voraussetzungen
für die Bezeichnung der Erkrankung des Klägers als Listen-Berufskrankheit nach §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII haben nicht erst zum Zeitpunkt der Entscheidung im Sinne des §
9 Abs.
2 SGB VII, sondern bereits deutlich vor der Einleitung des Verwaltungsverfahrens durch die Beklagte vorgelegen. Danach müssen bestimmte
Personengruppen in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt sein, die nach neuen
Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft Krankheiten der betreffenden Art verursachen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Februar 2010 - B 2 U 13/09 R - juris; BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R - juris). Davon ist spätestens auszugehen, wenn eine Anerkennungsempfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Sektion
Berufskrankheiten vorliegt (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, Rdnr. 141 zu § 9; BSG, Urteil vom 13. Februar 2013 - B 2 U 33/11 R - juris; BSG, Urteil vom 2. Dezember 2008 - B 2 KN 1/08 U R - juris). Vorliegend hatte der Ärztliche Sachverständigenbeirat, Sektion Berufskrankheiten,
jedoch bereits weit vor Einleitung des streitgegenständlichen Verwaltungsverfahrens seine Beratungen abgeschlossen und eine
wissenschaftliche Empfehlung für eine neue BK bezogen auf die Verursachung von Gonarthrose durch kniebelastende Tätigkeiten
beschlossen (vgl. BT-Drucks. 16/9554 S. 21; Hess. LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07- juris; Wissenschaftliche Begründung zur Berufskrankheit Nummer 2112, Bek. des BMGS vom 1. Oktober 2005 - 414-45222-2112/1,
BArbBl. 10/2005, S. 46 ff.).
Im Falle des Klägers liegen auch die individuellen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit vor. Für
die individuelle Kausalitätsprüfung im Rahmen der Feststellung der Wie-Berufskrankheit sind die wissenschaftlichen Erkenntnisse
über die generelle Eignung von kniebelastenden Tätigkeiten zur Verursachung einer Gonarthrose zu berücksichtigen, die zu der
Aufnahme der Berufskrankheit nach BK Nr. 2112 in die Berufskrankheitenliste geführt haben (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, Rdnr. 125, 140 zu §
9 m. w. N.).
Die für die Feststellung einer Wie-Berufskrankheit erforderliche Knieerkrankung des Klägers, eine beidseitige Gonarthrose,
liegt seit dem 2. März 1999 im Vollbeweis vor. Auch für die Beurteilung des Zeitpunkts des Eintritts der Erkrankung im Sinne
des §
9 Abs.
2 SGB VII sind die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu heranzuziehen, die zu der Aufnahme der Berufskrankheit nach BK Nr.
2112 in die Berufskrankheitenliste geführt haben. Unter Heranziehung des radiologischen Zusatzgutachtens des Dr. P. vom 26.
April 2013 konnten bei dem Kläger nach den vorliegenden Röntgenaufnahmen vom 2. März 1999 zu diesem Zeitpunkt röntgenologisch
beidseits eine nach Kellgren drittgradige medial betonten Gonarthrose und zweitgradige Retropatellararthrose festgestellt
werden.
Nach dem Merkblatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu BK Nr. 2112 (veröffentlicht in der Bekanntmachung des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 30. Dezember - IVa 4-45222-2112-GMBl 5/6/2010 Seite 98 ff.) wird unter
"III. Krankheitsbild und Diagnose" ausgeführt: "Die Diagnose einer Gonarthrose setzt eine klinische und röntgenologische Untersuchung
des Kniegelenks voraus. Nach einer verbreiteten Klassifikation werden Veränderungen im Röntgenbild und anderen bildgebenden
Verfahren in folgende vier Stadien, je nach Ausmaß der degenerativen Veränderungen, eingeteilt:
-
Grad 1: fragliche Verschmälerung des Kniegelenkspalts und mögliche Osteophytenbildung
-
Grad 2: definitive Osteophyten und mögliche Verschmälerung des Kniegelenkspalts
-
Grad 3: multiple Osteophyten und definitive Verschmälerung des Kniegelenkspalts, Sklerose und mögliche Verformung der Tibia
und des Femurs
-
Grad 4: ausgeprägte Osteophyten, starke Verschmälerung des Kniegelenkspalts, ausgeprägte Sklerose und definitive Verformung
der Tibia und des Femurs.Die Diagnose einer Gonarthrose im Sinne dieser Berufskrankheit hat folgende Voraussetzungen:
-
Chronische Kniegelenksbeschwerden
-
Funktionsstörungen bei der orthopädischen Untersuchung in Form einer eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk
-
die röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad II bis IV der Klassifikation von Kellgren et al....Bei beidseitigem
Knien und vergleichbarer Kniebelastung tritt die Gonarthrose in der Regel beidseitig auf....." Die Ausführungen im Merkblatt
wurden ergänzt durch eine "Wissenschaftliche Stellungnahme zu der BK-Nr. 2112 der Anlage 1 zur
BKV" (veröffentlicht in der Bekanntmachung des BMAS vom 24.10.2011 - IVa4-45222-2112 - GMBl. 2011, 983). Danach liegt neben der
eingeschränkten Streckung oder Beugung im Kniegelenk auch eine Gonarthrose mit dem erforderlichen Schweregrad im Sinne der
BK 2112 bei folgenden Funktionsstörungen vor: Kniegelenkerguss, Kapselentzündung mit Verdickung oder Verplumpung der Gelenkkontur,
Krepitation bei der Gelenkbewegung, hinkendes Gangbild, Atrophie der Oberschenkelmuskulatur (einzeln oder in unterschiedlicher
Kombination). Neben mindestens einer dieser genannten Funktionsstörungen müssen chronische Kniegelenksbeschwerden und die
röntgenologische Diagnose einer Gonarthrose entsprechend Grad II bis IV der Klassifikation von Kellgren et al. (1963) für
die Diagnose einer Gonarthrose im Sinne der BK-Nr. 2112 vorliegen. Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand
ist es nicht möglich, ein spezifisches Schadensbild einer beruflich induzierten Gonarthrose auch nur theoretisch zu beschreiben
oder gar als bewiesene Tatsache zu unterstellen, ein "belastungskonformes Schadensbild" konnte nicht erarbeitet werden (Mehrtens/Brandenburg,
Die
Berufskrankheitenverordnung (
BKV), Stand: Februar 2017, M 2112 Anm. 4 unter Hinweis auf Hartmann, Med Sach 108 [2012], 148-150).
Der Senat geht dabei davon aus, dass eine für die Feststellung einer Wie-BK erforderliche beidseitige Gonarthrose mit den
erforderlichen Schwergraden II bis IV der Klassifikation von Kellgren erst am 2. März 1999 und nicht zu einem früheren Zeitpunkt
nachgewiesen ist. Entgegen der Auffassung des Dr. M. in dessen Gutachten vom 2. Januar 2009 und Dr. H. in dessen Stellungnahmen
vom 16. Mai 2007 und 4. Juni 2007 lag 1990 noch keine Gonarthrose mit den erforderlichen Schwergraden II bis IV der Klassifikation
von Kellgren vor. Dies ergibt sich für den Senat aus dem nachvollziehbaren radiologischen Zusatzgutachten des Dr. P. vom 26.
April 2013, wonach nach den Röntgenaufnahmen vom 11. Juli 1990 und 31. Juli 1990 noch weder von einer Gonarthrose noch einer
Femoropatellararthrose ausgegangen werden konnte. Damit stimmt der Hinweis des Prof. Dr. N. im Gutachten vom 1. Februar 2010
überein, wonach die Veränderungen 1990 lediglich als beginnende Veränderungen des inneren Kniegelenkspalts und der Kniescheibenrückfläche
gewürdigt wurden (Bl. 57 VA). Entgegen Prof. Dr. N., kann aber nicht bereits ab 1994 von einer berufskrankheiten-relevanten
Gonarthrose ausgegangen werden, da diese neben einem entsprechenden klinischen auch einen entsprechenden röntgenologischen
Befund erfordert, der für diesen Zeitpunkt nicht vorliegt.
Auch hinsichtlich Schädigungspotentials der Einwirkung kniebelastender Tätigkeiten zur Verursachung einer Gonarthrose sind
die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zu berücksichtigen, die zu der Aufnahme der Berufskrankheit nach BK Nr. 2112
in die Berufskrankheitenliste geführt haben. Im Falle des Klägers liegt eine kumulative Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens
von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt 1 Stunde pro Schicht vor. Aufgrund der Erfüllung
des Dosiswerts von 13.000 Stunden im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob im Rahmen der Anerkennung einer Wie-Berufskrankheit
die in der BK 2112 als Dosiswert geforderten 13.000 Stunden kniebelastender Tätigkeiten zur Voraussetzung gemacht werden dürfen
oder dies eine unzulässige Vorwirkung von Gesetzen darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2005 - 1 BvR 235/00 - juris; so auch Hess. LSG, Urteil vom 18. November 2011 - L 9 U 66/07 - juris).
Zur Überzeugung des Senats ist im Vollbeweis nachgewiesen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des 2. März 1999 einer kumulativen
Einwirkungsdauer von mindestens 13.000 Stunden ausgesetzt war. Hierfür stützt sich der Senat insbesondere auf die Stellungnahme
des Präventionsdienstes der Beklagten vom 29. Dezember 2006 und die Äußerung des Prof. Dr. I. vom 16. April 2007. Danach war
der Kläger im Februar 1999 ca. 31 Jahre kniebelastend im Sinne einer Gonarthrose tätig (beginnend ab 1. August 1967), was
bei einer Einwirkungsdauer von 2 Stunden/Tag, 220 Schichten pro Jahr und ca. 31 Expositionsjahren eine kumulative Expositionsdauer
von mindestens 13.640 Stunden ergibt. Rechnet man die Monate August 1967 bis Dezember 1967 und Januar und Februar 1999 hinzu,
ergibt sich eine Belastung von 13.896,67 Stunden. Entsprechend ging auch der Präventionsdienst in seiner Stellungnahme vom
29. Dezember 2006 unter Heranziehung von Vergleichsarbeitsplätzen (ohne Würdigung der individuellen Umstände bei der Tätigkeit
des Klägers) von einer Einwirkungsdauer von 2 Stunden/Tag und 220 Schichten pro Jahr seit dem 1. August 1967 aus. Es kommt
daher nicht darauf an, ob die von der Beklagten in Zweifel gezogenen Feststellungen des Präventionsdienstes vom 14. September
2007, die vor allem auf den Angaben des Klägers beruhten, überhöht sind.
Die bei dem Kläger festgestellte Gonarthrose ist auch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die beruflichen Einwirkungen
zurückzuführen, die haftungsbegründende Kausalität ist zu bejahen.
Die Kausalitätsfeststellungen zwischen den einzelnen Gliedern des Versicherungsfalles basieren auf der im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht
geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung. Danach geht es auf einer ersten Stufe der Kausalitätsprüfung um die Frage, ob
ein Zusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinne vorliegt, d.h. - so die neueste Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
- ob eine objektive Verursachung zu bejahen ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris). Beweisrechtlich ist zudem zu beachten, dass der möglicherweise aus mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang
positiv festgestellt werden muss (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O.) und dass die Anknüpfungstatsachen der Kausalkette im Vollbeweis vorliegen müssen (BSG, Beschluss vom 23. September 1997 - 2 BU 194/97 - Deppermann-Wöbbeking in: Thomann (Hrsg), Personenschäden und Unfallverletzungen, Referenz Verlag Frankfurt 2015, Seite
630). In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann durch Wertung die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die
wesentlich sind, weil sie rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden, und den anderen, für den Erfolg rechtlich
unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006, a.a.O; BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R - juris).
Hinsichtlich der Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gonarthrose mit beruflich kniebelastender Tätigkeit wird
es aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht nach wie vor als problematisch angesehen, dass medizinische Kriterien mit einer
positiven Indizwirkung für eine berufsbedingte Verursachung, anhand derer eine Abgrenzung von idiopathischen Gonarthrosen
(eigenständigen Gonarthrosen innerer Ursache) vorgenommen werden könnte, fehlen. Die Konsensusgruppe zur Begutachtung zur
BK Nr. 2112 ist zu dem Ergebnis gekommen, dass nach dem derzeitigen Kenntnisstand ein belastungskonformes Schadensbild bezüglich
des Verletzungsmusters der Knorpelschäden im Kniegelenk für die BK Nr. 2112 medizinisch-wissenschaftlich nicht benannt werden
kann. Vielmehr kann im Rahmen der medizinischen Begutachtung die Abgrenzung derzeit im Wesentlichen nur über das Fehlen von
Negativkriterien (nicht passender zeitlicher Verlauf, einseitige Gonarthrose, wesentliche konkurrierende Ursachenfaktoren)
vorgenommen werden (vgl. hierzu im Einzelnen Grosser, "Berufskrankheit Gonarthrose (BK 2112) OUP 2016 /5, S. 560, 564, 565).
Zur Überzeugung des Senats greift hier jedoch bei vorliegendem Vollbeweis der nach BK Nr. 2112 vorausgesetzten 13.000 Stunden
kniebelastender Tätigkeiten bei dem Kläger jedenfalls eine Tatsachenvermutung, die auf die Verursachung der festgestellten
Gonarthrose durch die kniebelastenden Tätigkeiten schließen lässt (vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2007 - B 2 U 15/05 R - Leitsatz). Legt der Verordnungsgeber wie im Falle der BK Nr. 2112 die Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit
durch Vorgabe präziser Kriterien (hier: "Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung mit einer
kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von
insgesamt 1 Stunde pro Schicht") selbst fest, so besteht, wenn die Kriterien erfüllt sind, die Vermutung, dass die betreffende
Krankheit durch die berufsbedingten Einwirkungen verursacht wurde. Entsprechendes gilt für die Feststellung einer Gonarthrose
durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung als Wie-Berufskrankheit (so auch Hess. LSG, Urteil vom 18.
November 2011 - L 9 U 66/07 - juris).
Die Annahme einer solchen tatsächlichen Vermutung folgt aus der Konzeption der durch die Verordnung zur Änderung der
BKV neu gefassten Nr. 2112 vom 11. Juni 2009 und der dazu vom Verordnungsgeber gegebenen Erklärung (BR-Drucks 242/09 S. 18 ff.).
In der Begründung der Bundesregierung zur neuen Listen-BK 2112 wird ausgeführt: "Als kumulative Einwirkungsdauer während des
Arbeitslebens werden mindestens 13 000 Stunden und eine Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht festgesetzt.
Diese Kriterien beruhen auf Erkenntnissen aus epidemiologischen Studien. In der bisher größten zu dieser Thematik durchgeführten
Fall-Kontroll-Studie zeigte sich bei einer Belastungsdauer von insgesamt rund 13 000 Stunden ein mehr als verdoppeltes, signifikant
erhöhtes Gonarthroserisiko für Personen mit hoher beruflicher Exposition durch kniende oder hockende Tätigkeit. Auch für die
Voraussetzung der mindestens einstündigen Kniegelenksbelastung pro Schicht wurde die Verdoppelungsdosis in epidemiologischen
Studien festgestellt. Dabei ist zu beachten, dass die beiden Grenzwerte voneinander unabhängig sind. Die Mindestdauer pro
Arbeitsschicht stellt den unteren Grenzwert dar, bei dem die einzelne tägliche Belastung überhaupt geeignet ist, Kniegelenksschädigungen
zu verursachen ... Als "bestimmte Personengruppe", die durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung
kniebelastenden Tätigkeiten ausgesetzt sind, gelten Versicherte mit einer Tätigkeit im Knien oder vergleichbarer Kniebelastung
mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13 000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer
von insgesamt einer Stunde pro Schicht." Demnach geht der Verordnungseber bei Erreichen der 13.000 Stunden kniebelastender
Tätigkeiten von der sog. Verdoppelungsdosis aus, die den statistischen Schluss zulässt, dass ab dieser Belastungsdauer mehr
als die Hälfte der Betroffenen eine (beidseitige) Gonarthrose hierdurch erleiden. Der Vollbeweis dieser Voraussetzungen lässt
die Vermutung zu, dass eine Person durch diese Einwirkung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gonarthrose erlitten hat,
sofern nicht der zeitliche Verlauf oder wesentliche konkurrierende Faktoren dieser Vermutung entgegenstehen.
Im Falle des Klägers stehen weder der zeitliche Verlauf noch wesentliche konkurrierende Faktoren dieser Vermutung und damit
der Feststellung einer Wie-Berufskrankheit entgegen.
Der Senat stützt sich hierfür auf das schlüssige und überzeugende Zusammenhangsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. I.
vom 13. Februar 2014, das rheumatologische Zusatzgutachten des Prof. Dr. O. vom 22. Oktober 2013 und das radiologische Zusatzgutachten
des Dr. P. vom 26. April 2013. Hingegen vermochten die Einwände des Beratungsarztes G. in dessen Stellungnahme vom 24. April
2014 und 11. November 2014 nicht zu überzeugen.
Zwar hat sich das Krankheitsbild bei dem Kläger vor allem im Zeitraum zwischen 1990 und 1999 entwickelt und danach im Zeitraum
von 1999 bis 2001 nur unwesentlich verschlechtert (von einer zweitgradigen zu einer drittgradigen Arthrose im Femoropatellargelenk).
Prof. Dr. I. hat jedoch in seinem Gutachten vom 13. Februar 2014 und in der ergänzenden Stellungnahme vom 19. September 2014
zutreffend darauf hingewiesen, dass die Begutachtungsempfehlung für die BK Nr. 2112 zum zeitlichen Verlauf lediglich fordere,
dass die mindestens zweitgradige Gonarthrose nach Kellgren während der beruflichen Einwirkung oder eines Zeitraums seit Unterlassung
der gefährdenden Tätigkeit von ca. 5 Jahren diagnostiziert werde (Hinweis auf die Begutachtungsempfehlung der DGUV, Stand
3. Juni 2014, Seite 35, Abschnitt B.2.5., Absatz 3 - Bl. 495 R GA). Laut Prof. Dr. I. hat eine Latenz zwischen dem Ende der
Exposition und der erstmaligen Diagnose der Erkrankung auch nach übereinstimmender Auffassung der Konsensus-Arbeitsgruppe
keine wesentliche Indizwirkung. Bei Latenzzeiten von über 5 Jahren wird der Ursachenzusammenhang umso unwahrscheinlicher,
je länger die Latenz ist. Die o. g. Begutachtungsempfehlung für die BK Nr. 2112 enthält auch keine Aussagen darüber, dass
sich eine während der beruflichen Einwirkung diagnostizierte zweit- oder drittgradige Gonarthrose im weiteren Verlauf der
beruflichen Einwirkung verschlimmern muss. Auch können weder dem Merkblatt zu BK Nr. 2112 (Bek. des BMAS vom 30. Dezember
2009, GMBl. 2010, 98) noch der wissenschaftlichen Stellungnahme (GMBl. 2011, 983) konkrete Kriterien oder Mindestanforderungen
zum zeitlichen Verlauf der Erkrankung entnommen werden, die über die oben dargelegten Voraussetzungen hinausgehen.
Der Feststellung einer Wie-Berufskrankheit steht auch kein konkurrierender Faktor entgegen. Insbesondere lassen sich die Kniegelenksarthrosen
bei dem Kläger nicht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung zurückführen, weil trotz einiger Hinweise auf eine bei dem
Kläger vorliegende entzündliche Erkrankung die Kriterien für das Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis oder eine anderen
entzündlichen Gelenkerkrankung nicht nachgewiesen werden konnten. Auch die Familienanamnese bei dem Kläger führt nicht zu
einer anderen Beurteilung. Ebenso wenig schließt die bei dem Kläger festgestellte Adipositas die Anerkennung seiner Kniegelenkserkrankung
als Wie-Berufskrankheit aus.
Nach Prof. Dr. O. hat bei dem Kläger zwar wiederholt eine beschleunigte BSG vorgelegen, die RF waren einmal grenzwertig, jedoch wiederholt - zuletzt auch bei der Begutachtung - nicht nachweisbar, ebenso
wenig CCP-Antikörper oder andere Autoimmunmarker. Die beschleunigte BSG sowie das Ansprechen auf Steroide sind danach ebenso typisch für die aktivierte Arthrose. Die einmalig erfolgte histopathologische
Untersuchung der Gelenkhaut mit dem Ergebnis einer "mäßiggradigen Synovialitis" kann nach Prof. Dr. O. nicht sicher einem
primär-entzündlichen Krankheitsbild zugeordnet werden. Auch die wiederholt durchgeführten Skelettszintigraphien zeigten nie
das typische Verteilungsmuster einer primärentzündlichen Erkrankung. Die Veränderungen im Bereich der linken Fußwurzel und
des linken Daumensattelgelenkes sind nach Prof. Dr. O. aufgrund des Verteilungsmusters typisch für eine degenerative und nicht
entzündliche Veränderung. Mehr als 30 Jahre nach Beginn der Beschwerden in den Knien sind keine anderen Gelenke betroffen,
die Hände sind beschwerdefrei und eine Morgensteifigkeit wird verneint. Auch die zusätzlich veranlasste Röntgenuntersuchung
hat keinen Anhalt für erosive Veränderungen gezeigt, wie man sie bei einer rheumatoiden Arthritis oder einer anderen entzündlichen
Grunderkrankung erwarten würde (Hinweis auf anliegendes röntgenfachärztliches Gutachten von Dr. R. vom 15. Oktober 2013, ACURA-Rheumazentrum
Bad Kreuznach). Nach Prof. Dr. O. lässt sich nach den 2010 erneuerten ACR-Klassifikationskriterien die Diagnose einer rheumatoiden
Arthritis nicht stellen, auch für eine andere primär-entzündliche Erkrankung ergibt sich kein Anhalt. Entgegen dem Gutachten
des Dr. M. vom 14. April 2009 sind die Gonarthrosen bei dem Kläger daher nicht als postarthritische Arthrosen einer primär
entzündlichen Gelenkerkrankung aus innerer Ursache oder einer primären Arthrose aus anlagebedingter Ursache erklärbar. Diese
Beurteilung stimmt auch mit den Ergebnissen der Gutachten des Dr. E. vom 4. Juli 2004 und des Prof. Dr. N. vom 1. Februar
2010 überein.
Die gegen das Gutachten erhobenen Einwände des beratenden Arztes G. mit Stellungnahmen vom 24. April 2014 und 11. November
2014 konnte Prof. Dr. O. mit Stellungnahme vom 25. August 2014 entkräften. Soweit der Arzt G. beanstandet hat, Hinweise auf
eine frühere Entzündung im Bereich der ISG seien nicht abgeklärt worden, hat Prof. Dr. O. dem plausibel entgegnet, eine Bildgebung
im Bereich der ISG nicht für notwendig erachtet worden, nachdem der Kläger zu keinem Zeitpunkt über Rückenbeschwerden geklagt
habe. Soweit der beratende Arzt auf die wiederholt erhöhten Werte für die Blutsenkungsgeschwindigkeit und Entzündungswerte
(CRP) hingewiesen hat, hat Prof. Dr. O. für den Senat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass hierfür zwar keine Erklärung
geliefert werden könne. Es gebe hierfür eine Fülle von Differentialdiagnosen, die aber bei der Frage, ob die Kniegelenksarthrosen
auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung zurückzuführen seien, keine Rolle spielten, weil sich ansonsten keine Kriterien
für das Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis oder einer anderen entzündlichen Gelenkerkrankung fänden. Auch konnte Prof.
Dr. O. die Hinweise des Beratungsarztes darauf, dass die HLA-Merkmale A2, 26, B38, 61 Cw2 auf einen Pemphigus vulgaris hindeuteten,
nicht nachvollziehen, da der Kläger zu keinem Zeitpunkt klinische Merkmale eines Pemphigus geboten hatte. Lediglich bei der
Psoriasisarthritis sei eine Assoziation mit HLA-B 38 beschrieben, allerdings fehlten hier sämtliche klinischen Kriterien nach
CASPAR, um eine solche Diagnose zustellen. Auch die rheumatoide Arthritis weist nach Prof. Dr. O. mit keinem dieser HLA-Allele
eine Assoziation auf. Überdies lassen sich nach den Ausführungen des Prof. Dr. O. aus der Erkrankung der Schwester des Klägers
keine weiteren Schlussfolgerungen ziehen, da unklar bleibe, ob die Schwester unter einer rheumatoiden Arthritis, einer im
jungen Lebensalter ebenfalls häufigen parainfektiösen Arthritis oder unter hormonell induzierten Arthralgien gelitten habe.
Die durch Prof. Dr. I. bei der Begutachtung des Klägers festgestellte Adipositas (Größe 172 cm, Gewicht 82 kg, Body-Mass-Index
27,7 kg/m2 - Normwert: 18,5 - <25 kg/m2) steht der Feststellung der Gonarthrose des Klägers als Wie-Berufskrankheit nicht als konkurrierende Ursache entgegen. Nach
dem Merkblatt des Verordnungsgebers zu BK Nr. 2112 (Bek. des BMAS vom 30. Dezember 2009, GMBl. 2010, 98) besteht zwischen
beruflicher Einwirkung im Sinne dieser Berufskrankheit und Adipositas ein multiplikatives Zusammenwirken in Bezug auf das
relative Gonarthroserisiko, d. h., dass sich auch beim Adipösen die berufliche Einwirkung das Gonarthroserisiko in etwa verdoppelt.
Dies entspricht unter Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. I. vom 13. Februar 2014 (Bl. 408 ff GA)
und dessen Stellungnahmen vom 19. September 2014 und 10. Februar 2017 auch dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand.
Nach den allgemeinen Erfahrungswerten in der gesetzlichen Unfallversicherung wird die Bewegungseinschränkung eines Kniegelenks
(Streckung/Beugung) bei noch möglicher Beweglichkeit von 0-0-120° nach der sog. Neutral-Null-Methode mit 10 v. H, bei 0-0-90°
mit einer MdE von 15 v. H bzw. 20 v. H sowie bei einer noch möglichen Beweglichkeit von 0-10-90° mit einer MdE von 20 v. H.
bewertet (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 8.10.7 S. 685). Die MdE-Bemessung
bei einer Arthrose richtet sich nach der Funktionsbehinderung. Bei dem Kläger wurden durch Prof. Dr. M. am 9. Dezember 2008
folgende Bewegungsausmaße nach der Neutral-Null-Methode für Strecken/Beugen gemessen: links: 0-0-125°, rechts: 0-10-100° (Bl.
55 GA) , durch Prof. Dr. N. am 21. Oktober 2009 für Strecken/Beugen links: 0-0-130°, rechts: 0-20-110° (Bl. 131 GA) und zuletzt
durch Prof. Dr. O. am 3. September 2013 für Strecken/Beugen links 0-5-105°, rechts 0-15-100° (Bl. 436 GA). Unter Berücksichtigung
dieser Funktionsbefunde sowie der beidseitigen Betroffenheit, des Streckdefizits und der rezidivierenden Aktivierung der Gonarthrose
mit Kniegelenksergüssen beidseits ist die MdE - hinsichtlich der Höhe in Übereinstimmung mit Prof. Dr. I. in dessen Gutachten
vom 13. April 2014 - für die Zeit ab 26. November 2003 auf 20 v. H. zu schätzen. Bereits bei der Untersuchung durch Prof.
Dr. C. und Dr. D. am 26. November 2003 (Gutachten vom 14. Januar 2004) wurden vergleichbare Funktionsbefunde und Einschränkungen
erhoben (Beweglichkeit im rechten Kniegelenk 0-25-95°, linksseitig ebenfalls Streckdefizit von 10° bei Beugemöglichkeit bis
100°).