Versorgung mit Hörgeräten als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung; Erstattung der den Festbetrag übersteigenden
Kosten der Hörgeräteversorgung; Nichteinhaltung des Beschaffungswegs nach Beratungsfehler des Hörgeräteakustikers
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten der Hörgeräteversorgung der Beklagten in Höhe von
930,00 EUR.
Der 1961 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet an einer hochgradigen Innenohrschwerhörigkeit
beidseits und war seit langer Zeit mit Hörgeräten versorgt, als der Zeuge B (angestellter Hörgeräte-Akustiker-Meister der
KIND Hörgeräte GmbH & Co. KG) am 18. Januar 2007 durch die HNO-Klinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Kiel,
telefonisch gebeten wurde, vor einer endgültigen Entscheidung über ein Chochlear-Implant zu versuchen, die Einstellung der
vom Kläger genutzten Hörgeräte zu optimieren bzw. ihm probatorisch andere Geräte anzupassen.
Der sich daran anschließende Ablauf der Versorgung gestaltete sich wie folgt: Der Kläger litt an immer wieder aufflackernden
Gehörgangentzündungen vor allem im linken Ohr. Wegen der Gehörgangschwellung war es im Januar 2007 nicht möglich, die vormals
passgenau gefertigte Otoplastik in das linke Ohr einzusetzen. Erst nach der Fertigung neuer Otoplastiken konnte geprüft werden,
ob die vorhandenen Hörgeräte ausreichende Leistungsreserven hatten, um in möglichst allen Frequenzbereichen mehr Verstärkung
gegenüber leiseren Geräuschen zu aktivieren. Der Kläger nutzte seit 2001 zwei Geräte der Marke Phonak SonoForte2 P3 AZ. Dabei
handelte es sich um digital programmierbare Drei-Kanal-Geräte, deren Verstärkungsreserven wegen auftretender Rückkopplungen
jedoch nicht ausreichten, um den Hörverlust besser auszugleichen. Auch andere Geräte, die von der KIND Hörgeräte GmbH & Co.
KG zum Festpreis abgegeben worden wären (Kind Assista HP, Kind Tempra HP), schieden aufgrund mangelnder Regeltiefen und einer
Rückkopplungsneigung für die Versorgung aus. Die vom Zeugen B herangezogenen Geräte Widex B 32 und Siemens S 3 wurden wegen
der Aussichtslosigkeit, das Hörvermögen des Klägers zu verbessern, ebenfalls verworfen. Da mit diesen Geräten keine Einstellungen
fertig programmiert wurden, erfolgte auch keine Speicherung im PC-System des Hörgeräte-Akustikers. Letztlich erwiesen sich
zwei Hörgerätetypen zur Versorgung ähnlich gut geeignet, das Gerät Phonak eXtra 411 AZ Power mit einem Wert pro Gerät von
1.350,00 EUR und Phonak Savia Art 411 mit einem Wert pro Gerät von 2.350,00 EUR. Weil der Kläger bei seiner beruflichen Tätigkeit
- je nach Standort im Betrieb - auf die Verwendung mehrerer Telefongeräte angewiesen war, entschied er sich für das kostengünstigere
Gerät, weil sich bei diesem die Induktionsspule manuell aktivieren ließ. Im Juli 2007 erstellte der Zeuge B den Anpassbericht
über die beidohrige Hörgeräte-Versorgung und bat den Kläger, sich nun alsbald in der HNO-Klinik des UKSH zur Kontrolluntersuchung
und der Erstellung der in Aussicht gestellten schriftlichen Verordnung vorzustellen. Dort konnte anlässlich des Untersuchungstermins
am 11. Juli 2007 eine Messung für das linke Ohr aufgrund der wieder aufgeflammten Gehörgangsentzündung nicht erfolgen. Dennoch
erhielt der Kläger eine ärztliche Verordnung für eine entsprechende beidseitige Hörgeräteversorgung. Auf dieser fehlte jedoch
die Unterschrift. Deshalb wurde der Kläger vom Zeugen B gebeten, die fehlende Unterschrift einzuholen. Aus terminlichen Gründen
war dies erst Ende August 2007 möglich. Zu diesem Zeitpunkt war bereits die Versorgung mit dem Cochlear-Implant rechts geplant
und der Operationstermin auf den 22. Oktober 2007 festgelegt worden. Deshalb wurden am 28. August 2007 sämtliche Formulare
(Anpassbericht, Kostenvoranschlag, Kundeninformation, Patientenbogen, Mehrkostenerklärung, Abschlussbericht und Empfangsbestätigung)
entsprechend der nunmehr nur noch erforderlichen einohrigen Versorgung neu erstellt. Dem Kläger wurde bis zur Durchführung
der CI-Operation das Hörgerät für die rechte Seite vom Hörgeräte-Akustiker zur Nutzung überlassen.
Der Kläger bestätigte den Empfang des Hilfsmittels und sein Einverständnis mit der Zahlung der Mehrkosten für das von ihm
ausgewählte Hörsystem am 28. August 2007. Handschriftlich ergänzte er, dass die Erklärung zu Mehrkosten nur gegenüber der
Firma Kind gelte und insbesondere keine Forderungen ausschließe, die er gegenüber der Beklagten geltend machen möchte.
Mit Bescheid vom 8. Oktober 2007 (Widerspruchsbescheid vom 4. September 2008) übernahm die Beklagte Kosten der Hörgeräteversorgung
in Höhe einer Pauschale von 638,40 EUR (Hörgerät einschließlich Ohrpassstück 453,50 EUR, Servicepauschale 194,90 EUR, gesetzliche
Zuzahlung 10,00 EUR). Die Übernahme der Mehrkosten lehnte sie mit der Begründung ab, dass für Hörgeräte Festbeträge bzw. hierauf
basierende Vertragspreise gelten würden, die die Höhe der übernahmefähigen Kosten verbindlich festsetzten. Der bewilligte
Betrag ergebe sich aus dem zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und dem Verband der Angestellten-Krankenkassen
e.V. geschlossenen Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen. Danach erhalte der Versicherte mindestens zwei eigenanteilsfreie
Versorgungsangebote, durch die eine zweckmäßige, ausreichende und wirtschaftliche Versorgung gewährleistet werde. Entscheide
sich der Versicherte nicht für ein eigenanteilsfreies Versorgungsangebot, habe er eine Erklärung abzugeben, dass er mit der
Zahlung der Mehrkosten einverstanden sei. Diese seien vom Kläger zu tragen. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung
(MDK) sei um eine sozialmedizinische Beurteilung gebeten worden und habe in seiner Stellungnahme vom 16. Mai 2008 die Kostenübernahme
des Mehrpreises durch die Beklagte nicht empfohlen. Es liege keine medizinische Ausnahmesituation vor. Bei der beantragten
Ausstattung handele es sich um eine Optimalversorgung, die zwar wünschenswert jedoch keine Kassenleistung sei.
Der Kläger hat am 10. Oktober 2008 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe Anspruch
auf Versorgung mit geeigneten Hörgeräten. Die bei ihm vorliegende Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr, die an Taubheit grenze,
könne nur mit dem streitigen Hörgerät ausgeglichen werden. Insoweit hat sich der Kläger auf die schriftliche Stellungnahme
des Zeugen B für die Firma KIND Hörgeräte vom 2. Mai 2008 bezogen. Die ausprobierten Hörgeräte zum Festpreis hätten die entstehenden
Pfeifgeräusche nicht in adäquater Weise unterdrücken können. Er sei als technischer Verwaltungsangestellter beschäftigt und
im Bereich Öffentlichkeitsarbeit für die Pflege der Internet-Seite seines Unternehmens befasst. Außerdem sei er im Bereich
Technik und EDV-Anwendungen u.a. mit der Organisation und Administration der EDV und der bürotechnischen Anlagen betraut.
Hierbei sei es notwendig, dass er an Besprechungen teilnehme, Besucher empfange und berate sowie seine Kollegin in ihrer Arbeit
unterstütze. Außerdem habe er Schulungen durchzuführen, wobei seine telefonische Erreichbarkeit gewährleistet werden müsse.
Insoweit hat sich der Kläger auf die Bescheinigung seines Arbeitgebers, dem Förderzentrum MOBILE, vom 9. April 2009 gestützt.
Die Beklagte habe den beruflichen Aspekt ohne Weiteres erkennen können und hätte den Antrag auf Kostenübernahme über den Festbetrag
hinaus an den zuständigen Rentenversicherungsträger weiterleiten müssen. Dies habe sie unterlassen und sei deshalb als erstangegangener
Kostenträger auch insoweit zuständig. Außerdem sei höchstrichterlich mittlerweile entschieden, dass die Krankenkassen zum
Ausgleich der bei ihren Versicherten vorliegenden Hörbehinderungen unter Berücksichtigung der nach dem Stand der Medizintechnik
bestmöglichen Versorgung verpflichtet seien. Eine Beschränkung lediglich auf den Festbetrag sei unzulässig. Insoweit hat sich
der Kläger auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R - bezogen. Der Kläger hat die Rechnung der Firma KIND Hörgeräte vom 27. Dezember 2007 übersandt, aus der ein Restbetrag von
930,00 EUR hervorgeht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 8. Oktober 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2008
zu verurteilen, ihm die Kosten der Hörgeräteversorgung links mit dem Gerät Phonak eXtra 411 AZ Power über den geleisteten
Betrag hinaus zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, der Kläger sei in Abgrenzung zu dem von ihm zitierten Urteil des BSG nicht nahezu taub gewesen. Er sei im Rahmen der stationären Behandlung im Oktober 2007 zu ihren Lasten mit einem Cochlear
Implantat rechts versorgt worden. Die Kosten hierfür hätten sich auf 24.705,48 EUR belaufen. Außerdem habe sich der vor dem
BSG verhandelte Rechtsstreit auf einen Sachverhalt bezogen, bei dem die für das Land Baden-Württemberg im Jahre 2004 geltenden
Festbeträge maßgebend gewesen seien. Demgegenüber sei hier auf den zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker und dem
Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V geschlossenen Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen abzustellen, der ab
1. Februar 2007 gegolten habe. Nach § 3 Abs. 1 des Vertrages erhalte der Versicherte mindestens zwei eigenanteilsfreie Versorgungsangebote
mit analogen, digital programmierbaren oder volldigitalen Hörsystemen entsprechend dem festgestellten Hörverlust. Nach § 5
Abs. 1 würden grundsätzlich Hörsysteme abgegeben, die über eine DHI-Nummer verfügten und in das Hilfsmittelverzeichnis nach
§
128 SGB V aufgenommen worden seien. In §
6 Abs.
1 des Vertrages sei geregelt, dass die Versorgung des Versicherten (Auswahl und Lieferung des Hilfsmittels) zweckmäßig und
wirtschaftlich zu erfolgen habe. Qualität und Wirksamkeit hätten dem allgemeinen Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen
und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Die Bundesinnung für Hörgeräteakustiker habe ihre Mitglieder in zwei
Rundschreiben auf ihre Verpflichtung zur eigenanteilsfreien Versorgung hingewiesen. Wenn die Firma KIND Hörgeräte dem Kläger
nur solche Hörgeräte eigenanteilsfrei angeboten habe, mit denen er weder Kauen noch Lächeln konnte, ohne ein unerträgliches
Rückkopplungspfeifen zu provozieren, sei sie ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Besondere berufliche
Anforderungen an die Hörgeräteversorgung, die über die Anforderungen des Alltags hinausgingen, seien nicht erkennbar.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der Klinik für Hals-, Nasen-Ohrenheilheilkunde des UKSH, Campus Kiel vom 29. November
2007, 28. Oktober 2007, 28. August 2007, 11. Juli 2007 und 30. Oktober 2006 beigezogen und den Befundbericht des Facharztes
für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. L vom 9. Februar 2011 sowie die schriftliche Stellungnahme des Zeugen B vom 9. Juni 2011
eingeholt.
Daraufhin hat die Beklagte vorgebracht, der vom Zeugen B erwähnte telefonische fachärztliche Auftrag vom 18. Juli 2007 (richtig:
18. Januar 2007), den er selbst als ärztliche Verordnung betrachtet habe, sei für die Anwendbarkeit des Vertrages zur Komplettversorgung
mit Hörsystemen nicht maßgeblich, denn insoweit sei auf den Versorgungsbeginn abzustellen. Der Versorgungsantrag sei bei ihr
erst am 8. Oktober 2007 eingegangen. Im Übrigen habe auch der bis zum 31. Januar 2007 geltende Vertrag zur Komplettversorgung
mit Hörsystemen eine Verpflichtung des Leistungserbringers zur eigenanteilsfreien Versorgung mit den im jeweiligen Einzelfall
notwendigen Hörgeräten beinhaltet. Die Firma KIND Hörgeräte sei seit dem 1. Januar 2004 über den vdek-BIHA-Vertrag Vertragspartner
der Beklagten. Es sei darauf hinzuweisen, dass es so genannte Festbetragshörgeräte nicht gebe. Vielmehr sei es jedem Hörgeräteakustiker
selbst überlassen, welche Hörgeräte er im Rahmen der Versorgungspauschale abgebe. Die betriebswirtschaftliche Kalkulation
sei dabei hinsichtlich der Verpflichtung des Leistungserbringers zur Durchführung einer im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung
ausreichenden Versorgung unbeachtlich.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. März 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe
den Beschaffungsweg nicht eingehalten habe. Die Voraussetzungen des §
13 Abs.
3 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) seien nicht erfüllt. Danach sei ein Anspruch auf Kostenerstattung nur gegeben, wenn entweder eine unaufschiebbare Leistung
erbracht worden sei oder die Krankenkasse Leistungen zu Unrecht abgelehnt habe und dem Versicherten dadurch für eine selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden sind. Von einer unaufschiebbaren Leistung könne nicht ausgegangen werden, wenn sich - wie hier
- der gesamte Anpassungs- und Entscheidungsprozess ohnehin längere Zeit hingezogen habe. Hinsichtlich der zweiten Alternative
des §
13 Abs.
3 SGB V fehle es an der Kausalität zwischen der Ablehnungsentscheidung und der Kostenlast. Der Kläger sei bereits vor Erlass des
angefochtenen Bescheides eine zivilrechtlich bindende Verpflichtung zur Abnahme und Bezahlung des streitigen Hörgerätes gegenüber
der Firma KIND Hörgeräte eingegangen. Er habe am 28. August 2007 durch seine Unterschrift bestätigt, das Hörgerät erhalten
zu haben. Dass es sich dabei lediglich um eine probeweise Überlassung gehandelt habe, lasse sich den Unterlagen nicht entnehmen.
Der Kläger habe durch seine Unterschrift auf einem weiteren Formular zudem bestätigt, dass er sich für eine Versorgung mit
Eigenanteil entschieden habe und habe sich mit der Zahlung der Mehrkosten für das von ihm ausgewählte Hörsystem und der damit
verbundenen Folgekosten einverstanden erklärt. Er habe dieser Erklärung zwar eine handschriftliche Ergänzung bezüglich eines
Vorbehaltes gegenüber der Beklagten angefügt, die aber keinen Einfluss auf die gegenüber der Firma KIND eingegangenen Verpflichtung
habe. Das Gericht gehe auch davon aus, dass der Versorgungsantrag erst am 8. Oktober 2007 bei der Beklagten eingegangen sei.
Die Behauptung des Zeugen B , der Kläger habe bereits mit Schreiben vom 26. Januar 2007 sein Versorgungsbegehren gegenüber
der Beklagten geltend gemacht, finde in den Akten keine Stütze. Dies ändere auch nichts an der rechtlichen Bewertung, denn
jedenfalls sei die Selbstbeschaffung des streitigen Hörgerätes vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 8. Oktober
2007 erfolgt. Soweit der Kläger seinen Erstattungsanspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben stütze, habe er ebenfalls
den Beschaffungsweg nicht eingehalten. Die Erstattung selbstbeschaffter Rehabilitationsleistungen setze unabhängig davon,
ob die Beklagte wegen Nichtweiterleitung des Antrages gemäß §
14 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) an den zuständigen Rentenversicherungsträger selbst zuständig geworden ist, nach §
15 Abs.
1 SGB IX voraus, dass zuvor ein Antrag beim Leistungsträger gestellt werde und die Leistungsberechtigten gegenüber dem Leistungsträger
nach ausbleibender Entscheidung eine angemessene Frist zur Entscheidung gesetzt und dabei erklärt haben, dass sie sich nach
Ablauf der Frist die erforderliche Leistung selbst beschaffen.
Gegen das seinem früheren Prozessbevollmächtigten am 16. April 2012 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung,
die am 15. Mai 2012 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangen ist. Zur Begründung trägt er vor, das Sozialgericht
sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Beschaffungsweg von ihm nicht eingehalten worden sei. Er habe bereits im Januar
2007 gegenüber der Beklagten angezeigt, dass eine Neuversorgung mit Hörhilfen geplant sei und um Übernahme von eventuellen
Mehrkosten gebeten, die die Festbeträge übersteigen. Aufgrund der Verordnung vom 18. Januar 2007 und der üblichen Vorgehensweise
der Hörgeräteakustiker, die eine Versorgungsanzeige gegenüber der Krankenkasse abgeben, sei der Beklagten bekannt gewesen,
dass eine Neuversorgung mit Hörhilfen geplant sei. Dennoch habe sie es versäumt, ihn über den Verfahrensablauf, insbesondere
eines möglichen Kostenerstattungsanspruchs zu beraten. Die Beklagte hätte ihn darüber aufklären müssen, dass er - bevor er
sich zum Erwerb des streitgegenständlichen Hörgerätes entscheide - bei ihr einen entsprechenden Antrag stellen müsse. Andere
Krankenkassen informierten ihre Versicherten entsprechend. Aufgrund dieser Beratungspflichtverletzung bestehe ein sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch dergestalt, dass davon ausgegangen werden müsse, die formalen Voraussetzungen des §
13 SGB V seien eingehalten worden. Somit bestehe in Höhe der von ihm erbrachten Aufwendungen ein Schadenersatzanspruch gegenüber der
Beklagten. Hier sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte aufgrund des geschlossenen Vertrages zur Komplettversorgung
mit Hörsystemen der Hörgeräteakustiker als Leistungserbringer bediene. Diese handelten im Namen und in Vollmacht der Beklagten.
Deshalb habe die Aufklärung über den Beschaffungsweg auch durch den Hörgeräteakustiker zu erfolgen. Deren Fehlverhalten sei
der Beklagten zuzurechnen. Sowohl aus § 4 als auch aus § 5 des Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen ergebe sich,
dass der Kontakt zwischen dem Versicherten und der Krankenkasse lediglich über den Leistungserbringer erfolge. Dieser habe
eine Versorgungsanzeige gegenüber der Krankenkasse zu erstatten. Er erhalte nach Prüfung der leistungsrechtlichen Voraussetzungen
ein Bewilligungsschreiben der Krankenkasse. Die Versorgung könne abgerechnet werden, wenn die Hörgeräte nach der Anpassung
an den Versicherten ausgeliefert seien und der HNO-Arzt eine ausreichende Hörverbesserung und die Zweckmäßigkeit der Hörhilfe
bestätigt habe. Im Rahmen dieser Vorgehensweise obliege es den Krankenkassen mit Hilfe des Leistungserbringers den Versicherten
über seine möglichen Rechte und Pflichten hinsichtlich des Beschaffungsweges aufzuklären. Insoweit liege ein Systemversagen
vor, das der Beklagten zuzurechnen sei. Der Umstand, dass er - der Kläger - mit seiner Unterschrift erklärt habe, dass er
sich nach Information über das Angebot einer eigenanteilsfreien Versorgung für eine Versorgung mit einem privaten Eigenanteil
entschieden habe, stehe dem Anspruch auf Erstattung nicht entgegen, denn die Information sei unvollständig gewesen und könne
den Anspruch nicht ausschließen. Schließlich sei er nicht darüber aufgeklärt worden, dass er einen Anspruch gehabt habe, genau
die von ihm begehrten Hörgeräte, die die besten Messergebnisse erzielt hätten, eigenanteilsfrei zu erhalten. Er sei lediglich
dahingehend beraten worden, dass er die schlechteren Geräte eigenanteilsfrei erhalten könne. Diese Beratung sei fehlerhaft.
Sie entspreche nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach der Versicherte Anspruch auf Versorgung mit den Geräten
habe, die eine bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder gewährleiste. Das Fehlverhalten des Hörgeräteakustikers,
der als Hilfsmittellieferant im Lager der Krankenkasse stehe, müsse sich diese grundsätzlich zurechnen lassen. Insoweit stützt
sich der Kläger auf die Rechtsprechung des Sozialgerichts Oldenburg im Urteil vom 4. Juli 2012 - S 81 R 84/11 -. Seine Rechtsauffassung werde zudem durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - bestätigt, nach der sich die Krankenkasse nicht darauf berufen könne, dass bei ihr kein Antrag gestellt worden sei, wenn
sie sich der Pflicht zur Antragsentgegennahme durch Outsourcing der Hilfsmittelversorgung entziehe. Das ausgewählte Hörgerät
sei auch zur Versorgung notwendig gewesen. Insoweit verweist der Kläger auf sein erstinstanzliches Vorbringen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom
8. Oktober 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2008 zu verurteilen, ihm die den Festbetrag übersteigenden
Mehrkosten der Hörgeräteversorgung links mit dem Gerät Phonak eXtra 411 AZ Power in Höhe von 930,00 EUR zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert, die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R - finde hier keine Anwendung, da ausweislich der Einlassung des Zeugen B die HNO-Klinik des UKSH im Januar 2007 lediglich
telefonisch an den Hörgeräteakustiker herangetreten sei mit der Bitte, die vorhandene "Altversorgung" entsprechend der eingetretenen
Hörverschlechterung neu einzustellen. Dies könne nicht mit einem Antrag auf Neuversorgung verglichen werden. Eine persönliche
Anzeige des Klägers liege bei ihr nicht vor.
Daraufhin hat der Kläger das Schreiben vom 26. Januar 2007 übersandt.
Der Senat hat den Zeugen B zu den näheren Umständen der streitigen Hörgeräteversorgung im Jahr 2007 vernommen und den Kläger
persönlich gehört.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakten verwiesen.
Diese haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Der Beschwerdewert des §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG von 750,00 EUR ist überschritten. Der Kläger begehrt die Erstattung von 930,00 EUR.
Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Das Sozialgericht hätte die Klage nicht wegen der Nichteinhaltung des Beschaffungsweges
abweisen dürfen. Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung des von ihm geltend gemachten Eigenanteils für die durch den Festbetrag
nicht gedeckten Kosten der Hörgeräteversorgung mit dem Gerät Phonak eXtra 411 AZ Power in Höhe von 930,00 EUR. Das angefochtene
Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 27. März 2012 war daher aufzuheben und der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2007
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2008 abzuändern.
Rechtsgrundlage des hier geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs ist §
13 Abs.
3 Satz 1 2. Alt.
SGB V. Danach gilt: Hat die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte
Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entsprechenden Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig
war. Der Erstattungsanspruch reicht nicht weiter als ein entsprechender - primärer - Sachleistungsanspruch. Er setzt daher
voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder
Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R -, veröffentlicht in [...]). Der Anspruch ist daher gegeben, wenn die Krankenkasse die Erfüllung eines Naturalanspruchs rechtswidrig
abgelehnt und der Versicherte sich die Leistung selbstbeschafft hat, wenn weiterhin ein Ursachenzusammenhang zwischen Leistungsablehnung
und Selbstbeschaffung besteht, die selbstbeschaffte Leistung notwendig ist und die Selbstbeschaffung eine rechtlich wirksame
Kostenbelastung des Versicherten ausgelöst hat.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts scheitert der Kostenerstattungsanspruch insbesondere
nicht an der fehlenden Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung. Ansprüche nach §
13 Abs.
3 Satz 1 Fall 2
SGB V sind zwar nur gegeben, wenn die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und den Versicherten "dadurch" Kosten
für die selbstbeschaffte Leistung entstanden sind. Dazu muss die Kostenbelastung des Versicherten der ständigen Rechtsprechung
des BSG zufolge wesentlich auf der Leistungsversagung der Krankenkasse beruhen. Hieran fehlt es, wenn diese vor Inanspruchnahme der
Versorgung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst worden ist, obwohl dies möglich gewesen wäre oder wenn der Versicherte
auf eine bestimmte Versorgung von vornherein festgelegt war (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, a. a. O. m. w. N.). Das ist hier nicht der Fall.
Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werden auf Antrag erbracht, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen
Versicherungszweige nichts Abweichendes ergibt (§
19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IV -). Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst u. a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3 SGB V), und zwar nach Maßgabe des §
33 SGB V. Dieser Anspruch ist von der Krankenkasse grundsätzlich in Form einer Sachleistung (§
2 Abs.
2 Satz 1
SGB V) zu erbringen, wobei sie ihre Leistungspflicht gemäß §
12 Abs.
2 SGB V mit dem Festbetrag erfüllt, wenn für die Leistung ein Festbetrag festgesetzt ist (BSG, Urteil vom 6. September 2007 - B 3 KR 20/06 R -, veröffentlicht in [...]). Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften
des Vierten Kapitels des
SGB V Verträge mit den Leistungserbringern (§
2 Abs.
2 Satz 3
SGB V). Im vorliegenden Fall maßgeblich ist der zwischen der Bundesinnung der Hörgeräteakustiker (im Folgenden: BIHA) und dem Verband
der Angestellten-Krankenkassen e. V. und dem Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V. (im Folgenden: VdAK/AEV) für die Zeit ab
1. Februar 2007 geschlossene Vertrag zur Komplettversorgung mit Hörsystemen. Danach erfolgt die Abgabe von Hörhilfen auf der
Grundlage einer ärztlichen Verordnung oder einer Bewilligung der Ersatzkassen (§ 4 Nr. 1 Satz 1 des Vertrags). Unter der Überschrift
(Verfahren bei vorheriger ärztlicher Verordnung) ist u. a. Folgendes vereinbart worden: "Nach Vorlage der Verordnung durch
den Versicherten erstattet der Leistungserbringer eine Versorgungsanzeige (Anlage 3) gegenüber der leistungspflichtigen Ersatzkasse.
Sowohl das Verfahren bei vorheriger ärztlicher Verordnung als auch das Verfahren bei Bewilligungsschreiben ohne vorherige
ärztliche Verordnung sieht eine Versorgungsanzeige des Leistungserbringers an die Ersatzkasse, die die leistungsrechtlichen
Voraussetzungen prüft, vor. Die Versorgung kann abgerechnet werden, wenn die zur Versorgung geeigneten Hörhilfen nach der
Anpassung an den Versicherten ausgeliefert sind und der HNO-Arzt eine ausreichende Hörverbesserung und die Zweckmäßigkeit
der Hörhilfe bestätigt hat."
Der Senat kann offen lassen, ob der Kläger tatsächlich - wie von ihm behauptet - mit dem von ihm erstmals im Berufungsverfahren
vorgelegten Schreiben vom 26. Januar 2007 bereits selbst bei der Beklagten den Antrag gestellt hat, die Kosten der den Festbetrag
übersteigenden Hörgeräteversorgung zu übernehmen. Anhaltspunkte dafür, dass dieses Schreiben bei der Beklagten eingegangen
ist, sind der Verwaltungsakte nicht zu entnehmen. Dies wirkt sich jedoch nicht zu Lasten des Klägers aus, denn der Umstand,
dass es der Hörgeräteakustiker unterlassen hat, rechtzeitig eine Versorgungsanzeige des Klägers bei der Beklagten zu erstatten,
fällt in die Sphäre der Beklagten, die sich ihrer leistungsrechtlichen Verantwortung durch so genannte Verträge zur Komplettversorgung
nahezu vollständig entzogen und dem Leistungserbringer quasi die Entscheidung darüber überlassen hat, ob dem Versicherten
eine Leistung zu Teil wird. Damit hat die Beklagte ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Einzelfallprüfung nach §
33 SGB V nicht erfüllt und auch die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§
12 Abs.
1 und §
70 Abs.
1 Satz 2
SGB V) nicht befolgt. Sie verweigert sich letztendlich der Pflicht zur Antragsentgegennahme (§
16 Erstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB I -), wenn sie den Vorgang komplett in die Hände des Leistungserbringers gibt. Wenn der Leistungserbringer in diesem Fall seinen
sich aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Vertrag ergebenden Pflichten nicht nachkommt, kann die Beklagte dem Leistungserbringer
gegenüber vorgehen, sie kann sich jedoch nicht dem Versicherten gegenüber darauf berufen, es sei bei ihr kein Antrag gestellt
worden (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R -; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. November 2013 - L 4 KR 85/12 -, beide veröffentlicht in [...]).
Hier war der Kläger zwar vor der ablehnenden Entscheidung der Beklagten vom 8. Oktober 2007 bereits am 28. August 2007 endgültig
mit dem Hörgerät versorgt worden. Er hatte sich das Hörgerät selbst beschafft, indem er gegenüber der Firma KIND Hörgeräte
durch sein schriftliches Einverständnis mit der Zahlung der Mehrkosten ein unbedingtes Verpflichtungsgeschäft eingegangen
war. Dies schließt jedoch entgegen der Auffassung des Sozialgerichts den Kostenerstattungsanspruch nicht aus, denn die erforderliche
Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung ist nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
zu fingieren. Der Kläger wendet zu Recht ein, dass er auf das Erfordernis der Einhaltung des Beschaffungsweges durch den Hilfsmittelerbringer
nicht hingewiesen worden ist. Dieser Beratungsfehler des Hörgeräteakustikers ist der Beklagten auch zuzurechnen.
Der in §
13 Abs.
3 SGB V geregelte Anspruch auf Kostenerstattung stellt sich insbesondere bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht als abschließende
gesetzliche Regelung der auf dem Herstellungsgedanken beruhenden Kostenerstattungsansprüche im Krankenversicherungsrecht dar
(vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 2001 - B 3 KR 27/01 R -, veröffentlicht in [...]). Denn die Vorschrift trifft keine Regelung für den Fall, dass eine gebotene, aber unterbliebene
oder eine unzutreffende Beratung Ursache für eine kostenauslösende andersartige Leistungsbeschaffung durch den Versicherten
ist. Nur wenn der Beratungsfehler zugleich mit einer Leistungsablehnung verbunden ist, werden diese Fälle über die zweite
Alternative des §
13 Abs.
3 SGB V erfasst. Ansonsten steht weiterhin trotz der Regelung des §
13 Abs.
3 SGB V der sozialrechtliche Herstellungsanspruch offen. Der entgegenstehenden Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 2. November 2007 - B 1 KR 14/07 R - vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Zwar führt der 1. Senat in seiner Entscheidung aus, er habe sich mit dem 3.
Senat des BSG abgestimmt, dass §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V eine abschließende Kostenerstattungsregelung über die Ersetzung von Naturalleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
darstelle. Soweit sich der 3. Senat in dem zitierten Urteil vom 30. Oktober 2001 darauf berufen habe, dass der Herstellungsanspruch
auch auf Kostenerstattung gerichtet sein könne, bestehe keine Divergenz, weil er auf die BSG-Rechtsprechung zur Zeit der Geltung der
Reichsversicherungsordnung verwiesen habe. Der Gesetzgeber habe den seinerzeit durch die Rechtsprechung konzipierten Kostenerstattungsanspruch indessen
nunmehr selbst in §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V abschließend normiert. Die Ausführungen zur fehlenden Divergenz sind vor dem Hintergrund der vom 3. Senat im Urteil vom 30.
Oktober 2001 gegebenen Begründung allerdings nicht nachvollziehbar. Schließlich führt dieser wörtlich aus: " Die Kostenerstattung
nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ist nicht durch die gesetzliche Kostenerstattungsregelung
des §
13 Abs.
3 SGB V ausgeschlossen. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung galt bis zum 31. Dezember 1988, also in der Zeit vor dem
Inkrafttreten des
SGB V, nach gefestigter Rechtsprechung der Grundsatz, dass die prinzipiell nur zu Sachleistungen verpflichteten Krankenkassen den
Versicherten Aufwendungen zu erstatten haben, wenn dies ausdrücklich krankenversicherungsrechtlich so geregelt war (vgl. §
185 Abs. 3
RVO: Selbstbeschaffte Krankenpflegeperson; § 185b Abs. 2
RVO: Selbstbeschaffte Ersatzkraft; § 368d Abs. 1 Satz 2
RVO: Notfallbehandlung) oder wenn die Kassen nach den durch §
131 Abs.
1 Satz 1
SGG anerkannten Grundsätzen zur Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes oder zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands verpflichtet
waren (BSGE 53, 273 = SozR 2200 § 182 Nr. 82 m. w. N.; BSG SozR 2200 § 182 Nr. 86). Dies war grundsätzlich der Fall, wenn eine Kasse sich zu Unrecht geweigert hatte, die begehrte Sachleistung zu erbringen
(BSGE 35, 10, 14) oder wenn sie den Versicherten nicht so aufgeklärt und beraten hatte, dass er mit einem sachgerechten Verhalten die
angemessene Sachleistung ausgelöst hat (BSG SozR 2200 § 182 Nr. 57). Diese Rechtsprechung wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des
SGB V durch das Gesundheitsreformgesetz (GRG) vom 20. Dezember 1988 (Bundesgesetzblatt I Seite 2477) in Gesetzesform übernehmen, was ihm mit §
13 Abs.
3 SGB V zwar weitgehend aber nicht vollständig gelungen ist. Die Vorschrift regelt - insoweit auch abschließend (BSGE 79, 125 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11) - die Kostenerstattung bei Selbstbeschaffung unaufschiebbarer Leistungen (Eil- und Notfälle) sowie
im Falle rechtswidriger Leistungsablehnung, trifft aber keine Regelung für den Fall, dass eine gebotene, aber unterbliebene
oder eine unzutreffende Beratung Ursache für eine kostenauslösende andersartige Leistungsbeschaffung durch den Versicherten
ist. Nur wenn der Beratungsfehler zugleich mit einer Leistungsablehnung verbunden ist, werden diese Fälle über die zweite
Alternative des §
13 Abs.
3 SGB V erfasst. Ansonsten steht weiterhin, trotz der Regelung des §
13 Abs.
3 SGB V, der sozialrechtliche Herstellungsanspruch offen (so auch Höfler in Kassler Komm, sozialversicherungsrecht, Stand: August
2001, §
13 SGB V Rdnr 6, 8, 11; Abgrenzung zu BSGE 79, 125 - SozR 3-2500 § 13 Nr. 11). Es gibt keinen Anhaltspunkt für die Annahme, der Gesetzgeber habe die Kostenerstattungsansprüche
bei Beratungsmängeln im Bereich der Krankenversicherung entweder ganz ausschließen wollen, soweit sie nicht von §
13 Abs.
3 SGB V erfasst werden, oder aber die Versicherten insoweit auf vor den Zivilgerichten geltend zu machende Amtshaftungsansprüche
(§
839 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)) verweisen wollen. Der Gesetzgeber hat lediglich die gesamte Bandbreite sozialrechtlicher Herstellungsansprüche im Bereich
der Krankenversicherung nicht vollständig erfasst und gesetzestechnisch umgesetzt."
Daraus folgt, dass der Verweis des 3. Senats auf die BSG-Rechtsprechung zur Zeit der Geltung der
Reichsversicherungsordnung nur dazu diente, die lückenhafte gesetzestechnische Umsetzung von Kostenerstattungsansprüchen bei Beratungsmängeln durch
das
SGB V darzustellen und das Bedürfnis nach der Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Fallgestaltungen der
hier vorliegenden Art zu unterstreichen. Dieser Rechtsauffassung ist auch zu folgen. Andernfalls käme es in Fällen, in denen
der Beratungsfehler nicht zugleich mit der Leistungsablehnung verbunden, aber kausal dafür ist, dass der Beschaffungsweg nicht
eingehalten wird, zu unannehmbaren Wertungswidersprüchen. Schließlich kann die fehlende Kausalität zwischen Kostenbelastung
des Versicherten und Leistungsversagung der Krankenkasse nur nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
überwunden werden.
Hier hätte es dem versorgenden Hörgeräteakustiker als Hilfsmittellieferant oblegen, den Kläger über die Notwendigkeit der
Einhaltung des Beschaffungsweges umfassend aufzuklären. Das hat der Zeuge B unterlassen, weil ihm nach seiner glaubhaften
Einlassung in der mündlichen Verhandlung die Problematik der erforderlichen Kausalität zwischen Kostenbelastung des Versicherten
und Leistungsversagung überhaupt nicht bewusst war, zumal sich die Krankenkassen - wie auch hier zunächst die Beklagte - in
der Vergangenheit in vergleichbaren Fällen darauf nicht berufen hatten. Er hat zwar gemeinsam mit dem Kläger überlegt, wie
die Versorgung unter Verwendung der vorgegebenen Formulare zum Abschluss gebracht und von der Firma KIND Hörgeräte mit der
Beklagten abgerechnet werden kann, ohne den Anspruch des Klägers auf Erstattung der den Festbetrag übersteigenden Kosten der
Hörgeräteversorgung zu gefährden. Diese Überlegungen richteten sich jedoch allein darauf, den Eindruck einer Verzichtserklärung
des Klägers gegenüber der Beklagten zu vermeiden und führten deshalb zu dessen handschriftlichen Zusatz, dass die Erklärung
zu Mehrkosten nur gegenüber der Firma KIND gelte und insbesondere keine Forderungen ausschließe, die er gegenüber der Beklagten
geltend machen möchte.
Der Beratungsfehler des Hörgeräteakustikers ist der Beklagten auch zuzurechnen. Wer sich seiner leistungsrechtlichen Verantwortung
durch den Abschluss eines Vertrages zur Komplettversorgung mit Hörsystemen nahezu vollständig entzieht und dem Leistungserbringer
vom Beginn bis zum Abschluss der Versorgung die gesamte Betreuung des Versicherten überlässt, erfüllt weder seine Pflicht
zur ordnungsgemäßen Einzelfallprüfung nach §
33 SGB V noch seine Aufklärungs- und Beratungspflichten nach §§
13 ff.
SGB I. Wer sich bereits der Pflicht zur Antragsentgegennahme verweigert, kann sich nicht darauf berufen, es habe sich kein konkreter
Anlass zur Beratung im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens ergeben. Hierauf hat sich die Beklagte zunächst auch selbst nicht
gestützt. Denn dann wäre es konsequent gewesen, die Hilfsmittelbewilligung insgesamt wegen einer Vertragsverletzung des Hörgeräteakustikers
und Nichteinhaltung des Beschaffungsweges abzulehnen. Schließlich hat die Firma KIND Hörgeräte die Versorgung des Klägers
erstmals mit dem Abschlussbericht angezeigt und somit das im BIHA-Vertrag vorgesehene Procedere nicht eingehalten. Stattdessen
hat die Beklagte aber die Pauschale von 638,40 EUR übernommen und sich hinsichtlich der Mehrkosten auf eine von ihr nicht
zu leistende Optimalversorgung berufen.
Insoweit wendet der Kläger aber zu Recht ein, dass ihm geeignete eigenanteilsfreie Versorgungsvorschläge entgegen der von
ihm unterzeichneten Mehrkostenerklärung und der Erklärung des Hörgeräteakustikers im Abschlussbericht zur Hörsystemversorgung
vom 28. August 2007 nicht unterbreitet worden sind. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Senats
fest, dass sämtliche Geräte, die die Firma KIND Hörgeräte zum Festpreis abgegeben hätte, das von der HNO-Klinik des UKSH vorgegebene
Versorgungsziel, eine Verbesserung des Hörvermögens gegenüber der bisherigen Versorgung zu erreichen und somit ein CI-Implantat
zu vermeiden, bereits aufgrund der mangelnden Regeltiefen und der auftretenden Rückkopplungsgeräusche nicht gewährleisten
konnten. Der Senat hat keinen Anlass, den Wahrheitsgehalt der insoweit übereinstimmenden Aussagen des Klägers und des Zeugen
B zu bezweifeln. Entsprechende Einwände sind auch von der Beklagten nicht vorgebracht worden. Sie stützt ihre Argumentation
im Wesentlichen darauf, dass es sogenannte "Festbetragshörgeräte" nicht gebe, sondern es dem jeweiligen Hörgeräteakustiker
obliege zu entscheiden, welche Hörgeräte er zu den vereinbarten Festbeträgen abgebe. Letztlich sei es sein wirtschaftliches
Risiko, wenn er Versicherte mit starkem Hörverlust zu versorgen habe und günstigere Geräte für einen angemessenen Ausgleich
des Hörverlusts nicht geeignet seien. Dabei verkennt die Beklagte jedoch, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
BSG im Urteil vom 17. Dezember 2009 - B 3 KR 20/08 R -, veröffentlicht in [...] -, der sich der erkennende Senat uneingeschränkt anschließt, auch GKV-Versicherte Anspruch auf
die Hörgeräteversorgung haben, die eine nach dem Stand der Medizintechnik bestmögliche Angleichung an das Hörvermögen Gesunder
erlaubt, soweit dies im Alltagsleben einen erheblichen Gebrauchsvorteil bietet. Die Festbetragsregelung ermächtigt als Ausprägung
des Wirtschaftlichkeitsgebots zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung, nicht aber
zu Einschränkungen des GKV-Leistungskatalogs; kann mit einem Festbetrag die nach dem GKV-Leistungsstandard gebotene Versorgung
durch Festbeträge nicht zumutbar gewährleistet werden, bleibt die Krankenkasse weiterhin zur Sachleistung verpflichtet.
Im Falle des Klägers konnten - auch im Alltagsleben - unzumutbare Rückkopplungsgeräusche beim Lächeln und Kauen durch kostengünstigere
Hörgeräte als das von ihm gewählte nach der glaubhaften Aussage des Zeugen B nicht vermieden werden. Deshalb kommt es nicht
darauf an, ob die erfolgte Versorgung zugleich einen beruflichen Gebrauchsvorteil bot. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung
durch Sachverständigenbeweis ist dem Senat verwehrt, weil die Messergebnisse der ausprobierten günstigeren Geräte nicht gespeichert
wurden und somit ein Vergleich der Hörkurven ausscheidet, weil diese im Nachhinein nicht mehr reproduzierbar sind. Die Beweislast
für eine kostengünstigere Versorgungsmöglichkeit gleicher Qualität trägt die Beklagte. Der Kläger hatte mithin, wovon auch
das Sozialgericht zutreffend ausgeht, einen Sachanspruch auf das streitgegenständliche Hörgerät.
Der Kläger hat auch durch Vorlage der Rechnung der Firma KIND Hörgeräte vom 27. Dezember 2007 belegt, dass ihm eine Kostenbelastung
von 930,00 EUR entstanden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat im Hinblick darauf, dass er von einer Divergenz des 1. und des 3. Senats des BSG im Hinblick auf die Anwendbarkeit des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Rahmen der gesetzlichen Kostenerstattungsregelung
des §
13 Abs.
3 SGB V ausgeht, die Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG zugelassen. Außerdem wird der Rechtssache im Hinblick auf die hier entscheidende Rechtsfrage, ob ein Beratungsfehler des
Leistungserbringers über den einzuhaltenden Beschaffungsweg der Krankenkasse zuzurechnen ist, grundsätzliche Bedeutung nach
§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugemessen.