Nichtigkeit der Rückübertragung übergegangener Unterhaltsansprüche
1. Sind gesetzliche Unterhaltsansprüche nach § 91 Abs. 1 BSHG auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen, kann der Unterhaltsberechtigte diese nicht mehr selbst einklagen. Dem steht
nicht entgegen, daß die für den Träger der Sozialhilfe handelnde Stadt die gesetzlichen Unterhaltsansprüche auf die Unterhaltsberechtigte
zurückübertragen hat, weil eine derartige Rückübertragung nichtig ist. Hierfür spricht, daß die gesetzlichen Vorschriften
über den Forderungsübergang auch den Schutz des Hilfebedürftigen bezwecken. Allein das Prozeßrisiko stellt bereits einen Nachteil
für den Hilfebedürftigen dar.
2. Jegliche Vereinbarung mit dem Hilfeempfänger mit dem Inhalt, daß er auf eigenes Prozeßrisiko aber auf Rechnung des Trägers
der Sozialhilfe die Unterhaltsansprüche einklagen soll ist nach § 31 Abs. 1 SGB I unwirksam.
3. Aus den gleichen Gründen liegt auch eine Unwirksamkeit nach § 32 SGB I vor.
4. Eine Umdeutung in eine gewillkürte Prozeßstandschaft scheidet schon deshalb aus, weil es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse
des Hilfeempfängers fehlt.
Tatbestand:
Nach der teilweisen Berufungsrücknahme streiten die Parteien, getrenntlebende Eheleute, nur noch um einen Unterhaltsanspruch
der Klägerin aufgrund einer Vereinbarung der Parteien vom 16. August 1994 in Höhe von monatlich DM 743,58 für die Zeit vom
1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995.
In dieser Zeit hat die Stadt Braunschweig der Klägerin monatlich im Voraus einen jeweils höheren Betrag Sozialhilfe gezahlt
und mit Schreiben vom 24. Januar 1995 der Klägerin erklärt, dass die gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) übergegangenen Unterhaltsansprüche gegen den Beklagten auf die Klägerin mit der Maßgabe zurückübertragen würden, dass sie
ihre Ansprüche unverzüglich gerichtlich durchsetze und zu diesem Zweck einen Rechtsanwalt beauftrage.
Die Klage ist rechtshängig seit dem 6. Januar 1995.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Braunschweig hat der Klage, die im ersten Rechtszuge die Zeit ab 1. September 1994 umfasst
hat, in vollem Umfange stattgegeben.
Der Beklagte hat form- und fristgerecht Berufung eingelegt und die Berufungsbegründung eingereicht. In der Berufungsverhandlung
vom 28. Juli 1995 hat er die Berufung außer für die Zeit vom 1. Oktober 1994 bis zum 31. Januar 1995 zurückgenommen.
Im Hinblick auf die der Klägerin gewährten Sozialhilfeleistungen hält er sie für nicht aktivlegitimiert, für den Zeitraum,
der noch streitig ist, Trennungsunterhalt von ihm zu verlangen.
Er beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage, soweit sie die Zeit vom 01.10.1994 bis zum 31.01.1995 betrifft, abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen aller weiteren Einzelheiten wird auf die vorgetragenen Schriftsätze der Parteien nebst allen Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist, soweit sie aufrechterhalten worden ist, zulässig und begründet.
Die Klägerin ist nicht berechtigt, die noch streitbefangenen Trennungsunterhaltsansprüche selbst einzuklagen, da diese Ansprüche
aufgrund der gewährten Sozialhilfeleistungen gemäß § 91 Abs. 1
BSHG auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sind. Dem steht nicht entgegen, dass die für den Sozialhilfeträger handelnde
Stadt Braunschweig mit Schreiben vom 24.01.1995 die Unterhaltsansprüche auf die Klägerin hat zurückübertragen wollen. Der
Senat hält die Ruckübertragungserklärung für nichtig. Die vom Bundesgerichtshof im Urteil vom 16. März 1994 (NJW 1994, 1733 f.) für eine vergleichbare Fallgestaltung zu §§ 90 f. BSHG a.F. angestellten Erwägungen sind auf die im Jahre 1993 erfolgte Neufassung dieser Bestimmung übertragbar. Danach ist jegliche
Vereinbarung mit einem Hilfeempfänger mit dem Inhalt, dass er auf eigenes Prozessrisiko aber auf Rechnung des Trägers der
Sozialhilfe die Unterhaltsansprüche einklagen darf und soll, wegen Verstoßes gegen §§ 31 f. SGB I unzulässig. § 31
SGB I bestimmt einen Gesetzesvorbehalt für die Begründung, Feststellung, Änderung oder Aufhebung von Rechten
und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen. § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG betrifft Rechte in einem Sozialleistungsbereich. Die in dieser Vorschrift enthaltene Zuordnung von Unterhaltsansprüchen zum
Träger der Sozialhilfe als Inhaber dieser Ansprüche kann ohne gesetzliche Grundlage nicht geändert werden. Es entspricht höchstrichterlicher
Rechtsprechung, dass der Gesetzgeber im Bereich der öffentlichen Versorgungsansprüche Regelungen getroffen hat, die nicht
nur beugen, unter welchen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch auf bestimmte Versorgungsleistungen begeht, sondern auch, ob
und unter welchen Bedingungen ein Rückgriff gegen Dritte erfolgen kann, die gleichgerichtete Leistungen nach bürgerlichern
Recht zu erbringen haben. Die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen, zu denen die §§ 90 f. BSHG gehören, sind Teil einer Gesamtregelung, die Rechte und Pflichten in Sozialleistungsbereichen betrifft. Hierfür spricht u.a.,
dass die gesetzlichen Regelungen über einen Forderungsübergang nicht nur dem Schutz des Trägers der Versorgungsleistung, sondern
auch dem Schutz des Hilfeempfängers dienen. Deshalb sind die zur Ausführung dieser Bestimmungen berufenen Verwaltungsbehörden
nicht berechtigt anderweitige Erstattungsmöglichkeiten, sei es nach allgemeinen Regeln des Verwaltungsrechts, sei es im Wege
einer bürgerlich-rechtlichen Abtretung zu suchen (vgl. BGH, NJW 1988, 819 f.; BVerwG, VwRspr. 28, 540 f.).
Die beabsichtigte "Rückabtretung" ist aber auch gemäß § 32
SGB I nichtig. Denn sie stellt eine privatrechtliche Vereinbarung dar, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten
von den Vorschriften des SGB abweicht. Diese nachteilige Abweichung liegt schon darin, dass mit der Abtretungsvereinbarung
die Verpflichtung zur Prozessführung und damit die Aufbürdung des unmittelbaren Prozesskostenrisikos verbunden ist. Ferner
muss die beabsichtigte Abtretung, da die Klägerin ja statt des Unterhalts Sozialhilfe erhalten hat, dahin verstanden werden,
dass die Klägerin verpflichtet werden sollte, den Rechtsstreit auf Rechnung des Sozialhilfeträgers zu führen. Auch insoweit
sollten der Klägerin Pflichten auferlegt werden, so dass Nachteile i.S. des § 32
SGB I entstanden waren. Dass die "Rückabtretung" der Klägerin möglicherweise auch Vorteile hätte bringen können,
ändert hieran nichts (vgl. Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht/Seewald, Bd. I, § 32 SGB 1 Rdn. 4, 6 m.w.N.). Auftrag
zur Prozessführung und "Rückabtretung" stellen ein einheitliches Rechtsgeschäft i.S. des §
139
BGB dar, so dass Nichtigkeit des Auftrags Nichtigkeit auch der Abtretung nach sich zieht.
Eine Umdeutung der Abtretung in eine bloße Ermächtigung zur Prozessführung im eigenen Namen scheidet schon deshalb aus, weil
es an einem schutzwürdigen Eigeninteresse der Klägerin fehlt. Ein solches ist nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung
Voraussetzung für die gewillkürte Prozessstandschaft (vgl. Zöller/Vollkommer,
ZPO, 19. Aufl. 1995, vor §
50 Rdn. 44 m.w.N.). Im Übrigen dürften die Nichtigkeitsgründe der §§ 31 und 32
SGB I auch für eine solche Ermächtigung gelten.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil diese Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, §
546 Abs.
1 Nr.
1
ZPO. Dem § 91
BSHG entgegenlaufende Abtretungen sind vielerorts die gängige Praxis (vgl. Brüggemann, Kann die öffentliche Hand einen aufgrund
Leistungsgewährung für ein minderjähriges Kind übergegangenen Unterhaltsanspruch auf das Kind zur Geltendmachung zurückübertragen?,
DAVorm 1995, 138 f.). Die Wirksamkeit haben in letzter Zeit bejaht OLG Stuttgart, FamRZ 1994, 384; OLG Düsseldorf, FamRZ 1994, 970; OLG Hamm, FamRZ 1995, 626; OLG Frankfurt/M., FamRZ 1995, 622; verneint jedoch OLG Hamburg, DAVorm 1994, 631 und OLG München, FamRZ 1995, 625.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1,
97 Abs.
1,
515 Abs.
3
ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Sicherheitsleistungen beruht auf den §§
708 Nr. 10 und
711
ZPO.