Versorgung nach dem OEG
Grundsatzrüge
Genügen der Darlegungspflicht
Rüge einer vermeintlich fehlerhaften Beweiswürdigung
1. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist.
2. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus
Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt.
3. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage,
(2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3.) ihre (konkrete) KIärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung.
4. Mit der Kritisierung der Beweiswürdigung des LSG kann von vornherein keine Revisionszulassung erreichen werden.
Gründe:
I
Mit Urteil vom 27.1.2017 hat das LSG einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Versorgung nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz wegen eines mutmaßlichen Alkoholkonsums seiner Mutter während der Schwangerschaft verneint, weil nicht nachgewiesen sei,
dass die Mutter des Klägers während der Schwangerschaft Alkohol konsumiert habe. Selbst bei Unterstellung eines Alkoholkonsums
der Mutter während der Schwangerschaft mit dem Kläger liege kein vorsätzlich, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von §
1 OEG vor, weil eine strafbare Körperverletzung der Mutter gegenüber dem ungeborenen Kind grundsätzlich ausscheide und auch ein
versuchter Schwangerschaftsabbruch nicht nachgewiesen sei. Selbst wenn im Rahmen des
OEG ein auf die unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Opfers, nicht aber auf den entstandenen Körperschaden gerichteter
Vorsatz ausreichend sei, so sei auch ein solcher nicht bewiesen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt und diese mit dem Bestehen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), einer Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) sowie mit dem Vorliegen eines Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) begründet.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Keiner
der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden (§
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher
anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben,
welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder
Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht
zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1.) eine bestimmte Rechtsfrage, (2.) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
(3.) ihre (konkrete) KIärungsfähigkeit sowie (4.) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten
Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger hält es sinngemäß für eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob der Anspruch aus §
1 OEG für die durch Alkohol schwerstgeschädigten Kinder auch erfüllt ist, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass die Kindesmutter
durch Alkoholkonsum während der Schwangerschaft die Schäden des Kindes mit feindseliger Willensrichtung billigend in Kauf
genommen hat. Ob der Kläger damit eine Rechtsfrage hinreichend bezeichnet hat, die auf die Auslegung eines gesetzlichen Tatbestandsmerkmals
abzielt (vgl hierzu Becker, SGb 2007, 261, 265 zu Fußnote 42 mwN), kann hier dahinstehen. Er hat bereits die höchstrichterliche Klärungsbedürftigkeit dieser von ihm
aufgestellten Frage nicht dargetan. Es fehlt insbesondere neben der Auseinandersetzung mit der gesetzlichen Bestimmung des
§
1 OEG die erforderliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG hierzu, um zu begründen, dass sich daraus nicht bereits hinreichende Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage ergäben
(vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2).
Unabhängig davon hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit seiner vermeintlichen Rechtsfrage nicht dargelegt, da
das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung neben der Frage, ob die Mutter während der Schwangerschaft in feindseliger Willensrichtung
evtl Alkohol getrunken haben könnte, bereits den Alkoholkonsum der Mutter des Klägers während der Schwangerschaft nicht als
nachgewiesen festgestellt hat. Tatsächlich kritisiert der Kläger die Beweiswürdigung des LSG (vgl §
128 Abs
1 S 1
SGG), womit er nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG von vornherein keine Revisionszulassung erreichen kann. Entsprechendes gilt, soweit der Kläger eine unzureichende Rechtsanwendung
des LSG rügen wollte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).
2. Der Kläger legt auch die für eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) notwendigen Voraussetzungen nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz entsprechend
den gesetzlichen Anforderungen darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts
einerseits und in der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen (vgl BSG Beschluss vom 28.7.2009 - B 1 KR 31/09 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 28.6.2010 - B 1 KR 26/10 B - RdNr 4; BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich
das Recht fehlerhaft angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN).
Die Erfüllung dieser Voraussetzungen hat die Beschwerde nicht dargelegt. Zwar kritisiert sie, dass das angefochtene Urteil
sich nicht mit dem Inhalt der Entscheidung des BSG vom 16.4.2002 (B 9 VG 1/01 R, in BSGE 89, 199 = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 = NJW 2002, 3123) auseinandersetze. Die Beschwerde legt aber bereits keinen konkreten Rechtssatz aus der Entscheidung des Berufungsgerichts
dar und stellt diesem auch keinen abweichenden Rechtssatz des BSG gegenüber, von dem das LSG bewusst habe abweichen wollen. Soweit die Beschwerdebegründung also rügt, das LSG habe die vorgenannte
Rechtsprechung des BSG nicht berücksichtigt, rügt sie allerdings die unrichtige Anwendung des §
1 OEG. Wie oben ausgeführt, sind die behaupteten Fehler der Rechtsanwendung für sich allein jedoch kein Zulassungsgrund. Tatsächlich
hat sich das LSG in seiner angefochtenen Entscheidung auch auf die Rechtsprechung des BSG gestützt (s S 7 ff des Urteils).
3. Der Kläger bezeichnet auch einen Verfahrensfehler (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die
angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller
Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, das also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 §
160a Nr 14, 36). Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
Die Beschwerdebegründung behauptet ausschließlich einen übergangenen Beweisantrag und rügt somit einen vermeintlichen Aufklärungsmangel
(§
103 SGG). Der Kläger habe ausdrücklich auf die Richtigkeit der diagnostischen Feststellungen des Prof. Dr. S. zum FAS-Syndrom hingewiesen
und hilfsweise dessen nochmalige Vernehmung beantragt. Dem sei die untere Instanz nicht nachgekommen, sondern habe vielmehr
durch rhetorische Kunstgriffe versucht, die entsprechende Tatsachenfeststellung bzw Tatsachenkorrektur zu umgehen. Zudem sei
die gesamte Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil fehlerhaft. Die Beschwerde behauptet jedoch nicht einmal, einen Beweisantrag
vor dem LSG gestellt und bis zuletzt aufrechterhalten zu haben. Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren eine
Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz unmittelbar vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht
von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Wird ein Beweisantrag in einem vorbereiteten Schriftsatz gestellt,
so ist er dann nicht iS des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG übergangen worden, wenn den näheren Umständen zu entnehmen ist, dass er in der maßgeblichen mündlichen Verhandlung nicht
weiter verfolgt wurde. Dies ist bei rechtskundig vertretenen Beteiligten - wie dem Kläger - regelmäßig anzunehmen, wenn in
der letzten mündlichen Verhandlung nur noch ein Sachantrag gestellt und der Beweisantrag nicht wenigstens hilfsweise wiederholt
wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN). Hierzu hat der Kläger nichts vorgetragen.
4. Von einer weitergehenden Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.