Herabsetzung eines Grades der Behinderung
Bestimmtheitsgebot des Absenkungsbescheides
Zeitpunkt des Wirksamwerdens
Tatbestand:
Der Kläger wehrt sich gegen die Herabsetzung des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB).
Infolge einer Krebserkrankung hatte der Beklagte mit Bescheid vom 5. September 2005 beim Kläger einen GdB von 80 festgestellt
und dem die Funktionsbeeinträchtigung "Magenerkrankung, Verlust des Magens" zugrunde gelegt. Hierbei kündigte er eine Nachprüfung
wegen zu erwartender Heilungsbewährung für den Mai 2009 an und befristete die Gültigkeit des dem Kläger auszustellenden Schwerbehinderten-Ausweises
bis November 2009.
Mit Schreiben vom 24. Februar 2010 teilte der Beklagte dem Kläger mit, nach den durchgeführten Ermittlungen seien Rückfälle
nicht aufgetreten und der Gesundheitszustand habe sich insoweit stabilisiert. Die für die Dauer der Heilungsbewährung zusätzlich
bewerteten Umstände beeinflussten den GdB daher nicht mehr und es sei eine Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen
eingetreten. Er beabsichtige daher, den Bescheid vom 5. September 2005 "entsprechend aufzuheben" und durch einen neuen Bescheid
zu ersetzen, durch den der GdB auf 30 gesenkt werde.
Mit Bescheid vom 27. August 2010 stellte der Beklagte fest, der GdB betrage 30 und verfügte zugleich, der Bescheid vom 5.
September 2005 werde entsprechend aufgehoben. Zur Begründung führte er aus, es habe eine Zeit der Heilungsbewährung abgewartet
werden müssen, für die der GdB höher angesetzt worden sei. Unterdessen werde der GdB für die Gesundheitsstörung nur noch von
dem verbliebenen Organ- oder Gliedmaßenschaden bzw. von der verbliebenen Leistungsbeeinträchtigung bestimmt. Einen dem Datum
nach oder sonst näher umschriebenen Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Entscheidung nannte der Beklagte in seinem Bescheid
nicht.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2011 zurück, benannte
allerdings auch im Widerspruchsbescheid keinen näher umschriebenen Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Absenkungsentscheidung.
Zur Begründung zitierte er § 48 SGB X dahingehend, dass ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben sei, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Mit der am 8. März 2011 erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Absenkung des GdB gewährt, soweit dieser auf einen Wert
unter 50 herabgesetzt wurde. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage mit Bescheid vom 29. April 2014 abgewiesen und zur Begründung
ausgeführt, beim Kläger habe im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung kein höherer GdB als 30 festgestellt
werden können. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Sein Antrag im Berufungsverfahren entspricht
sinngemäß dem Tenor des vorliegenden Urteils.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter anstelle
des Senates einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges des
Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung in der Besetzung durch den Berichterstatter über die Berufung entscheiden, weil
sich die Beteiligten mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, §§
153 Abs.
1,
155 Abs.
2 und Abs.
3, §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht Potsdam hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der angefochtene
Bescheid des Beklagten vom 27. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2011 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben, soweit er mit der Klage angefochten ist.
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X), wonach ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen
Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben ist. Hierbei sind
die zum Zeitpunkt der Aufhebung bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung
vorhanden gewesen sind, zu vergleichen.
Es kann hier offen bleiben, ob die im Zeitpunkt des ursprünglichen Bescheides vom 5. September 2005 bestehenden Verhältnisse
sich bis zur letzten Behördenentscheidung im Februar 2011 wesentlich verändert haben, denn der Teil-Aufhebungsbescheid vom
27. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Februar 2011 verstößt gegen § 33 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitsgebot bezieht sich insbesondere
auf den Verfügungssatz des Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 6. Februar 2007 - B 8 KN 3/06 R -, juris, Randnummer 38). Aus dem Verfügungssatz muss für den Betroffenen vollständig, klar und unzweideutig erkennbar sein,
was die Behörde will, wobei zur Auslegung des Verfügungssatzes auch die Begründung des Verwaltungsaktes herangezogen werden
kann. Ein Aufhebungsbescheid muss danach den Adressaten, den Zeitraum der Aufhebung und den konkreten Umfang der Aufhebung
erkennen lassen (vgl. Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, Randnummer 8 zu § 33 SGB X m. w. N.).
Diesen Anforderungen wird die Entscheidung des Beklagten vom 27. August 2010 nicht gerecht. Weder der Ausgangsbescheid noch
der Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2011 nennen konkret den Zeitpunkt, von dem an die Teil-Aufhebung des Zuerkennungsbescheides
vom 5. September 2005 wirksam sein soll. Zwar ist es unschädlich, wenn der Regelungsgehalt des Verfügungssatzes erst durch
Auslegung ermittelt werden muss, beispielsweise anhand der Begründung des Verwaltungsakts, doch ist bei einer derartigen Auslegung
abzustellen auf die Erkenntnismöglichkeit eines verständigen, objektiven Erklärungsempfängers (BSG, Urteil vom 10. Juli 2012, B 13 R 85/11 R, juris, Randnummer 25 m. w. N.). Ein Verwaltungsakt ist danach hinreichend bestimmt, wenn für den verständigen Beteiligten
der Wille der Behörde unzweideutig erkennbar wird und eine unterschiedliche subjektive Bewertung nicht möglich ist. An diesen
Maßstäben gemessen ist der angefochtene Bescheid einer Auslegung nicht zugänglich. Weder im Verfügungssatz des Bescheides
selbst noch in seiner Begründung noch im Widerspruchsbescheid wird ein konkreter oder zumindest eindeutig konkretisierbarer
Zeitpunkt für das Wirksamwerden der Absenkungsentscheidung genannt. Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte darauf, dass § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine gesetzliche Regelung dahingehend treffe, dass der Verwaltungsakt in dem Zeitpunkt wirksam werde, in dem er demjenigen,
für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, bekannt gegeben wird. Die Betrachtungsweise des Beklagten übersieht
bereits, dass § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB X lediglich die sogenannte äußere Wirksamkeit betrifft, damit jedoch noch nichts über die hinreichende inhaltliche Konkretisierung
gesagt ist. Gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X wird nämlich der Verwaltungsakt mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekanntgegeben wird. Was aber genau Inhalt des Teilaufhebungsbescheides
in Bezug auf die Wirksamkeit der Absenkungsentscheidung ist, lässt sich dem Bescheid nicht mit hinreichender Sicherheit entnehmen.
So ist dem Ausgangsbescheid vom 27. August 2010 noch nicht einmal mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen, dass der Beklagte
die Aufhebung nicht tatsächlich für die Vergangenheit - nämlich rückwirkend auf den Ablauf der sogenannten Zeit der Heilungsbewährung
- hat vornehmen wollen. Anders als der Widerspruchsbescheid nennt der Ausgangsbescheid die Vorschrift des § 48 Abs. 1 SGB X ohne hierbei ausdrücklich auf die Wirkung für die Zukunft abzustellen. Darüber hinaus ist in der Begründung des Ausgangsbescheides
auf den Zeitraum der Heilungsbewährung hingewiesen und die Höherbewertung des GdB ausdrücklich als "für diesen Zeitraum" bezeichnet
worden. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Beklagte im Zuerkennungsbescheid aus dem September 2005 ausdrücklich
auf eine Nachprüfung im Mai 2009 Bezug genommen und die Gültigkeit des Schwerbehindertenausweises bis November 2009 befristet
hat, kann sich für einen objektiven Empfänger der im Bescheid vom 27. August 2010 enthaltenen Erklärung der Eindruck ergeben,
die Aufhebung des GdB solle rückwirkend erfolgen. Ein derartiges Missverständnis fördert der Beklagte darüber hinaus durch
die denkbar unscharfe Formulierung im Verfügungssatz: "Der Bescheid vom 5. September 2005 wird entsprechend aufgehoben.".
Auch der Widerspruchsbescheid vom 2. August 2011 lässt eine für den objektiven Erklärungsempfänger eindeutige Auslegung und
Bestimmung des Wirksamkeitszeitpunkts für die Teil-Aufhebung nicht erkennen. Zwar ist darin § 48 SGB X als Rechtsgrundlage dahingehend angegeben, dass die Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft erfolge, doch erschließt sich für
den rechtlich nicht gebildeten objektiven Erklärungsempfänger nunmehr nicht, ob mit der Aufhebung mit Wirkung für die Zukunft
ein Zeitraum bereits nach dem Ausgangsbescheid oder erst nach dem Widerspruchsbescheid gemeint ist. Auch dies kann letztlich
dahinstehen, denn eine konkrete Bestimmbarkeit eines genauen Wirksamkeitszeitpunktes für die Aufhebung ergäbe sich in keinem
Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG sind nicht gegeben. Insbesondere liegt entgegen der Ansicht des Beklagten eine grundsätzliche Bedeutung nicht vor, da die
Frage der hinreichenden Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes stets eine Einzelfrage ist und daher grundsätzliche Bedeutung
nicht entfalten kann.