Krankenversicherung
Leistungen der häuslichen Krankenpflege
Betreute Wohnformen
Leistungen der Eingliederungshilfe
Verabreichen von Augentropfen
1. Nach der Rechtsprechung des BSG sind betreute Wohnformen nur dann "geeignete Orte" im Sinne des §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung, wenn der Versicherte
während seines Aufenthalts dort nicht bereits einen Anspruch auf Erbringung von Krankenpflegeleistungen gegen die Einrichtung
hat.
2. Auch zählt das BSG zu den "betreuten Wohnformen" in §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V ausdrücklich nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern auch andere Formen der Versorgung, in denen nur ambulante Leistungen
erbracht werden.
3. Nach der Rechtsprechung des BSG soll gerade nicht entscheidend sein, ob die tatsächlich gegebene Unterbringung und Betreuung weitgehende Ähnlichkeit mit
stationären Versorgungsformen hat, sondern welchen Inhalt die bereits anderweitig gewährten Betreuungsleistungen haben.
4. Entscheidend ist deswegen allein, ob die Medikamentengabe (Verabreichung von Augentropfen) nach Art und Umfang bereits
zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehört.
Gründe:
I.
Der Antragsteller hat vor dem Sozialgericht Neuruppin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, die Antragsgegnerin
zur Gewährung von häuslicher Krankenpflege zu verpflichten. Er hat eine (aktualisierte) vertragsärztliche Verordnung vom 10.
Januar 2017 für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis zum 31. Dezember 2017 vorgelegt, wonach 4mal täglich und 7mal wöchentlich
eine Medikamentengabe erfolgen soll. Die Verordnung betrifft die Verabreichung von Augentropfen.
Das Sozialgericht Cottbus hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 11. April 2017 zurückgewiesen.
Der Antragsteller habe keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin, da die Intensität der verordneten Pflege nicht derart hoch
sei, dass nur durch den Einsatz einer Pflegekraft Krankenhausbehandlung vermieden oder das Ziel der ärztlichen Behandlung
erreicht werden könnte. Außerdem seien die Wohnstätte bzw. die Werkstatt ihrerseits verpflichtet, die Leistungen zu erbringen.
Zudem sei noch keine Zahlungsaufforderung vorgelegt worden und nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsteller selbst zu einer
Vorleistung nicht in der Lage sei.
Gegen den ihm am 18. April 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18. Mai 2017 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg
eingegangene Beschwerde des Antragstellers.
II.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht abgelehnt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zur Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege zu verpflichten. Gemäß §
86b Abs.
2 S. 2
SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Entscheidungen
dürfen dabei grundsätzlich sowohl auf eine Folgenabwägung als auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der
Hauptsache gestützt werden. Drohen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare
Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte an den Erfolgsaussichten
nur orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so hat es anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Nach diesen
Maßstäben durfte das Sozialgericht eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Leistung nicht ablehnen.
Ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Leistungen der häuslichen Krankenpflege kann sich nämlich aus §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V ergeben. Bei der (verordneten) Herrichtung und Verabreichung von Medikamenten liegt eine Erscheinungsform der (einfachen)
Behandlungspflege vor. Leistungen der häuslichen Krankenpflege sind nach §
37 Abs.
2 Satz 2
SGB V an Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie oder an sonstigen "geeigneten Orten" zu erbringen. Der Antragsteller
lebt in einer Wohnung, die ihm von der W GmbH des A Kreisverbandes K W T-F vermietet worden ist. Der A erbringt in dieser
Wohnung (auch) Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch, die dem Antragsteller
durch den Landkreis D-S im Umfang von ca. 6 Fachleistungsstunden in der Woche bewilligt worden sind. Nach der Rechtsprechung
des BSG sind betreute Wohnformen nur dann "geeignete Orte" im Sinne des §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V für die Erbringung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege durch die gesetzliche Krankenversicherung, wenn der Versicherte
während seines Aufenthalts dort nicht bereits einen Anspruch auf Erbringung von Krankenpflegeleistungen gegen die Einrichtung
hat (BSG, Urt. v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 13, -B 3 KR 10/14 R- Rdnr. 12 und v. 22. April 2015 - B 3 KR 16/14 R - Rdnr. 17). Auch zählt das BSG zu den "betreuten Wohnformen" in §
37 Abs.
2 S. 1
SGB V ausdrücklich nicht nur stationäre Einrichtungen, sondern auch andere Formen der Versorgung, in denen nur ambulante Leistungen
erbracht werden (vgl. nur BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 19). Nach der Rechtsprechung des BSG soll gerade nicht entscheidend sein, ob die tatsächlich gegebene Unterbringung und Betreuung weitgehende Ähnlichkeit mit
stationären Versorgungsformen hat, sondern welchen Inhalt die bereits anderweitig gewährten Betreuungsleistungen haben.
Entscheidend ist deswegen allein, ob die Medikamentengabe (Verabreichung von Augentropfen) nach Art und Umfang bereits zu
den Leistungen der Eingliederungshilfe gehört, die dem Antragsteller von dem Landkreis Dahme-Spreewald gewährt worden sind.
Das BSG hält die Einrichtungen der Eingliederungshilfe nur insoweit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zur Erbringung von
Leistungen der Behandlungspflege verpflichtet, als sie dazu aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung auch in
der Lage sind (BSG v. 25. Februar 2015 - B 3 KR 11/14 R - Rdnr. 22). Deswegen ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Einrichtung nach ihrem Aufgabenprofil, ihrer Ausrichtung
auf eine bestimmte Bewohnerklientel und insbesondere aufgrund ihrer sächlichen und personellen Ausstattung die fragliche Leistung
selbst erbringen kann. Der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) wird nämlich nur dann nicht verletzt, wenn Leistungen der Eingliederungshilfe durch eine Einrichtung ohnehin vorzuhalten
sind, die Gewährung der Eingliederungshilfe deutlich im Vordergrund steht und die Leistungen der Behandlungspflege untrennbarer
Bestandteil der Eingliederungshilfe sind (BSG, a. a. O. Rdnr. 28).
Für einen engen Bezug der Medikamentengabe zur Eingliederungshilfe spricht zwar grundsätzlich, dass die in Frage stehenden
Leistungen (Verabreichung von Augentropfen) ihrem Inhalt nach einer allgemeinen Betreuungsleistung gleichstehen und keinerlei
besondere medizinische Kenntnisse verlangen. Es sind hier aber besondere Gründe vorhanden, die einem Rückgriff auf die Eingliederungshilfe
entgegenstehen. Der Senat geht mangels anderer Anhaltspunkte davon aus, dass die Medikamentengabe in dem verordneten Umfang
für den Antragsteller medizinisch notwendig ist. Aus der ärztlichen Verordnung der Medikamentengabe von 4mal täglich 7mal
wöchentlich ergibt sich dann, dass ein Mitarbeiter der Eingliederungshilfe 4mal am Tag bei dem Antragsteller in der Wohnung
sein müsste, um Augentropfen zu verabreichen. Dafür reicht der bewilligte Umfang der Eingliederungshilfe indessen nicht aus.
Sechs Fachleistungsstunden in der Woche geben nicht genügend Raum für viermal am Tag stattfindende Besuche, in denen neben
der Medikamentengabe noch weitere Leistungen erbracht werden sollen. Die Medikamentengabe gehört lediglich am Rande mit zur
Eingliederungshilfe, sie ist nicht ihr zentraler Inhalt. Deswegen müssen die zur Verfügung stehenden 6 Stunden der Eingliederungshilfe
wöchentlich nicht zur Ermöglichung der Medikamentengabe so eingeteilt werden, dass die Hilfekraft 4mal am Tag jeweils für
ca 13 Minuten zu dem Antragsteller kommt.
Nach alledem war auf die Beschwerde des Antragstellers der Beschluss des Sozialgerichts aufzuheben und die Antragsgegnerin
antragsgemäß zur Leistung zu verpflichten.
Die Kostenentscheidung ergeht nach §
193 SGG. Mit der zusprechenden Kostenentscheidung hat sich der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe erledigt, weil der Antragsteller
insoweit nicht mehr bedürftig ist.
Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht gegeben (§
177 SGG).