Zeiten nach dem Fremdrentengesetz
Divergenzrüge
Abweichung eines nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist veröffentlichten Urteils
Gründe:
I
Der Antrag der Klägerin, ihr im Wege der Überprüfung Witwenrente neben Regelaltersrente unter Anrechnung von Zeiten nach dem
Fremdrentengesetz zu leisten, ist im Berufungsverfahren insoweit erfolgreich gewesen, als das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) die
Entscheidung der Beklagten aufgehoben hat, soweit diese die Erstattung überzahlter Witwenrente für die Zeit vom 17.9.1996
bis 30.6.1998 verfügt hat. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des LSG vom 28.4.2015 macht die Beklagte eine
Abweichung des LSG von einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 21.6.1983 (4 RJ 29/82 - VdKMitt 1983, Nr 12, 38 und Juris) geltend. Während das LSG davon ausgegangen sei, dass die Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs iS der §§ 102
ff Sozialgesetzbuch Zehntes Buch nicht möglich sei, weil er voraussetze, dass zwei Sozialleistungsträger für eine Leistung
zuständig seien, enthalte das Urteil des BSG den abstrakten Rechtssatz, dass in Fällen, in denen zwei sich ausschließende Sozialleistungen von einem Sozialleistungsträger
gewährt würden, ein verwaltungsinterner Abrechnungsanspruch entstehe, der die gleiche Zielrichtung und die gleichen Auswirkungen
habe wie ein Erstattungsanspruch.
II
Die Beschwerde ist unzulässig. Der geltend gemachten Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) ist nicht in der nach §
160a Abs
2 S 3
SGG gebotenen Weise bezeichnet worden.
Um eine Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG in einer den Anforderungen des §
160a Abs
2 S 3
SGG genügenden Weise zu bezeichnen, muss die Beschwerdebegründung einen Widerspruch tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung
des LSG einerseits und einer Entscheidung des BSG bzw des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts andererseits aufzeigen
(BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn das Urteil des LSG nicht den Kriterien entspricht, die
das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die
Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene
Urteil auf der Abweichung beruht.
Zur formgerechten Rüge des Zulassungsgrunds der Divergenz gehört es daher, in der Beschwerdebegründung nicht nur eine Entscheidung
genau zu bezeichnen, von der die Entscheidung des LSG abgewichen sein soll; es ist auch deutlich zu machen, worin genau die
Abweichung bestehen soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung
tragende Abweichung in den rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss mithin einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen
Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar
wird. Nicht hingegen reicht es aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das
angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich muss aufgezeigt werden, dass das Revisionsgericht die oberstgerichtliche
Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN; Senatsbeschluss vom 20.5.2014 - B 13 R 49/14 B - Juris RdNr 10, 11). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung vom 22.5.2015 nicht gerecht.
Wie die Beklagte selbst erkennt, reicht die bloße "objektive" Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung - wenn das
LSG, wie hier, das bezeichnete Urteil des BSG gar nicht zur Kenntnis genommen und "in sein Kalkül einbezogen" hat - für die Annahme einer Divergenz iS des §
160 Abs
2 Nr
2 SGG nicht aus. Denn dann hat es den Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht widersprochen, mithin nicht bewusst
andere, von dieser Rechtsprechung abweichende Maßstäbe entwickelt. Hat das LSG - vermeintlich - entgegenstehende Rechtsprechung
schlicht nicht gesehen, kann es bereits objektiv keinen Rechtssatz aufgestellt haben, mit dem es diese Rechtsprechung in Frage
stellen will.
Soweit die Beklagte angibt, der 1. Senat des BSG habe in seinem Beschluss vom 26.6.2006 (B 1 KR 19/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 10) eine Divergenz auch dann für möglich gehalten, wenn eine Abweichung von einer nach dem Urteil
des LSG aber vor Ablauf der Beschwerdefrist ergangenen Entscheidung des BSG vorliege, legt sie dies anhand der Begründung dieses Beschlusses nicht dar. Dies kann auch nicht gelingen, weil - wie auch
der 1. Senat des BSG ausführt - alle obersten Gerichtshöfe des Bundes in ständiger Rechtsprechung davon ausgehen, dass die Abweichung eines Urteils
von einem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist veröffentlichten Urteil nur gerügt werden kann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde
innerhalb der Frist unter Berücksichtigung der formellen Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung begründet
wird. Eine vergleichbare Situation besteht vorliegend schon deshalb nicht, weil das von der Beklagten zitierte Urteil des
BSG lange vor der Entscheidung des LSG ergangen ist. Dass der vorliegenden Rechtssache wegen dieses Urteils aus dem Jahr 1983
eine grundsätzliche Bedeutung zukommen könnte, behauptet die Beklagte nicht.
Dass die Beklagte die Entscheidung des LSG im Ergebnis für fehlerhaft hält, führt nicht zur Revisionszulassung (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des §
193 SGG.