Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses für Leistungsberechtigte nach
§ 1 AsylbLG
Gründe:
I
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II).
Der 1957 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger. Er siedelte 1992 mit seiner Frau und drei Kindern in die Bundesrepublik
Deutschland über. Er ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Den Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II vom 19. Januar 2006 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar
2006 ab. Der Kläger sei nach § 7 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, denn er sei
auf Grund der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG leistungsberechtigt nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz ([AsylbLG], vgl §
1 Abs
1 Nr
3 AsylbLG). Widerspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2006; Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Reutlingen [SG] vom 30. Mai 2006).
Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 9. März 2007 zurückgewiesen.
Es hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt: Der vom Kläger gerügte Ausschluss von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
nach den Vorschriften des SGB II verstoße weder gegen höherrangiges innerstaatliches Verfassungsrecht noch ergebe sich ein
Anspruch aus völkerrechtlichen Regelungen. Die an die Art des Aufenthaltsrechts nach dem AufenthG anknüpfende Differenzierung der Anspruchsberechtigten der verschiedenen Systeme staatlicher Sozialleistungen stelle keine
Ungleichbehandlung iS des Art
3 Abs
1 Grundgesetz (
GG) dar. Der Kläger könne sich insbesondere nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ([BVerfG] Beschluss
vom 6. Juli 2004 - 1 BvR 2515/95, BVerfGE 111, 176 = SozR 4-7833 § 1 Nr 4) zum Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) für Berechtigte iS des
AsylbLG berufen. Im Gegensatz zur Rechtslage beim BErzGG sei hier der Schutzbereich des Art
6 Abs
1 GG nicht betroffen. Eine Vergleichbarkeit der aufenthaltsrechtlichen Sachlagen im Hinblick auf den Ausschluss vom Bezug von
BErzGG- und SGB II-Leistungen sei nicht gegeben. Zwar könnten Personen mit einem Aufenthaltstitel nach § 25 Abs 5 AufenthG das Differenzierungsmerkmal der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise nicht beeinflussen. Dieses schränke den weiten Gestaltungsspielraum
des Gesetzgebers jedoch nicht maßgeblich ein. Zudem werde diesem Umstand durch §
2 Abs
1 AsylbLG Rechnung getragen, indem diesem Personenkreis in entsprechender Anwendung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)
nach einem 36-monatigen Bezug von Leistungen nach dem
AsylbLG höhere Leistungen als nach diesem Gesetz zustünden. Die ua für Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG vorgesehene Leistungsgewährung nach dem
AsylbLG solle diejenigen Ausländer aus dem Anwendungsbereich des SGB II ausschließen, die keine längerfristige Aufenthaltsperspektive
in der Bundesrepublik Deutschland hätten. Der dem Anwendungsbereich des § 25 Abs 5 AufenthG unterfallende Personenkreis habe mit dem Inkrafttreten des AufenthG auch lediglich ausländerrechtlich, nicht aber leistungsrechtlich besser gestellt werden sollen. Ohne Erfolg berufe sich der
Kläger schließlich auf Art 23 der Genfer Flüchtlingskonvention. Er unterfalle nicht dem Anwendungsbereich dieser Regelung. Die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft zu Gunsten eines
seiner Söhne sei für seine Ansprüche unerheblich.
Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §
7 Abs
1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB II iVm §
1 Abs
1 Nr
3 AsylbLG iVm § 25 Abs 5 AufenthG wegen Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art
3 Abs
1 GG. Es sei systemwidrig und eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung, wenn er trotz des Aufenthaltstitels nach § 25 AufenthG denjenigen Ausländern, die keinen Aufenthaltstitel haben, durch die Art der gewährten Sozialleistungen letztlich wieder gleichgestellt
werde. Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 AufenthG sei ein Recht zum Aufenthalt und nicht zu vergleichen mit dem Status eines Asylbewerbers. Die Argumentation des BVerfG zum
Bundeserziehungsgeld treffe auch auf die vorliegende Fallkonstellation zu. Danach sei die Anknüpfung an einen Aufenthaltstitel
nicht geeignet, dem Normzweck zu entsprechen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 9. März 2007 und den Gerichtsbescheid des SG Reutlingen vom 30. Mai 2006 sowie den
Bescheid des Beklagten vom 23. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 2006 aufzuheben und den
Beklagten zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 19. Januar 2006 bis 12. März 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger im Zeitraum vom 19. Januar 2006
bis 12. März 2007 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hatte.
1. Zur Überprüfung im Revisionsverfahren steht der Bescheid des Beklagten vom 23. Januar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 9. Februar 2006, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
für die Zeit ab dem 19. Januar 2006 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen
bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, jeweils RdNr 19; BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr 4, jeweils RdNr 14; Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 59/06 R - und 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R). Da das LSG hier ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, kommt es maßgeblich auf den Zeitpunkt an, zu dem die Geschäftsstelle
des Gerichts die angefochtene Entscheidung an die Beteiligten abgesandt hat (vgl BSG SozR 1500 §
124 Nr 5; s auch SozR 1750 § 551 Nr 8; Keller in MeyerLadewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
125 RdNr 4b). Streitig ist mithin der Zeitraum vom 19. Januar 2006 bis zum 12. März 2007.
2. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger auf Grund des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt
vom 24. Dezember 2003 (BGBl I 2954) sowie nach § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II in der vom 1. April 2006 bis zum 27. August 2007 geltenden
Fassung des Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl I 558) von
Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II in der bis zum 31. März 2006 geltenden Fassung lautete:
"Ausländer haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und erhalten Leistungen nach diesem Buch,
wenn die Voraussetzungen nach § 8 Abs 2 vorliegen; dies gilt nicht für Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes."
In der vom 1. April 2006 bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung lautete § 7 Abs 1 Satz 2 SGB II: "Ausgenommen sind Ausländer,
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, ihre Familienangehörigen sowie Leistungsberechtigte
nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes."
Leistungsberechtigt sind nach §
1 Abs
1 Nr
3 AsylbLG (in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes und weiterer Gesetze vom 14. März 2005 [BGBl I 721]) ua Ausländer, die sich tatsächlich im Bundesgebiet aufhalten und die
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs 5 des Aufenthaltsgesetzes besitzen. Diese Voraussetzungen lagen beim Kläger vor. Er war nach den Feststellungen des LSG im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis
nach § 25 Abs 5 AufenthG in der zwischen dem 1. Januar 2005 und dem 27. August 2007 geltenden Fassung (Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung
und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern - Zuwanderungsgesetz - vom 30. Juli
2004 [BGBl I 1950]). Danach konnte einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich war und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse
in absehbarer Zeit nicht zu rechnen war.
Unerheblich dabei ist, ob der Kläger Leistungen nach §
2 Abs
1 AsylbLG (in der Fassung des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 [BGBl I 1950]) erhalten hat, was das LSG zwar nicht festgestellt
hat, was aber aufgrund der Dauer seines Aufenthalts nahe liegt. Danach ist abweichend von den §§ 3 bis 7 das SGB XII auf diejenigen
Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten (nunmehr 48 Monate auf Grund der
Änderung des §
2 Abs
1 AsylbLG durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 [BGBl
I 1970] mit Wirkung vom 28. August 2007) Leistungen nach § 3 erhalten haben und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich
selbst beeinflusst haben (vgl zu den Analogleistungen nach §
2 AsylbLG BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - SozR 4-3520 §
2 Nr
2). Seinen Status als Leistungsberechtigter nach §
1 Abs
1 AsylbLG hätte der Kläger damit nicht verloren (vgl Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, Vorbemerkungen
AsylbLG RdNr 20; Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, §
7 RdNr 20). Dieser ist vielmehr Voraussetzung, um in den Genuss der leistungsrechtlichen Privilegierung zu kommen.
3. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen den in §
7 Abs
1 Satz 2 SGB II normierten Ausschluss der Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestehen nicht. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 13. November
2008 (B 14 AS 24/07 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) entschieden; der 4. Senat des BSG hat sich dem in einem Verfahren betreffend
einen der Söhne des Klägers angeschlossen (Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 4 AS 40/07 R). Dem Vorbringen des Klägers ist nichts zu entnehmen, was zu einer abweichenden Beurteilung Anlass gibt. Der Senat hält
nach erneuter Prüfung an seiner Rechtsprechung fest und verweist darauf.
4. Ein Leistungsanspruch des Klägers nach dem SGB II ergibt sich auch nicht aus § 7 Abs 1 Satz 1 iVm § 8 Abs 2 SGB II und § 25 Abs 2 AufenthG. Nach § 25 Abs 2 AufenthG ist einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unanfechtbar
die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat (§
3 Abs
4 Asylverfahrensgesetz). Da der über § 25 Abs 2 AufenthG erworbene Aufenthaltstitel zugleich als Berechtigung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit gilt (§ 25 Abs 1 Satz 4 AufenthG) und damit ein Ausländer, bei dem die Flüchtlingseigenschaft iS des Art 23 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (BGBl II 1953, 559) anerkannt worden ist, die Voraussetzungen des § 8 Abs 2 SGB II erfüllt, folgt bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen
des § 7 Abs 1 und 2 SGB II hieraus zwar ein Anspruch auf Leistungen aus der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Diese Regelung
kommt dem Kläger jedoch nicht zugute. Er war lediglich Inhaber des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs 5 AufenthG und hatte keinen gesicherten Aufenthaltsstatus als anerkannter Flüchtling. Sein Aufenthalt war damit nicht als rechtmäßig
iS des Art 23 der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen (vgl VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 14. September 1998 - 7 S 1874/98, FEVS 49, 375 mwN). Dass einer seiner Söhne Flüchtling iS der Genfer Flüchtlingskonvention ist, worauf das LSG hinweist, wirkt sich auf den Kläger leistungsrechtlich nicht aus. Eine solche Ausstrahlungswirkung auf
ein Mitglied der Kernfamilie entfalten diese Abkommen nicht (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 21. Juni 2000 - 12 L 3349/99, juris RdNr 22).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.