Erstattung der Kosten für die selbst finanzierte Umrüstung eines vorhandenen Rollfiets vom reinen Pedalbetrieb auf den Betrieb
mit einem Elektro-Hilfsmotor durch die gesetzliche Krankenversicherung
Gründe:
I
Die Klägerin begehrt von der beklagten Krankenkasse die Erstattung der Kosten in Höhe von 3.471,30 Euro für die selbst finanzierte
Umrüstung des vorhandenen Rollfiets vom reinen Pedalbetrieb auf den Betrieb mit einem Elektro-Hilfsmotor.
Die 1990 geborene Klägerin ist seit ihrer Geburt körperlich schwerstbehindert (Pflegestufe III). Sie kann weder laufen, stehen,
selbstständig aufrecht sitzen noch sprechen, ist aber geistig nicht behindert und altersgerecht entwickelt. Die Kommunikation
erfolgt nonverbal, zB über Wimpernschläge ihrer Augen. Sie lebt mit ihren Eltern und einem Bruder in einem behinderungsgerecht
eingerichteten Haus und besucht wochentags eine Behindertenschule, in der sie sich an den 160 Schultagen aufhält. Die Ferien
und die Wochenenden verbringt sie mit ihrer Familie.
Die Klägerin ist von der Beklagten mit einem Rollstuhl für den innerhäuslichen Bereich und einem luftbereiften Rollstuhl für
den Außenbereich (Schule, Spaziergänge) versorgt. Über einen Elektroantrieb verfügen die Rollstühle nicht, weil die Klägerin
diesen nicht selbst bedienen kann. Die Kosten des Einbaus einer Hebebühne für den Transport des Rollstuhls in dem Kraftfahrzeug
der Familie wurden von der Beklagten teilweise übernommen. Die Sitzschalen der Rollstühle wurden regelmäßig nach Maß angefertigt
und mit fortschreitendem Wachstum der Klägerin erneuert. Seit 1996 verfügt die Klägerin auch über ein von der Beklagten bereitgestelltes
Rollfiets. Dabei handelt es sich um eine Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, die aus einem Selbstfahrerrollstuhl mit Kunststoffsitzschale
und verstellbaren Nacken- und Beinstützen sowie einem hinten ankoppelbaren Fahrradteil besteht, wobei der Rollstuhl als lenkbarer
Vorderteil fungiert. Das Rollfiets wird vornehmlich für Fahrradausflüge der Familie benutzt.
Die Klägerin beantragte am 25.11.2003 unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung vom 14.10.2003 und des Kostenvoranschlags
eines Fachbetriebes vom 6.11.2003 über 3.857 Euro die Umrüstung des Rollfiets "auf E-Bike H mit Bewegungssensor und Tempogriff,
Heinzmann-Schiebeantrieb und Kreuzrahmen ohne Strebe". Zur Begründung führte der Vater der Klägerin an, ihm mache die Bedienung
des Rollfiets immer mehr Mühe, weil seine Tochter mit zunehmendem Alter schwerer geworden sei und er zudem unter Kniebeschwerden
leide. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil Fahrradausflüge mit der Familie kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen
Lebens darstellten. Im allein maßgeblichen Nahbereich der Wohnung sei die Klägerin mit den beiden Rollstühlen ausreichend
versorgt. Für Fahrten über den Nahbereich hinaus stehe das rollstuhlgerecht ausgerüstete Kraftfahrzeug der Eltern zur Verfügung.
Das Rollfiets diene auch nicht der Integration der Klägerin in die Gruppe gleichaltriger Jugendlicher. Deshalb falle die Umrüstung
des Rollfiets auf den Antrieb mit einem Elektro-Hilfsmotor nicht in die Leistungspflicht der Krankenkasse (Bescheid vom 7.1.2004,
Widerspruchsbescheid vom 1.6.2004).
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für den beantragten Elektroantrieb des
Rollfiets zu übernehmen (Urteil vom 14.4.2005). Zur Begründung hat es sich auf ältere Rechtsprechung des - damals für die
knappschaftliche Hilfsmittelversorgung zuständigen - 8. Senats des Bundessozialgerichts ([BSG] SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und
28) berufen, wonach ein Therapietandem zu leisten sei, wenn eine ganz außergewöhnliche Bewegungseinschränkung vorliege und
in der konkreten Familiensituation den gemeinsamen Fahrradausflügen eine große Bedeutung zukomme. Ein solcher Einzelfall liege
hier vor. Ohne den Elektroantrieb für das Rollfiets seien diese Fahrradausflüge nicht mehr möglich.
Während des Berufungsverfahrens haben die Eltern der Klägerin die begehrte Umrüstung des Rollfiets veranlasst und dafür 3.471,30
Euro aufgewandt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die nunmehr auf Kostenerstattung gerichtete Klage
abgewiesen (Urteil vom 7.5.2008): Die Klägerin sei im Nahbereich der Wohnung ausreichend versorgt. Längere Fahrten und Ausflüge
könne die Familie auch mit ihrem rollstuhlgerecht ausgestatteten Kraftfahrzeug unternehmen. In der neueren Rechtsprechung
des BSG sei zudem geklärt, dass im Rahmen der Hilfsmittelversorgung nach §
33 SGB V kein Anspruch auf Ausstattung mit einem - dem Rollfiets vergleichbaren - Speedy-Tandem oder Therapietandem bestehe. Die Ermöglichung
des Fahrradfahrens und die Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Raum gehörten nicht zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des
täglichen Lebens. Die vom SG herangezogene ältere Rechtsprechung des 8. Senats des BSG sei von den für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen
Senat nicht fortgeführt worden und deshalb überholt. Den Ausflügen mit dem Rollfiets komme auch keine nachweisbare therapeutische
Bedeutung zu.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des §
33 SGB V. Sie macht geltend, die aufgeführte Rechtsprechung des 8. Senats des BSG sei bisher nicht aufgegeben worden und daher noch
aktuell.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 7.5.2008 zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Karlsruhe
vom 14.4.2005 mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Beklagte der Klägerin 3.471,30 Euro nebst Zinsen zu erstatten hat.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des LSG und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Beklagte hat den Antrag auf die begehrte Sachleistung zu Recht abgelehnt. Demgemäß
kam auch keine Kostenerstattung in Betracht. Dies hat das LSG zutreffend entschieden.
1. Rechtsgrundlage des nunmehr allein streitigen Anspruchs auf Kostenerstattung ist §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V. Danach gilt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung
zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der
Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Dabei ist es nach dem Gesetz unerheblich,
ob die Aufwendungen vom Versicherten selbst oder von einem Angehörigen im Rahmen der Familienfürsorge getragen worden sind
(BSGE 93, 176, 178 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7). Deshalb brauchte nicht geklärt zu werden, ob die Eltern der Klägerin den Umbau des Rollfiets
auf den Elektroantrieb aus eigenen Mitteln oder aus dem Vermögen der Klägerin finanziert haben. Den Kostenaufwand hat die
Beklagte unabhängig davon nicht zu erstatten. Die Voraussetzungen der - hier allein in Betracht kommenden - 2. Alternative
des §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V liegen nicht vor, weil die Klägerin keinen Sachleistungsanspruch auf die beantragte Umrüstung des Rollfiets nach §
33 SGB V hatte.
2. Maßgebend ist hier §
33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378), weil die Umrüstung
nach dem 1.4.2007 veranlasst worden ist und die Leistungsablehnung zu diesem Zeitpunkt noch rechtswidrig gewesen sein muss.
Nach §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder
eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen
oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach Satz 4 des §
33 Abs
1 SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung
in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach
dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen
Kontrollen. Im vorliegenden Fall geht es um die Variante der "notwendigen Änderung" eines Hilfsmittels. Deren Tatbestandsvoraussetzungen
sind nicht erfüllt.
a) Die Rechtswidrigkeit der Leistungsablehnung ergibt sich nicht bereits daraus, dass der Klägerin im Jahre 1996 das Rollfiets
bestandskräftig bewilligt worden war und für die Nachrüstung dieses Hilfsmittels nachvollziehbare Gründe (zunehmendes Gewicht
der Klägerin, Knieprobleme des Vaters) geltend gemacht werden. Denn auch bei Anpassungen, Umrüstungen und sonstigen Änderungen
von Hilfsmitteln müssen, wie bei einer Erstausstattung, sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des §
33 SGB V erfüllt sein (so zu Fällen der Ersatzbeschaffung BSGE 79, 261 = SozR 3-2500 § 33 Nr 21 und BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11). Die Kriterien der Eignung, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und
Erforderlichkeit (vgl §
2 Abs
4, §
12 Abs
1, §
33 Abs
1 SGB V) sind also nicht nur für die erstmalige Ausstattung mit einem bestimmten Hilfsmittel maßgeblich, sondern gelten auch für
Anpassungen, Umrüstungen und sonstige Änderungen eines bereits vorhandenen Hilfsmittels und sind deshalb wie bei der erstmaligen
Bewilligung eines Hilfsmittels zu prüfen. Es findet deshalb praktisch eine doppelte Notwendigkeitsprüfung statt, nämlich die
Notwendigkeit des Hilfsmittels selbst und die Notwendigkeit seiner Änderung, wobei es aber in beiden Fällen nur auf die Erfüllung
der Tatbestandsvoraussetzungen des §
33 SGB V im Zeitpunkt der beantragten Änderung des Hilfsmittels ankommt. Die Änderung eines vorhandenen Hilfsmittels kann also nicht
verlangt werden, wenn auch schon die erstmalige Bereitstellung dieses Hilfsmittels zu diesem Zeitpunkt nicht (mehr) beansprucht
werden könnte. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn die Krankenkasse in einer Art Grundbescheid festgestellt hat, dass
ein Versicherter ein bestimmtes Hilfsmittel auf Dauer beanspruchen kann. Dann ist nur die beantragte Änderung des Hilfsmittels
auf ihre Notwendigkeit hin zu prüfen. In aller Regel fehlt es aber an einem solchen Grundbescheid - und so auch hier. Wird
ein Hilfsmittel antragsgemäß bewilligt, erledigt sich der Verwaltungsakt mit der Übergabe des Hilfsmittels an den Versicherten.
Eine Dauerwirkung kommt dem Verwaltungsakt in solchen Fällen nicht zu. Ob und in welcher Form in Fällen der leihweisen Überlassung
eines Hilfsmittels (§
33 Abs
5 Satz 1
SGB V) etwas anderes zu gelten hat, kann hier offenbleiben, weil das Rollfiets der Klägerin seinerzeit übereignet worden ist.
b) Ein Rollfiets ist, mit oder ohne Elektroantrieb, nicht zum Gebrauch durch jedermann bestimmt und deshalb kein allgemeiner
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Es handelt sich vielmehr um eine spezielle Rollstuhl-Fahrrad-Kombination, die nur
für Kranke und Behinderte hergestellt wird; das Hilfsmittel ist auch nicht durch Rechtsverordnung ausgeschlossen.
c) Der Anspruch der Klägerin auf Umrüstung des Rollfiets scheitert aber an der fehlenden Erforderlichkeit der Versorgung mit
dem Rollfiets iS von §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V im Zeitpunkt der beantragten Änderung des Hilfsmittels. Auf die Frage, ob das Rollfiets im Jahre 1996 zu Recht bewilligt
und übereignet worden ist, kommt es - wie ausgeführt - nicht an. Überlegungen dazu erübrigen sich daher.
3. Es geht hier nicht um die Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (1. Variante des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V). Das BSG hat für ein Therapietandem entschieden, dass dieses nicht erforderlich ist, um den Erfolg der Krankenbehandlung
zu sichern, weil eine regelmäßige Krankengymnastik nicht nur ausreicht, sondern sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten
Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung eines behinderten Menschen erreichen kann, einschließlich der Stärkung
von Muskulatur, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32; stRspr). Nichts anderes
gilt hier für die in den Vorinstanzen vorgetragenen therapeutischen Effekte des Rollfiets. Zudem ist festzuhalten, dass das
LSG nachweisbare therapeutische Wirkungen des Rollfiets-Fahrens bei der Klägerin nicht festgestellt hat. Diese Feststellung
ist von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden und deshalb für den erkennenden Senat verbindlich (§
163 SGG).
4. Die Benutzung des Rollfiets ist auch nicht zum Behinderungsausgleich erforderlich. Dieser in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V als 3. Variante genannte Zweck (vgl jetzt auch §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) eines von der gesetzlichen Krankenkasse zu leistenden Hilfsmittels bedeutet nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung
als solche hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen wären (sog mittelbarer Behinderungsausgleich).
Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist allein die medizinische Rehabilitation (vgl §
1 SGB V sowie §
6 Abs
1 Nr
1 iVm §
5 Nr
1 und
3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel
ist von der gesetzlichen Krankenversicherung daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen
Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft. Nach ständiger Rechtsprechung
gehören zu den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören,
Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie das Erschließen eines gewissen
körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums
gehört ua die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen
Grundwissens bzw eines Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18).
a) Das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens eines gewissen körperlichen Freiraums" hat die Rechtsprechung
des BSG schon seit den 1990er Jahren immer nur im Sinne eines Basisausgleichs der Behinderung selbst und nicht im Sinne des
vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten des Gesunden verstanden. So hat der Senat (Urteil
vom 8.6.1994 - 3/1 RK 13/93 -, SozR 3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy) zwar die Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis bejaht, dabei aber nur
auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein Gesunder üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt. Später (Urteil vom 16.9.1999
- B 3 KR 8/98 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike für Erwachsene) hat der Senat dies auf die Fähigkeit präzisiert, sich in der eigenen
Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder um die
- üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden - Stellen zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte zu erledigen sind (zB
Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post). Soweit überhaupt die Frage eines größeren Radius über das zu Fuß Erreichbare
hinaus aufgeworfen worden ist, sind schon immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden (vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7 zur Erreichbarkeit ambulanter medizinischer Versorgung für zu Hause gepflegte Wachkomapatientin).
So hat der Senat (Urteil vom 16.4.1998 - B 3 KR 9/97 R -, SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike für Jugendliche) zwar diejenigen Entfernungen als Maßstab genommen, die ein Jugendlicher
mit dem Fahrrad zurücklegt. Das die Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichende Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser
- rein quantitativen - Erweiterung, sondern wegen der dadurch geförderten Integration des behinderten Klägers in seiner jugendlichen
Entwicklungsphase in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher zugesprochen worden (ebenso BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 46 zum behindertengerechten
Dreirad). Bei Schulkindern war auch immer schon nicht die "Fortbewegung auch in Orten außerhalb des Wohnortes", sondern die
Ermöglichung des Schulbesuchs der maßgebliche Gesichtspunkt gewesen (Urteil vom 2.8.1979 - 11 RK 7/78 -, SozR 2200 § 182b Nr 13 - Faltrollstuhl).
Dem Gegenstand nach besteht für den so gezogenen räumlichen Bewegungsradius ein Anspruch auf die im Einzelfall für den gebotenen
Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V (ebenso §
31 Abs
3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die
keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8).
b) Hier geht es nach den Feststellungen des LSG weder um den Schulbesuch der Klägerin noch um ihre Integration in den Kreis
gleichaltriger Jugendlicher. Zu letzterem Zweck wäre ein Rollfiets, ebenso wie ein Speedy-Tandem oder ein Therapietandem,
aber auch schon von der Art des Fahrzeugs her nicht geeignet. Denn die zu seiner Bedienung notwendige Anwesenheit einer erwachsenen
Begleitperson wird von Jugendlichen bei ihren Aktivitäten, mit denen sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von Erwachsenen
beweisen wollten, üblicherweise nicht akzeptiert (so schon BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R -, USK 2002-88, RdNr 19).
c) Das Hilfsmittel dient in erster Linie der Durchführung gemeinsamer Fahrradausflüge im Familienverbund. Dazu hat der Senat
in einem vergleichbaren Fall Folgendes ausgeführt (BSG, Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 R -, USK 2002-88, RdNr 20): "Vorliegend kann dahinstehen, ob gemeinsame Fahrradausflüge mit der Familie überhaupt ein relevanter
Faktor für die soziale Integration und Kommunikation eines Behinderten sein können, der die Gewährung eines Therapie-Tandems
erforderlich machen könnte. ... Der Kläger hat durch seine vier teils älteren, teils jüngeren Geschwister und den täglichen
Besuch einer Behindertenschule relativ gute Möglichkeiten der sozialen Integration und Kommunikation. Das LSG hat darüber
hinaus zwar 'gemeinsame Fahrradausflüge mit seinen Geschwistern und seinen Eltern sowie deren Bekannten und Freunden' festgestellt,
diesen Ausflügen aber bereits von Anzahl und Anteil an dem gesamten Spektrum familiärer Aktivitäten her keine besondere Bedeutung
zugemessen. ... Selbst wenn, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat betont worden ist, in der Heimat des Klägers
(Münsterland) Fahrradausflügen sowie dadurch geknüpften und gepflegten Kontakten mit anderen Familien eine besondere soziale
Bedeutung zukommen sollte, ändert dies nichts an der zutreffenden Wertung des LSG, dass sie im Falle des Klägers für seine
soziale Integration von untergeordneter Bedeutung sind."
Nach den nicht mit Rügen angegriffenen Feststellungen des LSG ist der hier zu entscheidende Fall vergleichbar. Auch die Klägerin
dieses Verfahrens besucht eine Behindertenschule und hat einen Bruder. Aufenthalte im Nahbereich sind mit dem Rollstuhl und
gemeinsames Familienerleben bei Ausfahrten mit dem behindertengerecht ausgestatteten Auto das ganze Jahr über möglich. Damit
ist der erforderliche Basisausgleich - wie das LSG unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zutreffend erkannt hat
- durch diese Hilfsmittel ausreichend gewährleistet. Das Rollfiets kann dagegen nur eine Ergänzung darstellen. Es kann (und
soll) nur in der warmen Jahreszeit und dann auch nur an den Wochenenden und in den Ferien zu Familienausflügen genutzt werden,
sodass diese Aktivitäten einerseits zeitlich beschränkt sind und andererseits räumlich über den Nahbereich hinausreichen.
Somit dient es nicht dem Basisausgleich. Dementsprechend kommt es letztlich auch nicht auf die hier streitige Umrüstung des
Rollfiets vom reinen Pedalbetrieb auf den Antrieb mit diesem Elektro-Hilfsmotor an.
5. Soweit die - vom SG herangezogene und von der Klägerin zitierte - Rechtsprechung des 8. Senats (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 25 und 28) über die vorgenannten
Grundsätze hinausgeht, hat der nunmehr ausschließlich für das Hilfsmittelrecht der gesetzlichen Krankenversicherung zuständige
3. Senat dazu in der Vergangenheit wiederholt Stellung genommen und ausgeführt, dass es sich bei diesen früheren Fällen um
besondere Fallkonstellationen gehandelt habe, in denen ganz außergewöhnliche Bewegungseinschränkungen vorlagen und den gemeinsamen
Fahrradausflügen in der konkreten Familiensituation eine große Bedeutung zukam (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32, S 193 und BSG,
Urteil vom 21.11.2002 - B 3 KR 8/02 -, USK 2002-88, RdNr 20), was in den jeweils zur Entscheidung stehenden späteren Verfahren
nicht der Fall gewesen sei. Damit ist bisher lediglich eine Abgrenzung zur Rechtsprechung des 8. Senats vorgenommen worden.
Der erkennende Senat nimmt den vorliegenden Fall zum Anlass, diese Rechtsprechung des - für die Hilfsmittelversorgung durch
die Krankenkassen nicht mehr zuständigen - 8. Senats, die sich als zu weitgehend und die Grenzen zwischen medizinischer und
sozialer Rehabilitation verwischend erwiesen hat, nunmehr ausdrücklich aufzugeben, um für die Zukunft Klarheit zu schaffen,
auf welcher Grundlage zu entscheiden ist.
6. Die Klägerin kann den Sachleistungsanspruch auch nicht auf §
31 SGB IX stützen. Die Vorschriften des
SGB IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (Gesetz vom 19.6.2001, BGBl I 1046) gewähren den Versicherten im Bereich
der Hilfsmittelversorgung keinen über die Leistungspflichten nach §
33 SGB V hinausreichende Leistungsansprüche, wie der erkennende Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 26.3.2003 - B 3 KR 23/02 R -, BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 §
33 Nr 3; stRspr). Mit dem
SGB IX hat der Gesetzgeber die bisherigen Bestimmungen zur Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Leben in der Gesellschaft
und zum Ausgleich von Benachteiligungen, die vor allem im Rehabilitations-Angleichungsgesetz (RehaAnglG) und im Schwerbehindertengesetz (SchwbG) enthalten waren, zusammengefasst, sprachlich überarbeitet und hinsichtlich der Stärkung der Selbstbestimmung sowie des Wunsch-
und Wahlrechts der Leistungsberechtigten ausgebaut. Hinsichtlich der Zuständigkeit und der Voraussetzungen für die Leistungen
zur Teilhabe wird aber nach wie vor auf die für den jeweiligen Rehabilitationsträger geltenden Leistungsgesetze verwiesen,
während diese im Übrigen nur maßgebend sind, soweit sie Abweichendes vorsehen (§
7 SGB IX; vgl dazu Gesetzesbegründung BT-Drucks 14/5074 S 94).
Die Krankenkassen sind gemäß §
5 Nr
1, §
6 Abs
1 Nr
1 SGB IX Träger von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, für deren Voraussetzungen die Vorschriften des
SGB V maßgebend sind. Der Anspruch der Klägerin, die wegen ihrer dauerhaften Behinderungen unter den Personenkreis des
SGB IX fällt, sie mit einem Hilfsmittel zu versorgen, richtet sich somit nach §
33 SGB V, der durch Art 5 Nr 9 des Gesetzes vom 19.6.2001 nur um die Wörter "einer drohenden Behinderung vorzubeugen" ergänzt worden ist. Soweit das
SGB IX in §
31 den Hilfsmittelbegriff definiert, kann offenbleiben, ob dies zu den Leistungsvoraussetzungen zählt, die sich allein nach
dem
SGB V richten, oder ob es sich um Art und Gegenstand der Leistungen handelt, für die das
SGB IX gilt, sofern die einschlägigen Leistungsgesetze nichts anderes vorsehen (vgl Götze in Hauck/Noftz, Stand April 2009,
SGB IX, K §
1 RdNr 6). Denn §
31 SGB IX gibt hinsichtlich des Hilfsmittelbegriffs nur den Regelungsgehalt des §
33 SGB V wieder, wie er durch die höchstrichterliche Rechtsprechung entwickelt worden ist, und hat somit diese Rechtsprechung bestätigt.
7. Aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen in Art
3 Abs
3 Satz 2
GG ergeben sich ebenfalls keine weitergehenden Leistungsansprüche bei der Hilfsmittelversorgung. Zwar ist das Verbot einer Benachteiligung
zugleich mit einem Auftrag an den Staat verbunden, auf die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen hinzuwirken (vgl
BT-Drucks 12/8165 S 29; Jarass in Jarass/Pieroth,
GG, 9. Aufl 2007, Art
3 RdNr 142). Diesem Auftrag zur Umsetzung und Konkretisierung (vgl Umbach in Umbach/Clemens,
GG, Art 3 RdNr 383 ff) hat der Gesetzgeber mit dem
SGB IX Rechnung getragen, ohne dass damit der Auftrag als erledigt anzusehen wäre. Der fortbestehende Auftrag zur Ausgestaltung
des Sozialstaatsgebots begründet aber keine konkreten Leistungsansprüche (ebenso schon BSGE 91, 60 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3).
8. Offenbleiben kann im vorliegenden Fall die Frage, ob und ggf in welchem Umfang die Rechtsprechung des erkennenden Senats
zur Reichweite des von den Krankenkassen zu gewährenden "mittelbaren Behinderungsausgleichs" nach §
33 SGB V mit Blick auf das "Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" zu modifizieren ist,
das von der Bundesrepublik Deutschland am 21.12.2008 ratifiziert (BGBl 2008 II 1419) worden und hier im März 2009 in Kraft
getreten ist (vgl Art 45). Diese UN-Konvention erlegt den Vertragsstaaten Handlungs- und Gewährungsleistungspflichten zum
Schutz der Menschen mit Behinderungen (vgl Art 1 und 3) nur für die Zeit nach dessen Inkrafttreten auf, ist also schon deshalb
nicht geeignet, die hier maßgebliche Rechtslage des Jahres 2007 zu beeinflussen.
9. Der ursprüngliche Sachleistungsanspruch der Klägerin lässt sich auch nicht auf §
14 SGB IX stützen. Da die Beklagte als "angegangener" Leistungsträger den Leistungsantrag nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang
an einen aus ihrer Sicht zuständigen anderen Rehabilitationsträger weitergeleitet hat, war sie gehalten, das Begehren nicht
nur auf ihre originäre krankenversicherungsrechtliche Zuständigkeit hin, sondern auch unter allen sonstigen in Betracht kommenden
rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und bei Erfüllung der einschlägigen Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Eine solche
Zuständigkeit außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung ist hier nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet die Zuständigkeit
des Sozialhilfeträgers im Rahmen der Eingliederungshilfe aus, weil nach den Feststellungen des LSG keine "Bedürftigkeit" der
Klägerin vorliegt. Die Umrüstung des Rollfiets ist entweder aus dem eigenen Vermögen der Klägerin oder durch Zuwendungen der
elterlichen Familienfürsorge finanziert worden. Im Übrigen hat auch die Klägerin selbst nicht auf eine möglicherweise gegebene
Zuständigkeit eines anderen Sozialleistungsträgers hingewiesen.
10. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.