Erstattung der Kosten für einen Elektrorollstuhl für einen gehunfähigen Versicherten durch die gesetzliche Krankenversicherung
Gründe:
I
Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einem Elektrorollstuhl.
Der 1946 geborene Kläger leidet seit 1992 an einem - schwer einstellbaren - insulinpflichtigen Diabetes mellitus bei erheblichem
Übergewicht. Im Zuge der Erkrankung wurden der rechte Unterschenkel (2001) und das linke Bein im Oberschenkel (2005) amputiert.
Mit den von der Beklagten zur Verfügung gestellten Prothesen kann er lediglich wenige Meter und auch nur mit zusätzlicher
haltgebender Hilfe einer Begleitperson gehen. Die Versorgungsverwaltung hat einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen
G und aG festgestellt. Von der Pflegekasse erhält der Kläger Pflegegeld nach der Pflegestufe II. Die Beklagte hat ihn mit
einem Aktivrollstuhl versorgt, den er zu Hause benutzt. Außerhalb der Wohnung verwendet er einen weiteren Aktivrollstuhl,
den er selbst angeschafft hat. Betreut und gepflegt wird er von seiner Ehefrau, die sich seit Jahresbeginn 2006 im Ruhestand
befindet und deshalb ganztägig zu Hause ist.
Am 12.5.2004 beantragte der Kläger unter Vorlage einer vertragsärztlichen Verordnung seines Hausarztes vom 3.5.2004 und des
Kostenvoranschlages eines Orthopädiefachbetriebes vom 10.5.2004 über 3.367,99 Euro die Ausstattung mit einem Elektrorollstuhl.
Wegen Kreislaufbeschwerden, eingeschränkter Herzleistung und einer aus der ständigen Überbeanspruchung beider Arme resultierenden
chronischen Epicondylitis (entzündliche Erkrankung der Sehnen im Bereich des Ellbogengelenkes) könne er sich außerhalb der
Wohnung praktisch nur noch mit Hilfe einer Begleitperson bewegen, die den Rollstuhl schiebe. Seine Ehefrau sei mit der Schiebehilfe
überlastet, weil sie an einer Sattelgelenksarthrose beider Hände leide und dauernd Belastungsschmerzen verspüre. Sein Schwiegersohn
sei berufstätig und könne ihn deshalb nur an den Wochenenden begleiten. Auf sonstige Hilfspersonen könne er nicht zurückgreifen.
Er möchte gerne ohne fremde Hilfe Spazierfahrten in die Umgebung machen, das Schwimmbad im benachbarten Langenau erreichen,
das er fünfmal wöchentlich zur Stärkung der eigenen Fitness aufsuche (Schwimmen, Wassergymnastik), und an kulturellen Veranstaltungen
teilnehmen.
Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag nach Einholung von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK)
vom 13.4., 15.6. und 13.7.2004 ab, weil der Kläger mit den vorhandenen Rollstühlen in der Lage sei, sich zu Hause und im -
allein maßgeblichen - Nahbereich der Wohnung selbstständig zu bewegen. Für sämtliche Formen der Freizeitgestaltung außerhalb
des Nahbereichs (Spazierfahrten, Besuch des Schwimmbades und kultureller Veranstaltungen) bestehe keine Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Topografische Besonderheiten des Nahbereichs könnten einen Anspruch auf Hilfsmittelversorgung
nach §
33 SGB V ebenfalls nicht begründen (Bescheid vom 22.6.2004, Widerspruchsbescheid vom 17.2.2005).
Im Klageverfahren hat der Kläger eine weitere fachärztliche Verordnung vom 21.3.2006 vorgelegt und geltend gemacht, die Schmerzen
in seinen Armen und Händen hätten sich wegen zunehmender Durchblutungsstörungen verschlimmert; Schmerzen im Nackenbereich
seien hinzugekommen. Diesem modifizierten Leistungsbegehren ist die Beklagte nach Einholung eines weiteren MDK-Gutachtens
vom 27.4.2006 entgegengetreten.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 30.6.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen
(Urteil vom 20.4.2007) und zur Begründung ausgeführt, der Anspruch auf Ausstattung mit einem Elektrorollstuhl bestehe nicht,
weil der Kläger in der Lage sei, sich mit den vorhandenen Aktivrollstühlen in der Wohnung und in deren näherem Umfeld aus
eigener Kraft, jedenfalls aber mit Hilfe der Ehefrau bzw seines Schwiegersohnes zu bewegen. Es sei nicht festzustellen, dass
das Bewältigen der dort zurückzulegenden kurzen Distanzen ihm oder seiner Ehefrau trotz der ihr attestierten Belastungsschmerzen
körperlich nicht möglich bzw nicht zumutbar sei. Aktivitäten außerhalb des Nahbereichs der Wohnung müssten ebenso außer Betracht
bleiben wie topografische Besonderheiten der Wohnumgebung, weil die GKV beim Ausgleich der Folgen einer Behinderung nur einen
sog Basisausgleich schulde, der sich an den allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens orientiere.
Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §
33 SGB V. Er macht geltend, die Hilfsmittelversorgung müsse dem Ziel dienen, nach Möglichkeit von der Hilfe Dritter unabhängig zu
werden und so die Selbstständigkeit eines behinderten Menschen zu unterstützen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 20.4.2007 und des SG Ulm vom 30.6.2006 zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom
22.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.2.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einem
Elektrorollstuhl zu versorgen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil des LSG und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach den §§
165,
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG einverstanden erklärt.
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das Berufungsurteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Die bisher getroffenen Feststellungen lassen keine abschließende - - positive oder negative - Entscheidung darüber zu,
ob der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung eines Elektrorollstuhls nach §
33 SGB V begründet ist.
1. Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist §
33 SGB V in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes vom 26.3.2007 (BGBl I 378). Nach Abs 1 Satz 1 dieser
Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln,
die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen
oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen oder nach §
34 Abs
4 SGB V ausgeschlossen sind. Nach §
33 Abs
1 Satz 4
SGB V umfasst der Anspruch auch die notwendige Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung von Hilfsmitteln, die Ausbildung
in ihrem Gebrauch und, soweit zum Schutz der Versicherten vor unvertretbaren gesundheitlichen Risiken erforderlich, die nach
dem Stand der Technik zur Erhaltung der Funktionsfähigkeit und der technischen Sicherheit notwendigen Wartungen und technischen
Kontrollen. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der GKV müssen die Leistungen nach §
33 SGB V ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die
nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer nicht bewirken
und die Krankenkassen nicht bewilligen (§
2 Abs
4 und §
12 Abs
1 SGB V).
2. Im vorliegenden Fall geht es um die erstmalige Versorgung mit einem Elektrorollstuhl. Dieses Hilfsmittel stellt wegen seiner
andersartigen Konstruktion und Betriebsform ein "aliud" zu einem Aktivrollstuhl dar. Deshalb könnte selbst dann nicht von
einer "Ersatzbeschaffung" gesprochen werden, wenn der außerhalb der Wohnung benutzte, vom Kläger selbst beschaffte Aktivrollstuhl
von der Beklagten bereitgestellt worden wäre. Das LSG wird im erneuten Berufungsverfahren zu ermitteln haben, ob die Tatbestandsvoraussetzungen
des §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V für die Versorgung des Klägers mit einem Elektrorollstuhl erfüllt sind. Es spricht nach den bisherigen - allerdings nicht
ausreichenden - Feststellungen des LSG viel dafür, dass dies der Fall ist.
3. Die Benutzung des Elektrorollstuhls kann hier zum Behinderungsausgleich erforderlich sein. Dieser in §
33 Abs
1 Satz 1
SGB V genannte Zweck (vgl jetzt auch §
31 Abs
1 Nr
3 SGB IX) eines von der GKV zu leistenden Hilfsmittels bedeutet allerdings nicht, dass über den Ausgleich der Behinderung als solcher
(sog unmittelbarer Behinderungsausgleich) hinaus auch sämtliche direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen
wären (sog mittelbarer Behinderungsausgleich). Aufgabe der GKV ist allein die medizinische Rehabilitation (vgl §
1 SGB V sowie §
6 Abs
1 Nr
1 iVm §
5 Nr
1 und
3 SGB IX), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des
Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber
hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel
ist von der GKV im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs daher nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung
im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats gehören zu diesen allgemeinen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen,
Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen, Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen
sowie das Erschließen eines gewissen körperlichen und geistigen Freiraums (BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7; BSGE 91, 60, 63 = SozR 4-2500 § 33 Nr 3; BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 14; stRspr). Zum Grundbedürfnis der Erschließung eines geistigen Freiraums
gehört ua auch die Aufnahme von Informationen, die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen
Grundbzw Schulwissens (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 29 und 46; BSG SozR 4-2500 § 33 Nr 11 RdNr 18).
a) Den mittelbaren Behinderungsausgleich - und damit auch das hier allein in Betracht kommende Grundbedürfnis des "Erschließens
eines gewissen körperlichen Freiraums" - hat die Rechtsprechung des BSG schon seit den 1990er Jahren immer nur im Sinne eines
Basisausgleichs der Folgen der Behinderung selbst und nicht im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den letztlich unbegrenzten
Möglichkeiten eines Gesunden verstanden. So hat der Senat zwar die Bewegungsfreiheit als allgemeines Grundbedürfnis bejaht,
dabei aber nur auf diejenigen Entfernungen abgestellt, die ein gesunder Mensch üblicherweise noch zu Fuß zurücklegt (BSG SozR
3-2500 § 33 Nr 7 - Rollstuhlboy). Später ist dies dahingehend präzisiert worden, sich in der eigenen Wohnung bewegen und die
Wohnung verlassen zu können, um bei einem kurzen Spaziergang "an die frische Luft zu kommen" oder die - üblicherweise im Nahbereich
der Wohnung liegenden - Stellen (zB Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post) zu erreichen, an denen Alltagsgeschäfte
zu erledigen sind (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 - Rollstuhl-Bike für Erwachsene). Soweit überhaupt die Frage eines größeren
Radius über das zu Fuß Erreichbare hinaus aufgeworfen worden ist, sind immer zusätzliche qualitative Momente verlangt worden
(vgl BSGE 93, 176, 180 = SozR 4-2500 § 33 Nr 7 - Wachkomapatientin). Deshalb hat der Senat bei Jugendlichen zwar diejenigen Entfernungen als
Maßstab genommen, die ein Jugendlicher üblicherweise mit dem Fahrrad zurücklegt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 27 - Rollstuhl-Bike
für Jugendliche); das die Mobilität über den Nahbereich hinaus ermöglichende Hilfsmittel ist aber nicht wegen dieser rein
quantitativen Erweiterung des Bewegungsradius zugesprochen worden, sondern wegen der dadurch geförderten Integration jenes
behinderten Klägers in seiner jugendlichen Entwicklungsphase in den Kreis gleichaltriger Jugendlicher (ebenso BSG SozR 3-2500
§ 33 Nr 46 - behindertengerechtes Dreirad). Auch bei Schulkindern ist nicht die "Fortbewegung auch zu und in Orten außerhalb
des Wohnortes" der maßgebliche Gesichtspunkt gewesen, sondern die Ermöglichung des Schulbesuchs an sich (BSG SozR 2200 § 182b
Nr 13 - Faltrollstuhl).
In der Sache besteht für den so gezogenen räumlichen Bewegungsradius ein Anspruch auf die im Einzelfall für den gebotenen
Behinderungsausgleich ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung.
Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit eine kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich
funktionell ebenfalls geeignet ist (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 26 S 153; stRspr); andernfalls sind die Mehrkosten gemäß §
33 Abs
1 Satz 5
SGB V (ebenso §
31 Abs
3 SGB IX) von dem Versicherten selbst zu tragen. Demgemäß haben die Krankenkassen nicht für solche "Innovationen" aufzukommen, die
keine wesentlichen Gebrauchsvorteile für den Versicherten bewirken, sondern sich auf einen bloß besseren Komfort im Gebrauch
oder eine bessere Optik beschränken (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 44; BSGE 93, 183, 188 = SozR 4-2500 § 33 Nr 8 - C-leg-Prothese).
b) Nach diesen Vorgaben hat das LSG einen zutreffenden Ansatz gewählt, indem es - allein - auf das Bedürfnis eines Menschen
nach Mobilität in der Wohnung selbst sowie im Nahbereich der Wohnung abgestellt hat. Unzutreffend ist jedoch die Ansicht des
LSG, das Grundbedürfnis der Bewegungsfreiheit innerhalb des Nahbereichs sei hier befriedigt, weil der Kläger diesen Bereich
jedenfalls mit Hilfe einer Begleitperson (Ehefrau oder Schwiegersohn) und dem vorhandenen Aktivrollstuhl erreichen könne,
sodass der begehrte Elektrorollstuhl im vorliegenden Einzelfall kein zum Behinderungsausgleich notwendiges Hilfsmittel darstelle.
Denn die Möglichkeit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen, schließt den Versorgungsanspruch nach §
33 SGB V nicht aus.
c) Wesentliches Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es, dass behinderte Menschen nach Möglichkeit von der Hilfe anderer Menschen
unabhängig, zumindest aber deutlich weniger abhängig werden. Hier liegt der ausschlaggebende funktionelle Gebrauchsvorteil
des Elektrorollstuhls darin, dass der Kläger beim Befahren des Nahbereichs nicht mehr von der Begleitung seiner Ehefrau, seines
Schwiegersohnes oder sonstiger Dritter abhängig wäre, die bisher Schiebehilfe leisten müssen, sobald er sich überanstrengt
fühlt. Die selbständige Lebensführung und die zeitliche Dispositionsfreiheit wären daher in weit größerem Maße gesichert,
als wenn er auf die Hilfe seiner Ehefrau oder seines - ohnehin nur am Wochenende anwesenden - Schwiegersohnes warten müsste.
Das LSG hat also zu Unrecht auf die Möglichkeit der familiären Schiebehilfe verwiesen, als es die Notwendigkeit der Ausstattung
mit einem Elektrorollstuhl verneinte. Demgemäß kommt es auch nicht darauf an, ob die Ehefrau des Klägers - wie behauptet -
körperlich mittlerweile außerstande ist, diese Schiebehilfe zu leisten. Ebenso ist es unerheblich, ob der Kläger mit Hilfe
seines Pkw und dem darin mitgeführten Aktivrollstuhl den Nahbereich erschließen könnte, weil er dabei ebenfalls auf die Unterstützung
einer Begleitperson beim Umstieg in den und aus dem Pkw angewiesen wäre.
d) Die spezielle Pflicht der GKV, behinderten Menschen durch eine angemessene Hilfsmittelversorgung eine möglichst selbstständige
Lebensführung zu bewahren, ergibt sich zunächst aus der allgemeinen Pflicht der Sozialversicherungsträger, in ihrem jeweiligen
Zuständigkeitsbereich die sozialen Rechte der Versicherten und Leistungsberechtigten zu sichern. Nach §
2 Abs
2 SGB I sind die "nachfolgenden sozialen Rechte" bei der Auslegung der Vorschriften des Sozialgesetzbuches (
SGB I bis SGB XII) und bei der Ausübung des Ermessens zu beachten; dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst
weitgehend verwirklicht werden. Der Bereich der Hilfsmittelversorgung durch die Krankenkassen ist speziell in §
4 Abs
2 Nr
1 SGB I angesprochen, wonach Versicherte im Rahmen der GKV ein Recht auf die notwendigen Maßnahmen zum Schutz, zur Erhaltung, zur
Besserung und zur Wiederherstellung der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit haben. Die Hilfsmittelversorgung dient dabei
der Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung, der Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung und dem Behinderungsausgleich
(§
33 Abs
1 Satz 1
SGB V). Im Bereich der Pflegeversicherung findet sich eine ähnliche Verpflichtung: Die Pflegekassen haben pflegebedürftige Versicherte
ua dann mit Pflegehilfsmitteln auszustatten, wenn diese ihnen eine "selbstständigere Lebensführung ermöglichen" (§
40 Abs
1 SGB XI). Bei der Wahl zwischen mehreren geeigneten Hilfsmitteln ist darüber hinaus §
33 SGB I zu beachten: "Ist der Inhalt von Rechten oder Pflichten nach Art oder Umfang nicht im einzelnen bestimmt, sind bei ihrer
Ausgestaltung die persönlichen Verhältnisse des Berechtigten oder Verpflichteten, sein Bedarf und seine Leistungsfähigkeit
sowie die örtlichen Verhältnisse zu berücksichtigen, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Dabei soll den Wünschen
des Berechtigten oder Verpflichteten entsprochen werden, soweit sie angemessen sind." An diese Regelung knüpft auch das "Wunsch-
und Wahlrecht" behinderter Menschen bei der Rehabilitation und der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft an, das in §
9 Abs
1 SGB IX niedergelegt und im Rahmen der medizinischen Rehabilitation auch von den Krankenkassen zu beachten ist (vgl §
5 Nr
1 iVm §
6 Abs
1 Nr
1 SGB IX).
4. Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger - vorausgesetzt, er ist nicht (mehr) in der Lage, den Nahbereich der Wohnung mit
dem vorhandenen Aktivrollstuhl aus eigener Kraft zu erschließen (vgl dazu unten 6.) - Anspruch auf Versorgung mit einem Elektrorollstuhl,
weil dies dem Ziel dient, dem behinderten Menschen eine selbstständigere Lebensführung zu ermöglichen, indem sein Bewegungsspielraum
im Nahbereich der Wohnung durch die Unabhängigkeit von fremder Schiebehilfe spürbar erweitert wird. Es geht nicht lediglich
um die Erhöhung der Bequemlichkeit des Klägers, was einen Versorgungsanspruch grundsätzlich nicht rechtfertigen könnte (BSG
SozR 3-2500 § 33 Nr 44), sondern um eine nachhaltige Erweiterung des persönlichen Freiraums und des Umfangs der selbstständigen
Lebensführung.
5. Dem kann nicht der Einwand entgegengehalten werden, dass die Schiebehilfe für Rollstuhlfahrer Teil der häuslichen Krankenpflege
sei und nach §
37 Abs
3 SGB V ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur besteht, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen
Umfang nicht pflegen und versorgen kann. Dieser Einwand ist aus zwei Gründen unzutreffend:
a) Schon der Anwendungsbereich der Regelung über die häusliche Krankenpflege nach §
37 SGB V ist hier nicht betroffen. Es liegt kein Fall des §
37 Abs
1 SGB V vor, weil die Schiebehilfe nicht der Vermeidung ansonsten erforderlicher Krankenhausbehandlung dient, und auch kein Fall
des §
37 Abs
2 SGB V, weil dort nur die häusliche Krankenpflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung geregelt ist (so zB BSG SozR
3-3300 § 14 Nr 16: Die notwendige Begleitung eines gehbehinderten pflegebedürftigen Diabetikers bei den ärztlich empfohlenen
täglichen Spaziergängen ist Teil der Behandlungspflege). §
37 SGB V erfasst also nicht die häusliche Pflege zum reinen Behinderungsausgleich.
b) Die Beklagte kann ihren Einwand auch nicht auf die analoge Anwendung des §
37 Abs
3 SGB V stützen. Allerdings trifft es zu, dass der Rechtsgedanke des §
37 Abs
3 SGB V bereits auf die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln entsprechend angewandt (vgl BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 16 und 18) und
deshalb den mit dem Versicherten in einem Haushalt zusammen lebenden Angehörigen die Pflicht zur (kostenlosen) Hilfeleistung
auferlegt worden ist. Dies gilt indes nur, wenn es sich um zeitlich befristete oder nur relativ selten zu erbringende Pflegeleistungen
mit geringem Zeit- und Kraftaufwand handelt, die den Haushaltsangehörigen lediglich unwesentlich belasten und ihm deshalb
zumutbar sind, obgleich durch eine entsprechende Hilfsmittelversorgung diese Pflegeleistungen entbehrlich würden. Diese Hilfe
ist unzumutbar, wenn sie auf nicht absehbare Zeit zu erbringen ist und einen täglich zu leistenden Einsatz mit nicht unerheblichem
Zeitaufwand erfordert. Darüber hinaus hat der Senat Hilfeleistungen, durch die ein Hilfsmittel ersetzt werden könnte, nur
bei solchen Haushaltsangehörigen für zumutbar erachtet, die von einer für sie bestehenden beitragsfreien Familienversicherung
profitieren (vgl BSG SozR 3-2500, aaO), was im vorliegenden Fall wegen der eigenständigen Versicherung der Klägerin in der
Krankenversicherung der Rentner nicht der Fall ist. Der Schwiegersohn des Klägers lebt ohnehin in einem anderen Haushalt und
ist als Arbeitnehmer selbst versichert. Auch insoweit kommt es also nicht darauf an, ob die Ehefrau des Klägers - wie behauptet
- zu der Schiebehilfe körperlich nicht mehr in der Lage ist.
6. Voraussetzung des Sachleistungsanspruchs nach §
33 SGB V ist allerdings, dass der Kläger - wie von ihm behauptet und wie nach den von ihm beigebrachten Attesten naheliegend sein
dürfte - nicht mehr in der Lage ist, den Nahbereich der Wohnung mit dem vorhandenen Aktivrollstuhl aus eigener Kraft zu erschließen.
Dazu hat der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden, dass auf Besonderheiten des konkreten Wohnungsumfeldes eines Versicherten,
zB hinsichtlich der Entfernung zu Einkaufsmöglichkeiten oder bezüglich topografischer Besonderheiten der Wohnumgebung (hügeliges
Gelände), nicht ankommt (BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31; stRspr). Daran wird weiter festgehalten. Entscheidend ist vielmehr ein
allgemeiner, an durchschnittlichen Lebens- und Wohnverhältnissen orientierter Maßstab, der erfüllt sein muss, um die Ausstattung
eines gehunfähigen oder gehbehinderten Menschen mit einem Elektrorollstuhl zu rechtfertigen, der bisher über einen handbetriebenen
Rollstuhl verfügt. Der Versicherte muss außerstande sein, den Nahbereich der Wohnung mit seinem handbetriebenen Rollstuhl
ohne übermäßige Anstrengung, schmerzfrei und aus eigener Kraft, also ohne Schiebehilfe durch Dritte, in normalem Rollstuhltempo
zu bewältigen. Das LSG wird zu ermitteln haben, ob der Kläger zu einer solchen Leistung noch in der Lage ist. Ferner ist festzustellen,
ob der Kläger unter Berücksichtigung seines derzeitigen Gesundheitszustandes fähig ist, einen Elektrorollstuhl im öffentlichen
Verkehr sicher zu führen.
7. Offen bleiben kann die Frage, ob das Hilfsmittel - sollte es notwenig sein - dem Kläger leihweise zu überlassen oder zu
übereignen ist (§
33 Abs
5 Satz 1
SGB V). Insoweit handelt es sich um eine an Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten (§
12 Abs
1 SGB V) zu orientierende Ermessensentscheidung der Beklagten.
8. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.