Divergenzrüge und Grundsatzrüge
Entwicklung anderer rechtlicher Maßstäbe
Breitenwirkung der angestrebten Entscheidung
1. Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden
abstrakten Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst
- widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat.
2. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist.
3. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihr angestrebten Entscheidung (sog. Breitenwirkung) dargelegt werden.
Gründe:
I
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland Pfalz (Urteil vom
2.4.2015), mit dem dieses ihre Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 3.6.2014 zurückgewiesen hat; zugleich
beantragt sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das Beschwerdeverfahren sowie die Beiordnung von Rechtsanwalt
K..
Sie macht geltend, es liege eine Divergenz der Entscheidung des LSG zu einer des Bundessozialgerichts - BSG - (Urteil vom 9.11.2010 - B 4 AS 27/10 R) vor, wonach eine Absenkung von Sozialleistungen nur zulässig sei, wenn der Sozialleistungsträger dem Leistungsberechtigten
ergänzende Sachleistungen in angemessenem Umfang angeboten habe. Zudem stelle sich die Frage grundsätzlicher Bedeutung, "ob
die gesetzlich geregelten Absenkungsmöglichkeiten als ein dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns genügender
Ausdruck der verfassungsrechtlich bestehenden Selbsthilfeobliegenheit als Kehrseite der Gewährleistungspflicht des Staates
anzusehen" seien. Weiter sei grundsätzlich bedeutsam die Frage, "ob die Behörde im Rahmen der Rückforderung getrennte Rückforderungsbescheide
für jeden Bewilligungszeitraum oder einen Rückforderungsbescheid für die Vergangenheit erlassen" dürfe.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise bezeichnet bzw dargelegt worden sind. Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen
Richter nach §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 3
SGG entscheiden.
Eine Divergenz liegt nur dann vor, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem tragenden abstrakten
Rechtssatz des BSG aufgestellt hätte; eine Abweichung ist erst dann zu bejahen, wenn das LSG diesen Kriterien - wenn auch unter Umständen unbewusst
- widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 67). Es kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt einen tragenden abstrakten Rechtssatz des LSG und einen solchen des
BSG formuliert hat oder im Ergebnis nur geltend macht, das LSG habe inhaltlich falsch entschieden, was aber zur Zulassung der
Revision nicht genügt. Jedenfalls fehlt es an der Herausarbeitung einer Abweichung, die zumindest verlangt hätte darzulegen,
weshalb die BSG-Rechtsprechung zur Absenkung von Leistungen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) überhaupt auf den Fall einer Aufrechnung (um den es im vorliegenden Rechtsstreit wohl geht) übertragen werden kann, dass
die Entscheidung des LSG im konkreten Fall auf der Abweichung beruht und es auch bei der Entscheidung im Revisionsverfahren
entscheidungserheblich auf den abweichenden Rechtssatz ankäme. Dazu wäre genauerer Vortrag zum Sachverhalt und Streitgegenstand
erforderlich gewesen.
Das gilt in vergleichbarer Weise für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache
nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine
konkrete Rechtsfrage formuliert, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit)
sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt
werden (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Auch diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Es fehlt auch insoweit jedenfalls
an der ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfragen.
Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nämlich nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsfähigkeit
- konkret-individuell sachlich entscheiden müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39 und § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass die Beschwerdeführerin den nach ihrer Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg
der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich
bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung wegen der gänzlich fehlenden Darlegung des entscheidungserheblichen
Sachverhalts ebensowenig. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Senats, sich im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde den für
die Entscheidung notwendigen Sachverhalt selbst zu erarbeiten.
Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist damit nicht begründet. Denn PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung
hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Zivilprozessordnung [ZPO]). Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§
73a Abs
1 SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.