Zulässigkeit eines Aussetzungsantrags gegen eine Vollstreckung im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Das Sozialgericht Bayreuth (SG) hat dem Antragsteller (ASt) im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsgegner (Ag) vorläufig ab 01.03.2012
bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31.07.2012, Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II -AlgII-)nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 31.03.2012
in Höhe von 449,50 EUR und ab 01.04.2012 in Höhe von monatlich 562,00 EUR zu zahlen. Ein Anspruch auf Alg II sei nicht offensichtlich
ausgeschlossen. Es sei, da das Existenzminimum eines Menschen bedroht sei, eine Folgenabwägung vorzunehmen, die vorliegend
zu einer vorläufigen Leistungsgewährung führen müsse. Das rein fiskalische Interesse des ASt müsse insoweit zurückstehen.
Dagegen hat der ASt Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der Ag sei allein zur Arbeitsuche eingereist und
habe daher gemäß § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II keinen Anspruch auf Alg II. Das SG sei nicht von der Europarechtswidrigkeit dieser Vorschrift überzeugt gewesen.
Zudem hat der ASt beantragt, die Vollstreckung aus dem Beschluss des SG auszusetzen. Die streitige Vorschrift sei vom SG zu Unrecht als unwirksam behandelt worden. Es fehle somit an einem Anordnungsanspruch für den Erlass einer einstweiligen
Anordnung. Aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung sei die Aussetzung der Vollstreckung geboten.
II. Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig.
Gemäß §
199 Abs
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu
entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des §
199 Abs
1 SGG liegt vor. Die Beschwerde des ASt gegen den Beschluss des SG Bayreuth hat keine aufschiebende Wirkung (§
175 Satz 1
SGG). Der ASt ist daher verpflichtet, die sich aus dem Beschluss ergebenden Beträge auszuzahlen, die aber gegebenenfalls wieder
zu erstatten sind.
Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.
Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen (BSG, Beschluss vom 05.09.2001
- B 3 KR 47/01 R -; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl. §
199 Rn 8), wobei der in §
175 SGG zum Ausdruck gekommene Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Beschwerden nur dann aufschiebende Wirkung haben, wenn
sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand haben. Eine Aussetzung kommt daher nur in Ausnahmefällen
in Betracht (vgl. Leitherer aaO. Rn 8a; BSG, Beschluss vom 28.10.2008 - B 2 U 189/08 B -).
Ob ein solcher Ausnahmefall vorliegt, ist im Rahmen einer Interessen- und Folgenabwägung zu prüfen. Dabei können die Erfolgsaussichten
der Beschwerde ausnahmsweise dann eine Rolle spielen, wenn diese offensichtlich fehlen (vgl. auch BSG, Beschluss vom 05.09.2001
- B 3 KR 47/01 R -) oder offensichtlich bestehen (BSGE 12, 138). Sind die Erfolgsaussichten jedoch nicht in dieser Weise eindeutig abschätzbar, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung
insbesondere zu berücksichtigen, ob dem ASt - über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als solcher verbunden
ist - ein im Nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde (BSG, Beschluss vom 05.09.2009 - B 3 KR 47/01 R -). Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, die vom Vollstreckungsschuldner (ASt) glaubhaft vorzutragen sind
(BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1). Zudem darf ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers (Ag) nicht entgegenstehen
(BSG, Beschluss vom 28.08.2007 - B 4 R 25/07 R -; vgl. hierzu auch die §
86b SGG zu entnehmenden Rechtsgedanken).
Vorliegend bestehen keine offensichtlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens, nämlich der Beschwerde im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zugunsten des ASt. Es sind weitere Überlegungen erforderlich, die dem Senat im Rahmen des Hauptsacheverfahrens
(Beschwerdeverfahren) vorbehalten bleiben müssen. Daher kann der Rechtsstreit lediglich als offen angesehen werden.
Es ist daher zu prüfen, ob ein Nachteil im o.g. Sinn vom ASt glaubhaft dargelegt worden ist. Dies ist nicht der Fall. Der
ASt ist auf die Frage des Nachteils in der Antragsbegründung nicht eingegangen. Er hat keinerlei Angaben dazu gemacht, weshalb
eine (spätere) Erstattungsmöglichkeit des Ag ausgeschlossen sein soll. Der ASt hat nicht einmal die Befürchtung geäußert,
eine Rückforderung könne eventuell auf Schwierigkeiten stoßen. Mangels Darlegung eines Nachteils im o.g. Sinn ist das Vorliegen
eines überwiegenden Interesses des Vollstreckungsgläubigers nicht zu überprüfen.
Nach alledem war der Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf die entsprechende Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).