Zulässigkeit der Korrektur des hochgerechneten Arbeitsentgelts bei der Festsetzung einer Altersrente
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe der seit 1. Dezember 2009 bezogenen Altersrente für Frauen.
Die 1949 geborene Klägerin war bei der A O B beschäftigt. Das bestehende Arbeitsverhältnis endete nach einer Phase der Altersteilzeit
am 30. November 2009. Sie stellte am 10. August 2009 bei der Beklagten einen Antrag auf Altersrente für Frauen. Auf der Vorderseite
der von der Klägerin unterschriebenen "Erklärung der Antragstellerin" ist folgender Absatz enthalten:
"Ich willige ein (sofern ich im Abschnitt beitragspflichtige Einnahmen nichts anderes bestimmt habe), dass der Rentenversicherungsträger
zur Beschleunigung des Rentenverfahrens
- frühestens drei Monate vor Rentenbeginn eine Meldung der beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume vom Arbeitgeber
anfordert,
- für den weiteren Zeitraum ggfs. bis zum Rentenbeginn die entsprechenden voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen
(maximal für drei Monate) hochrechnet und
- diese der Rentenberechnung zugrunde legt.
Mir ist bekannt, dass kurzfristige Unterbrechungen der Beschäftigung im letzten Jahr von weniger als einem Kalendermonat sowie
Sonderzahlungen in den letzten Monaten bis zum Rentenbeginn, die über die regelmäßigen Einmalzahlungen (wie Urlaubs- oder
Weihnachtsgeld) hinausgehen, bei der Hochrechnung der Arbeitsentgelte nicht berücksichtigt werden können. Sollten die tatsächlichen
beitragspflichtigen Einnahmen von den hochgerechneten Beträgen abweichen, können diese erst bei einer später zu zahlenden
Rente berücksichtigt werden."
Auf Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 26. August 2009 übermittelte die Arbeitgeberin der Klägerin der Beklagten
das beitragspflichtige Bruttoarbeitsentgelt für die Zeit vom 01. Januar bis 31. August 2009 (18.194,00 €).
Mit Rentenbescheid vom 13. Oktober 2009 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. Dezember 2009 eine Altersrente für Frauen
in Höhe von monatlich 676,56 € netto. Dieser hatte sie für die Zeit vom 1. September 2009 bis 30. November 2009 aufgrund einer
am 22. September 2009 durchgeführten Hochrechnung 6880,00 € zu Grunde gelegt. Bei dieser Hochrechnung war die Summe der beitragspflichtigen
Einnahmen eines 12-Kalendermonatszeitraums (27.519,67 €) multipliziert mit der Anzahl der Tage des zu belegenden Zeitraums
(90 Tage) dividiert durch die Anzahl der belegten Tage im 12-Kalendermonatszeitraum (360 Tage) berücksichtigt worden.
Am 5. November 2009 übermittelte die Arbeitgeberin der Klägerin der Beklagten gemäß § 25 DEÜV das tatsächliche Arbeitsentgelt für die Zeit vom 1. September 2009 bis 30. November 2009 i. H. v. 7804,00 €.
Im Widerspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die Beklagte habe weder eine Vorab- noch eine Vorausbescheinigung des
Arbeitgebers angefordert. Die erfolgte Hochrechnung sei falsch, denn diese berücksichtige nicht das an Beschäftigte im öffentlichen
Dienst regelmäßig im November gezahlte so genannte Weihnachtsgeld, das ebenfalls der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
unterliege und daher zu einer Rentenerhöhung führen müsse.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2010 zurück. Zur Begründung führte sie unter anderem
aus, nach §
194 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VI) in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung habe der Arbeitgeber auf Verlangen des Versicherten die beitragspflichtigen
Einnahmen für abgelaufene Zeiträume frühestens drei Monate vor Rentenbeginn gesondert zu melden. Auf Grundlage dieser gesonderten
Meldung erfolge eine Hochrechnung des Entgelts für die verbleibende Zeit bis zum Rentenbeginn. Sinn und Zweck dieser Regelung
sei es, die Rente vorzeitig feststellen zu können, um einen nahtlosen Übergang vom Erwerbsleben bzw. Erwerbseinkommen in die
Altersrente zu erreichen. Mit ihrem Antrag vom 10. August 2009 habe die Klägerin sich für eine frühzeitige Rentenbewilligung
entschieden. Dabei habe sie einer Rentenberechnung unter Berücksichtigung der seit dem 1. Januar 2008 gesetzlich hierfür vorgesehenen
Hochrechnung auf der Grundlage der für die letzten zwölf Kalendermonate davor gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen zugestimmt.
Auf Seite 5 des Rentenantrages werde verwiesen. Sei der Rente wegen Alters ein hochgerechneter Entgeltbetrag zugrundegelegt
worden, weil zum Zeitpunkt der Rentenfeststellung (Bescheiderteilung) die tatsächliche beitragspflichtige Einnahme noch nicht
bekannt gewesen sei, verbleibe es grundsätzlich bei dem einmal berücksichtigten Betrag. Das gelte unabhängig davon, ob die
tatsächliche beitragspflichtige Einnahme höher oder niedriger sei als die hochgerechnete, und selbst für den Fall einer erheblichen
Abweichung. §
70 Abs.
4 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung bestimme, dass das tatsächlich erzielte beitragspflichtige Arbeitsentgelt
auch dann außer Betracht bleibe, wenn dieses von dem hochgerechneten Betrag, der der Rentenberechnung zu Grunde gelegt worden
sei, abweiche. Der Rentenberechtigte könne die Neufeststellung seiner Altersrente auch dann nicht verlangen, wenn der Rentenbescheid
bei Bekanntwerden des tatsächlichen Arbeitsentgeltes noch nicht bindend geworden sei. Anderenfalls wäre Satz 2 des §
70 Abs.
4 SGB VI überflüssig.
Die anschließende Klage, mit der die Klägerin unter anderem geltend machte, jedenfalls sei sie nach den Regeln des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe die Beklagte sie bei Antragstellung richtig beraten, wies das Sozialgericht
Potsdam mit Urteil vom 2. November 2010 ab. Zur Begründung verwies es zunächst auf die Gründe des Widerspruchsbescheides und
führte darüber hinaus aus, die Klägerin habe der Hochrechnung zugestimmt. Die Erklärung sei nach Überzeugung der Kammer so
formuliert, dass aus der Sicht eines objektiven Empfängers unter Berücksichtigung einer Parallelwertung in der Laiensphäre
klar erkennbar gewesen sei, welche Auswirkungen die Erklärung habe: Nämlich den Ausschluss der Berücksichtigung tatsächlich
erzielter Einnahmen für die letzten drei Monate vor Rentenbeginn, egal ob sie später tatsächlich höher oder niedriger sein
würden. Dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Verwaltungsvereinfachung sowie der Beschleunigung des Verfahrens liefe es
zuwider, nachträglich doch das tatsächliche Arbeitsentgelt ermitteln und der Rentenberechnung nachträglich doch zu Grunde
legen zu müssen. Damit würden die zuvor unternommenen Verwaltungsschritte für die vorgenommene Hochrechnung überflüssig. Sie
würden dadurch den Charakter zusätzlicher Arbeitsschritte erhalten. In die Hochrechnung sei zudem - entgegen der Auffassung
der Klägerin - Weihnachtsgeld eingeflossen, denn die Berechnung berücksichtige die letzten zwölf Kalendermonate eines Zeitraums
bis drei Monate vor Rentenbeginn für die Ermittlung des Hochrechnungsbetrages. Wie die Klägern selbst vorgetragen habe, habe
sie auch in den Jahren zuvor Weihnachtsgeld erhalten, so dass diese Zuwendung bei der Hochrechnung nicht unbeachtet geblieben
sei. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Rentenbescheides am 13. Oktober 2009 und damit zum Zeitpunkt des Abschlusses der Verwaltungsentscheidung
habe das tatsächliche Arbeitsentgelt zudem noch nicht festgestanden. Den Vorteil eines nahtlosen Übergangs in die Altersrente
habe sich die Klägerin nur dadurch sichern können, dass sie der Hochrechnung zugestimmt habe. Hätte die Beklagte bis November
gewartet, um die tatsächliche Höhe des Einkommens festzustellen, wäre es nicht möglich gewesen, dass die Klägerin bereits
ab 1. Dezember 2009 Rentenzahlungen erhalten hätte. Die von der Klägerin gewünschte Auslegung und Anwendung der Vorschrift
würde dazu führen, dass die Versicherten zuerst der Hochrechnung zustimmten, um eine zügige Rentenberechnung und Entscheidung
hierüber zu erhalten, um sich so Rentenzahlungen ab Rentenbeginn zu sichern, jedoch später versuchten im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
eine erneute Berechnung und Entscheidung der Beklagten über die Rentenhöhe zu erreichen. Dies widerspreche jedoch nach Überzeugung
des Gerichts dem oben dargestellten Sinn und Zweck des Gesetzes.
Gegen das ihr am 10. November 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Dezember 2010 Berufung bei dem Landessozialgericht
Berlin-Brandenburg eingelegt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 2. November 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
13. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Juni 2010 zu verurteilen, ihr ab 1. Dezember 2009 Altersrente
für Frauen unter Berücksichtigung des tatsächlich im Zeitraum vom 1. September 2009 bis 30. November 2009 erzielten Arbeitsentgeltes
i. H. v. 7804,00 € zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst
Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig (§§
143,
151 SGG) und begründet. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 S. 1, Abs.
4 SGG), gerichtet auf einen höheren Rentenbetrag, zulässig. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rentengewährung in der Höhe, die
sich unter Zugrundelegung des tatsächlich erzielten Bruttoarbeitsentgelts für die Monate September bis November 2009 ergibt.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden, §
64 SGB VI. Die Höhe der Rente richtet sich vor allem nach der Höhe der während des Versicherungslebens durch Beiträge versicherten
Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen, §
63 Abs.
1 SGB VI.
Arbeitgeber haben auf Verlangen des Rentenantragstellers die beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume frühestens
drei Monate vor Rentenbeginn gesondert zu melden (§
194 Abs.
1 S. 1
SGB VI). Erfolgt eine Meldung nach Satz 1, errechnet der Rentenversicherungsträger bei Anträgen auf Altersrente die voraussichtlichen
beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für bis zu drei Monate nach
den in den letzten zwölf Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen (§
194 Abs.
1 S. 3
SGB VI).
Zur Sicherstellung einer beschleunigten Rentenfeststellung einer Altersrente hatte der Gesetzgeber zunächst in §
194 SGB VI (a.F., d.h. Fassung bis zum 31. Dezember 2007) den Arbeitgebern auferlegt, den Versicherten auf Verlangen das voraussichtliche
beitragspflichtige Arbeitsentgelt für die Zeit bis zum Ende der Beschäftigung bis zu drei Monaten im Voraus zu bescheinigen
(sogenannte "Entgeltvorausbescheinigung"). Durch das "Zweite Gesetz zum Abbau bürokratischer Hemmnisse insbesondere in der
mittelständischen Wirtschaft" (MEG II) vom 07. September 2007 wurde diese Regelung abgeschafft. Mit Wirkung ab 01. Januar
2008 trat an die Stelle der Vorausbescheinigung durch den Arbeitgeber dessen Verpflichtung zur Abgabe einer gesonderten Meldung
der beitragspflichtigen Einnahmen für abgelaufene Zeiträume, frühestens drei Monate vor Rentenbeginn. Den Rentenversicherungsträgern
wurde es auferlegt, bei Antrag auf Altersrente und Vorlage einer gesonderten Meldung im Sinne von §
194 SGB VI die voraussichtlichen beitragspflichtigen Einnahmen für den verbleibenden Beschäftigungszeitraum bis zum Rentenbeginn für
bis zu drei Kalendermonate nach den in den letzten 12 Kalendermonaten gemeldeten beitragspflichtigen Einnahmen hochzurechnen
(§
194 Abs.
1 S. 3
SGB VI). Aus diesen hochgerechneten Einnahmen hat der Rentenversicherungsträger die zur Berechnung des individuellen Rentenanspruchs
erforderlichen persönlichen Entgeltpunkte zu ermitteln (§
70 Abs.
4 Satz 1
SGB VI). Weichen die tatsächlich erzielten beitragspflichtigen Einnahmen des Versicherten von der durch den Rentenversicherungsträger
erstellten Hochrechnung ab, bleiben sie nach §
70 Abs.
4 S. 2
SGB VI für diese Rente außer Betracht. Dies bedeutet, dass die Klägerin nach dem Wortlaut des §
70 Abs.
4 SGB VI keinen Anspruch auf eine Altersrente unter Berücksichtigung ihrer tatsächlichen beitragspflichtigen Einnahmen in der Zeit
von September bis November 2009 hat.
Dieses Ergebnis ist jedoch weder mit Sinn und Zweck der §§
194,
70 SGB VI noch mit wesentlichen verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar, wie bereits der 4. Senat des Bundessozialgerichts (Urteil
vom 16. November 1995, 4 RA 48/93 zu § 123 Angestelltenversicherungsgesetz, aber auch schon zu dem ab dem 01. Januar 1992 geltenden Recht; ähnlich Bayerisches
Landessozialgericht Urteil vom 13. August 2008, L 13 R 58/08 zu dem bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Recht; a. A. LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08. Dezember 2010, L 6 R 244/10, das im Ergebnis aber ebenfalls eine Neuberechnung der Rente für notwendig hält, zitiert nach Juris) entschieden hat. Ausgangspunkt
der Überlegungen des Bundessozialgerichts war die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber mit Einführung von §
194 SGB VI a. F. und §
70 SGB VI die bis 31. Dezember 1991 geltenden Vorschriften von § 123 AVG sinngemäß übernahm, ohne deren Regelungsgehalt inhaltlich zu ändern. Unstreitig verfolgte der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften
den alleinigen Zweck, das Verwaltungsverfahren im Sinne der Versicherten zu beschleunigen und mit dem Ziel, einen nahtlosen
Übergang aus der Erwerbsphase in den Rentenbezug sicherzustellen, eine frühzeitige Antragstellung zu ermöglichen. Daran hat
sich durch die Änderung der §§
70 Abs.
4 und
194 SGB VI zum 01. Januar 2008 nichts geändert, da lediglich die Arbeitgeber entlastet werden sollten, ohne dabei die bisherige Rechtsposition
der Versicherten zu verändern. Der Normzweck von §
194 in Verbindung mit §
70 Abs.
4 SGB VI beschränkt sich deshalb zeitlich auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens, ist mit Erlass des Verwaltungsaktes (hier Bescheid
vom 13. Oktober 2009) erschöpft und steht einer nachträglichen Korrektur der Entscheidung unter Zugrundelegung der tatsächlichen
Verhältnisse nicht entgegen (BSG aaO.).
Es ist auch verfassungsrechtlich geboten §
70 Abs.
4 SGB VI so zu interpretieren, dass eine Rentengewährung auf der Grundlage der nach den tatsächlichen Entgelten bestimmten Entgeltpunkte
durch nachträgliche Neufeststellung möglich bleibt. Bei der von der Klägerin erhobenen Anfechtungs- und Leistungsklage gilt
dies jedenfalls für den Fall, dass der Rentenbescheid noch nicht gemäß §
77 SGG bestandskräftig geworden ist (vgl. BayLSG aaO.). Die davon abweichende Praxis und Rechtsauffassung der Beklagten steht nicht
im Einklang mit Art.
3 und
14 Grundgesetz (
GG) (siehe hierzu ausführlich BSG aaO. und BayLSG aaO. sowie zu den dagegen sprechenden Argumenten LSG Rheinland-Pfalz aaO.).
Im Lichte des Gleichheitsgrundsatzes nach Art.
3 Abs.
1 GG ist die Rente neu festzusetzen, wenn sich herausstellt, dass die beitragspflichtigen Einnahmen zu niedrig bescheinigt wurden.
Ohne eine Angleichung wäre die Klägerin ohne sachlichen Grund gegenüber der Gruppe der Rentner, bei denen die Rente nicht
unter Berücksichtigung einer Hochrechnung berechnet wurde, benachteiligt. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus dem Grundrecht
auf Schutz des Eigentums nach Art.
14 GG. Auch die durch dieses Grundrecht geschützte Rentenanwartschaft verlangt eine entsprechende verfassungskonforme Auslegung
des §
70 Abs.
4 SGB VI, d.h. eine Rentengewährung in der Höhe, wie sie sich aus den Beiträgen gemäß dem tatsächlichen Arbeitsentgelt ergibt. Dies
gilt jedenfalls für den auch hier vorliegenden Fall, dass der Rentenbescheid noch nicht bestandskräftig im Sinne des §
77 SGG ist (so auch: KassKomm-Polster, §
70 SGB VI Rdnr. 19). Dabei ist nämlich auch in prozessualer Hinsicht zu berücksichtigen, dass maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung
der Sach- und Rechtslage bei der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ist.
Die von der Klägerin unterschriftlich auf dem vorformulierten Rentenantrag abgegebene Einwilligung, dass der Rentenversicherungsträger
zur Beschleunigung des Rentenverfahrens für einen Zeitraum von maximal drei Monaten vor Rentenbeginn die entsprechenden voraussichtlichen
beitragspflichtigen Einnahmen hochrechnet und diese der Rentenberechnung zu Grunde legt, ist kein Verzicht im Sinne von §
46 Abs.
1 S. 1
SGB I (BayLSG aaO.).
Zutreffend hat die Klägerin in ihrer Klageschrift darauf hingewiesen, dass bei einer anderen Auslegung der oben genannten
Vorschriften, die Rechtsfigur des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eingreifen würde, da die Beklagte sie auf die nahe
liegende Möglichkeit hätte hinweisen müssen, der Hochrechnung der Entgelte nicht zuzustimmen, sondern stattdessen einen Antrag
gemäß § 42 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch zu stellen (so bereits das BSG aaO. mit ausführlicher Begründung, warum dies
letztlich die beabsichtigte Verfahrensbeschleunigung verhindern würde, und zum geltenden Recht das Hessische LSG Urteil vom
17. Dezember 2010, L 5 R 272/09, zitiert nach Juris).
Nach alledem kann offen bleiben, ob die Klägerin auch unter dem Aspekt, dass die Beklagte bei der Ermittlung der maßgeblichen
"letzten 12 Kalendermonate" möglicherweise eine nicht dem Gesetzeszweck entsprechende Berechnung vorgenommen hat, da sie für
die Monate September 2008 bis Dezember 2008 nicht das tatsächliche beitragspflichtige Arbeitsentgelt der Klägerin zugrunde
gelegt hat, sondern aus dem im Versicherungsverlauf enthaltenen Jahresarbeitsentgelt einen Durchschnittsverdienst (Jahreseinkommen
durch 12 mal 4) ermittelt hat (vgl. hierzu ausführlich: Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 08. Dezember 2010, Az. L 6 R 244/10, zitiert nach Juris), einen Anspruch auf Neuberechnung der Rente hat.
Die Kostenfolge stützt sich auf §
193 SGG und berücksichtigt, dass der Klägerin der geltend gemachte Anspruch zusteht.
Die Revision ist wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nrn. 1
SGG).