Qualitätsprüfungsverfahren in der vertragsärztlichen Versorgung; Bescheideigenschaft einer Aufforderung zur Vorlage von Behandlungsdokumentationen;
Ende des Verwaltungsverfahrens
Gründe:
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. März 2011 ist gemäß §§
172 Abs.
1,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im Wege einstweiliger
Anordnung zu verpflichten, das ihn betreffende Qualitätsprüfungsverfahren für den Leistungsbereich Substitutionsbehandlungen
Opiatabhängiger im Quartal I/2010 auszusetzen, bis die Antragsgegnerin ihm gegen Kostenerstattung Unterlagen vorgelegt habe,
aus denen sich seine Heranziehung nach einem statistisch gesicherten Verfahren i.S.v. § 4 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses
(GBA) zu Auswahl, Umfang und Verfahren bei Qualitätsprüfungen im Einzelfall nach §
136 Abs.
2 SGB V ("Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung" vom 18. April 2006, veröffentlicht im Bundesanzeiger 2006 S.
5141, in Kraft getreten am 1. Januar 2007) ergebe, rechtsfehlerfrei abgelehnt. Denn dem Antragsteller fehlt für sein Rechtsschutzbegehren
jedes schutzwürdige rechtliche Interesse.
1.) Zu Unrecht beruft er sich mit der Beschwerde zur Begründung der Zulässigkeit seines Antrages darauf, dass die Aufforderungen
durch die Antragsgegnerin vom 24. November und 29. Dezember 2010, für 12 namentlich benannte Patienten Unterlagen zur Dokumentation
der von ihm durchgeführten Substitutionsbehandlung Opiatabhängiger vorzulegen, selbständig anfechtbare Verwaltungsakte darstellten.
Denn diese Schreiben sind weder nach ihrem Inhalt noch nach der ihnen als Rechtsgrundlage zu Grunde liegenden Qualitätsprüfungs-Richtlinie
vertragsärztliche Versorgung auf die Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtwirkung nach außen i. S. von § 31 Sozialgesetzbuch/Zehntes Buch (SGB X) gerichtet und deshalb keine Verwaltungsakte. Zwar ist dem Antragsteller entsprechend der normativen Regelung in § 4 Qualitätsprüfungs-Richtlinie
vertragsärztliche Versorgung durch die genannten Schreiben mitgeteilt worden, dass die Qualität der von ihm durchgeführten
Substitutionsbehandlung im Quartal I/2010 geprüft werden solle und er genau bezeichnete Behandlungsdokumentationen für namentlich
benannte Patienten innerhalb einer ihm bestimmten Frist vorzulegen habe. Diese Verpflichtung dient jedoch nur der Vorbereitung
der in § 6 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung vorgesehenen Stichprobenprüfung. Deren Ergebnis hat die
Antragsgegnerin dem Antragsteller gemäß § 6 Abs. 4 Satz 1 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung zusammen
mit den von ihr nach § 6 Abs. 3 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung im Rahmen pflichtgemäßen Ermessen
auf der Grundlage der Ergebnisniederschrift der Qualitätssicherungs-Kommission zu treffenden Maßnahmen in einem schriftlichen
Bescheid mitzuteilen. Kommt der zur Qualitätsprüfung ausgewählte Arzt der Aufforderung zur Vorlage der Dokumentationen innerhalb
der ihm gesetzten Frist nicht nach, soll nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung
eine Erinnerung erfolgen. Werden die Dokumentationen aus Gründen, die der Arzt zu vertreten hat, innerhalb einer Frist von
weiteren vier Wochen nach Zugang der Erinnerung erneut nicht eingereicht, wird vermutet, dass alle im betreffenden Prüfquartal
abgerechneten Leistungen des zu überprüfenden Leistungsbereichs nicht den Qualitätsanforderungen entsprechen. In diesem Falle
kann die Kassenärztliche Vereinigung entscheiden, diese Leistungen nicht zu vergüten oder die geleisteten Vergütungen zurückzufordern
(§ 5 Abs. 2 Satz 2 und 3 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung). Außerdem werden beim betreffenden Arzt
im Folgequartal nochmals Dokumentationen nach Absatz 1 angefordert (§ 5 Abs. 3 Satz 1 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche
Versorgung). Aus der Systematik dieser Regelungen folgt, dass die bloße Weigerung eines Vertragsarztes, die verlangten Dokumentationen
vorzulegen, unmittelbar keine Rechtsfolgen nach sich zieht. Nur wenn die Nichtvorlage der Dokumentation aus Gründen erfolgt,
die der Arzt zu vertreten hat, darf die Antragsgegnerin weitere Maßnahmen gegen ihn ergreifen. Hierzu gehört an erster Stelle
die Entscheidung, alle im betreffenden Prüfquartal abgerechneten Leistungen des zu überprüfenden Leistungsbereichs nicht zu
vergüten. Diese Entscheidung steht allerdings im Ermessen der Antragsgegnerin, die deshalb von dieser Maßnahme auch absehen
darf. Ob der Antragsteller aus seiner Weigerung, die von ihm verlangten Behandlungsdokumentationen vorzulegen, überhaupt Rechtsfolgen
ausgesetzt ist, hängt deshalb von den von der Antragsgegnerin vorzunehmenden und inzwischen auch vorgenommenen Entscheidungen
nach § 5 Abs. 2 und 3 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung ab. Im Rahmen dieser Prüfung ist erstmals
auch über alle weiteren vom Antragsteller aufgeworfenen Rechtsfragen durch eine bestandskraftfähige Entscheidung im Sinne
des § 31 SGB X zu entscheiden. Aus der Systematik der Regelungen der Richtlinie des GBA folgt weiter, dass die Aufforderungen nach § 4 Qualitätsprüfungs-Richtlinie
vertragsärztliche Versorgung nicht selbständig durchsetzbar und damit nicht vollstreckbar sind, wie der Antragsteller behauptet.
Denn wie das der Antragsgegnerin von der Richtlinie zugebilligte Ermessen zeigt, sind die in § 5 Abs. 2 und 3 Qualitätsprüfungs-Richtlinie
vertragsärztliche Versorgung vorgesehenen Maßnahmen selbständige (Grund-)Verwaltungsakte und keine Vollziehungs- oder Vollstreckungsmaßnahmen
der Aufforderung zur Vorlage von Behandlungsdokumentationen. Würde es sich bei den Aufforderungsschrieben um Verwaltungsakte
handeln, wie der Antragsteller meint, wäre sein Antrag im Übrigen auch deshalb unzulässig, weil er sein Rechtsschutzbegehren
dann mit einem Antrag nach §
86b Abs.
1 Nr.
1 SGG mit dem Ziel hätte verfolgen müssen, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die Aufforderungsschreiben festzustellen.
2.) Ob der Zulässigkeit des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bis zur Entscheidung der Antragsgegnerin über
die Folgen der Weigerung des Antragstellers, Behandlungsdokumentationen vorzulegen, der aus §
44a Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) zu entnehmende Rechtsgedanke entgegengehalten werden konnte, dass Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur
gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können, bedarf hier keiner
Entscheidung mehr. Denn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Aussetzung des Qualitätsprüfungsverfahrens
bis zur Vorlage der vom Antragsteller verlangten Unterlagen ist jedenfalls deswegen unzulässig geworden, weil die Antragsgegnerin
inzwischen durch Bescheid vom 11. Mai 2011 dem Grunde nach gemäß § 5 Abs. 2 und 3 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche
Versorgung über die Rückforderung vertragsärztlichen Honorars entschieden und eine neue Qualitätsprüfung des Antragstellers
im Quartal II/2010 angeordnet hat. Damit ist das Qualitätsprüfungsverfahren für das Quartal I/2010, in dem der Antragsteller
Akteneinsicht nach § 25 Abs. 5 SGB X begehrte, abgeschlossen (vgl. auch § 8 letzter Halbsatz SGB X). Das Begehren des Antragstellers auf Gewährung von Akteneinsicht vor Ergehen einer Entscheidung der Antragsgegnerin nach
§ 5 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung ist damit gegenstandslos geworden und sein Rechtsschutzbedürfnis
sowohl für die Klage als auch das sich daran anknüpfende vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren entfallen. Denn vor
einer Entscheidung der Antragsgegnerin über die Folgen der Nichtvorlage der vom Antragsteller geforderten Behandlungsdokumentationen
und dem sich daraus ergebenden Abschluss des Qualitätssicherungsverfahrens für das Quartal I/2010 kann Akteneinsicht nicht
mehr gewährt werden. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit seiner Heranziehung zum Qualitätssicherungsverfahren für dieses
Quartal kann der Antragsteller nunmehr nur noch nachträglich erreichen. Dafür steht ihm der Rechtsschutz gegen die ergangene
Entscheidung der Antragsgegnerin gemäß § 5 Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung vom 11. Mai 2011 zur
Verfügung (in diesem Sinne die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, Kammerbeschluss vom
24. Oktober 1990, 1 BvR 1028/90 RdNr. 15-17), gegen die der Antragsteller nach seinem Vorbringen Widerspruch eingelegt hat.
3.) In diesem Widerspruchsverfahren wird sich zunächst die Antragsgegnerin und in einem sich ggf. anschließenden Klageverfahren
auch das Sozialgericht u.a. mit der Rechtsfrage auseinandersetzen müssen, welche Auswirkungen der mit Wirkung zum 1. April
2007 neu gefasste §
299 Sozialgesetzbuch/Fünftes Buch (
SGB V) auf das Qualitätssicherungsverfahren nach der Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche Versorgung hat. Denn diese
Vorschrift schreibt für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten von Versicherten für Zwecke der Qualitätssicherung
u.a. nach §
136 Abs.
2 SGB V vor, dass die versichertenbezogenen Daten durch den Vertragsarzt nach einem in der Qualitätssicherungsrichtlinie nach §
136 Abs.
2 Satz 2
SGB V vorgesehenen, unter Berücksichtigung der Empfehlungen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik festgelegten
Verfahren pseudonymisiert und die betroffenen Versicherten in geeigneter Weise eine qualifizierte Information erhalten sollen
(§
299 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 und
3, Abs.
2 Sätze 1 und 2
SGB V). Die im Jahre 2006 erlassene und mit Wirkung zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Qualitätsprüfungs-Richtlinie vertragsärztliche
Versorgung sieht entsprechende Verfahrensregelungen nicht vor. Soweit die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis kommen sollte, dass
die Richtlinie in der geltenden Fassung deshalb gegen §
299 SGB V verstößt, hätte sie trotz fortbestehender Bindung an die Richtlinie die Möglichkeit, ihre Anpassung an das geltende Recht
des
SGB V beim GBA anzuregen.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs.
2 VwGO sowie auf §§ 52 und 53 Gerichtskostengesetz (GKG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).