Hinterbliebenenpension nach dem EntschRG
Anspruch wegen fortdauernder Invalidität
Leistungsgewährung an volljährige Hinterbliebene
Nach Vollendung des 18. Lebensjahres eintretende Invalidität
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger eine Hinterbliebenenpension nach dem Gesetz über Entschädigungen für Opfer
des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet vom 22. April 1992 (Entschädigungsrentengesetz - EntschRG) zusteht.
Der 1955 in D. geborene Kläger machte 1971 den Hauptschulabschluss und besuchte danach bis 1974 die kaufmännische Berufsfachschule,
wo er einen Abschluss mit Fachoberschulreife erwarb. Anschließend war er als Landarbeiter in einem Kloster (1975-1978) und
als Archivangestellter im Rahmen einer ABM-Maßnahme (1979-1981) berufstätig. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit absolvierte
er von 1984 bis 1986 erfolgreich eine Ausbildung als Arzthelfer und war danach noch einige Monate im Ausbildungsbetrieb tätig.
Von 1986 bis 1992 arbeitete er als Angestellter im Fernmeldedienst und von 1992 bis 1999 als Arztsekretär beim M. in H ...
Seit Ende 1999 ist er in Teilzeit als Büroangestellter in einer Tischlerei beschäftigt, zunächst mit 20 Stunden pro Woche
und seit 2016 auf Minijob-Basis.
Der 1905 geborene und 1993 verstorbene Vater des Klägers war als Verfolgter des Nationalsozialismus anerkannt und erhielt
bis April 1992 eine Ehrenpension nach dem Recht der früheren DDR, die ab Mai 1992 als Entschädigungsrente nach EntschRG weitergezahlt wurde.
Anlässlich eines 2001 gestellten Antrags auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ließ die Beklagte den Kläger durch den
Orthopäden Dr. H1 begutachten. Dieser gelangte in seinem Gutachten vom 3. März 2001 nach ambulanter Untersuchung des Klägers
am 27. Februar 2001 zu folgenden Diagnosen: Mittelgradige Coxarthrose rechts nach kindlicher Hüftkopfepiphysenlösung; lokales
fehlstatisches Lumbalsyndrom; Genu valgum recurvatum (X-Stellung und Überstreckbarkeit des Knies) links; allgemeine Gelenkhypermobilität
und muskuläre Dysbalance; psychovegetativer Erschöpfungszustand. Der Kläger sei hiermit in der Lage, leichte bis mittelschwere
körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen ohne häufiges Gehen und Stehen vollschichtig auszuüben.
Des Weiteren untersuchte die Nervenärztin und Internistin Dr. von M1 den Kläger am 8. März 2001 im Auftrag der Beklagten und
stellte in ihrem Gutachten vom selben Tag die Diagnose einer neurotischen Entwicklung bei narzisstischer Persönlichkeitsstruktur.
Eine schwere Depression, ein hirnorganischer Abbau oder ein psychotisches Geschehen verneinte Dr. von M1 und kam zu dem Ergebnis,
dass der Kläger körperlich leichte Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung vollschichtig ausüben könne.
Nach Ablehnung des Rentenantrags und Zurückweisung des hiergegen gerichteten Widerspruchs wurde der Kläger im anschließenden
Klageverfahren (S 11 RA 592/01) auf Veranlassung des Sozialgerichts von dem Facharzt für Orthopädie P. am 2. September 2002 ambulant untersucht. In seinem
Gutachten vom 4. September 2002 gelangte dieser zu folgenden Diagnosen: Verschleißumformung des rechten Hüftgelenks mit leichter
Bewegungseinschränkung bei Zustand nach Hüftkopfepiphysenlösung; Skoliose bei Beinlängendifferenz, degeneratives Wirbelsäulensyndrom
bei Fehlhaltung und leichtgradigen Verschleißveränderungen der Wirbelsäule; Spreizfüße ohne Dekompensationszeichen. Der Kläger
könne leichte bis mittelschwere Arbeiten körperlicher Art und durchschnittlicher geistiger Art mit durchschnittlicher Verantwortung
vollschichtig ausüben. Qualitative Einschränkungen (nur Tätigkeiten überwiegend im Sitzen und in wechselnder Körperhaltung,
keine langanhaltenden oder außerordentlich häufigen Zwangshaltungen, nur zu ebener Erde, nicht auf Knien oder in der Hocke)
seien zu beachten.
Auf Veranlassung des Sozialgerichts erstellte sodann der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. ein Gutachten vom 19.
November 2003 nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 10. November 2003. Er führte aus, der psychopathologische Befund
sei unauffällig und ergebe im Untersuchungszeitpunkt keinen Anhalt für eine krankheitswertige Depressivität oder eine andere
Störung psychischer Art von erheblichem Krankheitswert. Unter Berücksichtigung der Aktenlage müsse man aber von einer psychischen
Minderbelastbarkeit ausgehen. Ausgeschlossen seien daher Tätigkeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an psychische
Belastbarkeit und Konflikt- und Anpassungsfähigkeit. Unter Beachtung dieser Einschränkungen sei der Kläger vollschichtig leistungsfähig.
Der Rechtsstreit wurde daraufhin durch klagabweisendes Urteil vom 11. Dezember 2003 beendet, welches der Kläger nicht angefochten
hat.
Aufgrund eines erneuten Rentenantrages erhält der Kläger seit dem 1. April 2012 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
aufgrund eines Leistungsfalls vom 9. März 2012. Grundlage hierfür war ein im Auftrag der Beklagten erstelltes Gutachten des
Arztes für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. H2 vom 14. Juni 2012, der bei dem Kläger eine im Untersuchungszeitpunkt bestehende
leichte depressive Episode sowie eine abnorme Gewohnheit (Sammeltrieb) und Störung der Impulskontrolle feststellte und zu
dem Ergebnis gelangte, dass der Kläger nur noch in der Lage sei, täglich drei bis sechs Stunden einer Tätigkeit auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt nachzugehen.
Im Februar 2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Prüfung, ob ihm aufgrund seiner Erwerbsminderung auch eine Hinterbliebenenpension
nach dem EntschRG nach seinem verstorbenen Vater zustehe, der bis zu seinem Tod im Jahr 1993 eine Ehrenpension als Kämpfer gegen den Faschismus
bezogen habe.
Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass eine solche Leistung voraussetze, dass er bereits seit Vollendung seines 18. Lebensjahres
durchgehend in Berufsausbildung, in einem Studium oder "invalide" nach dem Recht der früheren DDR gewesen sei. Invalidität
habe nach dem Recht der früheren DDR bestanden, wenn das Leistungsvermögen und der Verdienst durch Krankheit, Unfall oder
eine sonstige geistige oder körperliche Schädigung um mindestens zwei Drittel gemindert gewesen sei. Dies sei im Falle des
Klägers jedenfalls nicht durchgehend seit Vollendung seines 18. Lebensjahres der Fall. Der Kläger erwiderte darauf, dass sein
Leistungsvermögen schon ab dem 13. Lebensjahr durch sexuellen Missbrauch im familiären Umfeld im genannten Umfang gemindert
gewesen sei.
Nach weiterem Schriftwechsel lehnte die Beklagte den Antrag durch Bescheid vom 12. Januar 2016 ab. Aus den medizinischen Unterlagen
lasse sich eine durchgehende Invalidität seit Vollendung des 18. Lebensjahres nicht erkennen. Vielmehr habe der Kläger verschiedene
Berufstätigkeiten ausgeübt und es sei durch die umfangreichen medizinischen Ermittlungen belegt, dass bis 2012 ein vollschichtiges
Leistungsvermögen bestanden habe.
Der Kläger erhob dagegen Widerspruch und führte aus, er sei schon seit 1968 wegen des erfolgten sexuellen Missbrauchs voll
erwerbsgemindert beziehungsweise invalide. Er habe schon früh suizidale Gedanken gehabt und sei seit den Achtzigerjahren praktisch
durchgehend in nervenärztlicher Behandlung. Seit 1997 sei bei ihm ein Grad der Behinderung von 70 anerkannt. Die Entschädigung
müsse ihm daher aus rechtlichen und moralischen Gründen gewährt werden.
Nach weiterem umfangreichen Schriftwechsel wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2016
zurück und berief sich erneut darauf, dass eine vor Vollendung des 18. Lebensjahres eingetretene und seitdem durchgehend fortbestehende
Invalidität des Klägers nicht festgestellt werden könne.
Mit seiner dagegen am 23. September 2016 erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt und sich auf eine "finanzielle
und berufliche sowie bildungsmäßige Schädigung bei Zustand nach sexuellem Kindesmissbrauch im familiären Bereich" gestützt.
Es gehe ihm darum, eine moralische und rechtliche Anerkennung als Geschädigter und Missbrauchsopfer sowie eine zumindest symbolische
Entschädigung zu erhalten.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 14. Februar 2017 abgewiesen und ausgeführt, dass es keine Anhaltspunkte
für eine seit dem 18. Lebensjahr durchgehend bestehende Invalidität gebe. Vielmehr zeige der berufliche Werdegang des Klägers,
dass er über viele Jahre in der Lage gewesen sei, verschiedene berufliche Tätigkeiten auszuüben. Auch die umfangreichen medizinischen
Ermittlungen im Rahmen des Verfahrens S 11 RA 592/01 hätten jedenfalls für die Jahre 2001 bis 2003 ein vollschichtiges Leistungsvermögen des Klägers ergeben.
Der Kläger hat dagegen am 21. Februar 2017 Berufung eingelegt und kritisiert umfassend das Entschädigungsrentengesetz sowie
das Bundesentschädigungsgesetz und das
Opferentschädigungsgesetz als nicht ausreichend für viele Betroffenengruppen. Er sei Angehöriger gleich mehrerer Betroffenengruppen und sei gerade
auch in den letzten Jahren in H. Opfer von verstärkten staatlichen Verfolgungsmaßnahmen der bis heute faschistisch durchwirkten
Justiz gewesen. Er beantrage daher eine erweiterte und grundlegende Überprüfung seines Antrages nach dem EntschRG.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2016
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Hinterbliebenenpension
nach dem Entschädigungsrentengesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte, die Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf die
beigezogene Prozessakte des Verfahrens S 11 RA 592/01 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch sonst zulässige Berufung (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig
und der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Hinterbliebenenpension nach dem EntschRG.
Nach § 2 Abs. 2 EntschRG in Verbindung mit § 7 Abs. 2 der Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus sowie für deren Hinterbliebene
(FEhrPensAnO) besteht ein Anspruch auf Hinterbliebenenpension für Voll- und Halbwaisen von Kämpfern gegen den Faschismus oder
Verfolgten des Faschismus bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres, darüber hinaus bis zum Abschluss der Berufsausbildung oder
des Studiums oder für die Dauer der Invalidität.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Kläger hat sein 18. Lebensjahr bereits 1973 vollendet und er befindet sich auch
nicht mehr in der Ausbildung oder im Studium.
Auch ein Anspruch wegen fortdauernder Invalidität ist nicht gegeben. Zu Recht gehen die Beklagte und das Sozialgericht davon
aus, dass ein solcher Anspruch nur für die Dauer einer bereits bei Vollendung des 18. Lebensjahres bestehenden und seitdem
ununterbrochen andauernden Invalidität in Betracht kommt. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 2 FEhrPensAnO wird die Hinterbliebenenpension
grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gezahlt. "Darüber hinaus" besteht der Anspruch nur dann, wenn der
Betroffene aufgrund seiner Invalidität daran gehindert ist, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Die Regelung lässt
eine Leistungsgewährung an volljährige Hinterbliebene also nur zu, wenn diese von vornherein krankheitsbedingt in besonderem
Maße schutzwürdig sind. Die Vorschrift sieht jedoch nicht vor, den Anspruch durch eine später - unter Umständen noch Jahrzehnte
nach Vollendung des 18. Lebensjahres - eintretende Invalidität erstmals entstehen zu lassen.
Eine durchgehend seit dem 18. Lebensjahr bestehende Invalidität des Klägers kann nicht festgestellt werden, denn sowohl sein
beruflicher Werdegang als auch die vorhandenen medizinischen Unterlagen sprechen dagegen.
Invalidität liegt gemäß § 8 der Verordnung über die Gewährung und Berechnung von Renten der Sozialpflichtversicherung vom
23. November 1979 (GBl. DDR I 1979, 401) bzw. Art. 2 § 7 Abs. 3 des Gesetzes zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen
Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) vor, wenn durch Krankheit, Unfall oder eine sonstige geistige
bzw. körperliche Schädigung das Leistungsvermögen und der Verdienst um mindestens zwei Drittel gemindert sind und die Minderung
des Leistungsvermögens in absehbarer Zeit durch Heilbehandlung nicht behoben werden kann.
Der Kläger war aber nach der Vollendung seines 18. Lebensjahres im Jahr 1973 noch über viele Jahre in der Lage, Ausbildungen
zu absolvieren und verschiedene berufliche Tätigkeiten auszuüben. So erwarb er 1974 einen Abschluss mit Fachoberschulreife
und war danach als Landarbeiter bzw. Archivangestellter berufstätig. Auch die in den Jahren 1984 bis 1986 durchgeführte Ausbildung
als Arzthelfer schloss er erfolgreich ab. Im Anschluss daran war er bis 1992 als Angestellter im Fernmeldedienst beschäftigt
und absolvierte dort nach eigenen Angaben gegenüber dem im Verfahren S 11 RA 592/01 bestellten Gutachter Dr. L. auch diverse Qualifizierungsmaßnahmen. Von 1992 bis 1999 war er als Arztsekretär beim MDK beschäftigt
und auch in den Jahren 1999 bis 2015 war er schließlich noch durchgehend mit ca. 20 Stunden pro Woche als Büroangestellter
in einer Tischlerei beschäftigt. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass der Verdienst des Klägers dabei krankheitsbedingt
gemindert war.
Dementsprechend blieb sein Ende 2001 gestellter Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente noch ohne Erfolg. Die im
Rahmen des diesbezüglichen Gerichtsverfahrens eingeholten Gutachten des Orthopäden P. vom 4. September 2002 und des Neurologen
und Psychiaters Dr. L. vom 19. November 2003 führten zu dem Ergebnis, dass der Kläger unter Beachtung von qualitativen Einschränkungen
in der Lage war, täglich sechs Stunden und mehr zu arbeiten. Das den damaligen Rechtsstreit beendende klagabweisende Urteil
vom 11. Dezember 2003 wurde vom Kläger nicht mit der Berufung angegriffen. Erst ab dem 1. April 2012 erhält der Kläger eine
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgrund eines Leistungsfalls vom 9. März 2012.
Weitere medizinische Ermittlungen sind vor diesem Hintergrund nicht angezeigt und werden vom Kläger auch nicht beantragt.
Soweit er sein Begehren auf einen etwa 1968 erfolgten Kindesmissbrauch im familiären Umfeld sowie auf depressive Episoden
mit teilweiser Suizidalität in den Jahren 1975 bis 1978 stützt, brauchte dies nicht weiter aufgeklärt zu werden, denn jedenfalls
hat der Kläger in den folgenden Jahren seine Berufsausbildung abschließen und beruflich tätig sein können. Dementsprechend
hat er in seiner Klageschrift auch selbst eingeräumt, dass er die eine oder andere Maßnahme bewältigt und die Probleme letztendlich
immer wieder irgendwie gemeistert sowie manche Hürden überwunden und Defizite kompensiert habe. Wenn er weiter ausführt, streckenweise
sei "das Ganze als Aufgabe eine Nummer zu groß" gewesen und es habe mehrfache psychische Einbrüche gegeben, mag dies so sein.
Dennoch ist es ihm aber über einen langen Zeitraum gelungen, eine Berufstätigkeit vollschichtig auszuüben.
Soweit es ihm außerdem ausdrücklich darum geht, eine moralische und rechtliche Anerkennung sowie eine zumindest symbolische
Entschädigung zu erlangen, ändert dies nichts daran, dass die für die erstrebte Leistungsgewährung erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen
nicht erfüllt sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen von §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.