LSG Hamburg, Urteil vom 06.07.2010 - 4 VG 6/08
Vorinstanzen: SG Hamburg S 30 VG 37/04
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
(Sachverhalt:)
Die Beteiligten streiten, ob die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz ( OEG) schuldet.
Der im 1971 geborene Kläger stammt aus Jugoslawien. Er reiste in den 70er Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein und
verfügt über eine Niederlassungserlaubnis nach § 9 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz. Als Folge einer im Kindesalter erlittenen Meningokokken-Meningitis ist der Kläger schwer behindert. Das Versorgungsamt der
Beklagten hat ihm mit Bescheid vom 11. Juni 1997 wegen einer Sehbehinderung sowie wegen einer geistig-seelischen Behinderung
mit Verhaltensstörungen und Kopfschmerzneigung, außerdem wegen einer chronischen Atemwegserkrankung und wiederkehrenden Nasennebenhöhleninfekten
einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 und die Merkzeichen "B", "G", "H" und "RF" zuerkannt, wobei nach versorgungsärztlicher
Einschätzung aus dem Jahr 2002 die Sehbehinderung und die geistig-seelische Behinderung jeweils für sich bereits einen Teil-GdB
von 100 ausmachen.
Am 2. Februar 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten Versorgung nach dem OEG. Dem liegt im Einzelnen der Sachverhalt zugrunde, der Gegenstand des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens 3005 Js 181/04 geworden ist: Zur Begründung seines Antrags wie auch im Strafverfahren gab der Kläger an, er sei am frühen Morgen des 16.
Januar 2004 in seiner Hamburger Wohnung von zwei Männern, die sich als Polizeibeamte ausgegeben hätten, bedroht und ausgeraubt
worden. Hierdurch habe er psychische Verletzungen erlitten. Zunächst an diesem Tage habe ihn der ihm bekannte I. in seiner
Wohnung aufgesucht und ihn bedrängt, mitgebrachte Drogen zu verstecken, was er abgelehnt habe. Sodann seien die beiden Männer
erschienen, die nach dem I. gefragt und diesem Handschellen angelegt hätten. Er selbst habe sich bäuchlings flach auf den
Boden legen müssen und sei angewiesen worden, sich nicht zu bewegen, anderenfalls werde geschossen. Sodann habe einer der
Männer ihn durchsucht, ihm die Brieftasche aus der rechten Gesäßtasche gezogen und 250 EUR entnommen, angeblich, um es auf
"Drogengeld" zu kontrollieren. Er wisse nicht genau, ob I. mit den beiden Männern zusammengearbeitet habe, vermute dies jedoch.
Die Staatsanwaltschaft, die den Kläger für glaubwürdig hielt, stellte das Ermittlungsverfahren gegen I. wegen Raubes nach
§ 249 Strafgesetzbuch ( StGB) durch Verfügung vom 7. Juli 2004 gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung ( StPO) ein, da diesem "eine Beteiligung an der Raubtat" zum Nachteil des Kläger nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachweisbar
sei. Die beiden sich als Polizisten ausgebenden Männer wurden strafrechtlich nicht verfolgt, da sie unerkannt geblieben sind
und die Staatsanwaltschaft weitere Ermittlungsmöglichkeiten nicht sah.
Mit Bescheid vom 11. August 2004 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab: Ein Angriff im Sinne von § 1 OEG sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen. Der Kläger habe sich, folge man seiner Schilderung, nach dem Eindringen
der Männer in seine Wohnung lediglich auf den Boden legen müssen. Eine bloße Bedrohung stelle keinen Angriff im Sinne des
Opferentschädigungsrechts dar. Die Staatsanwaltschaft habe auch lediglich wegen einer Raubtat und nicht wegen Körperverletzung
oder dergleichen ermittelt.
Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, seit dem Vorfall leide er unter einer Panik- und Angststörung. Im Oktober
2004 sprach er bei der Beklagten vor und gab an, er habe sich damals auf den Boden legen müssen, und einer der Täter habe
- sich an den Hosenbund greifend - gedroht, auf ihn zu schießen. Welche Waffe der Mann im Hosenbund gehabt habe, ob dies ein
Messer oder eine Pistole gewesen sei, könne er nicht sagen. Aber der Mann habe eine Geste gemacht, so als ob er sogleich eine
Waffe ziehen wolle. Da habe er sich erschrocken und sofort mit dem Gesicht auf den Boden gelegt.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2004 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In der Begründung heißt es, in dem
angefochtenen Bescheid sei zutreffend entschieden worden, dass ein Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG nicht vorgelegen habe. Das Merkmal eines tätlichen Angriffs sei dann gegeben, wenn einem objektiven Dritten die Drohungen
(und der Angriff auf ein Hindernis zwischen Täter und Opfer) als ein nur kurzzeitiges Durchgangsstadium für einen unmittelbar
nachfolgenden Angriff auf die Person des Bedrohten erscheinen müssten. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Dritte mit der
bevorstehenden Tötung oder ernstlichen Verletzung des Opfers rechne. Im Falle des Klägers gebe es jedoch keine Anzeichen einer
unmittelbar bevorstehenden Gewaltanwendung. Die Täter hätten vielmehr beabsichtigt, ihn lediglich einzuschüchtern, um ihm
Geld wegzunehmen und in der Wohnung irgendwelche Drogendelikte zu begehen.
Der Widerspruchsbescheid wurde am 15. Oktober 2004 zur Post gegeben. Am 12. November 2004 hat der Kläger vor dem Sozialgericht
Hamburg Klage erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Zur Begründung seiner Klage hat er ausgeführt, die Beklagte verneine zu Unrecht einen Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG. Er habe, schon auf dem Boden liegend, gesehen, wie der Täter sich an den Hosenbund gegriffen habe. Er habe auch den Griff
der Waffe gesehen, könne jedoch nicht sagen, was es für eine Waffe gewesen sei. Der Täter habe dann vorsichtig seine, des
Klägers, Hände genommen und sie auf den Rücken gelegt; anschließend habe er das Geld aus der Hosentasche genommen. Er habe
wirklich Angst gehabt. Der andere Täter habe gesehen, dass es ihm Stress bereite und habe ihm dann Wasser gegeben und ihn
versucht zu beruhigen. Ein Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG setze nicht die Absicht einer körperlichen Beeinträchtigung voraus, ebenso wenig eine Körperberührung. Es genüge, wenn der
Angriff auf der Opferseite, wie hier, zu einem körperlich wirkenden Zwang geführt habe. Durch die Tat sei bei ihm eine Panikstörung
ausgelöst worden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ausgeführt, das Vorbringen des Klägers zur Begründung eines Angriffs vermöge
nicht zu überzeugen. Die skurrile Geschichte, die sich am 16. Januar 2004 in seiner Wohnung abgespielt haben solle, werde
überhaupt erst verständlich, wenn man einen persönlichen Eindruck vom Kläger gewonnen habe. Danach dränge sich der Verdacht
auf, dass Drogendelinquenten die auf den ersten Blick sofort erkennbare Wehr- und Harmlosigkeit des Klägers für ihre dunklen
Geschäfte hätten ausnutzen wollen. Andererseits scheine er diese Machenschaften überhaupt nicht verstanden zu haben. Die Täter
seien offensichtlich mit den Mitteln der List und leichten Einschüchterungen zu einer "Übergabe von Drogen" in seine Wohnung
gekommen. Sein Verdienst sei es, durch die Anzeige dieses Vorgangs bei der Polizei verhindert zu haben, dass in seiner Wohnung
ein Umschlagplatz für Drogen habe entstehen können. Auch wenn sich der Kläger ob der Dreistigkeit der Täter erschrocken haben
möge, sei ein tätlicher Angriff nirgendwo zu sehen.
Mit Urteil vom 19. Juli 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es fehle an einem vorsätzlichen,
rechtswidrigen tätlichen Angriff im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Nach dem Geschehensablauf, wie der Kläger ihn im Laufe des Verfahrens und auch in der mündlichen Verhandlung geschildert
habe, sei das Vorgehen des Täters nicht auf seine gesundheitliche Schädigung gerichtet gewesen; die Drohung mit Gewalt sei
nicht mit dem unmittelbaren Ansetzen zu einer zielgerichteten Gewaltanwendung einhergegangen. Es könne dahinstehen, ob der
Täter eine Waffe getragen habe und ob diese für den Kläger sichtbar gewesen sei. Der Drohung, eine Waffe zu gebrauchen, sei
nämlich keine weitere unmittelbar gegen den Körper des Klägers zielende Angriffshandlung gefolgt. Die vorsichtig vorgenommene
Abnahme des Geldes sei kein tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes. Nach Auffassung der Kammer liege allein
in der Drohung zu schießen noch kein unmittelbarer Angriff auf die körperliche Integrität des Klägers, auch wenn sie erheblich
angstauslösend gewesen sei. Der Hinweis auf die Waffe, zur Verdeutlichung der Ernsthaftigkeit der Drohung, reiche zur Feststellung
eines Angriffs allein nicht aus, solange dieser aus objektiver Sicht nicht oder jedenfalls nicht sofort beabsichtigt sei.
Das Urteil des Sozialgerichts ist dem Kläger am 1. August 2006 zugestellt worden. Am 31. August 2006 hat er Berufung eingelegt.
Zur Begründung seiner Berufung hat der Kläger ausgeführt, als Opfer eines - qualifizierten - Raubes im Sinne von §§ 249, 250 StGB habe er einen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen seine Person gemäß § 1 OEG erlitten. Angesichts der Tatbestandsmerkmale des Raubes sei davon auszugehen, dass gegen ihn Gewalt angewendet worden sei,
um seinen zu erwartenden Widerstand zu verhindern. Die Täter hätten ihm die Waffe am Hosenbund gezeigt und gedroht zu schießen,
wodurch er gefügig gemacht worden sei. Hierbei könne es keine Rolle spielen, ob die Waffe geladen und einsatzbereit gewesen
sei, auch nicht, dass es sich möglicherweise um "nette Räuber" gehandelt habe, die ihm nach der Straftatbegehung etwas zu
trinken gegeben und ihn beruhigt hätten. Dies sei möglicherweise lediglich eine Reaktion darauf gewesen, dass sie gemerkt
hätten, wie er körperlich auf den Angriff reagiert habe. Die Täter hätten damit rechnen müssen, dass er, der Kläger, wie hier
geschehen, aufgrund des Angriffs an Panikstörungen leiden werde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine
auf Verletzung des Opfers zielende Handlung, zumindest eine aus konkreten Anzeichen nachvollziehbar abzuleitende Gefahr einer
Verletzung, nicht notwendig. Auch eine Körperberührung sei nicht erforderlich. Es komme hinzu, dass er am Hosenbund gezogen
worden und ihm sodann seine Brieftasche entwendet worden sei. Die Situation sei objektiv gefährlich gewesen, sodass ein objektiver
Dritter mit seiner, des Klägers, unmittelbar bevorstehenden Tötung oder ernstlichen Verletzung gerechnet hätte. Die Täter
hätten eine Bande gebildet und über eine funktionsfähige Ausrüstung verfügt, wie der Einsatz der Handschellen gegen I. zeige.
Die Beklagte hat die angefochtenen Entscheidungen verteidigt und ausgeführt, der Kläger verkenne, dass § 249 StGB neben der Wegnahme lediglich eine Nötigungshandlung als Tatbestandsmerkmal voraussetze. Nicht jede Nötigung stelle jedoch
gleichzeitig auch einen tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes dar. An einer auf die körperliche Integrität
des Opfers abzielenden Handlung fehle es hier. Die Täter hätten nicht direkt auf den Körper des Täters eingewirkt, etwa durch
Schläge oder durch Anwendung eines Werkzeugs oder einer Waffe. Ebenso fehle es an einer indirekten, aber unmittelbaren körperlichen
Einwirkung. Vielmehr hätten die Täter den Kläger lediglich verbal mit einer gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten
Handlung bedroht. Hierbei hätten sie jedoch weder mit der gewaltsamen Beseitigung von Hindernissen für die Verwirklichung
der Drohung begonnen noch hätten sie sonst zur Verwirklichung der Drohung unmittelbar angesetzt; die angeblich vorhandene
Waffe sei weder gezogen noch entsichert oder auf den Kläger gerichtet worden. Insgesamt stelle sich der Tatverlauf, wie ihn
der Kläger schildere, zu keinem Zeitpunkt so dar, dass ein objektiver Dritter mit der unmittelbar bevorstehenden Tötung oder
ernstlichen Verletzung des Opfers gerechnet hätte. Auch die ohne jede Gewalteinwirkung vorgenommene Wegnahme des Geldes stelle
einen tätlichen Angriff nicht dar. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass Angstzustände als Teil der seit 1973 bestehenden
geistig-seelischen Erkrankung des Klägers bereits seit der Kindheit vorlägen und auch noch bei der letzten Untersuchung durch
den Ärztlichen Dienst der Beklagten im Jahre 1997 dokumentiert worden seien.
Mit Urteil vom 25. September 2007 hat der Senat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 19. Juli
2006 zurückgewiesen: Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG auch bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe,
selbst wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz fehle. Damit sei das vom Kläger zur Begründung seines Anspruchs vorgetragene
Geschehen indes rechtlich nicht vergleichbar. Es stehe noch nicht einmal fest, dass die Täter überhaupt eine Schusswaffe bei
sich geführt hätten, schon gar nicht sei diese entsichert und auf den Kläger gerichtet gewesen. Selbst wenn die Waffe, wie
der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen habe, sichtbar gewesen sein sollte, spreche nichts dafür, dass
die Täter mehr gewollt hätten, als ihn einzuschüchtern. Weder ein demonstrativer Griff zur Waffe noch der nunmehr behauptete
Griff an den Hosenbund (des Klägers) könne als Beginn einer körperlichen Bedrohung interpretiert werden.
Hiergegen hat der Kläger beim Bundessozialgericht (BSG) die vom Senat zugelassene Revision eingelegt und vorgetragen, zunächst
habe der I. an der Wohnung geklingelt, sodann ihn in die Wohnung gedrängt und diese auch nicht verlassen. Etwa fünf Minuten
später seien die beiden weiteren Täter erschienen und hätten ihn, den Kläger, wiederum in die Wohnung gedrängt. Bereits hierin
liege eine Gewalttat im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG, und zwar in der Form einer Freiheitsberaubung nach § 239 StGB. Durch das Drängen in die Wohnung und die Aufforderung, sich auf den Boden zu legen und anderenfalls zu schießen, sei ihm
die Möglichkeit genommen worden, sich nach seinem Willen fortzubewegen, insbesondere den Raum zu verlassen. Auch eine Freiheitsberaubung
sei ein tätlicher Angriff, wenn sie durch den Einsatz körperlicher Gewalt erfolge. Es komme nicht darauf an, dass ein objektiver
Dritter mit der unmittelbar bevorstehenden Tötung oder ernstlichen Verletzung des Opfers rechnen müsse. Entschädigungsrechtlich
sei jedermann nach seinem individuellen Zustand geschützt. Dies gelte insbesondere für ihn, den Kläger, mit seiner festgestellten
geistig-seelischen Behinderung. Im Übrigen habe das Berufungsgericht verkannt, dass die festgestellte Drohung mit einer Schusswaffe
für sich bereits einen tätlichen Angriff darstelle. Man habe ihn aufgefordert, sich hinzulegen, da ansonsten auf ihn geschossen
würde. Er habe sich objektiv richtig verhalten, indem er den Anweisungen der Täter gefolgt sei, um diese nicht zu provozieren,
aber auch, weil er unter Todesangst gelitten habe. In Anbetracht der Ernstlichkeit der Situation habe er damit rechnen müssen,
dass auf ihn geschossen würde, sobald er sich bewege oder zur Wehr setze. Für eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz
sei nicht ausschlaggebend, ob die Schusswaffe durchgeladen und entsichert gewesen sei.
Die Beklagte ist der Revision entgegengetreten.
Mit Urteil vom 2. Oktober 2008 hat das Bundessozialgericht das Urteil des Landessozialgerichts vom 25. September 2007 aufgehoben
und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen: Ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sei grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung.
In aller Regel werde die Angriffshandlung den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder gegen die körperliche
Unversehrtheit erfüllen. Deshalb sei in der Regel auch das Wissen und Wollen des strafrechtlich relevanten Erfolges von Belang.
Daneben seien aber Begehungsweisen denkbar, bei denen kein derartiger Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche
Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz des Täters erforderlich. Fehle einer Handlung die unmittelbare feindliche
Ausrichtung auf andere Menschen, so könne sie nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden, weshalb mittelbare
Angriffe durch den eigenständigen gesetzlichen Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 2 OEG in den Schutzbereich des Gesetzes einbezogen worden seien. Das Bundessozialgericht habe neben Angriffen auf die körperliche
Unversehrtheit auch einen Angriff auf die körperliche Bewegungsfreiheit als tätlichen Angriff behandelt, aber bisher offengelassen,
ob hiervon auch Fälle von Freiheitsberaubung ohne aggressives Einwirken auf das Opfer umfasst seien. Die Grenze zur Gewalttat
nach § 1 Abs. 1 OEG sei jedenfalls überschritten, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand
durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten werde. Nicht als tätlicher Angriff seien im Regelfall solche Einwirkungen anzusehen,
die nicht unmittelbar und gewaltsam den Körper eines anderen träfen. Unter welchen Voraussetzungen eine Bedrohung oder Drohung
mit Gewalt für sich allein bereits als tätlicher Angriff zu werten sei, sei bisher nicht abschließend entschieden, das Bundessozialgericht
habe es jedoch genügen lassen, dass eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen
eine Sache einhergehe, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter im
Wege gestanden habe, sodass der Sachverhalt nicht allein auf Drohungen beschränkt gewesen sei. Als tätlichen Angriff habe
es das Bundessozialgericht schließlich angesehen, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten
Schusswaffe bedroht habe, auch wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz noch gefehlt habe. Dabei habe es maßgeblich auf die
objektiv hohe Gefährdung des Opfers abgestellt. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte werde eine feste Grenzziehung
zwischen bloßer Drohung mit Gewalt und ihrer Anwendung kaum möglich sein. Ein tätlicher Angriff werde indes um so eher zu
bejahen sein, je größer die objektive Gefahr für Leib oder Leben des Bedrohten einzuschätzen sei.
Ob der Kläger am 16. Januar 2004 Opfer eines tätlichen Angriffs im Rechtssinne geworden sei, könne aufgrund der tatsächlichen
Feststellungen des Landessozialgerichts noch nicht abschließend beurteilt werden. Ebenso wenig könne man das Vorliegen eines
tätlichen Angriffs ausschließen. Als eigene tatsächliche Feststellung habe das Landessozialgericht allein ausgeführt, es stehe
noch nicht einmal fest, ob die Täter eine Schusswaffe bei sich geführt hätten. Damit sei lediglich das Drohen unter Zeigen
bzw. Vorhalten einer Schusswaffe ausgeschlossen worden. Da der Kläger diese tatsächliche Feststellung nicht mit zulässigen
und begründeten Revisionsgründen angegriffen habe, sei die rechtliche Schlussfolgerung des Landessozialgerichts, dass ein
tätlicher Angriff mittels Bedrohung durch eine Schusswaffe nicht vorgelegen habe, nicht zu beanstanden; denn eine bloß verbale
Drohung zu schießen führe noch nicht zu einer objektiven erhöhten Gefährdung des Bedrohten. Zu den weiteren Umständen des
Vorfalls, etwa zu dem vom Kläger behaupteten Hineindrängen in die Wohnung und zur körperlichen Durchsuchung des Klägers (Ziehen
am Hosenbund) enthalte das Berufungsurteil jedoch keine näheren Feststellungen. Diese seien für eine rechtliche Wertung indes
erforderlich. Entgegen der Auffassung der Revision habe das Landessozialgericht nicht selbst festgestellt, dass der Kläger
Opfer eines Raubes geworden sei. Der Hinweis auf den Inhalt des Abschlussvermerks der Staatsanwaltschaft reiche nicht aus.
Im Übrigen könne der Tatbestand des Raubes durch Gewalt gegen eine Person oder durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für
Leib oder Leben begangen werden. Andererseits enthalte das tatsächliche Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren hinreichende
Anhaltspunkte für einen tätlichen Angriff. Soweit das Landessozialgericht zu der Beurteilung gelangt sei, die Sachverhaltsdarstellung
des Klägers erlaube eine Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals nicht, vermöge ihm das Bundessozialgericht nicht zu folgen. Insbesondere
bei dem behaupteten Hineindrängen in die Wohnung und dem Ziehen am Hosenbund des Klägers handele es sich um Vorgänge, die
unter Umständen als tätlicher Angriff gewertet werden könnten.
Der Kläger führt das Berufungsverfahren fort. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 6. Juli 2010 hat er seine frühere
Sachverhaltsdarstellung wiederholt und ergänzt. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der gesundheitlichen
Folgen des Vorfalls vom 16. Januar 2004 Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 19. Juli 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 11. August 2004 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der gesundheitlichen
Folgen des Vorfalls vom 16. Januar 2004 Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt weiterhin,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Sachakten der Beklagten sowie die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft 3005 Js 181/04 haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozessakten, auch der Revisionsakten des Bundessozialgerichts, wird
wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Nach Rückverweisung der Sache durch das Bundessozialgericht ist die Berufung abermals als unbegründet zurückzuweisen.
Die Berufung ist nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes ( SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und daher zulässig. Sie ist jedoch weiterhin nicht begründet.
Die jedenfalls in der Gestalt des am 6. Juli 2010 gestellten Hilfsantrages zulässige Klage (vgl. die Revisionsentscheidung
des BSG) ist unbegründet. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keine Ansprüche nach dem Opferentschädigungsrecht. Dies gilt
auch nach Maßgabe der vom Bundessozialgericht im Revisionsurteil gemachten rechtlichen Vorgaben. Auch hiernach fehlt es weiterhin
am Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zur Überzeugung des Senats.
Was die vom Kläger behauptete Bedrohung mit dem Einsatz einer Schusswaffe betrifft, bleibt es bei der Beurteilung, dass noch
nicht einmal feststeht, dass die Täter überhaupt eine Schusswaffe bei sich führten oder dass diese gar entsichert und auf
den Kläger gerichtet gewesen sei. Diese tatsächlichen Feststellungen aus dem Urteil vom 25. September 2007 hat das Bundessozialgericht
zum Nachteil des Klägers als revisionsfest behandelt und einen deswegen auf das Opferentschädigungsgesetz zu gründenden Anspruch
verneint. Auch sonst sieht der Senat in diesem Zusammenhang keinen Anlass, die tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen
Bewertungen im Urteil vom 25. September 2007 zu Gunsten des Klägers zu revidieren. Weder hat der Kläger hierzu Neues vorgetragen
noch hat es sich sonst ergeben. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sind nicht zu sehen.
Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts enthält das Vorbringen des Klägers im Revisionsverfahren allerdings hinreichende
Anhaltspunkte für einen tätlichen Angriff nach § 1 Abs. 1 OEG. Insbesondere bei dem behaupteten Hineindrängen in die Wohnung dem Ziehen am Hosenbund des Klägers handele es sich um Vorgänge,
die unter Umständen als tätlicher Angriff gewertet werden könnten; hierüber enthalte das Berufungsurteil keine näheren Feststellungen.
Nach nochmaliger Prüfung und Durchsicht der Akten sowie nach Anhörung des Klägers kann der Senat die Überzeugung nicht gewinnen,
dass es ein gewaltsames Hineindrängen in die Wohnung des Klägers oder ein Ziehen an dessen Hosenbund überhaupt gegeben hat.
Insbesondere die tatnahen Angaben des Klägers im Strafverfahren sprechen gegen einen solchen Geschehensablauf. So war hier
von einem gewaltsamen Hineindrängen der beiden vorgeblichen Polizisten in die Wohnung noch nicht die Rede. Vielmehr hat der
Kläger am 8. März 2004 vor der Polizei angegeben, die beiden Täter hätten an der Tür geklingelt, sich nach Herrn I. erkundigt
und ihm, dem Kläger, als sie "reinkamen", auch einen Ausweis vorgezeigt. Daraufhin hätten sie ihn "aufgefordert", ins Wohnzimmer
zu gehen und sich auf den Boden zu legen. Von einem körperlichen Bedrängtwerden des Klägers ist hier nicht die Rede. Ebenso
wenig hat der Kläger solches bei seiner Anhörung durch den Senat am 6. Juli 2010 erwähnt. Auch die Vernehmung des Beschuldigten
I. gibt für eine solche Annahme nichts her. Er gab am 4. Februar 2004 vor der Polizei an, die beiden Männer hätten an der
Haustür geklingelt und gesagt, sie seien von der Polizei. Einer hätte ihm, dem I., den Arm auf den Rücken gedreht und ihn
in die Küche gezerrt, der andere habe den Kläger aufgefordert, sich im Wohnzimmer auf den Boden zu legen. Auch dies deutet
nicht auf eine erhebliche körperliche Einwirkung auf den Kläger und damit auf einen tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes
hin.
Entsprechendes gilt für das vorausgegangene Verhalten des I. selbst. Hier hatte der Kläger zwar schon bei seiner Strafanzeige
am 4. Februar 2004 behauptet, der I. habe ihn, nachdem er an der Tür geklingelt und ihm die Bitte, Drogen zu verstecken, abgeschlagen
worden sei, in die Wohnung gedrängt und sei dort verblieben. In seiner Anhörung vor dem Senat hat er dieses Vorbringen dahin
präzisiert, I. habe ihn in die Wohnung hinein geschubst. Einen solchen Geschehensablauf vermag der Senat zwar nicht auszuschließen,
aber auch nicht zu seiner Überzeugung festzustellen. Nach Darstellung des I. hat der Kläger ihn in die Wohnung hinein gelassen,
nachdem er schon einige Male von dem Kläger oder anderen Personen in seiner Wohnung Drogen gekauft und persönliche Sachen
als Pfand hinterlassen habe. Auch ein solcher Geschehensablauf erscheint möglich und kann nicht hinreichend sicher als bloße
Schutzbehauptung des I. wegen des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gewertet werden. Welcher Art die Bekanntschaft
des Klägers mit I. war, ist unklar geblieben. Die Darstellung des Klägers, er kenne I. nur aus Anlass eines Spaziergangs mit
seiner Familie, und I. habe ihm Drogen zum Kauf angeboten und ihm angekündigt, ihn zu verfolgen und zu ihm nach Hause zu kommen,
ist wenig überzeugend und dürfte eher der geistig-seelischen Behinderung des Klägers als der Realität entsprungen sein. Bei
einer derartig flüchtigen Bekanntschaft hatte es auch für I. keinen Sinn, bei dem Kläger Drogen verstecken zu wollen, obwohl
er das dafür erforderliche persönliche Vertrauensverhältnis zu ihm nicht haben konnte, und ein Hineinschubsen des Klägers
in die Wohnung und die Androhung von Schlägen konnte einer solchen Absicht ebenfalls nicht förderlich sein.
Selbst wenn der I. den Kläger beim Eindringen in seine Wohnung beiseitegeschoben, geschubst oder sonst körperlich berührt
hat, so deutet das nicht unbedingt hin auf ein gegen die körperliche Unversehrtheit des Klägers gerichtetes, in feindseliger
Willensrichtung unmittelbar auf ihn zielendes, aggressives Einwirken als Voraussetzung eines tätlichen Angriffs, weshalb auch
die vom Kläger behauptete Freiheitsentziehung im Rechtssinne keinen solchen darstellt. Jedenfalls ist nicht ersichtlich und
wird vom Kläger auch nicht behauptet, dass er bereits durch das Verhalten des I. eine gesundheitliche Schädigung - als weitere
gesetzliche Voraussetzung eines Versorgungsanspruches nach dem OEG - erlitten habe. Beeinträchtigt war er vielmehr in erster Linie durch das Verhalten der beiden angeblichen Polizisten. Dieses
Verhalten kann nicht im Zusammenhang mit dem Verhalten des I. als tätlicher Angriff interpretiert werden, weil zunächst der
I. den Kläger körperlich bedrängt habe. Daran wäre allenfalls zu denken, wenn alle drei Personen gegenüber dem Kläger zusammengewirkt
hätten. Das erscheint zwar nicht als ausgeschlossen, gleichwohl kann der Senat eine entsprechende Überzeugung nicht bilden,
weil es dafür keine konkreten Anhaltspunkte gibt. Auch die Staatsanwaltschaft hat den I. nicht als tatbeteiligt bezüglich
der Handlungen der beiden vorgeblichen Polizisten angesehen.
Ebenso wenig vermag der Senat die Überzeugung zu gewinnen, dass dem am Boden liegende Kläger tatsächlich an den Hosenbund
gegriffen oder ihm am Hosenbund gezogen worden sei. Es handelt sich vielmehr um die Darstellung seines Rechtsanwalts in der
Klagebegründung, möglicherweise zu erklären vor dem Hintergrund, dass zuvor mehrmals davon die Rede gewesen war, einer der
Täter habe sich (selbst) an den Hosenbund gefasst, um auf die Waffe zu deuten. Jedenfalls verträgt sich dies nicht mit der
genauen Schilderung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht am 19. Juli 2006, wo er angab, der Täter
habe vorsichtig seine Hände genommen und sie auf den Rücken gelegt und dann das Geld aus der Hosentasche genommen. Von einem
Griff an den Hosenbund des Klägers (wozu überhaupt?) ist hier eben so wenig die Rede wie sonst von einem festeren Zugreifen
oder Einwirken auf den Kläger oder eine Sache, wie es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - abgesehen von der
bereits ausgeschlossenen Bedrohung mit einer Schusswaffe - als tätlicher Angriff im Sinne des Opferentschädigungsrechts bewertet
werden könnte. Auch bei seiner Anhörung durch den Senat hat der Kläger nicht davon gesprochen, an seinem Hosenbund berührt
worden zu sein.
Nach alledem reicht dem Senat die Darstellung des Klägers selbst nicht aus, um sich die Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen
eines tätlichen Angriffs bilden zu können. Das gilt auch dann, wenn man zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er möglicherweise
wegen seiner geistig-seelischen Behinderung Probleme hat, den Sachverhalt in allen wichtigen Details zu vermitteln und die
Wirkungen und Folgen des Ereignisses vom 16. Januar 2004 unbefangen mitzuteilen.
Weitere Aufklärungsmöglichkeiten bestehen nicht. Die beiden Täter sind nie ermittelt worden und kommen daher als Zeugen nicht
in Betracht. Ebenso wenig scheint eine Vernehmung des I. aussichtsreich. Dieser hat, von einem der Täter in die Küche des
Klägers geführt, angegeben, von den Vorgängen im Wohnzimmer nichts mitbekommen zu haben. Im Übrigen ist der Verbleib des I.
nicht zu ermitteln. Laut Auskunft der Meldebehörde ist er unbekannt verzogen und amtlich abgemeldet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Sie umfasst auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Ein Grund, abermals die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben (§ 160 Abs. 2 SGG).
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