Vorläufige Leistungen nach dem SGB II für Kosten der Unterkunft und Heizung
Indiz für einen Scheinmietvertrag
Gründe:
I.
Die Antragsteller begehren, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen neben den bereits
bewilligten Regelbedarfsleistungen auch Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) zu gewähren.
Der 1960 geborene Antragsteller zu 1. und die 1974 geborene Antragstellerin zu 2. lebten mit ihren vier gemeinsamen Kindern
(Antragsteller zu 3. bis 6., geboren in den Jahren 2009, 2011, 2012 und 2016) zunächst in einer Mietwohnung in L., wo sie
vom Jobcenter Region Hannover laufende SGB II-Leistungen bezogen. Der Antragsteller zu 1. ist Deutscher während die Antragstellerin zu 2. über die russische Staatsangehörigkeit
verfügt. Zum Jahresende 2019 wurde seitens des Vermieters die Wohnung in L. gekündigt. Die Antragsteller zogen daraufhin in
eine im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners liegende Mietwohnung in M. (laut ersten Mietangeboten: 120 qm Wohnfläche;
laut Mietvertrag: 130 qm Wohnfläche; 6 Zimmer). Im Vorfeld des Umzugs hatten die Antragsteller beim Antragsgegner (als dem
für den neuen Wohnort zuständigen Jobcenter) eine Zusicherung zum Umzug nach § 22 Abs 4 SGB II beantragt. Hierzu hatten sie zunächst Mietangebote für die mittlerweile bezogene Wohnung des in N. (Russland) lebenden Vermieters
O. vorgelegt, wonach die Nettokaltmiete inkl Vorauszahlungen für Betriebskosten, Heizkosten und Warmwasser insgesamt 1.043,57
Euro (Mietangebot vom 11. Oktober 2019, Bl 144 der Verwaltungsakte - VA -) bzw 1.073,57 Euro (Mietangebot vom 19. September
2019, Bl 138 VA) betragen sollte. Nachdem der Antragsgegner darauf hingewiesen hatte, dass die Unterkunftskosten zu hoch und
somit unangemessen iSd § 22 Abs 1 SGB II seien, legten die Antragsteller ein abgeändertes Mietangebot des Vermieters P. vom 1. November 2019 vor, wonach der Mietpreis
für dieselbe Wohnung lediglich noch 752,00 Euro pro Monat betragen sollte (630,00 Euro Kaltmiete; 82,00 Euro Betriebskosten;
140,00 Euro Heizkosten inklusive Warmwasser). Auf dieses zweite Mietangebot hin erteilte der Antragsgegner eine Zusicherung
nach § 22 Abs 4 SGB II (Bescheid vom 13. November 2019, Bl 147 VA).
Am 26. November 2019 unterschrieben die Antragsteller sowie Herr P. mit Wirkung ab 1. Januar 2020 einen entsprechenden Mietvertrag.
Zur Zahlungsweise hieß es in dem Mietvertrag wörtlich: "Die monatlich zu zahlenden Beträge sind vorschüssig mit Wertstellung
zum 3. Werktag des Monats auf das Konto des Vermieters gutzubringen. Barzahlung ist ebenso möglich." Ein Konto, auf das die
Miete überwiesen werden konnte, war im Mietvertrag nicht angegeben.
Auf ihren am 23. Dezember 2019 gestellten Antrag bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern für die Zeit ab 1. Januar
2020 laufende SGB II-Leistungen, allerdings lediglich als bis zum 30. Juni 2020 befristete vorläufige Leistungen iSd § 41a Abs 1 SGB II und nur in Höhe der Regelbedarfsleistungen nach § 20 SGB II (unter Anrechnung des für die Antragsteller zu 2. bis 4. gezahlten Kindergeldes - monatlicher Leistungsbetrag: 1.099,00 Euro).
Die Vorläufigkeit begründete der Antragsgegner damit, dass hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und möglicherweise vorhandenen
Vermögens die Prüfung noch nicht abgeschlossen sei (Bescheid vom 16. Januar 2020, Bl 62 VA). Insoweit hatte der Antragsgegner
die Antragsteller bereits zuvor zu weiteren Erklärungen aufgefordert (ua zur Begründung, weshalb im Mietvertrag kein Konto
des Vermieters genannt werde; Erläuterung, wie Barzahlungen an den in Russland lebenden Eigentümer erfolgen sollen; Nachweis
für die Entrichtung der Mietkaution, vgl im Einzelnen: Schreiben des Antragsgegners vom 13. Januar 2020). Hierauf antworteten
die Antragsteller, dass mittlerweile eine Kontoverbindung des Vermieters bei der in Russland ansässigen Q. vorliege. Der Vermieter
besuche regelmäßig Deutschland und nehme dann Barzahlungen entgegen. Aufgrund einer mündlichen Vereinbarung mit dem Vermieter
müsse die im Mietvertrag vereinbarte Kaution erst nach Rückzahlung der Kaution für die alte Wohnung gezahlt werden.
Zwischenzeitlich hatte der Antragsgegner ermittelt, dass es sich bei dem in Russland lebenden Vermieter um den Vater der Antragstellerin
zu 2. handelt, der dieser eine umfassende Vollmacht zum Erwerb und zur Betreuung der Immobilie erteilt hatte. Auf der Grundlage
dieser Vollmachten war die Antragstellerin zu 2. bei dem im Juli 2019 erfolgten Erwerb der Immobilie als Bevollmächtigte ihres
Vaters aufgetreten. Im September 2019 war die Antragstellerin zu 2. vom Wasser- und Abwasserzweckverband R. zur Zahlung von
Wasser- und Abwassergebühren veranlagt worden (Bl 175, 179, 187 VA).
Mit Widerspruch vom 23. Januar 2020 wandten sich die Antragsteller gegen die Befristung der Leistungsgewährung auf 6 statt
12 Monate sowie dagegen, dass keine Unterkunftskosten übernommen worden seien. Sie könnten den geschuldeten Mietzins nicht
entrichten. Es drohe eine fristlose Kündigung und damit die Obdachlosigkeit. Der Vermieter habe bereits am 20. Februar 2020
gemahnt, weil ein Mietrückstand von zwei Monatsmieten bestehe.
Am 13. März 2020 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Hildesheim den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mittlerweile habe der Vermieter nochmals gemahnt (Schreiben
vom 10. März 2020 mit Kündigungsandrohung für den 23. März 2020). Der Mietrückstand betrage mittlerweile 2.256,00 Euro. Der
Mietzins könne auf das bereits im Verwaltungsverfahren benannte Konto in Russland erfolgen. Eine Barzahlung an den Vermieter
hätte im März 2020 erfolgen können, wenn nicht die für den 10. und 15. März 2020 geplanten Flüge des Vermieters (= Vater der
Antragstellerin zu 2.) aus "seuchentechnischen Gründen" storniert worden wären.
Das SG hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung wegen fehlenden Anordnungsgrundes abgelehnt. Die Antragsteller hätten nicht
glaubhaft dargelegt, dass aufgrund etwaiger Mietrückstände unmittelbar im Zusammenhang mit der Unterkunft stehende negative
Konsequenzen drohten. Der Mietvertrag sei unter Verwandten abgeschlossen worden. Eine Kündigung aufgrund finanziellen Unvermögens
sei in dieser Konstellation sehr unwahrscheinlich. Es sei auch nicht erkennbar, dass die Antragsteller gegenwärtig irgendwelchen
konkreten Maßnahmen ihres Vermieters ausgesetzt seien. Ebenso wenig erschließe sich, wie derzeit die Mietzinszahlung überhaupt
erfolgen solle. Es verwundere, dass der Vermieter bereits im Februar 2020 Zahlungsrückstände angemahnt habe, obwohl diese
doch offenbar erst im März 2020 beim geplanten Besuch des Vermieters in bar entrichtet werden sollten. Angesichts "einer fehlenden
Notlage" seien die Antragsteller auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen, zumal nicht zu erkennen sei, dass das Ergebnis
des Hauptsacheverfahrens für die Antragsteller offensichtlich erfolgreich sei. Eine einstweilige Anordnung diene nicht dazu,
vordringlich die finanziellen Interessen von potentiellen Gläubigern eines Leistungsempfängers zu schützen. Im Hauptsacheverfahren
könne dann geklärt werden, ob überhaupt eine wirksame zivilrechtliche Verpflichtung zur Mietzinszahlung bestehe (Beschluss
vom 9. April 2020).
Mit ihrer am 22. April 2020 gegen den ihnen am 16. April 2020 zugestellten Beschluss eingelegten Beschwerde machen die Antragsteller
geltend, dass sich ihre Verpflichtung zur Mietzinszahlung aus dem Mietvertrag ergebe. Das Mietverhältnis halte auch unter
Berücksichtigung des Verwandtschaftsverhältnisses der Mietvertragsparteien einem sog Fremdvergleich stand. Der Vermieter habe
die Mietzinszahlung unter dem 20. Februar und 10. März 2020 angemahnt und werde bei Ausblieben der Zahlung das Mietverhältnis
beenden müssen. Er sei auf die Mietzahlungen angewiesen, zumal das Finanzamt in N., bei dem die zu erwartenden Einkünfte in
Form von Mietzahlungen bereits gemeldet worden seien, entsprechende Nachweise verlange. Das Vermieterkonto sei bereits im
November 2019 eingerichtet worden (Q. Russland). Die Antragstellerin zu 2. sei als Ansprechpartnerin für die Immobilie bevollmächtigt
worden, weil dies bei der notwendigen Verwaltung des Wohneigentums mangels eigener örtlicher Präsens des Vermieters hilfreich
sei. Im Gegenzug für die übernommenen Aufgaben liege die zu zahlende Miete "deutlich unter dem üblichen Niveau". Das Heizöl,
welches außer für die Beheizung auch für die Warmwassererzeugung benötigt werde, sei nahezu aufgebraucht.
Auf Aufforderung des Senats haben die Antragsteller Unterlagen ua zum Anschluss der Immobilie an die Müllentsorgung, über
Grundsteuer, Wasser und Stromversorgung, über eine Wohngebäudeversicherung sowie zur Kaufabwicklung vorgelegt. Die Antragstellerin
zu 2. hat eidesstattlich versichert, nicht in die Finanzierung der Immobilie involviert gewesen zu sein. Der Zahlungsverkehr
sei über das Konto des Käufers gelaufen (Bl 144 Gerichtsake - GA -). Im Vertrag über die Wohngebäudeversicherung ist die Antragstellerin
zu 2. als Versicherungsnehmerin genannt; die "Wohn-/Gewerbefläche" wird mit 180 qm angegeben (Bl 135ff GA).
Der Antragsgegner bezieht sich im Beschwerdeverfahren ua auf seinen am 21. April 2020 erlassenen Widerspruchsbescheid. Hinsichtlich
der im Mietvertrag geregelten Rechten und Pflichten sei kein Rechtsbindungswille festzustellen. Letztlich handele es sich
um einen Vertrag zu Lasten Dritter, nämlich zu Lasten des zur Tragung der Unterkunftskosten verpflichteten Antragsgegners.
Es werde gar nicht bestritten, dass den Antragstellern Kosten für ihre Unterkunft entständen. Der Antragsgegner sperre sich
aber gegen die Übernahme der im Mietvertrag genannten Beträge (vgl Widerspruchsbescheid vom 21. April 2020 sowie Schriftsätze
des Antragsgegners vom 7. Mai und 6. April 2020). Die konkret von den Antragstellern gezahlten bzw zu zahlenden Beträge seien
bislang nicht offengelegt worden. Die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen ständen im Widerspruch zum Mietvertrag,
wonach Neben- und Betriebskosten an den Vermieter zu zahlen seien.
Gegen den Widerspruchsbescheid vom 21. April 2020 haben die Antragsteller am 6. Mai 2020 beim SG Hildesheim Klage erhoben
(S 37 AS 585/20).
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Verpflichtung des Antragstellers erfolgt vorbehaltlich des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens (Klage vor dem SG Hildesheim
S 37 AS 585/20). Im Übrigen ist die Beschwerde unbegründet.
Soweit die Antragsteller mit ihrem Widerspruch die Verlängerung des Bewilligungszeitraums von 6 auf 12 Monate begehrt haben,
besteht kein Anspruch auf Erlass einer diesbezüglichen einstweiligen Anordnung. Der mit Bewilligungsbescheid vom 16. Januar
2020 festgesetzte Bewilligungszeitraum hat sich bereits kraft Gesetzes um weitere 6 Monate und damit - wie von den Antragstellern
begehrt - bis zum 31. Dezember 2020 verlängert (§ 67 Abs 5 Satz 1, 2 und 4 SGB II in der Fassung der Sonderregelung für den Zugang zu sozialer Sicherung aufgrund des Coronavirus Sars-CoV-2 vom 27. März 2020,
BGBl I, 575). Unabhängig davon verweist der Senat auf § 40 Abs 3 Satz 2 Nr 1 SGB II, wonach der Antragsgegner die vorläufigen Leistungen zu Recht zunächst nur für 6 Monate bewilligt hat.
Soweit die Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz auch für die Zeit vor dem 13. März 2020 (Tag der Beantragung von einstweiligem
Rechtsschutz beim SG) begehren sollten, scheitert ein solcher Anspruch bereits daran, dass einstweiliger Rechtsschutz grundsätzlich erst für die
Zeit ab Eingang des Eilantrages beim SG gewährt werden kann, nicht dagegen für die Vergangenheit (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss
vom 15. März 2010 - L 8 SO 137/09 B ER -; Beschlüsse des erkennenden Senats ua vom 26. Juli 2010 - L 11 AY 128/09 B ER -,
vom 9. Februar 2011 - L 11 AS 1105/10 B ER -; vom 19. September 2011 - L 11 AL 105/11 B ER - mwN). Eine besondere, sich auch derzeit noch auswirkende Notlage, aufgrund derer ausnahmsweise auch für die Zeit vor
der Antragstellung einstweiliger Rechtsschutz gewährt werden könnte, ist von den Antragstellern auch im Beschwerdeverfahren
nicht glaubhaft gemacht worden.
Der Antragsgegner ist im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern vorbehaltlich des Ausgangs der
Hauptsache vorläufige KdUH-Leistungen in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang zu zahlen. Diese Verpflichtung besteht für
die Zeit vom 13. März bis 31. Dezember 2020, längstens jedoch bis zum Eintritt von Bestandskraft des Widerspruchsbescheides
vom 21. April 2020.
Nach §
86b Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung
setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist, insbesondere auch ein Eilbedürfnis vorliegt (Anordnungsgrund). Sowohl
der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 4
SGG iVm §
920 Abs
2 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
In Übereinstimmung mit dem Antragsgegner hält es auch der erkennende Senat für ausgeschlossen, dass den Antragstellern keinerlei
Kosten für die von ihnen bewohnte Unterkunft entstehen. Zwar ist nicht glaubhaft gemacht worden, dass die Antragsteller tatsächlich
Grundmiete zu zahlen haben. Allerdings kann, selbst wenn es sich bei dem Eigentümer und (angeblichem) Vermieter der Immobilie
um den in Russland lebenden Vater der Antragstellerin zu 2. und damit gleichzeitig um den Großvater der Antragsteller zu 2.
bis 6. handelt, nicht von vornherein unterstellt werden, dass dieser auch alle Verbrauchskosten der Antragsteller übernimmt.
Vielmehr spricht nach derzeitigem Sach- und Streitstand alles dafür, dass die Antragsteller für ihre laufenden Betriebs- und
Heizkosten selbst aufkommen müssen.
Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Antragsteller ihre tatsächlichen Unterkunftskosten nicht offengelegt
haben, sondern lediglich auf die Regelungen im Mietvertrag verwiesen haben. Der Mietvertrag weist eine Nettokaltmiete von
530,00 Euro sowie Nebenkosten (inkl Heizung und Warmwasser) iHv 222,00 Euro aus.
Diese Beträge können nicht als glaubhaft gemachte tatsächliche KdUH angesehen werden, weil es sich bei dem von den Antragstellern
mit dem Vater der Antragstellerin zu 2. geschlossenen Mietvertrag nach derzeitigem Sach- und Streitstand um einen sog Scheinvertrag
handelt.
Die Bestimmungen des Mietvertrages sind offensichtlich nicht auf der Grundlage einer "normalen" Geschäftsbeziehung zwischen
Mietern und Vermietern, sondern im Hinblick auf einerseits das Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Vertragsparteien und
andererseits auf die von den Antragstellern erwartete Übernahme der Unterkunftskosten durch den Antragsgegner zustande gekommen.
Schließlich sollte zunächst eine monatliche Miete iHv 1.073,57 Euro (Mietangebot vom 19. September 2019, Bl 138 VA) bzw 1.043,57
Euro (Mietangebot vom 11. Oktober 2019, Bl 144 VA) anfallen. Nach dem Hinweis des Antragsgegners auf die Angemessenheitsgrenze
nach § 22 SGB II wurde dieser Mietzins dann ohne Weiteres um ca 30 % auf 752,00 Euro herabgesetzt. Dies ist nicht marktüblich und letztlich
nur mit der fehlenden Ernsthaftigkeit der gezielt für den Antragsgegner erstellten Mietangebote über 1.073,57 Euro bzw 1.043,57
Euro zu erklären.
Die laut Mietvertrag zu zahlende Mietkaution (1.590,00 Euro, vgl hierzu § 5 des Mietvertrags) ist offensichtlich ebenfalls
nicht ernsthaft vereinbart worden. So ist die bereits bei Vertragsabschluss (dh am 1. November 2020) fällig gewordene Mietkaution
auch nach Ablauf von mittlerweile mehr als 6 Monaten noch immer nicht gezahlt worden. Die Erläuterung der Antragsgegner, dass
mit dem Vermieter (= Vater der Antragstellerin zu 2.) mündlich ein Zahlungsaufschub vereinbart worden sein soll (E-Mail der
Antragsteller vom 15. Januar 2020), ist nicht plausibel. Es erschließt sich nicht, weshalb am 1. November 2019 (Vertragsabschluss)
die sofortige Zahlung schriftlich vereinbart worden sein soll, gleichzeitig aber mündlich das Gegenteil (Zahlung der Kaution
nicht bei Vertragsabschluss, sondern erst nach Rückzahlung der Kaution der alten Wohnung).
Dass der Mietvertrag nur zum Schein aufgesetzt wurde, ergibt sich auch aus der Regelung zu den Betriebs- und Nebenkosten:
Obwohl laut Mietvertrag die Wasserkosten in den an den Vermieter zu zahlenden Betriebskosten enthalten sein sollen, hat die
Antragstellerin zu 2. offensichtlich selbst einen auf ihren eigenen Namen lautenden Versorgungsvertrag mit dem Wasser- und
Abwasserzweckverband R. abgeschlossen (Bl 179 VA - dort ist als Verbrauchsstelle ausdrücklich der Name der Antragstellerin
zu 2. genannt; erst der Änderungsbescheid vom 7. Februar 2020, Bl 131 GA, weist als Verbrauchsstelle den Namen ihres Vaters
aus). Gegen ein Mietverhältnis spricht auch, dass die Antragstellerin zu 2. Versicherungsnehmerin einer Wohngebäudeversicherung
für die im Eigentum ihres Vaters stehende und im Versicherungsvertrag als "selbst bewohnt" bezeichnete Immobilie ist (Bl 135
VA). Derartige Versicherungen werden von Eigentümern, nicht dagegen von Mietern abgeschlossen.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der Vortrag der Antragsteller, wonach der Mietpreis wegen der von der Antragstellerin
zu 2. übernommenen Immobilienverwaltung "deutlich unter dem üblichen Niveau" liegen soll. Schließlich wurde die Immobilie
im Jahr 2019 für lediglich 80.000,00 Euro erworben und sollte ursprünglich für eine Nettokaltmiete iHv 720,00 Euro an die
Antragsteller vermietet werden (vgl Mietangebot vom 19. September 2019). Bei einem für die Refinanzierung notwendigen Zeitraum
von deutlich unter 10 Jahren kann nicht ansatzweise von einem besonders günstigen Mietzins gesprochen werden. Dies gilt auch
für die im Mietvertrag letztlich ausgewiesene Miete iHv monatlich 530,00 Euro, die einem ebenfalls sehr kurzen Refinanzierungszeitraum
von ca 12,5 Jahre entspricht.
Ein weiteres Indiz für einen Schein-Mietvertrag sind die in den dem Senat vorliegenden Unterlagen enthaltenen unterschiedlichen
qm-Angaben für die von den Antragstellern bewohnte Wohnung. Während die ersten Mietangebote noch eine Wohnfläche von "nur"
120 qm aufwiesen, beträgt die Wohnfläche laut letztem Mietangebot sowie laut Mietvertrag 130 qm. Der Versicherungsschein weist
dagegen eine "Wohn-/Gewerbefläche" von 180 qm aus (Bl 136 GA). Auffällig ist auch, dass die Antragsteller beim Wasserversorger
die Bezeichnung der Verbrauchsstelle offensichtlich nachträglich haben ändern lassen (zunächst: Name der Antragstellerin zu
2., vgl Bl 179 VA; später Name ihres Vaters, vgl Bl 131 GA).
Widersprüchlich ist der Vortrag der Antragsteller auch zu Art und Weise der Mietzahlung. Insoweit hat bereits das SG zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem eigenen Vortrag der Antragsteller eine Mietzinszahlung auch in bar im Rahmen
von Besuchen des (angeblichen) Vermieters (= Vater der Antragstellerin zu 2.) in Deutschland erfolgen durfte, also zB bei
dem für den 10. bis 15. März 2020 geplanten Besuch. Dann ist es jedoch nicht nachvollziehbar, weshalb der Vater der Antragstellerin
zu 2. bereits vor der ersten Möglichkeit der Barzahlung (10. März 2020) eine Zahlung angemahnt hat (Mahnung vom 20. Februar
2020, Bl 113 GA).
Aus dem nach Überzeugung des Senats nur zum Schein abgeschlossenen Mietvertrag lassen sich somit Rückschlüsse weder auf die
tatsächliche Wohnungsgröße noch auf die von den Antragstellern tatsächlich zu zahlenden KdUH ziehen. Es kann insbesondere
nicht als glaubhaft gemacht angesehen werden, dass bzw in welcher Höhe die Antragsteller tatsächlich verpflichtet sind, an
den Vater der Antragstellerin zu 2. eine Grund- bzw Nettokaltmiete zu zahlen. Da es im einstweiligen Rechtsschutz den Antragstellern
obliegt, Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen (§
86b Abs
2 Satz 4
SGG iVm §
920 Abs
2 ZPO), können somit SGB II-Leistungen zur Übernahme einer Grund- bzw Nettokaltmiete nicht zugesprochen werden.
Der Antragsgegner ist jedoch dazu zu verpflichten, für die laufenden Verbrauchskosten, soweit sie entweder glaubhaft gemacht
worden oder aber offensichtlich sind, vorläufig und unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens SGB II-Leistungen zu zahlen. Es handelt sich hierbei um - Kosten der Wasserversorgung (einschl Abwasser) iHv 57,77 Euro pro Monat
(vgl Abschlagplan des Wasser- und Abwasserzweckverbandes R. vom 7. Februar 2020, Bl 131 GA, über 80,00 Euro pro Monat; übernahmefähig
ist hiervon der auf die von den Antragstellern - vermutlich - bewohnte Teilfläche [130 qm] entfallende Anteil [Gesamtfläche
der Immobilie laut Versicherungsvertrag: 180 qm]) - Heizkosten inkl Warmwasser iHv geschätzt 125,00 Euro pro Monat (vgl zur
Schätzbefugnis: §
202 SGG iVm §
287 ZPO; Grundlage der Schätzung: Höchstkosten für "mittleren" und "zu hohen" Heizölverbrauch laut Bundesweitem Heizspiegel der co2online
gGmbH auf der Basis einer angemessenen Wohnfläche von 105 qm [vgl zur angemessenen Wohnfläche: Abschnitt B.7 der Richtlinie
zur Durchführung der sozialen Wohnraumförderung in Niedersachsen - Wohnraumförderbestimmungen -]) - Müllentsorgung (161,87
Euro ausschließlich im Juli 2020 [vgl zum Zahlungszeitpunkt: Bescheid des Landkreises S. vom 30. August 2019, Bl 127 GA];
vom Gesamtbetrag [224,40 Euro für das Jahr 2020] ist entsprechend der von den Antragstellern bewohnten Teilfläche von 130
qm ein Anteil von 130/180 übernahmefähig).
Aufwendungen für die Grundsteuer bzw die Wohngebäudeversicherung können nicht berücksichtigt werden. Hierbei handelt es sich
nicht um Verbrauchskosten. Die Übernahme derartiger Nebenkosten setzt einen wirksamen Mietvertrag voraus, während es sich
bei dem Mietvertrag vom 1. November 2019 nach derzeitigem Sach- und Streitstand lediglich um einen Scheinvertrag handelt.
Dass die Antragsteller die ihnen tatsächlich entstehenden KdUH im vorliegenden Verfahren letztlich nicht glaubhaft gemacht
haben, führt ausnahmsweise nicht zu einer Ablehnung des Eilantrags. Es ist zu berücksichtigen, dass die von den Antragstellern
bewohnte Unterkunft bei fehlenden Mitteln für Betriebs- und Heizkosten innerhalb kürzester Zeit unbewohnbar wird. Hinsichtlich
der Heizung und der Warmwasserversorgung bedarf es hierfür nicht einmal einer Energiesperre durch den Energieversorger, da
die Versorgung der Immobilie über einen - mittlerweile fast leeren - Heizöltank erfolgt. Entscheidend für die teilweise zusprechende
Entscheidung des Senats sind die vier Kinder der Antragsteller (im Alter von ca 4 bis ca 11 Jahren). Der Senat hält es nicht
für vertretbar, diese Kinder dem Risiko der Unbewohnbarkeit der Wohnung nur deshalb auszusetzen, weil ihre Eltern die anfallenden
Unterkunftskosten nicht offenlegen.
Die Verpflichtung zur Leistungsgewährung erfolgt lediglich vorläufig, dh vorbehaltlich des Ausgangs des Rechtsstreits in der
Hauptsache (Klageverfahren vor dem SG Hildesheim S 37 AS 585/20) und lediglich für die Zeit vom 13. März bis 31. Dezember 2020 (längstens jedoch bis zum Eintritt von Bestandskraft des Widerspruchsbescheides
vom 21. April 2020). Die Befristung bis zum 31. Dezember 2020 beruht auf der gemäß § 67 Abs 5 SGB II bereits erfolgten Verlängerung des zunächst bis zum 30. Juni 2020 befristeten Bewilligungszeitraums.
Bestätigt sich der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorläufig zugesprochene Zahlungsanspruch im Hauptsacheverfahren
nicht, hat der Antragsgegner einen entsprechenden Erstattungsanspruch (entsprechend § 50 Abs 2 SGB X bzw im Sinne eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Es entspricht dem für die Kostenentscheidung maßgeblichen billigen Ermessen, dass der Antragsgegner den Antragstellern trotz
ihres Teilerfolgs keine Kosten zu erstatten hat. Schließlich haben die Antragsteller die tatsächlichen Umstände des von Ihnen
abgeschlossenen Mietvertrags nicht offengelegt. Dass es sich bei dem Vermieter, der seine Tochter sowohl im Mietangebot als
auch in den Mahnungen mit "Frau T." angesprochen und gesiezt hat, um den Vater der Antragstellerin zu 2. handelt, ist dem
Antragsgegner erst aufgrund eigener Ermittlungen bekannt geworden. Die Rechtsverfolgung erscheint zudem auch mutwillig, weil
die Antragsteller auf einfacherem Wege ihre Ansprüche hätten durchsetzen können. Schließlich hat der Antragsgegner seine Leistungsbereitschaft
ausdrücklich erklärt, soweit die Antragsteller die ihnen tatsächlich entstehenden KdUH offenlegen (vgl Schriftsätze vom 6.
April und 7. Mai 2020 sowie Widerspruchsbescheid vom 21. April 2020).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).