Anspruch auf Berufsausbildungsbeihilfe, Berücksichtigung von Fahrkosten für monatliche Familienheimfahrten
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um höhere Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) für die Zeit ab 1. November 2000.
Der am 6. Oktober 1981 geborene Kläger wohnte bis Ende Januar 1999 zusammen mit seinen Eltern in Bad P . Im Februar 1999 zogen
die Eltern nach F . Ab Mai 1999 mietete der Kläger eine eigene Wohnung in Bad P an. In der Zeit vom 16. August 1999 bis 15.
Februar 2003 absolvierte er dort eine Ausbildung zum Elektroinstallateur.
Auf seinen Antrag vom November 1999 bewilligte ihm die Beklagte für den Zeitraum 1. November 1999 bis 31. Oktober 2000 eine
monatliche BAB von 228 DM; sie rechnete die Ausbildungsvergütung sowie Einkommen der Eltern an (Bescheid vom 10. Mai 2000).
Der Widerspruch des Klägers, mit dem er auch Fahrkosten für eine monatliche Familienheimfahrt geltend machte, blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 22. Juni 2000). Nach Klageerhebung erhöhte die Beklagte die für die Zeit bis 31. Oktober 2000 bewilligte
BAB auf monatlich 286 DM unter Einbeziehung von Kosten der PKW-Benutzung für Fahrten zur Berufsschule (Bescheid vom 19. September
2000). Ferner bewilligte sie BAB auch für die Zeit ab 1. November 2000 bis zum 15. Februar 2003 (Bescheide vom 14. Februar
2001 und vom 15. März 2002).
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte entsprechend dem Klageantrag verurteilt, unter Abänderung des Bescheids vom 10. Mai 2000 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2000 und des Änderungsbescheids vom 19. September 2000 dem Kläger seit 1. November 2000
höhere BAB unter Berücksichtigung einer monatlichen Familienheimfahrt zu gewähren (Urteil vom 7. Juli 2003). Das Landessozialgericht
(LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 2006). Zur Begründung seiner Entscheidung hat
es ua ausgeführt: Streitgegenstand sei die Bewilligung höherer BAB für die Zeit vom 1. November 2000 bis zum 15. Februar 2003.
Die vom SG nicht erwähnten, diesen Zeitraum betreffenden Bescheide vom 14. Februar 2001 und 15. März 2002 seien entsprechend §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in das Verfahren einzubeziehen. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens sei der durch den ursprünglich angegriffenen Bescheid
vom 10. Mai 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2000 und des Änderungsbescheids vom 19. September 2000
geregelte Bewilligungszeitraum vom 1. November 1999 bis 31. Oktober 2000, da der Kläger sein Leistungsbegehren auf den anschließenden
Zeitraum beschränkt habe. Die Beklagte sei verpflichtet, für die noch streitige Zeit BAB unter Berücksichtigung von Fahrkosten
für eine monatliche Familienheimfahrt nach §
67 Abs
1 Nr
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) zu zahlen. Das Kriterium der "erforderlichen auswärtigen Unterbringung" sei bereits gegeben, wenn die Entfernung zwischen
der Ausbildungsstätte und dem Familienwohnort so groß sei, dass tägliche Pendelfahrten unzumutbar seien. Eine weitere Prüfung
der Möglichkeit einer anderen geeigneten Ausbildung am Wohnort der Eltern oder sonst im Tagespendelbereich sei weder vorgeschrieben
noch angezeigt. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten komme es für die Anerkennung eines Bedarfs für Familienheimfahrten auch
nicht darauf an, dass der Kläger seinen Wohnsitz bereits vor Beginn der Ausbildung am Ausbildungsort begründet habe.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III. Um die Erforderlichkeit der auswärtigen Unterbringung feststellen zu können, sei eine doppelte Zumutbarkeitsprüfung vorzunehmen.
Die Prüfung beziehe sich zunächst darauf, ob der Arbeitslose am Wohnort wegen des Fehlens geeigneter Ausbildungsplätze keine
entsprechende Ausbildung erhalten könne, und erst danach darauf, ob dem Auszubildenden ein Pendeln zwischen Wohn- und Ausbildungsort
nicht zugemutet werden könne. Eine Berücksichtigung von Heimfahrten setze also voraus, dass der Auszubildende deswegen auswärts
wohnen müsse, um überhaupt (irgendeine) Ausbildung erhalten zu können. Während bei berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen
nach §
61 Abs
1 Nr
3 SGB III der Ort der zu fördernden Maßnahme nicht unwesentlich von ihr, der Beklagten, mit festgelegt werde, liege es bei der Wahl
seines Ausbildungsberufes anderenfalls allein in der Hand des Auszubildenden, zu Lasten der Solidargemeinschaft ohne sachliche
Notwendigkeit eine Ausbildung an einem anderen Ort als dem Wohnort der Eltern anzunehmen. Die von ihr vertretene Gesetzesauslegung
werde auch durch frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gestützt.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG vom 5. Dezember 2006 sowie des SG vom 7. Juli 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II. Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Der Senat kann mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht beurteilen, ob dem Kläger für die Zeit vom 1.
November 2000 bis 15. Februar 2003 höhere BAB zusteht.
1. Zu entscheiden ist nur noch über die Bescheide der Beklagten vom 14. Februar 2001 und 15. März 2002, mit denen dem Kläger
BAB für den Zeitraum 1. November 2000 bis einschließlich 15. Februar 2003 bewilligt worden ist. Diese Bescheide sind, wie
das LSG zutreffend ausgeführt hat, entsprechend §
96 SGG in der bis 31. März 2008 geltenden Fassung Gegenstand des Klageverfahrens geworden (vgl BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4 mwN). Nicht
mehr zu befinden ist dagegen über den die Zeit vor November 2000 betreffenden Ausgangsbescheid vom 10. Mai 2000 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2000 und des Änderungsbescheids vom 19. September 2000, da der Kläger sein Leistungsbegehren
schon im Klageverfahren auf den Zeitraum ab dem 1. November 2000 beschränkt hat. Die irrtümliche Erwähnung der früheren Bescheide
im Tenor des Urteils des SG ist als gegenstandslos anzusehen. Ob in der streitigen Zeit ab November 2000 weitere Bescheide ergangen sind, die ggf Gegenstand
des Verfahrens geworden sind (§§
96,
153 SGG), kann dahinstehen; denn die Beteiligten haben keinen Verstoß des Berufungsgerichts gegen §
96 SGG wegen fehlerhafter Nichteinbeziehung gerügt (vgl BSGE 91, 287, 290 = SozR 4-2700 § 160 Nr 1; BSG SozR 4-1500 § 96 Nr 4).
2. Bei dem vorliegenden Streit über den Anspruch auf Zahlung höherer BAB unter Berücksichtigung der Kosten einer monatlichen
Familienheimfahrt handelt es sich um einen so genannten Höhenstreit, bei dem nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich
alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen sind (vgl BSG SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6 mwN). Da die
angefochtenen Bescheide jeweils für einen Bewilligungszeitraum einen bestimmten monatlichen Betrag zuerkennen, kommt mangels
einer abtrennbaren Verfügung (vgl BSG aaO RdNr 7) eine Begrenzung des Streitgegenstandes nicht in Betracht. Der Kläger hat
zwar mit seiner Klage auf höhere Leistungen nur die Berücksichtigung einer monatlichen Familienheimfahrt angesprochen. Aus
dem im Arbeitsförderungsrecht entwickelten "Meistbegünstigungsgrundsatz" folgt indes, dass ein Kläger mit seiner Klage ohne
Rücksicht auf den Klageantrag im Zweifel das begehrt, was ihm den größten Nutzen bringen kann (vgl BSG aaO RdNr 6 mwN). Zu
prüfen ist also nicht nur der Anspruch auf Fahrkosten, sondern auch, ob nicht neben oder anstelle der Kosten für Familienheimfahrten
ein Anspruch auf höhere Leistungen unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt besteht. Entscheidungserheblich ist also
zunächst, ob der Kläger überhaupt Anspruch auf BAB dem Grunde nach hat (dazu nachfolgend unter 3.) und - sofern dies der Fall
ist -, in welcher Höhe Leistungen zu bewilligen sind. Denn die Einzelheiten der Bedarfsfestsetzung und der Einkommensanrechnung
(§§
65 bis
71 SGB III) bestimmen auch die Höhe der Leistung (dazu im Folgenden unter 4. und 5.).
3. Die bisherigen Feststellungen erlauben bereits keine abschließende Beurteilung der Frage, ob Anspruch auf BAB dem Grunde
nach besteht.
a) Die Voraussetzungen des Anspruchs ergeben sich aus §
59 SGB III in der Fassung des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24. März 1997 (BGBl I 594) in Verbindung mit weiteren Vorschriften des
SGB III. Danach hat ein Auszubildender ua während einer beruflichen Ausbildung Anspruch auf BAB, wenn die berufliche Ausbildung förderungsfähig
ist (§§
59 Nr 1,
60 SGB III), der Auszubildende zum förderungsfähigen Personenkreis gehört und er die sonstigen persönlichen Voraussetzungen für eine
Förderung erfüllt (§§
59 Nr 2,
63, 64
SGB III) und dem Auszubildenden die erforderlichen Mittel zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen
Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf) nicht anderweitig zur Verfügung stehen (§§
59 Nr 3,
65 ff
SGB III). Soweit während der streitgegenständlichen Ausbildung im Zeitraum zwischen August 1999 und Februar 2003 das
SGB III geändert worden ist, sind die Änderungen nach Maßgabe des §
422 Abs
2 SGB III beachtlich, da die Beklagte dem Kläger BAB jeweils abschnittweise gemäß §
73 Abs
1 Satz 2
SGB III bewilligt hat (vgl BSG, Urteil vom 21. März 2002 - B 7 AL 68/01 R; SozR 4-4300 §
422 Nr 1 mwN; Radüge in Hauck/Noftz,
SGB III, §
422 RdNr 27, 28, Stand 2006; Eicher in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
422 RdNr 6,
34, Stand 2006).
b) Die vom Kläger absolvierte Ausbildung zum Elektroinstallateur ist förderungsfähig (§
60 SGB III idF des AFRG). Nach §
60 Abs
1 SGB III ist eine berufliche Ausbildung förderungsfähig, wenn sie in einem nach dem Berufsbildungsgesetz (BBiG), der Handwerksordnung (HwO) oder dem Seemannsgesetz staatlich anerkannten Ausbildungsberuf betrieblich oder außerbetrieblich durchgeführt wird und der vorgeschriebene Berufsausbildungsvertrag
abgeschlossen worden ist. §
60 Abs
2 Satz 1
SGB III sieht einschränkend nur die Förderung der erstmaligen Ausbildung vor. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG hat
der Kläger einen Berufsausbildungsvertrag für eine betriebliche Ausbildung in einem staatlich anerkannten Ausbildungsberuf
(§ 25 Abs 1 BBiG in der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung iVm Anlage A der HwO) abgeschlossen. Es handelt sich auch um eine erstmalige Ausbildung.
c) Der Kläger gehört als Deutscher zum förderungsfähigen Personenkreis nach §
63 Abs
1 Nr
1 SGB III idF des AFRG. Ebenfalls erfüllt sind die sonstigen persönlichen Voraussetzungen des §
64 SGB III idF des AFRG. Denn der Kläger wohnte während der Ausbildung außerhalb des Haushalts der Eltern (§
64 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB III) und er hatte zum Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung (vgl §
324 Abs
2 Satz 1, §
325 Abs
1 SGB III) am 8. November 1999 bereits das 18. Lebensjahr vollendet (§
64 Abs
1 Satz 1 Nr
2 und Satz 2 Nr
1 SGB III).
d) Der Senat kann aber mangels entsprechender Feststellungen des LSG nicht beurteilen, ob dem Kläger die erforderlichen Mittel
zur Deckung des Bedarfs für den Lebensunterhalt, die Fahrkosten, die sonstigen Aufwendungen und die Lehrgangskosten (Gesamtbedarf)
nicht anderweitig zur Verfügung standen (§
59 Nr 3
SGB III). Das LSG hat weder zur Höhe der Ausbildungsvergütung noch zum Einkommen der Eltern (vgl §
71 SGB III) noch zu den einzelnen Positionen des Gesamtbedarfs (§§
65 ff
SGB III, dazu nachfolgend unter 4.) eindeutige Feststellungen getroffen. Dies wird - bezogen auf den jeweiligen Bewilligungsabschnitt
- nachzuholen sein.
Im Rahmen der Prüfung, ob dem Kläger die erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen, wird das LSG auch zu
klären haben, ob die Voraussetzungen des §
71 Abs
2 Nr
2 SGB III idF des AFRG bzw in späteren bis Ende 2005 geltenden Fassungen vorliegen (zu den verschiedenen Fassungen vgl Eicher/Schlegel,
SGB III, Text-Chronik zu §
71; zur Entstehungsgeschichte des §
71 SGB III vgl BSG SozR 4-4300 §
71 Nr
3 RdNr
16 ff). Nach §
71 Abs
2 Nr
2 SGB III - jetzt §
71 Abs
2 Nr
3 SGB III idF des Gesetzes vom 22. Dezember 2005 (BGBl I 3676) - bleiben bei der Ermittlung des Einkommens abweichend von §
23 Abs
3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (
BAföG) bestimmte Beträge anrechnungsfrei, wenn die Vermittlung einer geeigneten beruflichen Ausbildungsstelle nur bei Unterbringung
des Auszubildenden außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils möglich ist. Da die Vorschrift die berufliche
Mobilität des Auszubildenden fördern und eine Beschränkung auf den regionalen Arbeitsmarkt vermeiden soll (vgl BT-Drucks 13/4941
S 166 f), kann mit der "geeigneten beruflichen Ausbildungsstelle" nur die vom Auszubildenden gewählte und nicht irgendeine
Ausbildungsstelle gemeint sein. Die Berücksichtigung des Freibetrages ist unter den Umständen des vorliegenden Falles - Wahl
der Ausbildung zum Elektroinstallateur - also nur dann zu verwehren, wenn die Vermittlung gerade einer solchen Ausbildung
auch bei Unterbringung im elterlichen Haushalt möglich gewesen wäre. Insoweit sind tatsächliche Feststellungen zur Frage zu
treffen, ob in zumutbarer Entfernung von der elterlichen Wohnung in F keine die gewünschte Ausbildung vermittelnde Ausbildungsstätte
vorhanden war oder ob bei Existenz einer Ausbildungsstätte eine Bewerbung entweder erfolglos war oder nach objektiven Kriterien
aller Voraussicht nach gewesen wäre (vgl BSG SozR 4440 §
16 Nr 4 S 5; Fuchsloch in Gagel,
SGB III mit SGB II, §
71 SGB III RdNr 112, Stand 2002; Petzold in Hauck/Noftz,
SGB III, §
71 RdNr 12, Stand 2008).
4. Der Senat kann auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG auch nicht abschließend über die Höhe eines
etwaigen Anspruchs des Klägers auf BAB entscheiden. Dies ist bereits deshalb der Fall, weil das angefochtene Urteil keine
näheren Ausführungen zur Höhe der mit den streitgegenständlichen Bescheiden (vgl oben unter 1.) bewilligten Leistungen enthält,
sich vielmehr weitgehend auf die Frage der Zuordnung der Kosten für eine monatliche Familienheimfahrt zum Bedarf des Klägers
(dazu nachfolgend unter 5.) beschränkt. Da der geltend gemachte Anspruch auf höhere Leistung unter jedem in Betracht kommenden
Gesichtspunkt zu überprüfen ist (oben 2.), sind vom LSG auch Feststellungen zu den einzelnen Positionen des Gesamtbedarfs
(vgl §§
59 Nr 3,
65 ff
SGB III) zu treffen, also auch etwa zu Fahrten zwischen Unterkunft, Ausbildungsstätte und Berufsschule (§
67 Abs
1 Nr
1 SGB III) oder zu sonstigen Aufwendungen (§
68 SGB III). Die einzelnen Berechnungsschritte lassen sich im Übrigen auch nicht den im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheiden der
Beklagten vom 14. Februar 2001 und 15. März 2002 entnehmen, zumal die dort erwähnten Anlagen offenbar nicht beigefügt waren.
5. Ob die Fahrkosten des Klägers für monatliche Familienheimfahrten ggf bedarfserhöhend zu berücksichtigen sind, lässt sich
anhand der bisherigen Feststellungen ebenfalls nicht abschließend beantworten.
a) Nach §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III sind bei einer erforderlichen auswärtigen Unterbringung als Bedarf die Kosten des Auszubildenden für die An- und Abreise
und für eine monatliche Familienheimfahrt oder anstelle der Familienheimfahrt für eine monatliche Fahrt eines Angehörigen
zum Aufenthaltsort des Auszubildenden zugrunde zu legen. Eine erforderliche auswärtige Unterbringung liegt vor, wenn der Wohnort
nicht gleichzeitig der Ausbildungsort ist, letzterer nicht im üblichen Tagespendelbereich der regulären Wohnung liegt und
daher zwei Wohnungen unterhalten werden (vgl DA der Bundesanstalt für Arbeit zu §
67 SGB III, 67.1.2, Stand 2001; Buser in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
67 RdNr 34, Stand 2008). Durch die Verwendung des Begriffs der Familienheimfahrt wird klargestellt, dass der Auszubildende am
Zielort der "Heimfahrt" einen persönlichen Bezugspunkt haben muss, er also an einen Ort zurückkehrt, an dem er sich außerhalb
der Maßnahme üblicherweise aufhält (Buser aaO RdNr 39; Niewald in Spellbrink/Eicher, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts,
2003, §
4 RdNr 352 zur gleichlautenden Regelung des §
81 SGB III).
b) Erforderlich für eine Anerkennung der Kosten für monatliche Familienheimfahrten ist also zunächst, dass der Kläger zum
Zeitpunkt der Ausbildung seine "reguläre" Wohnung bei den Eltern in F hatte, diese also trotz der Ausbildung in Bad P weiterhin
sein wichtigster Anknüpfungspunkt blieb, verbunden mit dem Willen, den Wohnort der Eltern als ständigen Schwerpunkt seines
Lebens beizubehalten. Ob dies der Fall war, lässt sich den bisherigen Feststellungen des LSG nicht zweifelsfrei entnehmen.
Allein aus der Tatsache der Anmietung einer eigenen Wohnung in Bad P in der Zeit ab Mai 1999 lassen sich eindeutige Folgerungen
noch nicht ziehen. Hätte allerdings der Kläger mit der Anmietung der Wohnung in Bad P seinen Wohnsitz bei den Eltern mit dem
Willen aufgegeben, den Schwerpunkt seines Lebens in Bad P beizubehalten, könnte von einer "auswärtigen Unterbringung" iS des
§
67 Abs
1 Nr
2 SGB III nicht gesprochen werden; eine Erstattung von Kosten für Besuchsfahrten zu Eltern oder Verwandten, bei den man früher gewohnt
hat und die unabhängig von der Ausbildung anfallen, wäre dann nicht verständlich.
Insoweit wird das LSG eindeutige Feststellungen zu treffen haben. Indizien für eine Aufgabe der bisherigen Wohnung bei den
Eltern könnten zB die Größe und die Ausstattung der Wohnung in Bad P im Vergleich zu den Verhältnissen am Wohnort der Eltern
in Friedrichshafen sein. Für eine Beibehaltung des Wohnsitzes bei den Eltern könnte die Tatsache sprechen, dass der Kläger
nach dem Abschluss der Ausbildung seinen Wohnsitz wieder in F unter der Adresse der Eltern hatte.
c) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es - wovon das LSG zutreffend ausgegangen ist - für die Anerkennung eines Bedarfs
für Familienheimfahrten nicht darauf an, dass der Kläger seinen Wohnsitz bereits vor Beginn der Ausbildung im August 1999
am Ausbildungsort begründet hatte und die Eltern schon zu Beginn des Jahres 1999 ihren Wohnort nach F - verlegt hatten. Denn
§
67 Abs
1 Nr
2 SGB III setzt ebenso wenig wie §
64 Abs
1 SGB III (vgl Buser in Eicher/Schlegel,
SGB III, § 64 RdNr 7, Stand 2007; vgl auch zu § 40 Arbeitsförderungsgesetz [AFG] BSGE 93, 42, 46 = SozR 4-4300 § 64 Nr 1) voraus, dass durch die Aufnahme der Ausbildung ein Wohnsitzwechsel "verursacht" wird (aA offenbar Fuchsloch in Gagel,
aaO, §
67 SGB III RdNr 15, Stand 2006). Vielmehr ist ungeachtet der tatsächlichen Wohnverhältnisse entscheidend, dass der Auszubildende die
Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern aus - vorausgesetzt diese ist sein eigentlicher Lebensmittelpunkt - nicht in
angemessener Zeit erreichen kann (vgl Stratmann in Niesel,
SGB III, 4. Aufl 2007, §
64 RdNr 6, §
67 RdNr 3; zur Zielsetzung der Stärkung der Mobilität von Auszubildenden vgl BT-Drucks 13/4941 S 166, s auch nachfolgend unter
d). Es kann deshalb keinen Unterschied machen, ob der Auszubildende den elterlichen Haushalt verlässt oder sich eine Trennung
dadurch ergibt, dass die Eltern den bisherigen Wohnort aufgeben (aA Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. April 2006 - L 1 B 142/05 AL-ER - juris-RdNr 36).
d) War der Kläger nach dem Ergebnis der noch zu treffenden Feststellungen (oben 5.b) auswärtig iS des §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III untergebracht, ist nicht zweifelhaft, dass es sich dann auch um eine erforderliche auswärtige Unterbringung iS der Vorschrift
handelte. Denn ein tägliches Pendeln zwischen der regulären Wohnung im og Sinne und der Ausbildungsstätte war entfernungsbedingt
nicht zumutbar. Zwar ist der Rückgriff des LSG auf §
121 Abs
4 SGB III idF des Gesetzes vom 21. Juli 1999 (BGBl I 1648) im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen der Vorschriften des
§
67 Abs
1 Nr
2 SGB III und des §
121 Abs
4 SGB III fragwürdig (vgl BSGE 93, 42, 49 = SozR 4-4300 § 64 Nr 1 RdNr 22); eher bietet sich eine Orientierung an Regelungen des
BAföG an (vgl §
2 Abs
1a BAföG und hierzu die allgemeine Verwaltungsvorschrift 2.1a.3; BVerwGE 57, 204, 212 ff; BVerwG Buchholz 436.36 § 68
BAföG Nr 15). Bei einer vom LSG festgestellten Entfernung von 621 km und einer Fahrzeit von über sieben Stunden für die einfache
Strecke ist aber jedenfalls von der Unzumutbarkeit täglichen Pendelns auszugehen.
e) Entgegen dem Vorbringen der Revision und der zugrunde liegenden Auffassung zu §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III (vgl DA der Beklagten Nr 67.1.2, Stand 2001 bzw 2006) kommt es weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift
darauf an, ob der Kläger eine entsprechende oder überhaupt eine angemessene Ausbildung in der Nähe des Wohnsitzes seiner Eltern
in F hätte durchführen können. Der Gesetzeswortlaut ("Kosten des Auszubildenden") nimmt auf die konkret aufgenommene Ausbildung
Bezug, nicht auf irgendeine aus Sicht der Arbeitsverwaltung geeignete Ausbildung. Setzt also die konkret aufgenommene Ausbildung
eine gemessen am Familienwohnsitz auswärtige Unterbringung voraus und ist die auswärtige Unterbringung infolgedessen erforderlich,
sind auch die Fahrkosten für Familienheimfahrten zu berücksichtigen. Dieses Verständnis des §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III wird durch §
64 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB III gestützt, wonach Voraussetzung einer Förderung ist, dass der Auszubildende die Ausbildungsstätte von der Wohnung der Eltern
aus nicht in angemessener Zeit erreichen kann. Auch diese Regelung stellt auf die konkret gewählte Ausbildung ab und nicht
darauf, ob eine andere, ebenfalls geeignete Ausbildung die Möglichkeit eröffnet, die Ausbildungsstätte von der Wohnung der
Eltern aus in angemessener Zeit zu erreichen (vgl zur Kriteriengleichheit Stratmann in Niesel aaO § 67 RdNr 3; vgl ferner
Fuchsloch in Gagel, aaO, § 67 RdNr 16, 17, Stand 2006).
Anders als beim Freibetrag nach §
71 Abs
2 Satz 2 Nr
2 SGB III (vgl oben 3.d) spielt somit bei der Bedarfsermittlung nach §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III keine Rolle, ob die Vermittlung einer geeigneten Ausbildungsstätte im Tagespendelbereich möglich gewesen wäre. Hätte der
Gesetzgeber eine derartige Einschränkung beabsichtigt, hätte er dies - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - eindeutig zum
Ausdruck bringen müssen. Soweit die Beklagte auf bessere Steuerungsmöglichkeiten bei berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen
gemäß §
61 SGB III hinweist, übersieht sie, dass es sich dabei um Maßnahmen handelt, die im Auftrag der Agentur für Arbeit durchgeführt werden
(§
61 Abs
1 Nr
3 SGB III). Es ist daher sachgerecht, von der Agentur gestaltete Maßnahmen hinsichtlich ihrer qualitäts- und kostenbezogenen Anforderungen
dem Einfluss der Beklagten zu überlassen, während bei einer Berufsausbildung die Wahl der Ausbildung und der Ausbildungsstätte
sowie des Ausbildungsortes allein der Entscheidung des Ausbildungssuchenden unterliegt, zumal diese Entscheidung dem Schutzbereich
der freien Berufswahl des Art
12 Abs
1 Grundgesetz unterfällt (vgl BVerfGE 33, 303; BSG SozR 4-4300 § 144 Nr 14 RdNr 21) und Einschränkungen einer eindeutigen gesetzlichen Grundlage bedürften. Eine restriktive Auslegung des §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III kann daher nicht, wie die Beklagte meint, auf ein (angebliches) gesetzgeberisches Versehen gestützt werden.
Die von der Beklagten zur Begründung ihrer Auffassung herangezogene Entscheidung des BSG vom 28. November 1985 (SozR 4440
§ 16 Nr 4) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Die unter Geltung des AFG zu § 16 Abs 4 Nr 1 der Anordnung der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Ausbildung (AusbFöAnO) vom 31.
Oktober 1969 idF der 21. Änderungsanordnung vom 16. März 1982 (ANBA 555) ergangene Entscheidung ist nicht auf das
SGB III übertragbar. Im Vordergrund dieser Entscheidung stand die Frage, wann §
16 Abs 4 Nr 1 AusbFöAnO Anwendung findet. Die Vorschrift stellte - inhaltlich vergleichbar mit §
71 Abs
2 Nr
2 SGB III - gerade darauf ab, dass für eine "geeignete Berufsausbildung" die Aufnahme einer Ausbildungsstelle erforderlich war, die
"nur bei Unterbringung des Auszubildenden außerhalb des Haushalts der Eltern oder eines Elternteils möglich" war. Zwar hat
das BSG in der Entscheidung vom 28. November 1985 am Ende ausgeführt, es sei auch kein Anspruch auf Erstattung der Kosten
für eine monatliche Heimfahrt nach § 13 Nr 2 AusbFöAnO gegeben, weil der Kläger nicht "wegen seiner Ausbildung" auswärts untergebracht
sei. Der Wortlaut des § 13 Nr 2 AusbFöAnO, der einen kausalen Bezug zur Ausbildung herstellt, unterscheidet sich jedoch wesentlich
vom Wortlaut des §
67 Abs
1 Nr
2 SGB III, der auf die Erforderlichkeit der auswärtigen Unterbringung abstellt.
6. Das LSG wird die noch erforderlichen Feststellungen zu treffen und im Rahmen der erneuten Entscheidung auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens zu befinden haben.