Verfassungsmäßigkeit des Leistungsausschlusses von Viagra bei erektiler Dysfunktion in der gesetzlichen Krankenversicherung
Gründe:
I
Der 1941 geborene, bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte Kläger ist mit seinem Begehren, die Beklagte möge ihm wegen
einer erektilen Dysfunktion nach einer operativen Entfernung der Prostata wegen eines Harnblasenkarzinoms die bisher entstandenen
Kosten für das Medikament Viagra erstatten und für die Zukunft mit einem Arzneimittel mit dem Wirkstoff Sildenafil nach ärztlicher
Verordnung versorgen, in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt: Die geltend gemachten
Ansprüche seien nicht gegeben, da Arzneimittel zur Steigerung der Potenz nach §
34 Abs
1 Satz 8
SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ausgeschlossen seien. Nach der Rechtsprechung des BSG
verstoße dieser Ausschluss nicht gegen Art
2 Abs
1 und
2 GG (BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2; BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139). Art
3 GG sei entgegen der Ansicht des Klägers nicht etwa verletzt, weil Behandlungen bei psychischen Störungen und Inkontinenz von
der Leistungspflicht der KKn umfasst seien, die Wiederherstellung der Erektionsfähigkeit durch Medikamente nach einer Prostataoperation
aber nicht. Den sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung, der auch für die in §
34 Abs
1 Satz 8
SGB V aufgeführten Regelbeispiele gelte, habe der Gesetzgeber in §
34 Abs
1 Satz 7
SGB V genannt. Ausnahmen von dem Leistungsausschluss lasse das Gesetz nicht zu. Aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte
zum Anspruch auf Beihilfe zu den Kosten der medikamentösen Behandlung der erektilen Dysfunktion könne der Kläger schon wegen
der Unterschiede der beiden Systeme der Krankheitsvorsorge nichts für sich herleiten; außerdem habe das BVerwG einen solchen
Anspruch im Rahmen der Beihilfe ebenfalls ausgeschlossen (Urteil vom 9.12.2009).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG. Er beruft sich auf die
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbs 2 iVm §
169 Satz 3
SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den Anforderungen an die Darlegung des geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes
der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).
Wer sich auf diesen Zulassungsgrund beruft, muss gemäß §
160a Abs
2 Satz 3
SGG eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR
3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Eine Rechtsfrage ist grundsätzlich nicht mehr klärungsbedürftig,
wenn sie bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden worden ist (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17; BSG
SozR 1500 § 160 Nr 51 S 52 mwN). In diesem Fall muss deshalb dargetan werden, dass für die Frage zB mit Blick auf einschlägige
Kritik im Schrifttum oder bei den Instanzgerichten - erneut Klärungsbedarf entstanden ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr
21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen nicht.
Der Kläger formuliert lediglich sinngemäß die Rechtsfrage, ob "die streitgegenständliche gesetzliche Regelung, die neu in
das
SGB V eingeführt worden ist (...), die bestimmte Arzneimittel von der Versorgung generell ausschließt, ohne dass für einen begründeten
Ausnahmefall eine Ausnahmeregelung vorgesehen ist bzw. von der Rechtsprechung zugelassen wird", verfassungswidrig ist. Der
Senat lässt offen, ob er damit hinreichend klar eine über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage formuliert, denn er erfüllt
jedenfalls nicht die Darlegungsanforderungen für die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage.
Wer sich auf die Verfassungswidrigkeit einer Regelung beruft, darf sich nämlich nicht auf die Benennung angeblich verletzter
Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG darlegen, woraus
sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; zB BSG Beschlüsse vom 4.4.2006 - B 12 RA 16/05 B und vom 16.2.2009 - B 1 KR 87/08 B). Hierzu müssen der Bedeutungsgehalt der in Frage stehenden einfachgesetzlichen Normen aufgezeigt, die Sachgründe ihrer jeweiligen
Ausgestaltung erörtert und die Verletzung der konkreten Regelung des
GG dargelegt werden. An alledem fehlt es. Dem umfangreichen, jedoch wenig geordneten Vorbringen des Klägers ist noch sinngemäß
zu entnehmen, dass er sich wohl auf eine Verletzung von Art
2 Abs
1 und
2 GG sowie Art
3 Abs
1 GG beruft. Er berücksichtigt allerdings nicht in ausreichendem Maße die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung des BVerfG und
des BSG.
Dies betrifft zum einen den Vortrag des Klägers, die Behandlung seiner erektilen Dysfunktion sei keine "life-style"-Behandlung,
sondern wegen der Prostata-Operation die Behandlung einer Krankheit. Er legt nicht dar, weshalb dies die Klärungsbedürftigkeit
der aufgeworfenen Rechtsfrage begründet, obwohl nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats der Leistungsausschluss gemäß
§
34 Abs
1 Satz 7 bis 9
SGB V nicht gegen Art
2 Abs
1 und
2 GG verstößt (vgl BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 25 - Viagra; BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139). Er geht nicht hinreichend darauf ein, dass aus diesen Bestimmungen des
GG zwar eine objektiv-rechtliche Pflicht des Staates folgt, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zu schützen (vgl
BVerfGE 85, 191, 212; 88, 203, 251; 90, 145, 195), darüber hinaus verfassungsrechtlich grundsätzlich jedoch nur geboten ist, eine medizinische
Versorgung für alle Bürger bereit zu halten. Auch setzt er sich nicht damit auseinander, dass der Gesetzgeber seinen weiten
Gestaltungsspielraum nicht verletzt, wenn er angesichts der beschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der GKV Leistungen
aus dem Leistungskatalog herausnimmt, die - wie hier - in erster Linie einer Steigerung der Lebensqualität jenseits lebensbedrohlicher
Zustände dienen (vgl Senat BSGE 94, 302 = SozR 4-2500 § 34 Nr 2 RdNr 25 - Viagra; vgl auch zum Ganzen BSG Urteil vom 18.7.2006 - B 1 KR 10/05 R - USK 2006-139).
Auch soweit sich der Kläger auf eine Verletzung von Art
3 GG beruft, berücksichtigt er die bereits vorliegende Rechtsprechung des BVerfG und des BSG ebenfalls nicht in ausreichendem
Maße. Dies gilt zunächst für den geltend gemachten Verstoß gegen den Gleichheitssatz wegen der unterschiedlichen Behandlung
einer durch eine Prostataoperation eingetretenen Inkontinenz und einer auf dieser Krankheit beruhenden erektilen Dysfunktion.
Er geht weder auf das in dem LSG-Urteil genannte sachliche Differenzierungskriterium für die Ungleichbehandlung beider Fallkonstellationen
ein noch auf die umfangreiche Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu Art
3 GG (vgl etwa BVerfGE 117, 316, 325 ff = SozR 4-2500 § 27a Nr 3 RdNr 29 ff mwN; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 7 RdNr 11 ff mwN). Auch befasst er sich gar nicht mit den bereits vom LSG zitierten
Entscheidungen des BSG, in denen ein Verstoß des Ausschlusses von Arzneimitteln zur überwiegenden Behandlung der erektilen
Dysfunktion nach §
34 Abs
1 Satz 7 bis 9
SGB V gegen Verfassungsrecht verneint wird.
Soweit sich der Kläger des Weiteren darauf beruft, Beihilfeberechtigten stehe im Unterschied zu Versicherten der GKV ein Anspruch
auf die streitige Versorgung zu, bestand Anlass für eine Auseinandersetzung damit, dass die Ungleichbehandlung der GKV-Versicherten
gegenüber auf andere Weise abgesicherten Personen Folge der Entscheidung des Gesetzgebers für unterschiedliche Sicherungssysteme
gegen Krankheit ist. Denn das BVerfG hat dem Gesetzgeber grundsätzlich zugestanden, Versicherungspflicht und Versicherungsberechtigung
in der GKV in bestimmter Weise festzulegen (BVerfGE 18, 38, 45 f; 18, 257, 265 ff; 18, 366 = SozR Nr 54, 55, 56 zu Art
3 GG). Auch das BSG hat wiederholt betont, dass es im Ermessen des Gesetzgebers liegt, sich für verschiedene Leistungssysteme
zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz dann den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich auswirkt (BSGE
38, 149, 150 = SozR 2200 § 1267 Nr 3 S 10; BSGE 41, 157, 158 f = SozR 5420 § 2 Nr 2 S 2; BSGE 47, 259, 260 f = SozR 3100 § 40a Nr 6 S 16 f). Auch hiermit setzt sich der Kläger nicht auseinander.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.