Rentenrechtliche Versicherungspflicht als Selbständiger
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Widerspruchsbescheids, hilfsweise von zwei Beitragsbescheiden in Gestalt des Widerspruchsbescheids.
Die Klägerin ist ausgebildete Masseurin und medizinische Bademeisterin. Sie war ab März 2004 als Dozentin bei einem Lehrinstitut
für Masseure und medizinische Bademeister in Bad K. tätig (Bl. 32 Verwaltungsakte - VA -). Gegen die ihre Versicherungspflicht
als Selbständige ab 01.01.2005 nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 bis
3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) feststellenden und Beiträge (nach-)fordernden Bescheide führte sie erfolglos Widerspruchs- und Klageverfahren. Im anschließenden
Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 13 R 4997/14) schlossen die Beteiligten am 09.10.2015 einen Vergleich, in dem sich die Beklagte verpflichtete, über Versicherungspflicht
und Beitragshöhe einen neuen Bescheid zu erlassen.
Mit Bescheid vom 29.03.2016 (Bl. 825 ff. VA) setzte die Beklagte die Beiträge "auf Grund des Vergleichs vom 09.10.2015" ab
01.01.2012 fest (ab dem 01.01.2016 laufender monatlicher Beitrag 90,67 EUR). Sie bestätigte eine vollständige Beitragszahlung
vom 01.01.2005 bis 31.07.2012 und errechnete eine noch ausstehende Forderung für die Zeit vom 01.08.2012 bis 31.03.2016 in
Höhe von 3.856,06 EUR. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Gegen diesen Bescheid
erhob die Klägerin Widerspruch (Bl. 837 VA). Das Widerspruchsverfahren brachte die Beklagte mit Einverständnis der Klägerin
(23.06.2016, Bl. 895 VA) im Hinblick auf ein beim LSG anhängiges Verfahren zur Anfechtung des Vergleichs zum Ruhen (Bl. 871,
903 VA).
Nachdem die Klägerin einen aktuellen Einkommenssteuerbescheid vorgelegt hatte (Bl. 872 ff. VA), setzte die Beklagte mit Bescheid
vom 31.05.2016 (Bl. 881 VA) die Beitragshöhe ab 01.06.2016 neu fest (monatlicher Beitrag 112,56 EUR). Sie bestätigte Zahlungen
nun bis 31.10.2012 und errechnete eine noch ausstehende Forderung von 3.774,74 EUR für die Zeit bis 31.05.2016. In der Rechtsbehelfsbelehrung
wies sie darauf hin, dass der Bescheid gemäß §
86 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werde und eine Kostenentscheidung am Ende des Widerspruchsverfahrens ergehe. Hinsichtlich
der weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen. Den dagegen erhobenen Widerspruch (Bl. 898 VA) wies die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 07.10.2016 (Bl. 909 VA) zurück, weil der Bescheid vom 31.05.2016 Gegenstand des gegen den Bescheid
vom 29.03.2016 anhängigen Widerspruchsverfahrens geworden und ein erneuter Widerspruch daher unzulässig sei. Auf die Ausführungen
im Widerspruchsbescheid wird verwiesen.
Auf den ihrem Prozessbevollmächtigten am 11.10.2016 zugegangenen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 11.11.2016 Klage
zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und die Aufhebung der Bescheide vom 29.03.2016 und 31.05.2016 sowie des Widerspruchsbescheides beantragt. Im weiteren
zeitlichen Verlauf hat die Beklagte im Rahmen des bereits gegen den Bescheid vom 29.03.2016 anhängigen Widerspruchsverfahrens
mit Bescheid vom 06.11.2017 (Bl. 1071 VA) über die Zeit ab dem 01.01.2005 neu entschieden. Sie hat Versicherungsfreiheit für
das Jahr 2012 und ab dem 01.01.2015, Verjährung der Beiträge für die Jahre 2005 bis 2010 sowie Versicherungspflicht ab 01.01.2013
festgestellt und Beiträge für die Jahre 2011 und 2013 bis 2014 festgesetzt, die bezahlt seien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten
wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Zur Begründung der Klage hat die Klägerin u.a. vorgetragen, der Widerspruch habe nicht zurückgewiesen werden dürfen, wenn
der Bescheid vom 31.05.2016, was zutreffe, Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.03.2016 geworden
sei. Dann sei er nämlich in das laufende Widerspruchsverfahren rezipiert. Er sei ein rechtliches Nullum und schlicht nicht
wirksam. Das Klageverfahren sei ruhend zu stellen, um der Beklagten Gelegenheit zu geben, über den Widerspruch gegen den Bescheid
vom 29.03.2016 in Gestalt des Bescheids vom 31.05.2016 zu entscheiden.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.08.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe den Widerspruch zu Recht als unzulässig angesehen. Der Bescheid vom 31.05.2016 sei
Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.03.2016 geworden und deshalb nicht gesondert anfechtbar gewesen.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 17.08.2017 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am Montag, den 18.09.2017
eingelegte Berufung der Klägerin, zu deren Begründung sie ihren Vortrag aus dem Verfahren vor dem SG wiederholt und mitgeteilt hat, dass es sicherlich zutreffend sei, dass der Bescheid vom 31.05.2016 Gegenstand des Widerspruchsverfahrens
gegen den Bescheid vom 29.03.2016 geworden sei. Da aber der Tenor des Widerspruchsbescheids laute, der Widerspruch gegen den
Bescheid vom 31.05.2016 werde zurückgewiesen, sei dieser Bescheid gleichsam aus dem Widerspruchsverfahren herausgelöst worden.
Da der Bescheid vom 06.11.2017 eine Vollabhilfe sei zum Bescheid vom 29.03.2016, sei er das auch im hiesigen Verfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 16.08.2017 aufzuheben und den Widerspruchsbescheid vom 07.10.2016, hilfsweise
den Bescheid vom 29.03.2016 in der Gestalt des Bescheids vom 31.05.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.10.2016,
aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der
Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat verhandelt und entschieden, obwohl weder die Klägerin noch deren Prozessbevollmächtigter im Termin zur mündlichen
Verhandlung erschienen ist. Denn die Beteiligten sind mit Hinweis auf diese Möglichkeit geladen worden.
Die gemäß §
151 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§
143,
144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage ist im Hauptantrag zulässig, aber unbegründet. Im Hilfsantrag ist sie unzulässig.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist im Hauptantrag nur der Widerspruchsbescheid vom 07.10.2016, denn die Klägerin hat ihren
Hauptantrag auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheids beschränkt. Die Beschränkung des Hauptantrags auf den Widerspruchsbescheid
im Berufungsverfahren als solches ist zulässig. Es handelt sich - da insoweit der bisherige alleinige Antrag in der Hauptsache
auf die Anfechtung des Widerspruchsbescheides beschränkt wird - um keine Klageänderung (§§
153 Abs.
1,
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG).
Diese Anfechtungsklage ist zulässig.
Gemäß §
54 Abs.
1 SGG kann durch Klage die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung begehrt werden. Gemäß §
95 SGG ist Gegenstand einer solchen Anfechtungsklage zwar der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids. Eine
isolierte Anfechtung nur des Widerspruchsbescheids ist aber unter bestimmten Umständen zulässig, z.B. wenn der Widerspruchsbescheid
eine eigene Beschwer enthält (vgl. Urteil des Senats vom 22.09.2016, L 10 R 36/16 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.06.2012, B 4 AS 142/11 R, in juris, zur Kostengrundentscheidung im Widerspruchsbescheid). In entsprechender Anwendung des §
79 Abs.
2 S. 2
VwGO gilt als zusätzliche Beschwer auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift (BSG, Urteil vom 15.08.1996, 9 RV 10/95, in SozR 3-1300 § 24 Nr. 13; BSG, Urteil vom 24.03.2015, B 8 SO 16/14 R, in SozR 4-3500 § 116 Nr. 1). Hier macht die Klägerin geltend, dass die Beklagte den
Widerspruch nicht hätte bescheiden dürfen, weil er ein rechtliches Nullum gewesen sei. Sie behauptet damit, dass ein Widerspruchsbescheid
unter Verletzung der §§
78,
83 SGG ergangen sei, weil ein Widerspruch gar nicht wirksam erhoben worden sei. Dies genügt für die Bejahung der Zulässigkeit der
Klage (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.1985, 2 C 5/83 u.a. in juris, insbes. Rdnr. 16 und 18).
Es kann offenbleiben, ob dieser gerügte Verfahrensfehler wesentlich im o.g. Sinne ist. Denn der geltend gemachte Verfahrensfehler
liegt jedenfalls nicht vor. Die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin zu Recht als unzulässig zurück. Die Anfechtungsklage
ist daher unbegründet (BVerwG, a.a.O.).
Wird während des Vorverfahrens der Verwaltungsakt abgeändert, so wird auch der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Vorverfahrens
(§
86 erster Halbsatz
SGG). Solange aber ein Verwaltungsakt Gegenstand eines Vorverfahrens ist, kann er nicht zugleich anderweitig angefochten werden
(BSG, Urteil vom 07.10.1987, 4a RJ 93/86, in juris, Rdnr. 15). Im ersten Widerspruchsverfahren ist vielmehr über sämtliche Bescheide,
die Gegenstand des Vorverfahrens geworden sind, zu befinden (vgl. BSG, Urteil vom 19.06.2012, a.a.O., Rdnr. 13). Ein erneuter Widerspruch gegen einen Bescheid, der Gegenstand des Vorverfahrens
geworden ist, ist dann unstatthaft (BSG, Urteil vom 05.07.2017, B 14 AS 36/16 R, in SozR 4-1500 § 86 Nr. 3, Rdnr. 13) und somit unzulässig (Beschluss des Senats vom 22.12.2017, L 10 LW 1294/17).
Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu. Der Bescheid vom 31.05.2016 ist gemäß §
86 erster Halbsatz
SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.03.2016 geworden. Denn mit dem Bescheid vom 29.03.2016 entschied
die Beklagte über die Höhe der Beiträge (auch) für die Zeit ab dem 01.01.2016 und mit dem Bescheid vom 31.05.2016 änderte
die Beklagte diese Regelung und setzte die Beitragshöhe ab dem 01.06.2016 in geänderter Höhe fest. Nichts Anderes gilt, soweit
man den Ausführungen in diesen Bescheiden zur erfolgten Zahlung der Beiträge und zur Höhe der noch ausstehenden Beitragsforderung
die Qualität von Verwaltungsakten beimisst. Auch die Klägerin vertritt keine andere Auffassung, sondern bestätigt, dass der
Bescheid vom 31.05.2016 Gegenstand des gegen den Bescheid vom 29.03.2016 gerichteten Widerspruchsverfahrens wurde.
Der angefochtene Widerspruchsbescheid ist auch nicht etwa deshalb aufzuheben, weil die Beklagte über den gleichwohl von der
Klägerin erhobenen Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.05.2016 durch den streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid gesondert
entschied. Ebenso wie die Beklagte verpflichtet ist, über Anträge zu entscheiden, auch wenn sie sie für unzulässig hält (vgl.
BSG, Urteil vom 11.11.2003, B 2 U 36/02 R, SozR 4-1500 § 88 Nr. 1, Rdnr. 16 unter Hinweis auf die Regelungen zur Untätigkeitsklage), hat sie einen Widerspruch zu bescheiden,
auch wenn dieser unzulässig ist (LSG Hamburg, Urteil vom 18.02.2004, L 1 KR 71/03, in juris). Denn nach §
88 Abs.
2 SGG ist auch für Widersprüche die Untätigkeitsklage vorgesehen, so dass - wie bei Anträgen (BSG, a.a.O.) - auch bei Widersprüchen eine grundsätzliche Pflicht zur Entscheidung hierüber besteht (missverständlich daher BSG, Urteil vom 19.06.2012, a.a.O., dort Rdnr. 13, soweit dort ausgeführt wird, dass ein gesonderter Widerspruch unschädlich
sei und grundsätzlich keine gesonderte Entscheidung über den Widerspruch erfolge, wobei gerade eine Zurückweisung des Widerspruchs
als unzulässig Grundlage des Rechtsstreits war).
Die Berufung ist im Hilfsantrag ebenfalls unbegründet.
Gegenstand dieser hilfsweisen Anfechtungsklage ist - so der ausdrückliche Antrag - der Bescheid vom 29.03.2016 in Gestalt
des Bescheids vom 31.05.2016, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2016. Diese Klage ist unzulässig. In Bezug
auf den Bescheid vom 29.03.2016 folgt dies bereits daraus, dass der Widerspruchsbescheid vom 07.10.2016 - entgegen der Behauptung
der Klägerin - gar keine Entscheidung über den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch enthält. Dies zeigt bereits der
Eingangssatz "die ... Widerspruchsstelle hat Ihren Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.05.2016 geprüft und beschlossen ...".
In Bezug auf den Bescheid vom 31.05.2016 folgt die Unzulässigkeit der Anfechtungsklage daraus, dass der Widerspruchsbescheid
vom 07.10.2016 ausschließlich die Zulässigkeit des Widerspruchs verneint, weil dieser bereits Gegenstand eines anderen Widerspruchsverfahrens
ist, die für ein Klageverfahren vorgeschaltete Prüfung (Vorverfahren, vgl. §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG) also dem anderen, bereits anhängigen Widerspruchsverfahren vorbehält. Entgegen der Auffassung der Klägerin wurde somit durch
diesen Widerspruchsbescheid der Bescheid vom 31.05.2016 gerade nicht aus dem Widerspruchsverfahren "herausgelöst", sondern
ausdrücklich dort belassen. Dem entsprechend ist im vorliegenden Verfahren, weil noch Gegenstand des Widerspruchsverfahrens
gegen den Bescheid vom 29.03.2016, gerade nicht inhaltlich über den Bescheid vom 31.05.2016 zu befinden, weil dieser Bescheid
- trotz Aufnahme in den Anfechtungsantrag - nicht (wirksam) angefochten ist (BSG, Urteil vom 05.07.2017, a.a.O., Rdnr. 23 bei entsprechendem Anfechtungsantrag, vgl. Rdnr. 6). Gleiches gilt (keine wirksame
Anfechtung), da andernfalls §
86 SGG ins Gegenteil verkehrt würde, für den im Antrag der Klägerin aufgeführten Bescheid vom 29.03.2016. Ist inhaltlich nicht über
den nach §
86 erster Halbsatz
SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.03.2016 gewordenen Bescheid vom 31.05.2016 zu entscheiden,
die Klage also wegen anderweitiger Prüfung unzulässig (s.o.), gilt dies erst recht für den Bescheid vom 29.03.2016, der originärer
Gegenstand des besagten Widerspruchsverfahrens ist. Für eine Aussetzung der Verhandlung nach §
114 Abs.
2 SGG bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 29.03.2016 oder, wie von der Klägerin im Klageverfahren
angeregt, für eine Anordnung des Ruhens des Verfahrens besteht deshalb ebenso wenig Anlass, wie für die Erörterung der Frage,
inwieweit der Bescheid vom 06.11.2017 die Bescheide vom 29.03.2016 und 31.05.2016 abändert und daher wiederum Gegenstand des
Widerspruchsverfahrens gegen den Bescheid vom 29.03.2016, aus den genannten Gründen also gerade nicht nach §
96 Abs.
1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits, geworden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 SGG).