Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Beigeladenen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch
Zweites Buch (SGB II).
Der 1949 geborene Beigeladene ist nach einem Krankenhausaufenthalt seit 26. September 2007 in vollstationärer Betreuung auf
dem D. untergebracht. Er erhält vom Kläger Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach §§ 67 ff. Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch (SGB XII) in Form der Langzeithilfe nach Leistungstyp III 1.5. Die monatlichen Aufwendungen für die Unterbringung
liegen zwischen ca. 1.300 € und 1.900 €. Ein vom Beigeladenen am 19. Dezember 2007 gestellter Antrag auf Erwerbsminderungsrente
wurde von der Deutschen R. B.-W. abgelehnt (Bescheid vom 22. Januar 2008, Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2008). Auf Antrag
vom 13. Januar 2010 wurde dem Beigeladenen rückwirkend ab 1. November 2009 Altersrente für schwerbehinderte Menschen bewilligt.
Die Rente mit einem Auszahlungsbetrag von 879,55 € monatlich wird vom Kläger vereinnahmt.
Nach Mitteilung des Klägers sprach der Beigeladene am 4. Februar und 4. März 2008 persönlich bei der Beklagten vor und beantragte
Leistungen nach dem SGB II. Nachdem der Kläger die Beklagte aufgefordert hatte, den Leistungsantrag des Beigeladenen aufzunehmen
und darüber zu entscheiden, teilte diese mit, dem Beigeladenen sei kein Antrag ausgehändigt worden, da er laut Bescheinigung
des D. vollstationär untergebracht sei und somit kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Mit Schreiben vom 3.
April 2008 widersprach der Kläger dieser Ansicht und führte aus, der D. werde leistungsrechtlich nicht als Einrichtung i.S.d.
SGB II gewertet. In der vollstationären Unterbringung bezögen ca. 10 Personen Leistungen nach dem SGB II.
Am 18. April 2008 stellte der Beigeladene einen förmlichen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, den die Beklagte
mit Bescheid vom 5. Mai 2008 ablehnte.
Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er könne gemäß § 95 SGB XII als erstattungsberechtigter Träger der Sozialhilfe
die Feststellung von Sozialleistungen betreiben und Rechtsmittel einlegen. Neben Betreuungskosten fielen beim Kläger auch
Aufwendungen zur Sicherung des Lebensunterhalts an. Der D. halte ein Hilfsangebot für Personen aus der Obdachlosigkeit mit
Suchterkrankungen und sonstigen sozialen Problemen vor. Die Lebensführung und die Gesamtverantwortung für den Tagesablauf
verblieben jedoch beim Hilfebedürftigen. Eine Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II liege nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der D. sei eine Einrichtung mit verschiedenen
Heimbereichen. Der Beigeladene sei vollstationär untergebracht i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II.
Mit seiner Klage vom 16. Juni 2008 zum Sozialgericht Konstanz (SG) macht der Kläger geltend, der D. sei keine Einrichtung i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II. Da das SGB II keine Legaldefinition des
Begriffs der stationären Einrichtung enthalte, sei eine Auslegung nach Sinn und Zweck des SGB II vorzunehmen. Folglich liege
eine stationäre Unterbringung vor, wenn auf Grund des Charakters, der Art, Struktur und Verfasstheit der Einrichtung von dieser
aus einer Erwerbstätigkeit nicht nachgegangen werden könne. Eine Arbeitsaufnahme wäre vom D.aus möglich, wäre das Arbeitsplatzangebot
in der Region besser. In Einrichtungen der Obdachlosenhilfe werde Hilfebedürftigen in unterschiedlichen Lebens- und Problemlagen
Hilfe und Unterstützung angeboten. Beratungs- und Betreuungsangebote seien individuell. Es werde nicht die Gesamtverantwortung
für die tägliche Lebensführung übernommen.
Das SG hat im Erörterungstermin am 18. November 2008 Herrn A., Abteilungsleiter am D., als Zeugen vernommen. In der mündlichen Verhandlung
am 14. Oktober 2009 hat es den Beigeladenen befragt und Herrn W., Vorstand des D., als Zeugen vernommen. Sodann hat das SG mit Urteil vom 14. Oktober 2009 die Beklagte unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids verurteilt, dem Beigeladenen Leistungen
nach dem SGB II ab Antragstellung (4. Februar 2008) zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger könne nach §
95 SGB XII in gesetzlicher Prozessstandschaft die Ansprüche des Beigeladenen gegenüber der Beklagten geltend machen. Der Beigeladene
habe Ansprüche auf Leistungen nach dem SGB II. Er sei erwerbsfähig nach §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II. Er sei
gesundheitlich in der Lage, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden arbeitstäglich erwerbstätig
zu sein. Dies habe der zuständige Rentenversicherungsträger im Rahmen der Prüfung des Antrags auf Erwerbsminderungsrente festgestellt.
Die Beklagte habe zudem mitgeteilt, dass sie die Erwerbsfähigkeit des Beigeladenen nicht nach § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II gesondert
feststellen werde. Zudem habe der Beigeladene in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass er täglich vormittags in der
Wäscherei des D. beschäftigt sei. Der Beigeladene sei hilfebedürftig i.S.v. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 9 Abs. 1 SGB II. Sein
Anspruch sei auch nicht nach § 7 Abs. 4 Alt. 1 SGB II ausgeschlossen. Danach erhalte keine Leistungen nach dem SGB II, wer
in einer stationären Einrichtung untergebracht sei. Das SG gehe davon aus, dass es sich beim D. - Bereich Langzeithilfe - nicht um eine stationäre Einrichtung handele. Eine Einrichtung
sei nur dann stationär i.S.d. SGB II, wenn es den Bewohnern objektiv unmöglich sei, außerhalb einer mindestens 15 Wochenstunden
dauernden Erwerbstätigkeit nachzugehen (unter Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. September 2007 - B 14/7b
AS 16/07 R -). Für den Beigeladenen sei es grundsätzlich objektiv möglich, außerhalb des Hauses mindestens 15 Wochenstunden erwerbstätig
zu sein. Die Zeugen hätten glaubwürdig bekundet, dass es in der Einrichtung zwar einen morgendlichen Hausrundgang gebe, darüber
hinaus aber keine zwingenden Termine oder Regeln bestünden, die einer Erwerbstätigkeit außerhalb der Einrichtung entgegen
stünden. Es gebe feste Termine wie Zeiten der Mahlzeiten, der Taschengeldausgabe oder Wäscherückgabe, deren Wahrnehmung sei
jedoch den Bewohnern freigestellt. Auch die vorgelegten Hilfepläne des Beigeladenen sowie die Erläuterungen des Zeugen Weil
hierzu ließen nicht erkennen, dass der Tagesablauf derart strukturiert sei, dass eine Erwerbstätigkeit im beschriebenen Umfang
ausgeschlossen sei. Hierfür spreche auch die Mitarbeiterstruktur, wonach auf 20 Bewohner ca. ein Mitarbeiter komme. Schließlich
habe auch der Beigeladene seinen Tagesablauf geschildert. Auch danach gehe das SG davon aus, dass er diesen weitgehend selbst gestalte und darin weitgehend unabhängig agieren könne.
Gegen das ihr am 17. November 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 8. Dezember 2009 eingelegte Berufung der Beklagten.
Sie führt aus, dass die Unterbringung in einer stationären Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II als gesetzliche Fiktion der
Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet worden sei. Diese Fiktion könne nur mit einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit
zu regulären Bedingungen widerlegt werden. Tragender Gesichtspunkt sei die Annahme, dass der in einer Einrichtung Verweilende
auf Grund der Vollversorgung und auf Grund seiner Einbindung in Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend
fremdbestimmt sei, dass er für die für das SGB II maßgeblichen Integrationsbemühungen nicht zur Verfügung stehe. Der Entscheidung
des SG könne schon deshalb nicht gefolgt werden, weil die Kosten für die Langzeitunterbringung nach §§ 19, 35 SGB XII über die Vorschriften
der stationären Einrichtung abgerechnet würden, so dass der Kläger selbst von einer stationären Unterbringung ausgehe. Die
Aussagen der Zeugen, wonach die Bewohner bis auf den morgendlichen Zimmerrundgang alles frei bestimmten, könnten daher nicht
überzeugen. Dies widerspreche den in den Hilfeplänen festgehaltenen Vorgaben des D.. Aus den Hilfeplänen ergebe sich, dass
der Beigeladene aufgrund der Vollversorgung und der Einbindung in die Tagesabläufe, bspw. Verabreichung der Medikamente, Beschäftigungshilfen
durch Tagesstrukturierung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt sei, dass er nicht ausreichend für Integrationsbemühungen
zur Eingliederung in Arbeit zur Verfügung stehe. Es greife daher der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II. Wäre die Unterbringung
im Langzeitbereich des D. keine stationäre Unterbringung i.S.v. § 7 Abs. 4 SGB II, bedürfte es keiner detaillierten Therapie-
und Wohnkonzepte, die beispielsweise die regelmäßige gesunde Ernährung, Unterstützung bei der Körperhygiene und Beschäftigungshilfen
regelten und zu deren Einhaltung sich der Bewohner unterschriftlich zu verpflichten habe. Würden - wie behauptet - zwischen
7.30 Uhr und 16.30 Uhr nur freiwillige Angebote vorgehalten werden, wäre das Einverständnis der Bewohner in der abverlangten
Form nicht erforderlich.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14. Oktober 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wie die ausführliche Befragung des Zeugen und Leiters des D., Herrn W. sowie des Beigeladenen ergeben habe, könne dieser seinen
Tagesablauf sehr frei gestalten. Es sei für den Beigeladenen möglich, dass er in ausreichendem Maß für mögliche Eingliederungsmaßnahmen
in Arbeit zur Verfügung stehe. Wie die Beklagte hier aus Hilfeplänen das Gegenteil herauslesen könne, sei nicht ersichtlich.
Der Kläger nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil. Im Hinblick auf die dem Beigeladenen zwischenzeitlich gewährte Altersrente hat der Kläger seine
Klage auf den Zeitraum bis 31. Oktober 2009 beschränkt.
Der Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider
Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Klägers und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten, über die der Senat nach erteiltem Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§
151 Abs.
1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§
143 SGG) und damit zulässig, da der Wert des Beschwerdegegenstands 750 € übersteigt (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) und zudem laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§
144 Abs.
1 Satz 2
SGG).
Zur Überprüfung steht der Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2008,
mit dem die Beklagte die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an den Beigeladenen für
die Zeit ab dem 4. Februar 2008 abgelehnt hat. Der streitige Zeitraum erstreckt sich in Fällen ablehnender Verwaltungsentscheidungen
grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (vgl. BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 3, jeweils Rdnr. 19; BSGE 98, 243 = SozR 4-4200 § 12 Nr. 4, jeweils Rdnr. 14; BSG, Urteile vom 31. Oktober 2007 - B 14/11b AS 59/06 R - und 15. April 2008 - B 14/7b AS 52/06 R - [beide juris]). Da der Kläger im Hinblick auf die dem Beigeladenen gewährte Altersrente die Klage jedoch auf den Zeitraum
bis 31. Oktober 2009 beschränkt hat, ist Streitgegenstand noch der Zeitraum vom 4. Februar 2008 bis 31. Oktober 2009.
Der Kläger ist als erstattungsberechtigter Sozialhilfeträger nach § 95 Satz 1 SGB XII berechtigt, die Feststellung eines Anspruches
auf Sozialleistung (hier: Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II) im Wege der Prozessstandschaft zu betreiben. Diese Vorschrift
sichert einen etwaigen erstattungsrechtlichen Anspruch dadurch, dass der nachrangige Sozialhilfeträger im eigenen Namen die
Feststellung der Leistungsverpflichtung des vorrangigen Leistungsträgers begehren kann. Im Rahmen dieser gesetzlichen Prozessstandschaft
fallen die Verfügungsbefugnis über materielles Recht und die Aktivlegitimation auseinander (vgl. Münder in LPK-SGB XII, 8.
Aufl., § 95 Rdnr. 4; Wolf in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, § 95 Rdnr.
10).
Das SG hat vorliegend zu Recht die Beklagte verurteilt, an den Beigeladenen ab 4. Februar 2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
dem Grunde nach zu gewähren. Lediglich soweit das SG irrtümlich als Datum des Widerspruchsbescheids den 10. August 2008 (statt Juni) genannt hat, war der Tenor mit entsprechender
Maßgabe klarzustellen. Im Rahmen der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
4 SGG) konnte das SG auch das vom Kläger beantragte Grundurteil erlassen; die Anspruchsvoraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs sind gegeben
(vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a., aaO., § 130 Rdnr. 2 ff.).
Der Beigeladene hat einen Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Nach §
7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze
nach § 7a noch nicht erreicht haben; (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt
in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Hilfebedürftige). Der Beigeladene war zu Beginn des streitigen Zeitraums
59 Jahre alt, er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und ist hilfebedürftig. Hilfebedürftig
ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm
in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht
durch (1.) Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, (2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Der Beigeladene hat im streitigen
Zeitraum weder Einkommen, noch verfügt er über anzurechnendes Vermögen i.S.v. § 12 SGB II, er erhält lediglich Leistungen
vom Kläger nach §§ 67 ff. SGB XII (Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Diese Leistungen schließen
jedoch Ansprüche nach dem SGB II auf Sicherung des Lebensunterhalts nicht aus (§ 5 Abs. 2 SGB II, § 21 Satz 1 SGB XII).
Schließlich ist der Beigeladene auch subjektiv erwerbsfähig. Erwerbsfähig ist, wer nicht wegen Krankheit oder Behinderung
auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden
täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II). Vorliegend bestätigt nicht nur das Rentengutachten von Dr. R. vom 4. April
2008, dass der Beigeladene bei Vorliegen einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, einer obstruktiven Atemwegserkrankung
und Zustand nach Aortenklappenersatz sogar noch mindestens sechs Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten kann, sondern
der Beigeladene war auch tatsächlich im Rahmen der Beschäftigungshilfen 4,5 Stunden täglich in der Wäscherei des D. tätig.
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 traten krankheitsbedingt längere Fehlzeiten auf, ab 2010 konnte der Beigeladene
die Tätigkeit nicht mehr ausüben. Danach hat der Senat keine Zweifel, dass jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum auch
eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens drei Stunden täglich ausgeübt werden konnte. Abgesehen davon geht
offensichtlich auch die Beklagte von der Erwerbsfähigkeit des Beigeladenen aus, denn sie hat ausdrücklich mit Schreiben vom
21. Januar 2009 an das SG mitgeteilt, dass sie die Erwerbsfähigkeit des Beigeladenen nicht im Rahmen von § 44a SGB II gesondert feststellen werde.
Dem Anspruch des Beigeladenen steht, wie das SG zutreffend entschieden hat, § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer u.a. in einer stationären
Einrichtung untergebracht ist. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch, (1.) wer voraussichtlich für weniger
als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder (2.) wer in einer stationären Einrichtung
untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig
ist (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II). Der D. - Bereich Langzeithilfe - stellt im konkreten Fall keine stationäre Einrichtung in
o.g. Sinne dar.
§ 7 Abs. 4 SGB II enthält eine gesetzliche Fiktion, wonach der eigentlich erwerbsfähige Hilfebedürftige als erwerbsunfähig
anzusehen und vom Leistungsbezug nach dem SGB II auszuschließen ist (vgl. Spellbrink in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl.,
§ 7 Rdnr. 60). Diese gesetzliche Fiktion kann nur durch Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit
zu regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 3 SGB II). Durch die Fiktion des in einer Einrichtung
Untergebrachten als erwerbsunfähig wird zugleich der Leistungsausschluss im Rahmen der Sozialhilfe vermieden (§§ 5 Abs. 2
SGB II, 21 SGB XII). Nach der Rechtsprechung des BSG kommt es insoweit ausschließlich auf die objektive Struktur und Art der
Einrichtung an. Ist die Einrichtung so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht möglich ist, aus
der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genügt, ist der Hilfebedürftige
dem SGB XII zugewiesen. Maßgebend für eine solche Systementscheidung ist insoweit die Annahme, dass der in einer Einrichtung
Untergebrachte aufgrund der Vollversorgung und der Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so
weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen nicht ausreichend
zur Verfügung steht (vgl. BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 7). Nach alledem ist der Begriff der Einrichtung danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in
der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
ausgeschlossen ist. Im Rahmen des § 7 Abs. 4 SGB II wird der sozialhilferechtliche Einrichtungsbegriff daher unter dem Gesichtspunkt
der Erwerbsfähigkeit zeitlich objektiviert (vgl. BSGE 99, 88 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 7).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG - der Senat würdigt die protokollierten Zeugenaussagen im Wege des Urkundsbeweises - ist der Senat davon überzeugt, dass
es dem Beigeladenen ohne weiteres möglich gewesen wäre, eine 15 Wochenstunden umfassende Erwerbstätigkeit außerhalb des D.
aufzunehmen. Nach der Struktur der Langzeithilfe im D. ist für den Beigeladenen - wie die meisten Bewohner - nur der morgendliche
Zimmerrundgang obligatorisch, der jedoch bis 9 Uhr abgeschlossen ist. Weder sind die angebotenen Beschäftigungshilfen, wie
die vom Beigeladenen ausgeübte Tätigkeit in der Wäscherei, noch ist die Teilnahme an den Mahlzeiten verpflichtend. Eine Kontrolle
findet außerhalb des morgendlichen Rundgangs nicht statt, lediglich im Rahmen eines Sicherungssystems wird nachgesehen, wenn
jemand nicht zu einem Termin erscheint. Nichts anderes ergibt sich aus den vorliegenden Hilfeplänen für den Beigeladenen.
Daraus ergibt sich, dass eine selbstständige Haushaltsführung nicht möglich wäre und Unterstützung im Bereich der Körper-
und Zimmerhygiene erforderlich ist. Konkrete zeitliche Vorgaben oder feste Verpflichtungen ergeben sich für den Beigeladenen
jedoch auch nicht aus den Hilfeplänen. Auch soweit - wie im Hilfeplan vom 13. Mai 2009 - täglich aufsuchende Gespräche für
wichtig erachtet werden, ist damit kein fester Termin verbunden und erst recht keine zeitliche Anforderung, die einer Tätigkeit
von 15 Wochenstunden entgegen stehen könnte. Schließlich spricht auch der bereits vom SG herangezogene Aspekt der Zuständigkeit von einem Mitarbeiter für 20 Bewohner gegen eine derart engmaschige Strukturierung
und Kontrolle innerhalb der Einrichtung, wie sie die Beklagte annimmt. Der Tagesablauf des Beigeladenen ist daher nach alledem
nicht in einer Weise institutionalisiert, dass man von der Unterbringung in einer Einrichtung i.S.d. § 7 Abs. 4 SGB II sprechen
könnte. Es spielt insoweit keine Rolle, dass in den Anträgen an den Kläger auf Übernahme der Kosten im Rahmen der Langzeithilfen
die §§ 19, 35 SGB XII erwähnt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Es handelt sich nicht um ein kostenpflichtiges Verfahren i.S.v. §
197a SGG, da der Kläger gemäß §
95 SGB XII im Wege der Prozessstandschaft die Feststellung eines Anspruchs des Leistungsberechtigten betreibt (vgl. Leitherer
in Meyer-Ladewig u.a., aaO., § 183 Rdnr. 6b).
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) liegen nicht vor.