Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten
(
OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die im Jahre 1969 geborene Klägerin ist iranische Staatsangehörige. In ihrem Heimatland war sie eigenen Angaben zu Folge Musikerin
und politisch engagiert. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet stellte sie gemeinsam mit ihrem damaligen Ehemann und dem
gemeinsamen, im Jahre 1999 geborenen Sohn einen Asylantrag; zwischenzeitlich ist sie als Asylberechtigte anerkannt.
Bereits zum Zeitpunkt ihrer Einreise in das Bundesgebiet hatte die Klägerin, wiederum eigenen Angaben zu Folge durch polizeiliche
Misshandlungen während einer in ihrem Heimatland erlittenen Haft, ihr rechtes Auge verloren und trug eine Prothese. Ihr linkes
Auge wies wegen eines Glaukoms (chronischer Augeninnendruckanstieg), eines Nystagmus (Augenzittern) sowie einer Leukoma corneae
(vollständige Eintrübung der Hornhaut) eine Sehschärfe auf, die augenärztlicherseits mit Fingerzählen (FZ) bzw. Handbewegung
(HBW) bezeichnet wurde.
Mit Bescheid vom 22.01.2003 stellte das Versorgungsamt St. bei der Klägerin einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit
Antragstellung am 04.03.2002 sowie das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen der Merkzeichen G, B, H, Bl und RF wegen
der Funktionsbeeinträchtigung Blindheit (Verlust eines Auges bei Sehminderung des anderen Auges) fest.
Am 23.11.2003 kam es zwischen der Klägerin und ihrem selbst auf beiden Augen sehbehinderten damaligen Ehemann zum Streit.
Dabei schlug ihr der damalige Ehemann mit der Faust auf das linke Auge. Hierdurch erlitt die Klägerin eine perforierende Verletzung
des Auges, weshalb dieses trotz operativer Rekonstruktion und konservativen Behandlungen am 20.01.2005 entfernt werden musste.
Der damalige Ehemann der Klägerin wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 5 Monaten
verurteilt (Urteil des Amtsgerichts St. vom 26.03.2004 - 103 Ls 22 Js 100457/03 - sowie auf das Strafmaß beschränktes Berufungsurteil des Landgerichts St. vom 06.12.2004 - 35 Ns 22 Js 100457/03 -).
Am 16.02.2004 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt St. die Gewährung von Beschädigtenversorgung. Im Zuge der daraufhin
eingeleiteten Ermittlungen holte das zwischenzeitlich zuständig gewordene Landratsamt B. einen Befundbericht der Augenärztin
Dr. S. vom 21.02.2005 ein. Diese berichtete unter Vorlage augenärztlicher Unterlagen, bei der Klägerin bestehe an der linken
Augenhöhle noch ein postoperativer Reizzustand. Sie leide außer unter dem Wundschmerz an Lichtwahrnehmungen im Sinne eines
Phantomschmerzes, so dass sie zur Schmerztherapie überwiesen worden sei. Der Ärztliche Direktor des K. St., Prof. Dr. W.,
teilte mit Schreiben vom 21.03.2005 unter Vorlage bereits von Dr. S. eingereichter Unterlagen mit, die Klägerin sei vollständig
blind.
In der daraufhin von Dr. G. erstatteten versorgungsärztlichen Stellungnahme heißt es, bei der Klägerin habe bereits vor dem
Trauma am 23.11.2003 ein gravierender Augenschaden beidseits, nämlich eine hochgradige Sehbehinderung, die dem Gesetz nach
Blindheit gleichzustellen gewesen sei, vorgelegen. Durch das Trauma sei der weitgehend funktionslose Augapfel links entfernt
worden, nachdem eine kontusionelle Schädigung eingetreten gewesen sei. Der Tatbestand des Nachschadens "Blindheit" sei nicht
erfüllt. Maßgeblich sei der Vorschaden. Für die Entstellung nach Entfernung des funktionslosen Augapfels links liege die MdE
unter 25 vom Hundert (v. H.).
Mit Bescheid vom 30.06.2005 stellte das Landratsamt B. daraufhin fest, dass die Klägerin am 23.11.2003 Opfer einer Gewalttat
im Sinne des
OEG geworden ist. Als Folge der Schädigung erkannte es eine Entstellung nach Entfernung des funktionslosen Augapfels links an.
Durch diese Schädigungsfolgen werde eine MdE in rentenberechtigendem Grade um wenigstens 25 v. H. nicht erreicht. Eine Rente
stehe der Klägerin daher nicht zu. Allerdings habe sie Anspruch auf Heilbehandlung ab dem 23.11.2003.
Zur Begründung ihres hiergegen erhobenen Widerspruchs trug die Klägerin vor, eine Entstellung liege zwar vor, sei aber der
geringste Teil der Schädigungsfolgen. Sie habe bis zu der Schädigung durch ihren damaligen Ehemann noch über eine Sehkraft
von 10 % verfügt. Damit sei sie noch in der Lage gewesen, ihren Haushalt allein zu führen und in bestimmtem Umfang Dinge zu
erkennen. Diese Sehkraft habe sie durch die Tat verloren. Hierin liege die eigentliche Schädigung.
Hierzu nahm Medizinaldirektorin Dr. K. versorgungsärztlich Stellung. Sie teilte mit, aus den eingeholten augenärztlichen Unterlagen
ergebe sich eindeutig, dass vor der Tat nur eine minimale Restsehfähigkeit von 1/50 oder darunter vorgelegen habe. Dies werde
vom Gesetz einer Blindheit gleichgesetzt. Die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. G. gelte daher weiterhin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.12.2005 wies das Regierungspräsidium St. den Widerspruch im Wesentlichen gestützt auf die
eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahmen zurück.
Am 30.12.2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht St. Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen der Allgemeinärztin Dr. H.-W. vom 08.12.2006 und von Dr.
S. vom 21.12.2006 eingeholt.
Dr. H.-W. hat unter Vorlage weiterer ärztlicher Unterlagen im Wesentlichen mitgeteilt, die Augenhöhle der Klägerin neige zu
Infektionen. Die Klägerin sei zeitweise inhaltlich sehr auf den Verlust des ihr verbliebenen Auges fixiert gewesen. Eine bestehende
erhebliche posttraumatische Belastungsstörung beruhe nach Angabe der Klägerin auf einem Gefängnisaufenthalt und Folter.
Dr. S. hat angegeben, die Sehschärfe links sei vor der Verletzung am 23.11.2003 auf die Wahrnehmung von Handbewegungen reduziert
gewesen. Seit der Entfernung des Auges fänden sich immer wieder entzündliche Veränderungen der Augenhöhle und der Augenlider.
Im hierzu vorgelegten Arztbrief der Universitäts-Augenklinik T. vom 07.12.2006 heißt es am Ober- und Unterlid des rechten
Auges hätten sich Chalazia gefunden, am linken Auge aber kein Sekret.
In der daraufhin vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. G. werden die früheren versorgungsärztlichen Einschätzungen
bestätigt. Die Klägerin hat im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und ergänzend geltend
gemacht, sie habe vor der Tat nicht nur ihren Haushalt allein führen, sondern auch noch selbst einkaufen und ihr Kind allein
versorgen können. Zur alleinigen Haushaltsführung und Versorgung des Kindes sei sie nunmehr schädigungsbedingt nicht mehr
in der Lage.
Mit Urteil vom 24.04.2008 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 30.06.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
05.12.2005 abgeändert und den Beklagten verurteilt, der Klägerin Versorgungsrente entsprechend einer MdE um 25 v. H. in gesetzlicher
Höhe zu gewähren. In den Entscheidungsgründen heißt es, der Beklagte habe die bei der Klägerin vorliegenden Schädigungsfolgen
zu niedrig bewertet. Es liege auf der Hand, dass eine wechselseitige Beeinflussung von Vorschäden und versorgungs- bzw. versicherungsrechtlich
geschützten Schäden berücksichtigt werden müsse. Unter Berücksichtigung aller Umstände messe das Gericht dem schädigungsbedingten
vollständigen Verlust des Restsehvermögens der Klägerin eine besondere Bedeutung zu. Diese Entscheidung ist dem Beklagten
am 06.06.2008 zugestellt worden.
Am 30.06.2008 hat der Beklagte Berufung eingelegt.
Der Senat hat schriftliche sachverständige Zeugenaussagen von Dr. S. vom 20.06.2009 sowie von dem Neurologen und Psychiater
Dr. H. vom 01.10.2009 mit Ergänzung vom 21.12.2009 eingeholt.
Dr. S. hat angegeben, die von der Klägerin zunächst berichteten Lichtwahrnehmungen am nicht mehr vorhandenen Auge hätten sich
ihres Wissens gebessert. Die Entzündungen an Lidern und Augenhöhlen seien wechselnd und inzwischen chronisch. Die angegebenen
Schmerzen seien unverändert. Ob sich die Klägerin in eine angeratene Schmerztherapie gegeben habe, sei ihr nicht bekannt.
Es seien antibiotische Salben und regelmäßig neue Kunstaugen verordnet worden. Darüber hinaus sei die Klägerin an die Augenklinik
St. und die Universitätsaugenklinik T. überwiesen worden. Ihrer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage hat Dr. S. Arztbriefe
u. a. der Universitäts-Augenklinik T. vom 11.03.2009 (keine Entzündung der Augenhöhlen rechts und links), des Radiologen Dr.
L. vom 30.03.2009 (kein Nachweis einer intraorbitalen [innerhalb der Augenhöhle befindlichen] Entzündung) und des Labors E.
vom 03.04.2008 (Bindehautabstrich vom 31.03.2008, kein Wachstum von Bakterien) vorgelegt.
Dr. H. hat im Wesentlichen ausgeführt, er habe die Klägerin zwischen Dezember 2006 und Februar 2009 insgesamt viermal behandelt.
Im Februar 2007 habe sie über eine mangelnde psychische und physische Belastbarkeit bei der Erziehung des Sohnes und eine
psychosoziale Belastung durch laute Nachbarschaft geklagt. Im Februar 2009 habe sie über Augenschmerzen sowie eine mangelnde
Stressbelastbarkeit und Schlafstörungen berichtet.
Der Beklagte hat unter Vorlage versorgungsärztlicher Stellungnahmen von Dr. W. vom 14.07.2009 und 14.01.2010 ausgeführt, eine
dauernde, einer Behandlung nicht zugängliche Eiterung der Augenhöhle, die einen GdS von wenigstens 20 ergeben könne, liege
nach den ärztlichen Befundunterlagen nicht vor. Ein kausaler Zusammenhang zwischen den Augenschmerzen der Klägerin und dem
schädigenden Ereignis sei nicht wahrscheinlich.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts St. vom 24. April 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt ihr Vorbringen aus den Widerspruchs- und Klageverfahren. Ergänzend trägt
sie unter Bezugnahme auf ihre Geschädigtenvernehmung vom 11.12.2003 im Ermitllungsverfahren gegen ihren Ehemann vor, sie habe
vor der Tat mit dem linken Auge nicht nur zwischen Schwarz und Weiß, sondern auch zwischen Farben unterscheiden können. Sie
sei allerdings nicht in der Lage gewesen normale Schrift zu lesen. Ihre Behandlung erfolge weiterhin durch Dr. S., Dr. H.
und die Universitäts-Augenklinik T..
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten des Senats
und des Sozialgerichts St. sowie die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten, einschließlich der Ermittlungsakten, und
die gleichfalls beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet. Im Ergebnis zu Unrecht hat das Sozialgericht den Beklagten unter Abänderung
der angegriffenen Bescheide verurteilt der Klägerin wegen der erlittenen Schädigung Beschädigtenrente nach dem
OEG i. V. mit dem BVG zu gewähren. Der Bescheid des Landratsamts B. vom 30.06.2005 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums St. vom
05.12.2006 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Denn sie hat keinen Anspruch auf die geltend
gemachte Rentengewährung.
Rechtsgrundlage für die Gewährung von Beschädigtenrente für die Folgen der von der Klägerin erlittenen Schädigung sind §
1 OEG i. V. mit § 9 Nr. 3, §§ 29 ff. und § 60 BVG. Nach §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG erhält derjenige, der in Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person
oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen
Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG; dies gilt unter den in §
1 Abs.
4 und
5 OEG normierten Voraussetzungen in dort näher bestimmtem Umfang auch für Ausländer. Hinsichtlich der Versorgungsleistungen sieht
§ 9 Nr. 3 BVG i. V. mit § 31 Abs. 1 BVG u. a. die Gewährung von Beschädigtenrente vor, die sich nach der Höhe der MdE bzw. des GdS richtet. Der GdS ist dabei gemäß
§ 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG in der ab dem 21.12.2007 geltenden Fassung des Gesetzes vom 13.12.2007 (BGBl. I 2904) - n. F. - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen
bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen und nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; Ähnliches galt bereits
nach § 30 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG in der bis zum 20.12.2007 geltenden Gesetzesfassung - a. F. - (vgl. BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 VG 1/08 R - zit nach juris). Nach § 31 Abs. 1 BVG erhalten Beschädigte eine solche monatliche (Grund-) Rente ab einer MdE um 30 v. H. bzw. (seit dem 21.12.2007, vgl. auch
insoweit das Gesetz vom 13.12.2007, aaO.) einem GdS von 30, wobei nach § 31 Abs. 2 BVG a. F. eine bis zu 5 v. H. geringere MdE (von 25 v. H.) bzw. nach § 30 Abs. 1 Satz 2 BVG n. F. ein bis zu 5 Grad geringerer GdS (von 25) vom höheren Zehnersatz bzw. -grad mit umfasst wird. Schließlich regelt §
60 BVG den Beginn der Leistungsgewährung.
In Anwendung dieser Regelungen ist die Klägerin zwar, wie vom Beklagten bereits mit Bescheid vom 30.06.2005 festgestellt,
am 23.11.2003 Opfer einer Gewalttat i. S. des §
1 Abs.
1 Satz 1
OEG geworden; auch hat sie hierdurch ihren linken Augapfel verloren. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Darüber
hinaus unterfällt die Klägerin auch dem personalen Geltungsbereich des
OEG, da sie sich im Zeitpunkt der Schädigung als Asylbewerberin jedenfalls aus humanitären Gründen rechtmäßig im Bundesgebiet
aufhielt (§
1 Abs.
5 Satz 1 Nr.
2 i. V. mit Satz 2
OEG; vgl. Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner,
OEG, 5. Aufl. 2010, Rdnr. 106 zu § 1). Demgemäß kommt ein Anspruch auf die von ihr erstrebte einkommensunabhängige Grundrente nach § 31 BVG dem Grunde nach in Betracht (§
1 Abs.
5 Satz 1 Nr.
2 OEG; vgl. auch hier zu Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, aaO., Rdnr. 108 zu §
1).
Indes lassen sich bei der Klägerin keine Folgen der Schädigung feststellen, die eine MdE bzw. einen GdS in rentenberechtigendem
Grade zu begründen vermögen.
Eine solche rentenberechtigende MdE bzw. ein solcher rentenberechtigender GdS ergibt sich zunächst nicht aus § 31 Abs. 4 Satz 1 BVG a. F. bzw. § 31 Abs. 3 Satz 1 BVG n. F., wonach Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, stets die Rente eines Erwerbsunfähigen
bzw. nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 erhalten. Denn Blindheit i. S. des BVG besteht bei der Klägerin nicht als Folge der Schädigung, sondern als vor der Schädigung vorhandener Gesundheitsschaden (Vorschaden).
Maßstab für diese Einschätzung sind die vom (nunmehrigen) Bundesministerium für Arbeit und Soziales (zuletzt im Jahr 2008)
herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht
(Teil 2
SGB IX)" - AHP - (vgl. hierzu BSG, Beschluss vom 24.04.2008 - B 9 VJ 7/07 B - zit. nach juris) bzw. die seit dem 01.01.2009 geltenden, die AHP ablösenden und mit dem Rang einer Rechtsverordnung ausgestatteten
Versorgungsmedizinischen Grundsätze - VG - (Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs.
1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes [Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -] vom 10.12.2008 [BGBl. I S.
2904; abgedr. im Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15.12.2008]). Sowohl die AHP als auch die VG enthalten Tabellen mit Anhaltswerten
für die Beurteilung der Einzel-MdE bzw. des Einzel-GdS bei verschiedenen körperlichen, geistigen und seelischen Störungen;
bei Gesundheitsstörungen, die in der Tabelle nicht aufgeführt sind, ist die MdE bzw. der GdS in Analogie zu vergleichbaren
Gesundheitsstörungen zu beurteilen (vgl. zu alledem Nr. 26.1 Abs. 1 und 2 der AHP sowie Teil B Nr. 1 a und b der VG).
Als blind ist ein behinderter Mensch nicht nur anzusehen, wenn ihm das Augenlicht vollständig fehlt, sondern auch dann, wenn
die Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht bei beidäugiger Prüfung mehr als 0,02 (1/50) beträgt (vgl. Nr. 23 Abs. 2 der
AHP sowie Teil A Nr. 6 der VG). Dies beurteilt sich nach Nr. 26.4 der AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der VG (MdE-Tabelle der DOG),
wo für diesen Fall eine MdE von 100 v. H. bzw. ein GdS von 100 vorgesehen ist. Eine solche Fallgestaltung war bei der Klägerin,
die ihr rechtes Auge schon in ihrem Heimatland verloren hatte, bereits vor der Schädigung gegeben, nachdem die Sehschärfe
für das linke Auge vor dem 23.11.2003 augenärztlicherseits mit Fingerzählen (FZ) bzw. Handbewegung (HBW) bezeichnet wurde
(vgl. hierzu die Arztbriefe der Augenärztin Kulisiewicz vom Dezember 2001, der Universität-Augenklinik T. vom 11.01.2002,
09.03.2002, 31.03.2002, 24.10.2002, 13.12.2002 und 02.08.2003 und der Charlottenklinik für Augenkranke, Prof. Dr. B., vom
12.03.2003 sowie die schriftliche sachverständige Zeugenaussage von Dr. S. vom 21.12.2006). Dieser Befund entspricht - anders
als die Klägerin meint - allenfalls einem Visus von 1/50 (vgl. Sachsenweger, Augenheilkunde, 2. Aufl. 2003, Seite 362). Dementsprechend
hat das Versorgungsamt bereits vor der Schädigung mit Bescheid vom 22.01.2003 bei der Klägerin einen GdB von 100 sowie das
Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen (u.a.) des Merkzeichens Bl (Blindheit) festgestellt.
Allerdings ergibt sich aus alledem auch nicht - wie der Beklagte offenbar meint - gleichsam im Umkehrschluss, dass der schädigungsbedingte
Verlust des Restsehvermögens der Klägerin rechtlich unerheblich ist. Vielmehr spricht manches dafür, dass die durch die Gleichstellung
mit vollständig Blinden beabsichtigte Begünstigung schwerst Sehgeminderter nur dann zu einem Ausschluss von Beschädigtenrente
wegen einer weiteren Verschlechterung der Sehfähigkeit zu führen vermag, wenn dem behinderten Menschen die Begünstigung als
Kehrseite auch zugute gekommen ist. Denn andernfalls würde der Zweck der Gleichstellung jedenfalls dann in sein Gegenteil
verkehrt, wenn einem soziale Entschädigungsleistungen begehrenden Sehgeminderten eine solche Begünstigung - wie hier - lediglich
mit Blick auf das Schwerbehindertenrecht, nicht aber in Bezug auf das davon zu unterscheidende soziale Entschädigungsrecht
zuteil geworden ist.
Die Frage, ob bei trotz geringen Restsehvermögens schon vor der Schädigung anzunehmender Blindheit i. S. des BVG i. V. mit Nr. 23 Abs. 2 der AHP bzw. Teil A Nr. 6 der VG ein schädigungsbedingter Verlust der verbliebenen Sehfähigkeit entschädigungsrechtlich
beachtlich ist, kann jedoch im Ergebnis offen bleiben. Denn der hier in Rede stehende Verlust des Restsehvermögens von 2 %
auf dem linken Auge der Klägerin führt auch unter Berücksichtigung von mit der schädigungsbedingten Entfernung des Augapfels
einhergehenden Entzündungen, Schmerzen, Lichtwahrnehmungen und kosmetischen Beeinträchtigungen nicht zu einer MdE um mindestens
25 v. H. bzw. einem GdS von mindestens 25 (1.). Weitere - insbesondere psychische - Gesundheitsbeeinträchtigungen sind nicht
in die Beurteilung einzubeziehen (2.).
1. Eine in Nr. 26.4 der AHP vorgesehene MdE um 40 v. H. bzw. ein im Teil B Nr. 4.1 der VG vorgesehener GdS von 40 wegen Verlust
eines Auges mit dauernder, einer Behandlung nicht zugänglicher Einführung der Augenhöhle lässt sich nicht begründen.
Diese MdE- bzw. GdS-Bewertung betrifft - wie sich aus Nr. 26.4 der AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der VG (MdE-Tabelle der DOG)
und der darin enthaltenen Bewertung allein des Verlusts des Sehvermögens auf einem Auge mit einer MdE um 25 v. H. bzw. einem
GdS von 25 ergibt - den schädigungsbedingten Verlust des Auges einschließlich des gesamten, nicht vorgeschädigten Sehvermögens
und erfordert zusätzlich eine therapieresistente Eiterung der Augenhöhle. Weder liegt aber angesichts der weitgehenden Vorschädigung
ein solcher Visusverlust vor noch wird ärztlicherseits eine Eiterung der Augenhöhle berichtet. Vielmehr hat Dr. W. in der
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 14.07.2009 zutreffend darauf hingewiesen, dass die von Dr. S. - in Übereinstimmung
mit der Allgemeinärztin Dr. H.-W. (vgl. die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 08.12.2006) - in den schriftlichen
sachverständigen Zeugenaussagen vom 21.12.2006 und vom 20.06.2009 zuletzt als chronisch berichteten wechselnden Entzündungen
der Augenhöhle und der Augenlider nach den von der genannten Ärztin übersandten Arztbriefen der Universitäts-Augenklinik T.
vom 07.12.2006 (Chalazia am Ober- und Unterlid des rechten Auges, am linken Auge aber kein Sekret), vom 11.03.2009 (keine
Entzündung der Augenhöhlen rechts und links) und des Radiologen Dr. L. vom 30.03.2009 (kein Nachweis einer intraorbitalen
[innerhalb der Augenhöhle befindlichen] Entzündung) keinen Nachweis für hier erhebliche Entzündungen ergeben. Gleiches gilt
für den von Dr. S. ebenfalls vorgelegten Arztbrief des Labors E. vom 03.04.2008 (Bindehautabstrich vom 31.03.2008, kein Wachstum
von Bakterien).
Der danach der MdE- bzw. GdS-Bewertung zunächst zu Grunde zu legende Verlust des Restsehvermögens der Klägerin rechtfertigt
für sich allein eine MdE um allenfalls 20 v. H. bzw. einen GdS von allenfalls 20.
Zwar führt eine Verschlechterung der Sehfähigkeit um 2 % auf einem Auge in aller Regel nicht zu einer messbaren MdE bzw. einem
messbaren GdS. Jedoch ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die besagte Verschlechterung zum gänzlichen Verlust des Sehvermögens
der Klägerin geführt hat, nachdem sie zuvor bereits das rechte Auge verloren hatte und auf dem linken Auge nur über das besagte
Sehvermögen von 2 % verfügte, der Vorschaden mithin die an sich geringe schädigungsbedingte Funktionsstörung verstärkt. Daher
ist die schädigungsbedingte MdE bzw. der schädigungsbedingte GdS in Anwendung von Nr. 47 Abs. 1 Buchst. c der AHP bzw. Teil
A Nr. 12 Buchst. a cc der VG höher zu bewerten, als es bei isolierter Betrachtung der Schädigungsfolge zu geschehen hätte.
Demgemäß ist vorliegend in die Beurteilung einzustellen, welchen Funktionsverlust die Klägerin durch die gänzliche Erblindung
erlitten hat.
Diese Funktionsbeeinträchtigung besteht nach Angaben der Klägerin darin, dass sie die vor Verlust auch des linken Auges bestehende
Fähigkeit, ihren Haushalt allein zu führen, ihr Kind allein zu versorgen, in bestimmtem Umfang Dinge zu erkennen und zwischen
Farben zu unterscheiden, verloren hat. Das trifft insoweit zu, als sich die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit der Klägerin auch
bei den von ihr angesprochenen Einkäufen durch den gänzlichen Verlust des Sehvermögens verschlechtert hat. Diese Fähigkeit
war allerdings auf das bloße Wahrnehmen von Objekten bzw. Bewegungen in einer Entfernung von 1 m (Fingerzählen; vgl. Sachsenweger,
aaO.) bzw. 30 cm (Handbewegung; vgl. auch hierzu Sachsenweger, aaO.) vom Auge beschränkt; sie bestand also darin, in der Nähe
ihrer Augen befindliche Gegenstände auch anhand unterschiedlicher Farben wahrzunehmen und sich damit auf kurze bzw. kürzeste
Distanz unter Zuhilfenahme auch ihrer Sehfähigkeit zu orientieren. Indes war ihr mit dem verbliebenen Sehvermögen von 2 %
insbesondere auf der Straße und beim Einkaufen eine gezielte Fortbewegung auf Sicht nicht wesentlich besser als einem vollständig
Blinden möglich, nachdem selbst der Abstand von den Augen zum Boden mehr als 1 m beträgt. Nichts anderes gilt angesichts der
bloßen (groben) Wahrnehmung von Objekten für gezielte manuelle Tätigkeiten. Normale Schrift zu lesen, war ihr nach eigenen
Angaben bereits vor dem Verlust des Auges nicht möglich. Demgemäß war die Klägerin vor ihrer vollständigen Erblindung lediglich
auf kurze bis kürzeste Entfernung in der Lage, ihr Sehvermögen zusätzlich zu ihren übrigen Sinnen helfend einzusetzen.
Dieser Funktionsverlust ist mit einer MdE um allenfalls 20 v. H. bzw. einem GdS von allenfalls 20 zu bemessen. Denn der Verlust
der - wie angeführt - bloßen Hilfsfunktion ist im Höchstfall einem völligen Verlust des Riechvermögens bei zusätzlichem völligem
Verlust des Geschmackssinns (vgl. Nr. 26.6 der AHP bzw. Teil B Nr. 6.3 der VG, wonach der völlige Verlust des Riechvermögens
mit der damit verbundenen Beeinträchtigung der Geschmackswahrnehmung mit einer MdE um 15 v. H. bzw. einem GdS von 15 und der
völlige Verlust des Geschmackssinns mit einer MdE um 10 v. H. bzw. einem GdS von 10 zu bewerten ist) oder einer völligen Taubheit
auf einem Ohr bei Normalhörigkeit auf dem anderen Ohr (vgl. Nr. 26.5 Tabelle D der AHP bzw. Teil B Nr. 5.2.4 der VG) gleichzusetzen.
Eine Höherbewertung ist auch mit Blick auf die in Nr. 26.4 der AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der VG (MdE-Tabelle der DOG) für
Visusverluste vorgesehenen MdE- bzw. GdS-Werte nicht angezeigt. Denn der Verlust des geringen, lediglich auf kurze bis kürzeste
Entfernung unterstützend einsetzbaren Restsehvermögens der Klägerin lässt sich nicht höher ansetzen als beispielsweise eine
Verringerung der Sehfähigkeit eines Auges - um 92 % - auf 8 % bei erhaltener voller Sehschärfe des anderen Auges (vgl. Nr.
26.4 der AHP bzw. in Teil B Nr. 4.3 der VG [MdE-Tabelle der DOG]).
Die weiteren, mit der Entfernung des Augapfels einhergehenden Gesundheitsstörungen führen im Ergebnis zu einer Bestätigung
des mit dem Verlust des Sehvermögens allenfalls erreichten MdE-Grades von 20 v. H. bzw. GdS-Grades von 20, nicht aber zu einer
hier erheblichen Erhöhung der MdE auf 25 v. H. bzw. des GdS auf 25. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Klägerin
selbst diesen Beeinträchtigungen keine wesentliche Bedeutung zumisst. Vielmehr hat sie sowohl in der Klagebegründung als auch
in der Berufungserwiderung allein auf den Verlust ihrer Sehkraft abgehoben (vgl. hierzu die Schriftsätze ihres Prozessbevollmächtigten
vom 27.06.2007 und vom 01.08.2008) und in der Widerspruchsbegründung vorgetragen, die eigentliche Schädigung liege im Verlust
ihres Sehvermögens, eine bestehende Entstellung sei der geringste Teil der Schädigungsfolgen (vgl. hierzu den Schriftsatz
ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.08.2005).
In Ansehung dessen kommt den bereits oben angeführten Entzündungen keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn sie sind lediglich
oberflächlicher Natur und einer von Dr. S. auch durchgeführten Behandlung durch antibiotische Salben nebst Einsatz neuer Kunstaugen
zugänglich. Dies entnimmt der Senat der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage von Dr. S. vom 20.06.2009, in der eine
entsprechende Behandlung der wechselnden Entzündungen angegebenen wird, sowie den bereits oben angeführten Arztbriefen der
Universitäts-Augenklinik T. vom 07.12.2006, vom 11.03.2009, des Radiologen Dr. L. vom 30.03.2009 sowie des Labors E. vom 03.04.2008,
die von im Zeitpunkt der jeweiligen Untersuchungen fehlenden Nachweisen für eine Entzündung insbesondere des linken Auges
berichten.
Auch die von Dr. S. erstmals in der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage vom 20.06.2009 mitgeteilten Schmerzen der
Augenhöhlen führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn die genannten Beschwerden sind ausweislich der schriftlichen sachverständigen
Zeugenaussage des Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 01.10.2009 mit ergänzender Stellungnahme vom 21.12.2009 bislang nicht
Gegenstand einer Schmerzbehandlung durch den genannten Arzt geworden. Aber auch aus der genannten schriftlichen sachverständigen
Zeugenaussage von Dr. S. und den von dieser vorgelegten Unterlagen der Universitäts-Augenklinik T. ergibt sich keine Behandlung
der besagten Schmerzen. Nachdem sich die Klägerin wegen dieser Schmerzen schließlich auch nicht bei anderen Ärzten in Behandlung
befindet (vgl. hierzu das Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 26.08.2009 an das Gericht), erfolgt mithin bislang keinerlei
Schmerzbehandlung, was für einen nur geringen Leidensdruck und daher auch eine nur geringe Beeinträchtigung der Klägerin durch
die Schmerzen spricht.
Die von Dr. S. berichteten Lichtwahrnehmungen am nicht mehr vorhandenen Auge (vgl. hierzu die schriftlichen sachverständigen
Zeugenaussagen vom 21.12.2006 und vom 20.06.2009) führen ebenfalls nicht zu einer Höherbewertung der MdE bzw. des GdS. Auf
diese zwischenzeitlich nach Kenntnis der behandelnden Augenärztin auch gebesserten Beschwerden (vgl. die schriftliche sachverständige
Zeugenaussage vom 20.06.2009) hat die Klägerin selbst nie abgehoben. Gleiches gilt für die - allerdings durch ein Kunstauge
kaschierte und mithin objektiv eher geringe - kosmetische Beeinträchtigung durch Verlust des Augapfels, die von der Klägerin
selbst, wie oben ausgeführt, als geringster Teil der Schädigungsfolgen angesehen wird.
2. Die psychischen Beschwerden der Klägerin vermögen bei der Ermittlung der schädigungsbedingte MdE bzw. des schädigungsbedingten
GdS keine Berücksichtigung zu finden.
Die von der Allgemeinärztin Dr. H.-W. berichtete posttraumatische Belastungsstörung war nach eigenen Angaben der Klägerin
auf einen Gefängnisaufenthalt und Folter (vgl. die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 08.12.2006), also - worauf
Dr. G. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.03.2007 zutreffend hingewiesen hat - nicht auf die hier streitige
Schädigung zurückzuführen. Eine lediglich zeitweilige Fixierung der Klägerin auf den Verlust ihres linken Auges (vgl. auch
hierzu die schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 08.12.2006) ist nicht als dauerhafte - mehr als sechsmonatige (vgl.
Nr. 17 der AHP bzw. Teil A Nr. 2 Buchst. f der VG) - Funktionsbeeinträchtigung mit Krankheitswert anzusehen. Gleiches gilt
für die vom Neurologen und Psychiater Dr. H. angegebenen punktuellen Berichte der Klägerin über eine mangelnde psychische
und physische Belastbarkeit bei der Erziehung des Sohnes und eine psychosoziale Belastung durch laute Nachbarschaft im Februar
2007 sowie eine mangelnde Stressbelastbarkeit und Schlafstörungen im Februar 2009 (vgl. die schriftliche sachverständige Zeugenaussage
vom 01.10.2009 mit Ergänzung vom 21.12.2009), hinsichtlich derer auch eine Verursachung durch das schädigende Ereignis nicht
im Ansatz erkennbar ist.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.