Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; hinreichende Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Rechtsverfolgung
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um Ersatzansprüche wegen sozialwidrigen Verhaltens.
Die 1969 geborene Klägerin, die mit ihrem Ehemann und ihren 1995 und 1998 geborenen Kindern zusammenlebt, war vor dem Erziehungsurlaub
als vollbeschäftigte Angestellte beim Landratsamt A-Stadt tätig und erhielt zur Erziehung der schulpflichtigen Kinder bis
31.01.2006 unbezahlten Sonderurlaub, der ihr antragsgemäß bis 31.01.2007 verlängert wurde. In Kenntnis dieses Sachverhalts
gewährte die Beklagte der Klägerin ab 01.01.2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und lehnte den Fortzahlungsantrag
vom 29.06.2005 am 08.07.2005 mit der Begründung ab, sie könne jederzeit wieder ihre Beschäftigung beim Landratsamt aufnehmen.
Im anschließenden Klageverfahren hat die Beklagte den Leistungsanspruch ab 01.07.2005 nach richterlichem Hinweis anerkannt.
Mit Bescheid vom 09.02.2006 und 18.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.12.2006 forderte die Beklagte
von der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.07.2006 insgesamt 22.624,54 EUR zurück, weil sie sich weigere, in
ihren Beruf zurückzukehren, obwohl sich der seit vier Jahren arbeitslose Kindsvater um die Erziehung der Kinder kümmern könne.
Dagegen hat die Klägerin am 22.01.2007 Klage erhoben und geltend gemacht, die Voraussetzungen des § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch
- SGB II - lägen nicht vor, da der Beklagten der Sonderurlaub von Anfang an bekannt gewesen sei, allenfalls eine Sanktion
gemäß § 31 SGB II in Betracht komme und der Ehemann sich intensiv um eine Ganztagesarbeitsstelle bemühe.
Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) mit Beschluss vom 28.04.2009 mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt.
Die Klägerin habe ihre Hilfebedürftigkeit vorsätzlich herbeigeführt und könne dafür keinen wichtigen Grund in Anspruch nehmen.
Der Bescheid begegne auch keinen formell rechtlichen Bedenken und der Ersatzanspruch sei nicht vom Erlass eines Sanktionsbescheids
abhängig.
Gegen den am 04.05.2009 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 26.05.2009 Beschwerde eingelegt. Bis heute sei ihr vom
Landratsamt keine Vormittagsstelle angeboten worden. Im Hinblick auf Art.6
Grundgesetz -
GG - sei ihre Entscheidung zu respektieren, nachmittags für ihre Kinder zur Verfügung stehen zu wollen. Sie sei auch besser
geeignet zur Kindererziehung als ihr Mann, der immer versucht habe, den Sprung in die Selbstständigkeit zu schaffen. Mit ihrem
Einkommen habe sie den Bedarf ihrer Familie nicht decken können.
Nach der aktuellen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse verfügt die Klägerin selbst über kein
Einkommen, ihr Ehemann, der selbstständig ist, erzielt nach der betriebswirtschaftlichen Auswertung vom Juni 2009 einen Gewinn
von 555, 48 EUR; der Einkommenssteuerbescheid vom 02.04.2009 für 2007 weist einen Gesamtbetrag der Einkünfte der Eheleute
von minus 8.588,00 EUR auf.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Klageakte sowie der Beschwerdeakte Bezug genommen.
II. Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf
PKH.
Nach §
73a Sozialgerichtsgesetz -
SGG - i.V.m. den §§ 14 ff.
Zivilprozessordnung -
ZPO - wird einem Beteiligten PKH bewilligt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und
nicht mutwillig erscheint sowie Bedürftigkeit vorliegt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht den Standpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Angaben und der von
ihm vorgelegten Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus,
dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (BSG vom 17.02.1998 - B 13 RJ 83/97 R). Auch bei nur teilweise zu bejahender Erfolgsaussicht ist in der Regel in gerichtskostenfreien Verfahren PKH unbeschränkt
zu bewilligen (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Komm. 9.Aufl., §
73a RdZiff 7a). Vorliegend erscheint nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin zumindest einen Teilerfolg erzielt.
Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids ist § 34 SGB II, dessen Voraussetzungen vom SG zutreffend dargestellt worden sind. Weil es sich um einen quasi-deliktischen Anspruch handelt, der von einem schuldhaften
Verhalten des Ersatzpflichtigen abhängt, ist neben dem Vorwurf der Sozialwidrigkeit iS eines objektiven Unwerturteils zu fordern,
dass sich der Betreffende der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst oder grobfahrlässig nicht bewusst gewesen ist (Link
in Eicher-Spellbrink, SGB II, Komm., 2.Aufl., § 34 Rdnr.14 m.w.N.). Ob der Klägerin das fehlende Bemühen um eine erneute Beschäftigung
beim Landratsamt vorzuwerfen ist, ist insbesondere deshalb fraglich, weil die Beklagte der Klägerin in Kenntnis der Umstände
des Sonderurlaubs ab 01.01.2005 Leistungen bewilligt hat. Erst mit Bescheid vom 08.07.2005 hat sie der Klägerin vorgehalten,
sie könne jederzeit wieder eine Beschäftigung aufnehmen. Ab diesem Zeitpunkt musste der Klägerin klar sein, dass ihr Verhalten
missbilligt wurde. Ein Teilerfolg der Klägerin für einen begrenzten Zeitraum erscheint daher nicht ausgeschlossen.
Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist auch erforderlich (§
121 Abs.2
ZPO). Der Umfang der streitgegenständlichen Forderung ist beträchtlich und betrifft die existenzielle Sicherung der Klägerin.
Sie erfordert die Beurteilung von Rechtsfragen, die die Klägerin keinesfalls mit demselben Sachverstand wie die Beklagte vornehmen
kann.
Auch die persönlichen Voraussetzungen für die Gewährung von PKH sind gegeben. Die Inanspruchnahme eines Prozesskostenvorschusses
gegenüber dem Ehemann erscheint angesichts der vorgelegten Unterlagen ausgeschlossen.
Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§
177 SGG).