Haftungsbeschränkung in der gesetzlichen Unfallversicherung bei der Schädigung eines nicht versicherten Unternehmers eines
anderen Unternehmens auf einer gemeinsamen Betriebsstätte
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger wegen der Folgen seines Unfalls vom 27.05.1999 einen Anspruch gegen die
Beklagte hat.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt selbstständiger Elektromeister. Sein Betrieb war bei der Süddeutschen Metall-BG eingetragen.
Der Kläger hatte keine Mitarbeiter. Eine freiwillige Versicherung bestand nicht.
Die Firma L. und W. GmbH & Co., N., hatte von der Firma N. den Auftrag erhalten, an einem Gebäude auf deren Betriebsgelände
in P. Reparaturarbeiten durchzuführen und am Laborgebäude zwei neue Abluftleitungen zu montieren. Die Firma L. und W. gab
den Auftrag an den Kläger und dessen seinerzeitigen Partner G. weiter.
Am 27. und 28.05.1999 sollten verschiedene Rohre und Ventilatoren an der Außenwand eines hohen Gebäudes verlegt und montiert
werden. Die Firma N. bestellte hierwegen bei der Firma R., Liftverleih - Mitgliedsbetrieb der Beklagten - einen Lkw mit hydraulikbewegtem
Arbeitskorb. Die Firma N. hatte nur das Fahrzeug ohne Fahrer angemietet, die Einweisung sollte demgemäß nicht durch den Fahrer
der Firma R., sondern durch Mitarbeiter der Firma N. erfolgen, wobei das Fahrzeug gleich in dem Bereich neben dem Laborgebäude
abgestellt werden sollte, wo die Arbeiten auszuführen waren.
Am Unfalltag brachte der Mitarbeiter der Firma R. E. P. einen Lkw mit Teleskop-Arbeitsbühne zur Firma N ... Auf dem Werksgelände
wollte er den Kläger in den Umgang mit der Arbeitsbühne einweisen. P. und der Kläger bestiegen den Arbeitskorb und bedienten
die Steuerelemente. Als der Korb in 18 m Höhe angekommen war, geriet er bis auf 30 cm an eine Hochspannungsleitung heran,
von der die Spannung übersprang. Beide Personen erlitten dabei Verbrennungen, der Kläger so schwer, dass er über mehrere Wochen
in ein künstliches Koma versetzt werden musste.
Am 28.06.2000 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte Ansprüche wegen des Unfalls vom 27.05.1999 geltend. Mit Bescheid
vom 15.09.2000 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche ab, weil die Voraussetzungen einer Haftung nach §
105 Abs.2 Satz 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) nicht erfüllt seien. Denn der Schädiger und der Kläger hätten nicht demselben Betrieb angehört. Der Schädiger P. habe bei
der Einweisung die Vertragspflicht seines Unternehmens gegenüber der Firma N. erfüllt und der Kläger habe im Interesse seines
eigenen Unternehmens an der Einweisung teilgenommen. Ein Anspruch aus §
106 Abs.3 3. Alternative
SGB VII scheitere daran, dass diese Bestimmung nur auf solche Personen anzuwenden sei, die in ihrem Unternehmen bereits Versicherungsschutz
haben und vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte mit anderen Versicherten ausübten. Der
Kläger habe jedoch für sich als Unternehmer keine freiwillige Versicherung bei der zuständigen Süddeutschen Metall-BG abgeschlossen.
Er sei damit kein versicherter Unternehmer gewesen.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass auch für einen nicht versicherten Unternehmer das Haftungsprivileg
gelte, wie den Urteilen des Landgerichts B-Stadt vom 10.10.2000 und des Oberlandesgerichts München vom 25.04.2001 in dem Rechtsstreit
des Klägers gegen den Schädiger P. zu entnehmen sei. Darin sei festgestellt worden, dass zwischen den Parteien in tatsächlicher
Hinsicht ein bewusstes Zusammenwirken mehrerer Unternehmen vorgelegen habe, das auch ohne etwaige rechtliche Verfestigung
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bejahung einer gemeinsamen Betriebsstätte ausreiche. Die Zivilgerichte
seien davon ausgegangen, dass dem Schmerzensgeldanspruch des Klägers nach § 847
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) der Haftungsausschluss nach §§
106 Abs.3 3. Alternative, 104, 105 Abs.2
SGB VII entgegenstehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie erklärte zudem, die
Urteile der Zivilgerichte hätten keine Bindungswirkung gegenüber dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der an diesem
Verfahren nicht beteiligt gewesen sei.
Hiergegen erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht München (SG). Er wies darauf hin, dass der Schädiger P. wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden sei. Zugleich nahm er Bezug
auf ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg (NJW 2002, 1290). Das SG hat die Akten des Amtsgerichts M. beigezogen und mit Urteil vom 30.03.2004 die Beklagte unter Aufhebung der angefolchtenen
Bescheide verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 27.05.1999 zu entschädigen. Die zivilgerichtlichen Urteile
würden insoweit Bindungswirkung für den Unfallversicherungsträger erzeugen, als dieser aus dem Gesichtspunkt der Respektierung
von Hoheitsakten anderer Staatsorgane an den Ausspruch der Zivilgerichte gebunden sei. Dass die Zivilgerichte nicht, wie in
§
108 Abs.2
SGB VII bestimmt, den Rechtsstreit ausgesetzt hatten, um eine Entscheidung durch den Unfallversicherungsträger und eventuell der
Sozialgerichte herbeizuführen, könne nun nicht mehr zu Lasten des Klägers herangezogen werden.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, ein Anspruch des Klägers sei aus keinem Rechtsgrund
zu befürworten. §
105 Abs.2
SGB VII greife nicht ein, weil der Kläger und der Schädiger nicht in demselben Betrieb tätig gewesen seien. § 106 Abs.3 3. Alternative
sei nicht einschlägig, da diese Vorschrift nach ihrem Wortlaut Versicherungsschutz aller Beteiligter voraussetze und der Kläger,
da er keine freiwillige Unternehmerversicherung bei dem Unfallversicherungsträger abgeschlossen hatte, diese Voraussetzung
nicht erfülle. Die Bindungswirkung der Zivilgerichtsurteile habe sich nicht entfalten können, da §
108 Abs.2
SGB VII umgekehrt verlange, dass der Zivilrechtsstreit auszusetzen sei. Ansonsten würde §
108 SGB VII ins Gegenteil verkehrt.
Mit Beschluss vom 07.03.2007 wurde der Rechtsstreit zum Ruhen gebracht, im Hinblick auf zwei anhängige Revisionen beim Bundessozialgericht
- BSG - (B 2 U 53/06 R und B 2 U 17/06 R). In beiden Fällen entschied das BSG am 26.06.2007 durch Urteil. Auf Antrag des Klägers wurde der Rechtsstreit am 28.01.2008
fortgeführt. Die Beteiligten waren mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.04.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 16.09.2000 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.04.2004 zurückzuweisen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß §
136 Abs.2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen gegen die Beklagte. Die im Zivilrechtsverfahren ergangenen Urteile haben keine
Bindungswirkung für die Sozialgerichte. §
108 Abs.2
SGB VII kann durch Nichtbeachtung nicht in sein Gegenteil verkehrt werden.
Der Kläger ist nicht nach §
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII versichert, da er als Unternehmer tätig war und keine freiwillige Unternehmerversicherung abgeschlossen hatte. Für eine -
eventuell auch nur vorübergehende - Eingliederung in den Betrieb der Firma R., der Firma L. und W. oder der Firma N. und damit
abhängige Arbeitnehmertätigkeit finden sich keine Anhaltspunkte. Die Beiladung der für die vorgenannten Unternehmen zuständigen
Unfallversicherungsträger war deshalb nicht angezeigt.
§
105 Abs.
2 SGB VII begründet keinen Anspruch für den Kläger. §
105 SGB VII dehnt die in §
104 SGB VII geregelte Haftungsersetzung, wonach die privatrechtliche Haftung des Unternehmers gegenüber einem in seinem Betrieb beschäftigten
Mitarbeiter abgelöst wird und auf den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung übergeht, aus. §
105 SGB VII erweitert diese Haftungsersetzung in Abs.
1 auf Schädigungen durch betriebliche Tätigkeit von Beschäftigten untereinander im selben Betrieb. Abs. 2 der Bestimmung bezieht
den Fall mit ein, dass der nicht versicherte Unternehmer durch eine in seinem Betrieb beschäftigte Person geschädigt wird.
Ein allein auf §
105 Abs.2
SGB VII gestützter Anspruch des Klägers gegen die Beklagte scheitert daran, dass der Kläger nicht im selben Betrieb wie der Schädiger
tätig war. Er war als selbständiger Unternehmer tätig und gehörte nicht demselben Unternehmen an wie der Schädiger. Personen,
die schon nicht in demselben Unternehmen tätig sind, können aber erst recht nicht in demselben Betrieb eines Unternehmens
tätig sein.
Auch ein Anspruch nach §
105 Abs.
2 i.V.m. §
106 Abs.3 2. Alternative
SGB VII ist nicht gegeben. Gemäß §
106 Abs.
3 Alternative 2
SGB VII gelten die §§
104 und
105 für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen untereinander, wenn Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend
betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Diese Vorschrift ist mit dem
SGB VII neu eingeführt worden. Damit ist die Haftungsbeschränkung über das Unternehmen des Versicherten und die Sonderfälle der Leiharbeit
und der Arbeitsgemeinschaft ausgedehnt worden. Hintergrund dieser Regelung ist, dass auch Versicherte verschiedener Unternehmen
in einer arbeitsteiligen Welt eine Zwangs- und Gefahrengemeinschaft bilden können, in der jeder wechselseitig zum Schädiger
oder Geschädigten werden kann.
Der Kläger und sein Schädiger gehörten verschiedenen Unternehmen an, die auf einer gemeinsamen Betriebsstätte betriebliche
Tätigkeiten verrichteten. Allerdings setzt §
106 Abs.
3 Alternative 2
SGB VII Versicherte mehrerer Unternehmen voraus. Die Versicherteneigenschaft ist beim Kläger jedoch nicht erfüllt. Weder war er als
Unternehmer noch als Beschäftigter versichert, wie oben bereits dargelegt wurde.
Das BSG hat in seinem Urteil vom 26.06.2007 (B 2 U 17/06 R) entschieden, dass ein nicht versicherter Unternehmer nur dann wie ein Versicherter nach §
105 Abs.
2 SGB VII zu behandeln ist, wenn er demselben Betrieb wie der Schädiger angehört, nicht jedoch wenn er einem anderen Unternehmen angehört.
Dieser Rechtsansicht ist zu folgen.
Das BSG führt in seiner Entscheidung insbesondere systematische Gründe an. Der mittelbare Versicherungsschutz des unversicherten
Unternehmers bei einer Schädigung durch einen Versicherten seines Unternehmens nach §
105 Abs.2
SGB VII sei zwar eine Durchbrechung des Versicherungssystems der gesetzlichen Unfallversicherung, die als Grundprinzip auf bestimmten
Versicherungstatbeständen und den dafür von den Unternehmen zu erbringenden Beiträgen beruht. Der Grund für diesen besonderen
Versicherungstatbestand, der im Übrigen zahlreichen Einschränkungen unterliege (vgl. §
105 Abs.2 Satz 2 bis 4
SGB VII), sei jedoch die Haftungsbeschränkung des Beschäftigten gegenüber "seinem mitarbeitenden Unternehmer". Beitragsrechtlich
bestünden gegen diesen Versicherungstatbestand ohne vorherige Beitragszahlung nur eingeschränkte Bedenken. Denn der verletzte
Unternehmer war durch seine Beitragszahlungen an die für sein Unternehmen zuständige Berufsgenossenschaft aufgrund des bei
ihm tätigen Beschäftigten, der ihn nun schädigte, in das System der gesetzlichen Unfallversicherung und die spezifische Solidaritäts-
und Verantwortungsbeziehung eingebunden.
Dies ist im hier zu entscheidenden Fall eines nicht versicherten Unternehmers, der von einem Versicherten eines anderen Unternehmens
bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte geschädigt wird, nach Meinung des BSG,
der sich der Senat anschließt, anders. Die oben angeführten Gründe gelten weitgehend nicht. An einer Beitragszahlung fehlt
es. Aus dem Argument des Betriebsfriedens kann nichts hergeleitet werden, weil es unterschiedliche Unternehmen sind. Nur aus
dem Gesichtspunkt einer Zwangs- oder Gefahrengemeinschaft könnten Gründe für eine Haftungsbeschränkung seitens des schädigenden
Versicherten des anderen Unternehmens, die dann zu dem Anspruch des nicht versicherten Unternehmers auf Gleichstellung mit
einem Versicherten führen müssten, hergeleitet werden. Überzeugende Gründe hierfür sind jedoch nicht zu erkennen. Denn nicht
für jede tatsächlich entstehende Zwangs- oder Gefahrengemeinschaft muss staatlicherseits zu Gunsten des Schädigers ein System
der Haftungsbeschränkung oder zu Gunsten des Geschädigten ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem vorgehalten werden.
Beide können sich vielmehr entsprechend versichern, z.B. der Schädiger mit einer Berufshaftpflichtversicherung und der Geschädigte
in einer freiwilligen Unternehmerversicherung.
Fragen des Beitragsrechts und der Zuständigkeit sprechen ebenfalls gegen eine Gleichstellung des geschädigten, nicht versicherten
Unternehmers mit einem Versicherten. Denn der geschädigte, nicht versicherte Unternehmer muss, wenn für ihn keine Versicherten
tätig waren und sind, niemals Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung entrichten. Er steht in keiner Beziehung zu ihr.
Unklar ist auch, welcher Unfallversicherungsträger für seinen Unfall zuständig ist, weil für ihn, wenn er sich freiwillig
versichert hätte, ein anderer zuständig sein kann, als für das Unternehmen, dem der Schädiger angehört und dessen Haftungsbeschränkung
der Grund für eine Gleichstellung mit einem Versicherten wäre. Damit kommt der Senat zum Ergebnis, dass der Kläger keinen
Anspruch auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Auf die Berufung der Beklagten war das Urteil des
SG vom 30.03.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 15.09.200 i. d. F. des Widerspruchsbescheides vom 11.03.2002
abzuweisen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG liegen nicht vor.