Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Ereignis vom 07.10.2007 (Zeckenbiss) als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen
Unfallversicherung (
SGB VII) festzustellen ist.
Die 1958 geborene Klägerin ist die Pflegeperson ihres Sohnes T., der Leistungen nach der Pflegestufe II im Sinne gesetzlichen
Pflegeversicherung (
SGB XI) bezieht. Dr. K. teilte mit H-Arzt-Bericht vom 28.01.2008 mit, dass die Klägerin bei der Begleitung ihres pflegebedürftigen
Sohnes bei einem Waldspaziergang von einer Zecke gebissen worden sei. Sie sei zwischenzeitlich aufgrund der Borrelioseerkrankung
in neurologischer Behandlung gewesen. Die Klägerin führte mit Unfallanzeige vom 12.02.2008 ergänzend aus, dass das Ereignis
vom 07.10.2007 sich nahe dem Ortsteil H. in der Gemeinde D. ereignet habe.
Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 06.03.2008 ab, das Ereignis vom 07.10.2007 als Versicherungsfall festzustellen. Nicht
jede Tätigkeit der Pflegeperson, die einem Pflegebedürftigen zu Gute komme, sei versichert. Die unfallbringende Tätigkeit,
das Begleiten des Sohnes auf einem Spaziergang, sei weder der Körperpflege, der Ernährung noch der hauswirtschaftlichen Versorgung
zuzurechnen. Sie stelle auch keine Pflegetätigkeit im Bereich der Mobilität dar, da die Verrichtung für die Aufrechterhaltung
der Lebensführung zu Hause nicht unumgänglich gewesen sei. Mobilitätshilfen würden nur Verrichtungen umfassen, die das persönliche
Erscheinen des Pflegebedürftigen wie z.B. bei Arztbesuchen notwendig machten.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Sie habe ihren Sohn wie jeden zweiten Sonntag am 07.10.2007 nach D. - Ortsteil
H. verbracht, um dort mit ihm Nordic-Walking durchzuführen. Der pflegebedürftige Sohn leide an einer Halbseitenlähmung, extremem
Übergewicht und Migräne. Er sei nahezu blind und leide an einer geistigen Behinderung. Die zweiwöchentlich durchgeführten
Nordic-Walking-Einheiten seien erforderlich, um das Weiterleben des Sohnes in der mit der Klägerin bewohnten Wohnung zu ermöglichen,
also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden. Andernfalls würde eine völlige Bewegungsunfähigkeit
des pflegebedürftigen Sohnes drohen. Es habe sich somit um eine Maßnahme zur Vermeidung eines erhöhten Pflegeaufwandes bei
anderenfalls anzunehmendem Verlust der Gehfähigkeit gehandelt. Andere Möglichkeiten würden aus gesundheitlichen Gründen des
pflegebedürftigen Sohnes bei beengten Wohnverhältnissen nicht bestehen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.07.2008 zurück. Es habe sich nicht um eine versicherte Tätigkeit
gehandelt.
Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Regensburg (SG) erhoben und beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 06.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 18.07.2008 zu verurteilen, das Ereignis vom 07.10.2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das SG hat nach entsprechender Anhörung die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2010 abgewiesen. Die Spaziergänge bzw. die Nordic-Walking-Einheiten
hätten vorrangig dem Ziel gedient, die zur selbständigen Lebensführung notwendigen Fähigkeiten zu erhalten oder wieder zu
gewinnen und damit den Pflegeaufwand im späteren Lebensabschnitt zu vermeiden oder geringer zu halten, nicht jedoch dem Zweck,
das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen oder Krankenhausaufenthalte und stationäre Pflege in einem Pflegeheim
zu vermeiden.
Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Der Zeckenbiss habe sich im Zusammenhang mit der Pflegetätigkeit "Mobilität" im
Sinne des §
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI ereignet. Der Pflegebedürftige sei ausweislich der Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (
SGB IX) auf eine ständige Begleitung angewiesen. Zweck der jeden zweiten Sonntag durchgeführten Nordic-Walking-Einheiten sei es,
einen letzten Rest an Mobilität des Pflegebedürftigen zu erhalten. Dieser wäre aufgrund seiner schwersten Behinderungen ansonsten
gezwungen, permanent in seinem Zimmer zu verbleiben. Das Verlassen der Wohnung sei unumgänglich und vergleichbar eines Verlassens
der Wohnung, um Ärzte, Krankengymnasten, Sprachtherapeuten, Apotheken und Behörden aufzusuchen (BSG, Urteil vom 18.09.2008
- B 3 P 5/07 R).
In der mündlichen Verhandlung vom 14.06.2011 stellt die Bevollmächtigte der Klägerin den Antrag den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts
Regensburg vom 21.06.2010 sowie den Bescheid vom 06.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.07.2008 aufzuheben
und festzustellen, dass das Ereignis vom 07.10.2007 ein Arbeitsunfall ist.
Der Bevollmächtigte des Beklagten beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21.06.2010 zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird gemäß §
202 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) i.V.m. §
540 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) sowie entsprechend §
136 Abs.
2 SGG auf die Unfallakten der Beklagten und die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§
143,
144 und
151 SGG zulässig, jedoch unbegründet. Das Sozialgericht Regensburg hat die Klage gegen den Bescheid vom 06.03.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18.07.2008 mit Gerichtsbescheid vom 21.06.2010 zutreffend abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch
auf Feststellung, dass das Ereignis vom 07.10.2007 ein Arbeitsunfall ist.
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3,
6 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung -
SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; §
8 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur
Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zurechnungszusammenhang, vgl. BSGE 63,
273, 274 = SozR 2200 § 548 Nr. 92; BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 2 Rdnr. 4). Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten
Tätigkeit und der zum Zeitpunkt des Unfalls ausgeübten Verrichtung (BSGE 63, 273, 274) ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher
der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSGE 58, 76, 77 = SozR 2200 § 548 Nr. 70).
Die Tatbestandsmerkmale eines Arbeitsunfalls sind vorliegend nicht erfüllt. Die Klägerin hat zwar aufgrund des Zeckenbisses
einen Gesundheitsschaden erlitten. Sie war auch Pflegeperson für ihren Sohn nach §
2 Abs.
1 Nr.
17 SGB VII. Die Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses - der Spaziergang mit dem zu pflegenden Sohn - gehörte indessen nicht zur
versicherten Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift und stand mit ihr nicht in einem sachlichen Zusammenhang. Nach §
2 Abs.
1 Nr.
17 SGB VII sind Pflegepersonen im Sinne des §
19 SGB VII bei der Pflege eines Pflegebedürftigen im Sinne des §
14 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) kraft Gesetzes versichert. Die danach versicherte Tätigkeit umfasst Pflegetätigkeiten im Bereich der Körperpflege und -
soweit diese Tätigkeiten überwiegend Pflegebedürftigen zugute kommen - Pflegetätigkeiten in den Bereichen der Ernährung, der
Mobilität sowie der hauswirtschaftlichen Versorgung (vgl. auch BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 2 U 6/10 R).
Eine Pflegetätigkeit im Bereich der Mobilität im Sinne des §
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI ist vorliegend nicht gegeben. Im Rahmen der Mobilität ist das Verlassen und das Wiederaufsuchen der Wohnung nur dann zu berücksichtigen,
wenn die Wege für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause unumgänglich sind und bei denen das persönliche Erscheinen
des Pflegebedürftigen notwendig ist (vgl. BSG, SozR 3-300 § 14 Nrn. 5 und 6; Udsching, Soziale Pflegeversicherung, 3. Aufl.,
Rdz. 29 zu §
14 SGB XI). Hilfe bei der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung ist demnach als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur
berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte
und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (BSG, Urteil vom 18.09.2008 - B 3 P 5/07 R). Dies wird im Bereich der Pflegeversicherung aus dem Sinn und Zweck des Pflegegeldes und dem Zusammenhang der dafür maßgeblichen
Verrichtungen gefolgert, die sämtlich der Aufrechterhaltung der Existenz in der häuslichen Umgebung dienen (BSG, Urteil vom
24.06.1998, B 3 P 4/97 R). Dazu zählen beispielsweise der Weg zum Besuch einer Arztpraxis, auch Wege zur Krankengymnastik, zum Logopäden oder zur
Ergotherapie, soweit diese der Behandlung einer Krankheit dienen (BSG, Urteil vom 28.05.2003 - B 3 P 6/02 R). Diese Wege außerhalb der Wohnung sind für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zuhause unumgänglich und das persönliche
Erscheinen des Pflegebedürftigen ist notwendig. Entscheidend ist, dass der Weg erforderlich ist, um die Lebensführung zuhause
aufrecht erhalten zu können. Dient demgegenüber beispielsweise ein Weg zu einem Krankengymnasten überwiegend einer für die
Zukunft angestrebten Besserung des Gesundheitszustandes, so ist die Verrichtung insgesamt dem Bereich der Rehabilitation zuzuordnen
und kann nicht berücksichtigt werden, da der Bereich der Rehabilitation nicht der Pflegeversicherung zuzuordnen ist (BSG,
SozR 3-2500 § 53 Nr. 6).
Vorliegend dienten die Spaziergänge bzw. Nordic-Walking-Einheiten nicht dem Ziel, das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu
ermöglichen, in dem Sinn, dass Krankenhausaufenthalte und eine stationäre Pflege in einem Pflegeheim vermieden werden. Die
Tätigkeit würde im Rahmen der Pflegeversicherung unberücksichtigt bleiben. Es handelt sich nicht um eine gewöhnliche und regelmäßig
wiederkehrende Verrichtung im Sinne des §
14 Abs.
1 SGB XI. Es liegt mithin bereits keine Pflegetätigkeit vor. Dass die Tätigkeit der Klägerin im weiteren Sinne der Aufrechterhaltung
der Restmobilität des zu Pflegenden dient, ist nicht ausreichend, um einen Versicherungsschutz zu begründen.
Das Klagebegehren kann auch nicht auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.11.2010 - B 2 U 6/10 R gestützt werden. Dort hat das BSG lediglich ausgesprochen, dass §
14 Abs.
4 SGB XI einen Katalog der Verrichtungen aufstellt, die der Gesetzgeber als regelmäßig wiederkehrend ansieht, ohne zugleich an das
Erfordernis eines bestimmten Zeitabstands anzuknüpfen. Dass nur solche Verrichtungen bei der Beurteilung der Pflegebedürftigkeit
zu berücksichtigen sind, bei denen zumindest einmal pro Woche ein Hilfebedarf besteht, ist vielmehr in §
15 Abs.
3 SGB XI geregelt, auf den aber §
2 Abs.
1 Nr.
17 SGB VII sachlich begründet keinen Bezug nimmt.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21.06.2010 war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.