Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren; erhöhte Entschädigung für Nachteile bei der
Haushaltsführung
Gründe:
Die Antragstellerin begehrt für die Zeit der Teilnahme an der ambulanten Untersuchung bei dem Gerichtsgutachter Prof. Dr.
W (acht Stunden) eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung in Höhe von 12,00 € je Stunde (§ 21 Justizvergütungs-
und Entschädigungsgesetz - JVEG -).
Am 28. Mai 2009 wurde die Antragstellerin von 9:40 Uhr bis 15:15 Uhr von Prof. Dr. W untersucht. Die Reise zum Gutachter trat
sie um 8:20 Uhr von ihrer Wohnung aus an, die sie um 16:20 Uhr wieder erreichte.
Die Antragstellerin bezog eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die im Laufe des Rechtsstreits über den Befristungszeitraum
hinaus verlängert wurde. Sie führt einen Haushalt, in dem auch ihr Sohn und ihre Tochter leben. Arbeitsverdienste bezog sie
nicht.
Auf ihren Antrag setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zunächst einen Betrag von 82,00 € als Entschädigung fest (Festsetzung
vom 26. Juni 2009), der sich aus Fahrtkosten in Höhe von 58,00 € und einer Entschädigung für Zeitversäumnis nach § 20 JVEG
in Höhe von 24,00 € (8 Stunden x 3,00 €) zusammensetzte. Nach Bescheinigung des Gutachters über die Notwendigkeit einer Begleitperson
wurden weitere 24,00 € nach § 20 JVEG festgesetzt, insgesamt also 106,00 € (Festsetzung vom 5. August 2009).
Mit Schreiben vom 3. August 2009 wandte sich die Antragstellerin gegen die geringe Entschädigung für den Zeitaufwand. Sie
sei mit ihrem Sohn bei der gerichtlich angeordneten Untersuchung gewesen und habe daher ihren Drei-Personen-Haushalt vernachlässigen
müssen.
In seiner Stellungnahme vom 20. November 2009 machte der Antragsgegner geltend, die Entschädigung in Höhe von 106,00 € sei
nicht zu beanstanden. Gemäß § 20 JVEG könne für die Zeitversäumnis ein Betrag von 3,00 € je Stunde gewährt werden. Eine Entschädigung
gem. § 21 JVEG komme nur dann in Betracht, wenn tatsächlich Nachteile erlitten worden seien. Den gesetzlichen Regelungen sei
nicht zu entnehmen, dass die Entschädigung für die Haushaltsführung dem Grunde nach über das hinausgehen solle, was Erwerbstätige
erhalten könnten. Zu beachten sei auch, dass das Gesetz nur eine Entschädigung vorsehe und keine eigenständige Erwerbsquelle
habe schaffen wollen. Eine der Erwerbstätigkeit gleichgesetzte Haushaltsführung setze voraus, dass diese bei typisierender
Betrachtungsweise - ganz oder teilweise - an die Stelle der für den Verdienstausfall eigentlich ursächlichen Erwerbstätigkeit
getreten sei. Davon könne im vorliegenden Fall keine Rede sein.
Auf den Antrag vom 3. August 2009, über den der Senat in der Besetzung mit drei Berufsrichter(-innen) wegen grundsätzlicher
Bedeutung nach Übertragung durch den Einzelrichter zu entscheiden hatte (§ 4 Abs. 1, Abs. 7 Satz 2 JVEG), war die Entschädigung
für das Zeitversäumnis von acht Stunden am 28. Mai 2009 im Zusammenhang mit der ambulanten Untersuchung bei Prof. Dr. W nach
§ 20 JVEG auf 3,00 € je Stunde festzusetzen. Die Gesamtentschädigung beträgt daher 106,00 €. Die Antragstellerin hat keinen
Anspruch auf eine Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung in Höhe von 12,00 € je Stunde nach § 21 JVEG.
Nach §
191 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) wird ein Beteiligter auf Antrag für Auslagen und Zeitverlust wie ein Zeuge entschädigt, soweit sein persönliches Erscheinen
angeordnet war.
§ 21 Satz 1 JVEG schreibt vor, dass Berechtigte, die einen eigenen Haushalt für mehrere Personen führen, eine Entschädigung
für Nachteile bei der Haushaltsführung von 12,00 € je Stunde erhalten, wenn sie nicht erwerbstätig sind oder wenn sie teilzeitbeschäftigt
sind und außerhalb ihrer vereinbarten regelmäßigen täglichen Arbeitszeit herangezogen werden.
Die geschichtliche Entwicklung des Entschädigungstatbestandes sowie seine Auslegung nach dem Sinn und Zweck erlauben den eindeutigen
Schluss, dass die im Vergleich zu § 20 JVEG erhöhte Entschädigung nur dann beansprucht werden kann, wenn die Haushaltsführung
im Heranziehungszeitpunkt die "berufliche" Tätigkeit des Berechtigten war. Die Vorschrift will der Unterbewertung der Arbeit
in Haushalt und Familie entsprechend der Zielsetzung des Art.
3 Abs.
2 Grundgesetz (
GG) entgegen wirken. Ihr Sinn ist es nicht, Beziehern von Erwerbsersatzeinkommen eine weitere Einnahmequelle zu schaffen. Die
vom Gesetzgeber gewählte Tatbestandsvoraussetzung "nicht erwerbstätig sind" ist daher dahin auszulegen, dass kein Erwerbs-
bzw. Erwerbsersatzeinkommen für den Zeitraum der Heranziehung bezogen worden sein darf. Denn die Entschädigung ist "Nur-Hausfrauen"
bzw. "Nur-Hausmännern" vorbehalten. Diese Auslegung des Senats wird auch durch den systematischen Vergleich mit der Regelung
für Teilzeitbeschäftigte gestützt.
Zu der Gruppe von Berechtigten, die nur eine nach dem geringsten Satz bemessene Entschädigung beanspruchen konnten, gehörten
nach früherem Recht auch die Hausfrauen. Im Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen vom 26. Juli 1957 (Bundesgesetzblatt - BGBl. I Seite 902 -) traf der Gesetzgeber erstmals eine Sonderregelung für nichterwerbstätige
Hausfrauen und billigte ihnen eine höhere Entschädigung zu. Die Ehefrau, der die Haushaltsführung überlassen war, erfüllte
ihre Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Führung des Haushaltes (§
1360 Satz 2
Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB -) und leistete damit einen der Erwerbstätigkeit des Mannes gleichwertigen Beitrag zur Existenzsicherung der Familie. Das
Bundesverfassungsgericht hat es ausdrücklich gebilligt, dass Hausfrauen nach der damaligen Rechtslage im Vergleich zu sonstigen
Personen, die keinen Verdienstausfall in Geld zu beklagen hatten, bevorzugt wurden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 10. Oktober 1978, Az. 2 BVL 3/78, zitiert nach juris). Damit steht fest, dass nach dem Sinn und Zweck der Norm allein
die sonst nicht berufstätige Nur-Hausfrau in den Genuss der erhöhten Entschädigung kommen sollte. Voraussetzung war eine Vollzeittätigkeit
im Haushalt. Dem entspricht es, wenn das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung ausführt, dass die Ehefrau
ihrer Pflicht zum Unterhalt der Familie beizutragen in der Regel durch die Haushaltsführung nachkam. Bei dem soziologischen
Befund, der der Norm damals zugrunde lag, nämlich der weiten Verbreitung der "Hausfrauen-Ehe", war der anspruchsberechtigte
Personenkreis mit dem Terminus "Hausfrau" ausreichend genau beschrieben.
Der anspruchsberechtigte Personenkreis hat sich durch die sprachliche Neufassung des Entschädigungstatbestandes im Ergebnis
nicht geändert. Noch in der bis 31. Dezember 1986 gültigen Vorgängerfassung des § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) ist ausdrücklich von der Hausfrau die Rede. Die Fassung ist erst aufgrund des Gesetzes vom 9. Dezember 1986 (BGBl I S. 2326) geändert worden. Ab dem 1. Januar 1987 ist nicht mehr von der Hausfrau oder dem Hausmann die Rede, sondern von dem Zeugen,
der einen eigenen Haushalt für mehrere Personen führt. Zur Überzeugung des Senats ist der Terminus "Hausfrau", der für sich
genommen schon ausreichend deutlich gemacht hat, dass keine Beziehungen zum Erwerbsleben am Arbeitsmarkt bestanden, nicht
deshalb durch den geschlechtsneutralen Begriff der Haushaltsführung ersetzt worden, um den anspruchsberechtigten Personenkreis
zu erweitern, sondern um der geänderten gesellschaftlichen Wirklichkeit in zweierlei Hinsicht Rechnung zu tragen. Zum einen
dürfte spätestens Mitte der 80er Jahre festzustellen gewesen sein, dass die Bezeichnung als "Nur-Hausfrau" in weiten Teilen
der Gesellschaft als frauenfeindlich und diskriminierend empfunden wurde. Zum anderen war festzustellen, dass in der Gesellschaft
immer mehr Männer den Haushalt führten, während die Ehefrau dem wirtschaftlichen Erwerb nachging. Dass der Gesetzgeber in
dieser Situation nicht den Hausmann neben der Hausfrau als anspruchsberechtigt in das Gesetz aufgenommen hat, hat seinen Grund
daher in der erwünschten geschlechtsneutralen Fassung von Gesetzesnormen, die dazu dienen soll, jeder geschlechtsspezifischen
Diskriminierung vorzubeugen. Daraus folgt, dass es nicht Sinn der sprachlichen Neufassung war, den anspruchsberechtigten Personenkreis
im Hinblick auf arbeitslos gewordene Versicherte oder Rentner zu erweitern. Sinn und Zweck der Norm ist es weiter, der Unterbewertung
der Arbeit in Haushalt und Familie entgegenzuwirken. Dementsprechend findet sich in der Literatur zu § 2 Abs. 3 ZSEG auch noch im Jahre 2001 der Hinweis, dass anspruchsberechtigt im Hinblick auf die damals gültige Entschädigung von 20,00
DM die Stunde nur die so genannten "Nur-Hausfrauen" oder die "Nur-Hausmänner" waren (Hartmann, Kostengesetze, 30. Auflage,
2001, § 2 ZSEG Rdnr. 26).
Der Senat hat auch keine Veranlassung anzunehmen, dass eine Rechtsänderung im Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des JVEG
zum 1. Juli 2004 eintreten sollte. Dies ergibt sich schon aus der sprachlichen Fassung des § 21 JVEG, der, soweit hier von
Interesse, nicht vom Wortlaut der Vorgängervorschrift § 2 Abs. 3 ZSEG abweicht. Entsprechendes gilt für die Regelung bei Teilzeitarbeit. In der Kommentierung findet sich weiter der Hinweis auf
die Anspruchsberechtigung von "Nur-Hausfrauen" bzw. "Nur-Hausmännern" (Hartmann, aaO. 40. Auflage 2010, Rdnr. 4). Soweit in
der Literatur (Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten und von ehrenamtlichen
Richtern nach dem JVEG, Kommentar, 24. Auflage, Erläuterungen zu § 21 Rd-Nr. 21.3) die Rede davon ist, dass anspruchsberechtigt
auch Rentner und arbeitslose Hausfrauen seien, folgt der Senat dem nicht. Soweit damit argumentiert wird, dass anderes als
Erwerbseinkommen der erhöhten Entschädigung nicht entgegenstehe, vermag dies nicht zu überzeugen. Denn in den Vorgängerfassungen,
in denen noch von der Hausfrau die Rede war, fehlt die Tatbestandsvoraussetzung "nicht erwerbstätig" deshalb, weil der Gesetzgeber
selbstverständlich davon ausging, dass die Hausfrau gemeint war, die ihre Verpflichtung zum Unterhalt der Familie beizutragen,
durch Hausarbeit erfüllte (siehe BVerfG aaO.). Auch Meyer/Höver/Bach wiesen z. B. in der 20. Auflage 1997 noch darauf hin,
dass die sprachliche Neufassung auch haushaltsführende Ehemänner begünstigen sollte (aaO., Rdnr. 21.1). Dann ist aber nicht
ersichtlich, warum Arbeitslosengeldbezieher und Rentner ebenfalls anspruchsberechtigt sein sollen.
Dieses Auslegungsergebnis des Senats wird auch von der im Gesetz enthaltenen Regelung für die Heranziehung bei Teilzeitarbeit
und Haushaltsführung gestützt. Die erhöhte Entschädigung erhält der Teilzeitbeschäftigte nämlich nur dann, wenn er in einer
Zeit herangezogen wird, in der er zumindest bei typisierender Betrachtung den Haushalt zu führen hatte. Damit zeigt der Gesetzgeber,
dass daran festgehalten werden soll, dass die Haushaltsführung die zum Heranziehungszeitraum eigentlich prägende Tätigkeit
des Berechtigten gewesen sein muss.
Spräche man der arbeitslosen Hausfrau, die Arbeitslosengeld I oder II bezieht, und auch dem Erwerbsminderungsrentner die Entschädigung
für Nachteile bei der Haushaltsführung zu, ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu den Personen, die einer Vollzeittätigkeit
nachgehen, aber ebenfalls einen Haushalt für mehrere Personen führen müssen (z. B. die nicht selten anzutreffende allein erziehende
Mutter mit mehreren Kindern). Warum diese die erhöhte Entschädigung trotz tatsächlicher Haushaltsführung nicht erhalten sollte,
wohl aber eine Arbeitslosengeld beziehende Hausfrau oder ein Rentenbezieher, ist nicht ersichtlich. Eine Rechtfertigung ergibt
sich auch nicht daraus, dass die vollzeitbeschäftigte haushaltsführende Mutter mehrerer Kinder ihren Verdienstausfall - jedenfalls
pauschalisiert - erhält. Denn an die Stelle dieses Verdienstes ist bei der arbeitslosen Hausfrau und dem Rentner eben das
Erwerbsersatzeinkommen getreten, das jedenfalls typisierend das Arbeitseinkommen für vollschichtige Tätigkeit ersetzt. Der
Umstand, dass für die arbeitslose Hausfrau und den Rentenbezieher das Erwerbsersatzeinkommen trotz Heranziehung als Zeuge
nicht entfällt, kann erst Recht nicht als Argument herangezogen werden, dass diese nun zusätzlich auch noch eine erhöhte Entschädigung
für die Haushaltsführung erhalten müssten. Insoweit bestehen vor dem Hintergrund des Art.
3 GG keine sachlich ausreichenden Gründe, Erwerbsersatzeinkommen beziehende Personen anders zu behandeln als beschäftigte Arbeitseinkommen
beziehende Personen.
Soweit das Erwerbsersatzeinkommen für eine nicht vollschichtige Tätigkeit bezogen wird, bietet sich eine entsprechende Anwendung
der Regelung bei Teilzeitarbeit an.
Danach hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf die erhöhte Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung, da sie
nach der Aktenlage zum hier fraglichen Zeitpunkt einen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente hatte. Nichts anderes würde
gelten, wenn sie zu diesem Zeitpunkt Hartz IV-Bezüge gehabt hätte.
Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Die Entscheidung ist endgültig (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).