Kosten einer auswärtigen Eingliederungsmaßnahme
Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Beurteilung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer
Gerichtliche Ausübung der verfahrensgestaltenden Befugnisse
Tatbestand:
Streitgegenstand in dem zu Grunde liegenden Verfahren S 23 AS 1643/15 war die Übernahme weiterer Kosten einer (auswärtigen) Eingliederungsmaßnahme durch das beklagte Jobcenter (Fahrkosten, Übernachtungskosten,
Verpflegungspauschale).
Die Klage vor dem Sozialgericht wurde am 7. Mai 2015 erhoben, am 8. Mai 2015 wurde sie zur Klageerwiderung an die Beklagte
übersendet. Am 8. Juni 2015 gingen die Klageerwiderung und die Leistungsakte bei Gericht ein. Im August 2015 beantragte der
Prozessbevollmächtigte Akteneinsicht, welche gewährt und genommen wurde. Am 16. Oktober 2015 erfolgte eine Ladung zum Erörterungstermin,
welcher am 9. November 2015 stattfand und in welchem der Kläger aufgefordert wurde, weitere Belege beizubringen sowie der
Erlass eines Gerichtsbescheides angekündigt wurde. Beide Beteiligte des Ausgangsrechtsstreits reichten daraufhin im November
2015 weitere Unterlagen ein, welche an die jeweilige Gegenseite weitergeleitet wurden. Ein Schriftsatz der Beklagten vom 9.
Dezember 2015 wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. Dezember 2015 zur Stellungnahme übersendet, welche am 4.
Januar 2016 erfolgte. Nach weiterem Schriftsatzwechsel wurde das Verfahren am 18. Januar 2016 zum Gerichtsbescheid geschrieben.
Das Verfahren endete durch den Erlass eines Gerichtsbescheides vom 15. Dezember 2016 mit dessen Zustellung an den Bevollmächtigten
des Klägers am 22. Dezember 2016.
Der Kläger erhob am 13. Juni 2016 Verzögerungsrüge. Am 23. Januar 2017 hat er die Entschädigungsklage erhoben. Auf einen Hinweis
des Gerichts, das Verfahren sei seit Klagerhebung bis Dezember 2015 kontinuierlich gefördert worden und in Berücksichtigung
einer 12monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit ergebe sich nach überschlägiger Prüfung keine Entschädigung, hat der Prozessbevollmächtigte
des Klägers vorgetragen, im Zeitraum zwischen der Klageerwiderung im Juni 2015 und dem Erörterungstermin im November 2015
sei "nichts geschehen". Die Klageerwiderung habe die einmonatige Wartefrist der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (BSG) ausgelöst. Die darüber hinausgehende unangemessene Wartezeit habe sich beim Kläger besonders nachhaltig ausgewirkt, da es
um Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegangen sei, und er die Auslagen aus dem Regelsatz habe vorstrecken müssen. Das BSG halte allenfalls eine Verfahrensdauer von zwölf Monaten für angemessen, hier habe das Verfahren aber 17 Monate gedauert.
Eine aktive Verfahrensförderung, welche auch nur eine Verfahrensdauer von zwölf Monaten gerechtfertigt hätte, habe nicht stattgefunden.
Die vom BSG beschriebene Vorbereitungs- und Bedenkzeit sei durch sinnvolle Verfahrensgestaltung des Gerichts zu füllen, eine reine Bedenkzeit
widerspreche dem Sinn und Zweck von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art.
19 Abs.
4 des
Grundgesetzes (
GG). Wegen der besonderen Bedeutung der Sache für den Kläger habe diese noch im Dezember 2015 entschieden werden müssen, tatsächlich
sei die Entscheidung jedoch erst im Dezember 2016 erfolgt. Es sei insbesondere auch nicht erforderlich gewesen, dem Kläger
nach Eingang des Schriftsatzes der Beklagten vom 9. Dezember 2015 noch eine Stellungnahme abzuverlangen; es seien doch zu
diesem Zeitpunkt alle Gesichtspunkte dem Gericht längst bekannt gewesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des Verfahren S 23 AS 1643/15 in Höhe von 1.200 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, nach der Rechtsprechung des BSG sei die Verfahrensdauer noch als angemessen angesehen, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate überschreite, auf
vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruhe. Danach lasse sich allenfalls argumentieren, das Verfahren sei
vom 13. Januar 2015 bis zum 15. Dezember 2015 nicht gefördert worden. Dies seien aber nur elf Monate. Die Zwölf-Monats-Regel
gelte auch für Verfahren nach dem SGB II.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte des vorliegenden Verfahrens sowie auf die Prozessakte
des Verfahrens S 23 AS 1643/15 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig.
Für das Klageverfahren sind die Vorschriften der §§
198 ff.
GVG sowie die §§
183,
197a und
202 SGG i.d.F. des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG)
vom 24. November 2011 (BGBl. I 2302) maßgebend. Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht zuständig
(§
201 Abs.
1 S. 1
GVG i.V.m. §
202 S. 2
SGG).
Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft (§
54 Abs.
5 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL) und - nach Abschluss des Ausgangsverfahrens - auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht erhoben worden. Die Einlegungsfrist des §
198 Abs.
5 S. 2
GVG, wonach die Klage spätestens sechs Monate nach Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, erhoben werden muss,
hat der Kläger eingehalten. Die Wartefrist des §
198 Abs.
5 S. 1
GVG, wonach eine Entschädigungsklage frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden kann, wurde ebenfalls
eingehalten.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Gemäß §
198 Abs.
1 S. 1
GVG wird entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet.
Die Angemessenheit richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des
Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (§
198 Abs.
1 S. 2
GVG). Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens
gerügt hat (Verzögerungsrüge, §
198 Abs.
3 S. 1
GVG). Dies ist der Fall, denn der Kläger hat am 13. Juni 2016 eine Verzögerungsrüge erhoben.
Die Verzögerungsrüge ist auch wirksam erhoben worden. Sie kann gemäß §
198 Abs.
3 S. 2
GVG erst dann erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen
wird. Eine solche Besorgnis ist hier zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge gerechtfertigt gewesen, da das Ausgangsverfahren
zu diesem Zeitpunkt bereits seit über einem Jahr anhängig war und seit mehr als 5 Monaten zur Sitzung bzw. zum Gerichtsbescheid
geschrieben war.
Es ist indes keine unangemessene Verzögerung im Sinne von §
198 Abs.
1 S. 1
GVG eingetreten. Der Senat hat sich zu diesem Tatbestandsmerkmal in seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2014 (L 1 SF 16/13 ESV) der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angeschlossen und Folgendes ausgeführt:
"Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer, wie sie §
198 Abs.
6 Nr.
1 GVG definiert. Verzögerungen, die in einem Stadium des Verfahrens oder bei einzelnen Verfahrensabschnitten eingetreten sind,
bewirken daher nicht zwingend die Unangemessenheit der Verfahrensdauer. Es ist vielmehr im Rahmen einer abschließenden Gesamtabwägung
insbesondere zu überprüfen, ob Verzögerungen innerhalb einer späteren Phase des Verfahrens kompensiert wurden. Maßgeblich
ist, ob am Ende des Verfahrens die Angemessenheitsgrenze überschritten worden ist. Dem Gericht muss in jedem Fall eine ausreichende
Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen, die der Schwierigkeit und Komplexität der Rechtssache angemessen
Rechnung trägt. Zur Ausübung seiner verfahrensgestaltenden Befugnisse ist dem Gericht ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen,
der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber
zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen
dazu erforderlich sind. So ist jedes Gericht berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen
oder rechtlichen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage
als vordringlich anzusehen, auch wenn ein solches "Vorziehen" einzelner Verfahren zu einer längeren Dauer anderer Verfahren
führt. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich
und wird auch von Art.
20 Abs.
3 Grundgesetz beziehungsweise Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der EMRK nicht verlangt. Erst wenn die Verfahrenslaufzeit in Abwägung mit den weiteren Kriterien im Sinne von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG auch bei Berücksichtigung dieses Gestaltungsspielraums sachlich nicht mehr zu rechtfertigen ist, liegt eine unangemessene
Verfahrensdauer vor (BGH, Urteil vom 23.01.2014 - III ZR 37/13 - Juris).
Das Bundessozialgericht hat für dies für den Bereich der Sozialgerichtsbarkeit dahin gehend konkretisiert, dass dem Ausgangsgericht
bei Verfahren mit etwa durchschnittlicher Schwierigkeit und Bedeutung eine Vorbereitungs- und Bedenkzeit von bis zu zwölf
Monaten eingeräumt werden könne, sodass insoweit inaktive Zeiten unschädlich seien und nicht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer
beitragen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden könnten (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R, B 10 ÜG 9/13 R, B 10 ÜG 2/13 R, zit. nach Terminbericht Nr. 40/14). Die zeitliche
Lage dieser Vorbereitungs- und Bedenkzeit müsse und werde sich in der Regel nicht vollständig direkt an die Erhebung der Klage
bzw. die Einlegung der Berufung anschließen, denn in dieser "Frühphase" sorge das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel
und ziehe Entscheidungsunterlagen bei. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit könne vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz
liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Angemessen bleibe die Gesamt-Verfahrensdauer
regelmäßig zudem dann, wenn sie zwölf Monate überschreite, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des
Gerichts beruhe oder durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht werde, die das Gericht nicht zu vertreten habe (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R, zit. nach Terminbericht Nr. 40/14).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung grundsätzlich an und hält die Anwendung dieser Kriterien auch im
vorliegenden Fall für sachgerecht.
Für die Ermittlung des im Einzelfall tatsächlich vorliegenden inaktiven Gesamtzeitraums sind nach Auffassung des Senats die
inaktiven Phasen sowohl vor als auch nach Erhebung der Verzögerungsrüge von Belang. Denn der Sinn der Verzögerungsrüge besteht
- wie bereits ausgeführt - darin, dass dem Gericht die Möglichkeit gegeben werden soll, das Verfahren zu fördern und eine
weitere Verzögerung zu verhindern (BT-Drs. 17/3802 S. 20). Da das Gericht aber der bereits eingetretenen Verzögerung nicht
mehr abhelfen kann, darf dem Betroffenen insoweit auch der Rechtsschutz nicht abgeschnitten werden. Im Übrigen würde die gegenteilige
Sichtweise dazu führen, dass die Geduld eines Beteiligten bestraft und die frühzeitige Erhebung von Verzögerungsrügen gefördert
würde, was vom Gesetzgeber aber ausdrücklich nicht gewollt ist (BT-Drs. 17/3802 S. 21)."
Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Nach diesen Maßgaben ergibt sich für den vorliegenden Fall folgendes Bild:
Das im Mai 2015 eingeleitete Verfahren dauerte insgesamt bis zur Zustellung des Gerichtsbescheides im Dezember 2016 17 Monate
und wurde vom Sozialgericht bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Akten nach Einsichtnahme durch den Prozessbevollmächtigten des
Klägers an das Gericht zurückgesendet wurden, betrieben und gefördert. Dies war der 26. August 2015. Im September blieb das
Gericht einen Monat untätig. Im Oktober 2015 wurde das Verfahren dann erneut durch Ladung und Durchführung (November) eines
Erörterungstermins gefördert, woraus sich ein Monat der Untätigkeit, nämlich der September 2015 ergibt. Der sich anschließende
Schriftwechsel zog sich bis Januar 2016 hin, das ist der Monat, in dem das Verfahren zum Gerichtsbescheid geschrieben wurde.
In der Folge wurde das Verfahren bis zum Erlass des Gerichtsbescheides am 15. Dezember 2016 vom Sozialgericht nicht betrieben.
Es ergibt sich damit ein Zeitraum der Verzögerung von 11 Monaten (September 2015 und Februar bis November 2016).
Bisherige Rechtsprechung des Senates ist es, dass Monate, in denen eine verfahrensfördernde Handlung erfolgte, insgesamt nicht
als Zeit der Verzögerung gewertet werden. Begründet ist diese Vorgehen in Anknüpfung an die Aussagen des BSG während der Richterwoche damit, dass es "gute" und "schlechte" Monate gibt. Ein guter Monat ist der, in dem das Verfahren
gefördert wurde. Damit sind obige Monate aus der Berechnung herauszunehmen. Herauszunehmen sind entgegen der Auffassung des
Prozessbevollmächtigten des Klägers dabei auch Monate, in denen Schriftsätze zur Stellungnahme an die Beteiligten verschickt
worden sind und in denen die Frist zur Stellungnahme lief. Dies gilt jedenfalls dann, wenn noch Schriftsätze mit einem relevanten
Inhalt ausgetauscht werden, die eine Stellungnahme erfordern oder auch nahelegen, dass einer der Beteiligten eine prozessbeendende
Erklärung abzugeben bereit sein könnte. So ist es auch hier. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat im November 2015 noch
Unterlagen überreicht, die das beklagte Jobcenter durchaus zu einem Anerkenntnis hätten bewegen können. Das Jobcenter hat
jedoch weitere Nachweise gefordert. Hierzu wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers noch einmal Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben, welche im Dezember 2015 - Eingang bei Gericht am 4. Januar 2016 - erfolgte. Damit war das Verfahren ausgeschrieben
und es folgte die Verfügung "zum Gerichtsbescheid".
Darin, die Beteiligten zu übersendeten Unterlagen der jeweils anderen Seite und dazu, dass nach Auffassung eines Prozessbeteiligten
noch Unterlagen fehlten, noch einmal Stellung nehmen zu lassen, ist eine Verzögerung des Verfahrens nicht zu erkennen. Grundsätzlich
handelt es sich bei der Entscheidung, ob ein Schriftsatz zur Stellungnahme geschickt wird, welche weiteren Unterlagen angefordert
werden und welche Frist hierfür jeweils zu setzen ist, um eine Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung. Sie setzt eine
tatsächliche und rechtliche Bewertung voraus, die in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt. Solche Entscheidungen
können deshalb nur dann die Feststellung einer Verfahrensverzögerung rechtfertigen, wenn die richterliche Bewertung vor dem
Hintergrund der jeweils geltenden Prozessordnung und/oder des materiellen Rechts unvertretbar und unter keinem Gesichtspunkt
verständlich erscheint (vgl. BSG, Urteil vom 07. September 2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, Juris). Anhaltspunkte für eine derartige Unvertretbarkeit gibt es vorliegend
nicht. Vielmehr gehört es im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes gerade zu den Pflichten des Gerichts, anspruchsbegründende
Unterlagen anzufordern und dies gegebenenfalls auch mehrfach, was insbesondere dann notwendig wird, wenn sich erst im Laufe
des Verfahrens durch beiderseitigen Vortrag sukzessive ergibt, welche Tatsachen streitig, welche unstreitig und welche bereits
nachgewiesen sind. Dann muss das Gericht, schon um den Anspruch der Klägerseite nicht zu verkürzen, weitere Unterlagen erfragen
und anfordern, die den klägerischen Anspruch stützen könnten. So ist es auch hier und dies insbesondere auch in Anbetracht
des Umstandes, dass das Gericht die Klage letztendlich dann doch zum Teil wegen diesbezüglich fehlender Unterlagen abweisen
musste. Die Förderungsverpflichtung des §
198 GVG kann jedenfalls nicht dazu führen, dass das Gericht seinem Amtsermittlungsgrundsatz und seiner Hinweispflicht nicht mehr
ausreichend nachkommen kann. Etwas anderes mag gelten, wenn Schriftsätze nur noch inhaltsleer zur Stellungnahme hin und her
geschickt werden. Dafür ist indes vorliegend, wie dargelegt, kein Anhaltspunkt ersichtlich.
Es verbleibt damit bei einer Verzögerung von elf Monaten. Eine solche ist mit der Rechtsprechung des BSG gerade noch als angemessen anzusehen. Es handelt sich entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Kläger bei
12-monatigen Vorbereitungs- und Bedenkzeit um eine echte Bedenkzeit, welche nicht mit Tätigwerden des Gerichts gefüllt sein
muss, sondern in welcher die Sache "zurückgestellt" werden darf und welche nach den Ausführungen des BSG auch mit Art. 6 EMRK und mit dem
Grundgesetz vereinbar ist. Das BSG führt insoweit aus:
Aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit folgt kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren
und dessen unverzügliche Erledigung. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch
mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige
inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw Richter
zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art
20 Abs
3 GG bzw Art 6 Abs 1 S 1 EMRK nicht verlangt (vgl BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie
vom Verhalten des Rechtsschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine
ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH Urteil vom 13.3.2014 - III ZR 91/13 - NJW 2014, 1816, Juris RdNr 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere
und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten
Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung
anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer
Verfahren führt.
Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des §
198 Abs
1 S 2
GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer
unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (vgl BT-Drucks 17/3802 S 18; Senatsurteile vom 21.2.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL
- BSGE 113, 75 = SozR 4-1720 § 198 Nr 1 und B 10 ÜG 2/12 KL - jeweils zu RdNr 25 ff mwN), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher
Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen
zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener
Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte
vertretbar sind (vgl dazu BFH Zwischenurteil vom 7.11.2013 - X K 13/12 - BFHE 243, 126, Juris RdNr 64). Der Senat geht zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren derzeit von folgenden
Grundsätzen aus: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne
Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc) so geregelt sein, dass ein Richter
oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf älterer
oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht. (BSG, Urteil vom 03. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R -, BSGE 117, 21-37, SozR 4-1720 § 198 Nr 3, Rn. 45).
Dem schließt sich der erkennende Senat an.
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers handelt es sich des Weiteren vorliegend um einen Fall durchschnittlicher
Schwierigkeit und vor allem auch bloß durchschnittlicher Bedeutung. Zwar waren Leistungen nach dem SGB II im Streit, jedoch ging es nicht um laufende Leistungen, sondern vielmehr um im Nachhinein zusätzlich zu den laufenden Leistungen
zu gewährende Aufwandsentschädigungen, wobei die Pauschalen, um welche überwiegend gestritten wurde, so bemessen sind, dass
die zunächst aus dem Regelsatz aufgewendeten Beträge deutlich überschritten werden können (20 ct pro km Fahrkosten und 18
EUR pro Tag Verpflegungspauschale). Von einer besonderen Bedeutung des Rechtsstreits, der eine kürzere Verfahrensdauer notwendig
gemacht hätte, kann daher nicht ausgegangen werden.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.