Besitzschutz beim Wechsel von einer Erwerbsminderungsrente zu einer Regelaltersrente
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer höheren Regelaltersrente.
Der 1943 geborene Kläger bezog von der Beklagten ab April 1994 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (Bescheid vom 15. November
1994). Ab Dezember 2001 wurde ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt. Der Berechnung dieser Rente lagen 57,4638
Entgeltpunkte (EP) zugrunde (Bescheid vom 4. Februar 2003).
Am 20. März 2008 beantragte der Kläger ohne vorherige Beratung bei der Beklagten die Zahlung von freiwilligen Höchstbeiträgen
rückwirkend ab Januar 2007. Dem Antrag gab die Beklagte durch Zulassungsbescheid vom 28. März 2008 statt. Im Zeitraum von
Januar 2007 bis September 2008 entrichtete der Kläger darauf hin freiwillige Höchstbeiträge in Höhe von insgesamt 22.029,30
EUR.
Auf den am 10. Juli 2008 eingegangenen Antrag gewährte die Beklagte dem Kläger ab dem 1. Oktober 2008 eine Regelaltersrente
und legte der Berechnung dieser insgesamt 60,5260 EP zugrunde. Hieraus ergab sich ab Rentenbeginn eine monatliche Rente in
Höhe von 1.607,57 EUR brutto beziehungsweise nach Abzug des anteilig vom Rentner zu tragenden Beitrages zur gesetzlichen Kranken-
und Pflegeversicherung von 1.441,18 EUR (Bescheid vom 17. September 2008). Im Vergleich zu der Vorrente, die zuletzt mit einem
monatlichen Auszahlungsbetrag von 1.368,67 EUR geleistet wurde, ergab sich eine Rentenerhöhung von 72,51 EUR (netto).
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch u.a. mit der Begründung, die Beklagte habe bei der Berechnung der Regelaltersrente die
Regelungen über den Besitzschutz bei einer Nachfolgerente nicht beachtet. Aus der Vorrente seien 57,4638 EP zu berücksichtigen,
was einer Rente von 1.526,24 EUR entspräche. Die persönlichen Entgeltpunkte aus den freiwilligen Beiträgen von Januar 2007
bis September 2008 betrügen 3,722 EP. Multipliziert mit dem aktuellen Rentenwert von 26,56 EUR ergäbe sich eine Rentenhöhe
aus freiwilliger Beitragszahlung von 98,85 EUR. Die monatliche Rente ab Oktober 2008 müsse daher 1.625,09 EUR und nicht 1.607,57
EUR betragen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 2009 zurück.
Zu dem in diesem Verfahren noch streitigen Punkt führte sie aus, dass ein Anspruch auf höhere Rente aufgrund der zu der Regelaltersrente
hinzugetretenen freiwilligen Beiträge nicht bestehe. Aus der Vorrente sein 57,4638 EP zu berücksichtigen gewesen. Durch die
Zahlung der freiwilligen Beiträge hätten sich jedoch die Entgeltpunkte auf 60,5260 erhöht, so dass auf die in der bisherigen
Rente enthaltenen Entgeltpunkte nicht zurückgegriffen worden sei. Aus der Probeberechnung, die die Prüfung des Besitzschutz
enthalte, könne der Kläger entnehmen, dass ohne die Zahlung der freiwilligen Beiträge der Besitzschutz gegriffen, sich also
keine Rentensteigerung ergeben hätte.
Dagegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er im Wesentlichen
sein Vorbringen aus den Vorverfahren. Der Kläger ist der Ansicht, dass die durch die freiwillige Beitragszahlung erworbenen
zusätzlichen Entgeltpunkt in Höhe von 3,722 EP den besitzgeschützten Entgeltpunkte aus der Vorrente (57,4638 EP) mit der Folge
hinzuzurechnen seien, dass der Rentenberechnung insgesamt 61,1858 EP zugrunde zu legen seien. Statt der von der Beklagten
ermittelten monatlichen Rente ab Oktober 2008 sei eine Rente von 1.625,09 EUR zu zahlen, die monatliche Rentendifferenz betrage
17,52 EUR.
Durch Gerichtsbescheid vom 2. März 2010, dem Kläger zugestellt am 6. März 2010, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es auf den Widerspruchsbescheid verwiesen und ergänzend ausgeführt, dass entgegen der Auffassung des Klägers
die Entgeltpunkte für die freiwillige Beitragszahlung von Januar 2007 bis September 2008 bei der Rentenberechnung berücksichtigt
worden sei. Die Rentenberechnung sei im Übrigen aufgrund der maßgeblichen Bestimmungen erfolgt und nicht zu beanstanden.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung macht der Kläger seinen Anspruch weiter geltend und hält daran fest, dass der Rentenbescheid
der Beklagten teilweise ebenso fehlerhaft sei wie die Ausführungen des angegriffenen Gerichtsbescheides.
Die Kläger beantragt (sinngemäß),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 2. März 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des
Bescheides vom 17. September 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2009 zu verurteilen, ihm ab dem
1. Oktober 2008 einer Regelaltersrente unter Zugrundelegung von 61,1858 EP zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erachtet den angegriffenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Durch Beschluss vom 9. Juni 2010 hat der Senat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten auf die Berichterstatterin übertragen.
Die Beteiligten haben sich schriftsätzlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Rentenakte, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, nachdem sich die Beteiligten schriftlich mit dieser
Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§
124 Abs.
2 des Sozialgerichtsgesetzes -
SGG -).
Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 17. September 2008
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. April 2009 ist rechtmäßig. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung
einer höheren Regelaltersrente zu. Zutreffend hat die Beklagte der Rentenberechnung des Klägers 60,5260 EP zugrunde gelegt.
Die persönlichen Entgeltpunkte aus der dem Kläger bis September 2008 gewährten vollen Erwerbsminderungsrente (57,4638 EP)
sind nicht mit der Folge isoliert besitzgeschützt, dass Entgeltpunkte aufgrund von nach dem früheren Leistungsfall entrichteter
- hier freiwilliger - Beiträge (3,722 EP) zur diesen hinzu zu addieren sind.
Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte,
der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§
64 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch -
SGB VI -). Die persönlichen Entgeltpunkte ergeben sich, durch Vervielfältigung der Summe aller Entgeltpunkte mit dem Zugangsfaktor
(§
66 SGB VI). Unstreitig ist, dass die Beklagte die persönlichen Entgeltpunkte des Klägers für die ab Oktober 2008 zu leistende Regelaltersrente
mit einem Wert von 60,5260 EP für sich alleine betrachtet zutreffend berechnet hat.
Fraglich ist vielmehr, ob mit Blick auf die dem Kläger bis September 2008 gewährte Vorrente in Ansehung der Besitzschutzregelung
des §
88 Abs.
1 Satz 2
SGB VI bei der Rentenberechnung eine höhere Anzahl von Entgeltpunkte in Ansatz zu bringen ist.
Nach dieser Vorschrift werden dann, wenn ein Versicherter eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente
bezogen hat und spätestens innerhalb von 24 Kalendermonaten nach Ende des Bezugs dieser Rente erneut eine Rente beginnt, für
diese Rente mindestens die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte zu Grunde gelegt.
Nach der Absicht des Gesetzgebers soll dabei als Folgerente "mindestens die bisherige Rente dynamisch" geleistet werden (vgl.
die Amtliche Begründung BT-Drucks 11/4124, S. 173, zu Art. 1 §
87, der insoweit §
88 SGB VI entspricht). Besitzgeschützt sind demnach die bisherigen persönlichen Entgeltpunkte und nicht der Zahlbetrag der Rente (BSG
vom 1. Dezember 1999 - B 5 RJ 20/98 R). Entsprechend dieser gesetzgeberischen Intention bezieht sich die Besitzschutzregelung des §
88 SGB VI auch nicht auf einzelne Entgeltpunkte oder auf die Bewertung einzelner Zeitabschnitte - worauf das Begehren des Klägers letztlich
hinausliefe -, sondern alleinig auf die Summe der persönlichen Entgeltpunkte in ihrer Gesamtwirkung für die Rentenhöhe (BSG
vom 11. Juni 2003 - B 5 RJ 24/02 R).
Da sich durch die von dem Kläger während des Erwerbsminderungsrentenbezuges geleisteten freiwilligen Höchstbeiträge mit 60,5260
EP bereits eine höhere und die Anzahl der besitzgeschützten (57,4638 EP) übersteigende Gesamtsumme an persönlichen Entgeltpunkte
ergibt, war bei der Berechnung der Regelaltersrente für die Zeit ab Oktober 2008 die Regelung des §
88 Abs.
1 Satz 2
SGB VI nicht anzuwenden.
Die gesetzliche Regelung hätte nur dann gegriffen, wenn die Gesamtsumme der persönlichen Entgeltpunkte - trotz der freiwilligen
Beitragszahlung - unter dem Wert von 57,4638 Entgeltpunkten verblieben wäre. Die Ansicht des Klägers, nach der die einer Vorrente
zu Grunde liegenden Entgeltpunkte in ihrer Summe besitzgeschützt und gegebenenfalls um bis zu einem neuen Leistungsfall hinzugetretene
Entgeltpunkte aus rentenrechtlichen Zeiten aufzustocken sind, findet im Gesetz keine Stütze. Nach dem Willen des Gesetzgebers
soll lediglich verhindert werden, dass eine Folgerente durch Veränderungen bei der Rentenberechnung in ihrer Gesamthöhe vom
Zahlbetrag her niedriger ist als die zuvor geleistete. Dies entspricht dem in Artikel
14 Abs.
1 Satz 1 des Grundgesetzes (
GG) verbürgten Eigentumsschutz.
Kein anderes Ergebnis folgt im Übrigen aus der Entscheidung des Bundessozialgerichtes vom 30. August 2001 (Az.: B 4 RA 116/00 R). Bei einem Wechsel von einer Altersteilrente zur Altersvollrente erhöhen danach zwar die während des Rentenbezuges noch
erworbenen Entgeltpunkte aus Beitragszeiten die Rente in vollem Umfange, d.h. sie werden zu der Summe der bereit ermittelten
persönlichen Entgeltpunkte im Wege einer Neufeststellung der (bisherigen) Rente hinzugerechnet. Im Gegensatz zu diesem Fall
handelt es sich indes bei dem Übergang von einer vollen Erwerbsminderungsrente in einer Regelaltersrente nicht um eine Rentenneufeststellung
im Sinne des § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X), sondern um die Feststellung einer gänzlich neuen, anderen Rente mit einem neuen Leistungsfall, die der Höhe nach zu dem
ab dem Leistungszeitpunkt geltenden Rechts zu berechnen ist. Nur aus diesem Grunde und auch nur in diesem Fall kann überhaupt
die Besitzschutzregelung des §
88 Abs.
1 Satz 2
SGB VI zur Anwendung kommen. In dem Neufeststellungsfall des Übergangs von einer Altersteil- zur Altersvollrente greift diese Regelung
nicht Platz.
Die Berufung konnte daher insgesamt keinen Erfolg haben.
Allerdings wirft der vorliegende Fall die grundsätzliche Frage auf, ob die Beklagte nicht jedenfalls bei Anträgen eines langjährigen
Beziehers einer Erwerbsminderungsrente auf freiwillige Beitragszahlung verpflichtet sein könnte, diesem z.B. durch Übersendung
einer Probeberechnung die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser vor Augen zu führen. Nach einer solchen Spontanberatung hätte
der Kläger möglicherweise von der Beitragszahlung Abstand genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
193 SGG.
Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen, da es an den Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG fehlt.