Begründung eines Verwaltungsakts im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Erstattung von Kosten im Vorverfahren
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung eines Klageverfahrens vor dem Sozialgericht
(SG) Braunschweig, in dem er sich gegen eine Kostenentscheidung des Beklagten in einem Vorverfahren gemäß § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wendet.
Der 1966 geborene Kläger bezog bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi) und anschließend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Gelegentlich übte er eine geringfügige Beschäftigung aus, deren Einkommen abzüglich der Freibeträge auf die laufenden Leistungen
angerechnet wurde. Soweit der Kläger mit den Anrechnungsmodalitäten nicht einverstanden war, führte er selbst ein Widerspruchsverfahren
und erläuterte dabei dem Beklagten, wie seine Leistungen richtig berechnet werden müssten (vgl. z. B. Widerspruchsschreiben
vom 7. April 2005, Blatt 35 und 36 Verwaltungsakte - VA -).
Ab Mai 2009 nahm der Kläger eine Aushilfstätigkeit beim Bestattungshaus D. bis zu einem Monatsverdienst von 400,00 EUR auf.
Nach Eingang der Verdienstbescheinigung hob der Beklagte die jeweilige Bewilligung von SGB II-Leistungen in Höhe des anrechnungsfähigen Einkommens auf, so auch für den hier allein streitigen Monat Juli 2009. Nach Anhörung
vom 20. Oktober 2009 teilte der Beklagte mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 28. Januar 2010 dem Kläger mit, dass
die Entscheidung vom 20. Oktober 2009 über die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) II (Regelleistung) vom 1. Juli bis zum
31. Juli 2009 teilweise in Höhe von 106,20 EUR aufgehoben werde, weil der Kläger während des genannten Zeitraumes Einkommen
aus einer Erwerbstätigkeit erzielt habe. Ferner verlangte der Beklagte die Erstattung der in der Zeit vom 1. bis zum 31. Juli
2009 zu Unrecht gezahlten Leistungen in Höhe von 106,20 EUR. Mit Anwaltsschreiben vom 12. Februar 2010 legte der Kläger hiergegen
Widerspruch ein, weil der Bescheid keine Aufschlüsselung der Beträge enthalte. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2010
wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und stellte fest, dass die im Widerspruchsverfahren entstandenen
Aufwendungen nicht erstattet werden. Dem Widerspruchsbescheid war als Anlage eine Berechnung über das zu berücksichtigende
Vermögen beigefügt.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger den Widerspruchsbescheid insoweit angefochten, als seine notwendigen außergerichtlichen
Aufwendungen vom Beklagten zu übernehmen sind. Das Prozesskostenhilfegesuch hat das SG Braunschweig mit Beschluss vom 29.
November 2010 abgelehnt. In den Gründen hat es ausgeführt, der Auffassung des Klägers sei nicht zu folgen, dass es dem Bescheid
an einer nachvollziehbaren Begründung mangele. Die Berechnung der Freibeträge seien jedenfalls für den Prozessbevollmächtigten
des Klägers anhand des Einkommensnachweises nachvollziehbar gewesen. Eines Widerspruchs habe es nicht bedurft. Vielmehr hätte
der Kläger bereits im Rahmen der Anhörung beim Beklagten nachfragen und um Erläuterung der Berechnung bitten können.
Gegen den am 2. Dezember 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 3. Januar 2011 (Montag).
Er trägt vor, es sei nicht ausreichend, wenn ein Bescheid nur für den anwaltlichen Prozessbevollmächtigten nachvollziehbar
sei. Es sei nicht Aufgabe des Hilfeempfängers, unbegründete Bescheide zu erhalten, um dann Termine im Jobcenter zur Klärung
zu vereinbaren. Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung sei § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Die Pflicht zur Erstattung von Aufwendungen werde allein dadurch ausgelöst, dass Verfahrens- oder Formvorschriften verletzt
worden seien. Damit solle die Verwaltung angehalten werden, Verfahrens- und Formvorschriften von vornherein zu beachten.
II. Die zulässige Beschwerde des Klägers ist unbegründet. Das SG hat zutreffend die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwecks Durchführung des Klageverfahrens abgelehnt. Die Klage hat keine
Erfolgsaussichten (§
73a Sozialgerichtsgesetz -
SGG - i. V. m. §
114 Zivilprozessordnung -
ZPO -).
Der angegriffene Bescheid vom 28. Januar 2010 (Blatt 247 VA) leidet nicht an einem Verfahrens- und Formfehler; er genügt insbesondere
dem Begründungserfordernis nach § 35 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen (Satz 1). In der Begründung sind die wesentlichen
tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (Satz 2). Aus dem Inhalt
des Bescheides muss folglich ersichtlich werden, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe für die Entscheidung wesentlich
waren, damit der Betroffene in die Lage versetzt wird, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen beziehungsweise zu verteidigen.
Der Umfang der Begründungpflicht kann von Fall zu Fall verschieden sein; maßgebend sind die konkreten Verhältnisse des Einzelfalles
unter Berücksichtigung des Einsichts- und Beurteilungsvermögens des Bescheidadressaten (BSG SozR 3-4100 § 119 Nr. 18). Die Verwaltung darf sich deshalb auf die Angaben der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und braucht Gesichtspunkte
und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem Betroffenen bekannt sind, nicht nochmals ausführlich darzulegen (BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 23).
Unter Anwendung obiger Kriterien muss der Senat feststellen, dass der Beklagte den Bescheid vom 28. Januar 2010 hinreichend
begründet hat. Daraus gehen die maßgeblichen Umstände für die Leistungskorrektur (erzieltes Einkommen aus Erwerbstätigkeit
im Monat Juli 2009), der genaue Zeitraum und die Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens (1. Juli bis 31. Juli 2009, 106,20
EUR), die Erstattungsforderung sowie die einschlägigen Verfahrensvorschriften hervor. Der Beklagte konnte in diesem konkreten
Fall davon ausgehen, dass eine weitere ausführliche Begründung nicht erforderlich war. Der Kläger hatte in der Vergangenheit
mehrmals Nebeneinkommen erzielt, welches auf die bezogenen Leistungen angerechnet wurde. Er hat anlässlich eines früheren
Widerspruchsverfahrens bewiesen, über tiefgehende Kenntnisse über die Anrechnungsmodalitäten von Nebeneinkommen zu verfügen
(Widerspruch vom 7. April 2005). Ferner hat sich der Kläger auf das Anhörungsschreiben vom 20. Oktober 2009 bezüglich der
Anrechnung für den Monat Juli 2009 nicht gemeldet.
Selbst bei einem Begründungsmangel des Bescheides vom 28. Januar 2010 hätte der Kläger keinen Kostenerstattungsanspruch gemäß
§ 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Bei dieser Vorschrift sind die notwendigen Kosten für ein Vorverfahren von der Behörde zu tragen, wenn der Widerspruch nur
deshalb keinen Erfolg hat, weil die Verletzung einer Verfahrens- und Formvorschrift nach § 41 SGB X unbeachtlich ist. § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X folgt mit seiner nicht erweiterungsbedürftigen Regelung dem Grundsatz, dass die Kostenentscheidung entsprechend der Sachentscheidung
ergeht, weil ohne die Heilung eines Verfahrens- oder Formfehlers nach § 41 SGB X (z. B. eine unterlassene Anhörung) eine dem Widerspruchsführer günstigere Sachentscheidung, nämlich die Aufhebung des verfahrens-
oder formfehlerhaften Bescheides hätte ergehen müssen. Diese Voraussetzungen treffen auf den vorliegenden Fall nicht zu. Denn
der Beklagte hat die (aus der Sicht des Klägers erforderliche) Begründung in dem Widerspruchsverfahren nachgeholt, so dass
eine Aufhebung dieses Bescheides nach Maßgabe des § 42 SGB X nicht in Betracht kommt. Eine analoge oder erweiternde Anwendung der Regelung in § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X auf die in § 42 SGB X geregelten Fälle ist nicht möglich, weil nicht davon auszugehen ist, dass der Gesetzgeber versehentlich nur auf § 41 SGB X und nicht auf § 42 SGB X verwiesen hat (Becker in: Hauck/Noftz, SGB X-Kommentar, Stand: Dezember 2010, § 63 Rdnr. 38, Hess. LSG, 29. Juli 2004 - L 12 RJ 1144/03).
Ein Kostenerstattungsanspruch des Klägers scheitert schließlich daran, dass vorliegend die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts
nicht nach § 63 Abs. 2 SGB X notwendig war, wenn er nur informativ wissen wollte, wie sich der Aufhebungs- und Erstattungsbetrag im Einzelnen errechnet
hat. Anders als im sozialgerichtlichen Verfahren, in dem die gesetzlichen Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts nach §
193 Abs.
3 SGG immer erstattungsfähig sind, ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren nur dann notwendig, wenn aus der Sicht
eines vernünftigen Bürgers die Beauftragung unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage naheliegend war. Der Kläger selbst
ist aber offenbar, zumindest was die Anrechnung von erzieltem Einkommen auf das Alg II anbelangt, in der Lage, die Sach- und
Rechtslage erschöpfend zu würdigen. Die sinnlose Mandatierung eines Anwaltes im Widerspruchsverfahren muss er folglich aus
eigener Tasche zahlen.
III. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§
127 Abs.
4 ZPO).
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG nicht anfechtbar.