Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Geltendmachung zusätzlicher Gebührenpositionen im Erinnerungsverfahren;
Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Über die Beschwerde entscheidet der Senat mit drei Berufsrichtern, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§§
56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 Satz 2 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG)). Die Rechtssache wirft schwierige Fragen auf (Geltendmachung zusätzlicher Gebührenpositionen im Erinnerungsverfahren; Vorliegen
eines schriftlichen Vergleichs gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 Vergütungsverzeichnis (VV) zum RVG), mit denen sich der Senat noch nicht befasst hat.
2. Antragsteller und Beschwerdeführer ist in Verfahren, die die Höhe der Rechtsanwaltsvergütung bei gewährter Prozesskostenhilfe
betreffen, der beigeordnete Rechtsanwalt selbst. Da das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 23.04.2014 eine Rechtsanwaltskanzlei beigeordnet hat (vgl. hierzu LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v.
20.11.2013 - L 2 AS 1494/13 B -, [...] Rn. 7), ist diese dementsprechend Antragstellerin und Beschwerdeführerin. Beschwerdegegner ist in diesen Verfahren
die Landeskasse, vertreten durch den Bezirksrevisor. Die durch die Prozesskostenhilfe begünstigte Partei ist am Verfahren
nicht beteiligt (st. Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschl. v. 10.02.2011 - L 9 AS 1290/10 B -, [...] Rn. 6 m.w.N.).
3. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Das Rechtsmittel der Beschwerde ist gegen Erinnerungsentscheidungen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 RVG gegeben und nicht durch §
178 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) oder §
197 Abs.
2 SGG ausgeschlossen. Durch § 1 Abs. 3 RVG in der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 24.07.2013, die wegen der erst
am 23.04.2014 erfolgten Beiordnung hier anwendbar ist (vgl. § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG), ist klargestellt worden, dass die Vorschriften des RVG über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften
vorgehen.
b) Die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG statthaft, weil der Beschwerdewert von 200 Euro überschritten wird. Die Antragstellerin wendet sich im Beschwerdeverfahren
allein dagegen, dass das SG in der Entscheidung über die Erinnerung entgegen dem im Erinnerungsverfahren eingereichten korrigierten Kostenerstattungsantrag
vom 23.07.2014 die dort angesetzte fiktive Terminsgebühr gemäß Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 VV RVG sowie die darauf entfallende Umsatzsteuer (Ziffer 7008 VV RVG) nicht anerkannt hat. Da die Antragstellerin dort eine fiktive Terminsgebühr in Höhe von 280,- Euro angesetzt hat, übersteigt
der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 200,- Euro deutlich, ohne dass es darauf ankommt, ob für die Bestimmung
des Beschwerdegegenstandes die Umsatzsteuer zu berücksichtigen ist (so überzeugend LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.09.2011
- L 20 SO 424/11 B -, [...] Rn. 18 f. m.w.N. auch zur Gegenauffassung).
c) Die Beschwerde ist am 23.09.2014 nach Maßgabe von §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgemäß innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses des SG vom 08.09.2014 am 16.09.2014 eingelegt worden.
d) Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 22.10.2014, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 4 RVG).
4. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Antragstellerin steht gegenüber der Staatskasse keine höhere Vergütung als die vom
SG festgesetzten 772,73 Euro zu.
Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 RVG erhält der im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung von der Staatskasse, soweit
in Abschnitt 8 des RVG nichts anderes bestimmt ist. Dieser Vergütungsanspruch ist gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 RVG nach seinem Grund und seiner Höhe von dem Umfang der Beiordnung abhängig (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 22.12.2010
- L 19 AS 1138/10 B -, [...] Rn. 25), wobei hier allerdings die Beiordnung des Antragstellers weder in zeitlicher noch in sachlicher Hinsicht
beschränkt wurde (Beschluss vom 23.04.2014). Gemäß § 3 Abs. 1 RVG entstehen vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen, wie hier im Ausgangsverfahren, das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren. Für die Höhe der Vergütung ist das VV RVG maßgeblich. Der Prozessbevollmächtigte als beigeordneter Rechtsanwalt bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG die Höhe der Gebühren unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und
der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers, und seines besonderen
Haftungsrisikos (§ 14 Abs. 1 Satz 3 RVG). Die von einem beigeordneten Rechtsanwalt im Verfahren nach § 55 RVG getroffene Bestimmung ist nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 4 RVG). Deshalb ist der Urkundsbeamte bzw. das Gericht verpflichtet, die Billigkeit der Gebührenbestimmung durch den Rechtsanwalt
zu prüfen (vgl. den Beschluss des Senats vom 10.02.2011 - L 9 AS 1290/10 B -, [...] Rn. 9).
Die von der Antragstellerin im Kostenfestsetzungsantrag vom 23.07.2014 festgesetzte Vergütung (1.105,93 Euro abzüglich der
bereits aus der Staatskasse erhaltenen 534,20 Euro) war unbillig. Das SG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Antragstellerin keine fiktive Terminsgebühr nach Ziffer 3106 Satz 2 Nr.
1 VV RVG zusteht, so dass der Vergütungsanspruch um 280,- Euro zuzüglich der auf diesen Betrag entfallenden Umsatzsteuer (53,20 Euro)
auf 772,73 Euro zu kürzen war.
a) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegegners durfte und musste das SG im Erinnerungsverfahren über den Ansatz einer Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV RVG entscheiden, obwohl die Antragstellerin diese in ihrem ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag vom 08.07.2014 nicht geltend
gemacht und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hierüber im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.07.2014 auch nicht entschieden
hatte. Insoweit geht es zwar nicht, wie u.U. beim Austausch von Gebührenpositionen (vgl. dazu den Beschluss des Senats vom
28.05.2013 - L 9 AS 142/13 B -, [...] Rn. 14 ff.), nur um die Würdigung des Streitgegenstandes unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten.
Vielmehr hat die Antragstellerin mit ihrem im Erinnerungsverfahren eingereichten korrigierten Festsetzungsantrag vom 23.07.2014
ihr Begehren und damit den Streitgegenstand erweitert, indem sie eine höhere Vergütung als im ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag
vom 08.07.2014 geltend gemacht hat. Diese Antragserweiterung im Erinnerungsverfahren war jedoch zulässig mit der Folge, dass
das SG in der Sache über die zusätzlich geltend gemachte fiktive Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV RVG zu entscheiden hatte.
Für die Antragserweiterung im Erinnerungsverfahren gegen die Festsetzung der aus der Staatskasse an den beigeordneten Rechtsanwalt
zu zahlenden Vergütung gelten die gleichen Grundsätze wie für die Klage- bzw. Antragserweiterung im Rechtsmittelverfahren
(so auch BGH, Beschl. v. 16.11.2010 - VI ZB 79/09 -, [...] Rn. 3). Voraussetzung hierfür ist zunächst, dass der Rechtsbehelf unabhängig von der Klage- bzw. Antragserweiterung
zulässig ist, insbesondere eine Beschwer des Rechtsbehelfsführers vorliegt. Das ist nur dann der Fall, wenn der erstinstanzlich
verfolgte Anspruch im Rechtsbehelfsverfahren zumindest teilweise weiterverfolgt wird. Demgegenüber fehlt es an der für die
Zulässigkeit des Rechtsbehelfs notwendigen Beschwer, wenn im Rechtsbehelfsverfahren lediglich im Wege der Anspruchserweiterung
ein neuer, bislang nicht geltend gemachter Anspruch zur Entscheidung gestellt wird (vgl. insoweit BSG, 08.11.2001 - B 11 AL 19/01 R -, [...] Rn. 20; Urt. v. 31.07.2002 - B 4 RA 20/01 R -, [...] Rn. 22; BGH a.a.O.). Darüber hinaus müssen die Voraussetzungen für die Klage- bzw. Antragsänderung also solche
vorliegen.
Die Erinnerung der Antragstellerin vom 29.07.2014 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.07.2014 war unabhängig von
der Erweiterung des Kostenfestsetzungsantrags um die fiktive Terminsgebühr nach Ziffer 3106 VV RVG zulässig. Die Antragstellerin war durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.07.2014 insoweit beschwert, als der Urkundsbeamte
der Geschäftsstelle die im Festsetzungsantrag vom 08.07.2014 angesetzten Gebühren (Verfahrensgebühr und Einigungsgebühr) auf
zwei Drittel der Mittelgebühr gekürzt hat. Diese Kürzung hat die Antragstellerin mit ihrer Erinnerung auch angegriffen und
ihr Begehren auf den Ansatz einer Verfahrens- und Einigungsgebühr in Höhe der Mittelgebühr im Erinnerungsverfahren weiterverfolgt.
Darüber hinaus lagen auch die Voraussetzungen des §
99 SGG für eine Antragsänderung vor. Die Ergänzung des Kostenfestsetzungsantrags um den Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr gemäß
Ziffer 3106 Nr. 1 VV RVG war gemäß §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG nicht als Antragsänderung anzusehen, denn die Antragstellerin hat ohne Änderung des Klagegrundes ihren Antrag in der Hauptsache
erweitert. Den den Gebührentatbestand ihrer Auffassung nach auslösenden Sachverhalt und damit den "Klagegrund" im Sinne von
§
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG hat die Antragstellerin bereits mit ihrem ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag vom 08.07.2014 vorgebracht. Denn sie hat
bereits in ihrem ursprünglichen Antrag eine Einigungsgebühr geltend gemacht und damit das Vorliegen einer Einigung über den
Streitgegenstand im Klageverfahren zum Gegenstand ihres Kostenfestsetzungsantrags gemacht. Diesen Sachverhalt hat sie in ihrem
korrigierten Kostenfestsetzungsantrag vom 23.07.2014 nicht erweitert oder verändert. Sie hat lediglich die Auffassung vertreten,
dass die Einigung über den Streitgegenstand im Klageverfahren in rechtlicher Hinsicht zugleich den Tatbestand der Ziffer 3106
Satz 2 Nr. 1 VV RVG erfüllt, weil ein schriftlicher Vergleich im Sinne dieser Vorschrift vorliege. Damit hat sie aus einem unveränderten "Klagegrund"
lediglich weitergehende Ansprüche hergeleitet.
b) Der Antragstellerin steht keine fiktive Terminsgebühr nach der insoweit allein in Betracht kommenden Vorschrift der Ziffer
3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG zu.
Nach Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 VV RVG entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis
mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen
wird.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn in dem ohne Entscheidung aufgrund der Erklärung der Klägerin im Schriftsatz vom
07.07.2014 beendeten Klageverfahren ist kein schriftlicher Vergleich im Sinne von Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG geschlossen worden. Es kann dahinstehen, ob die Beteiligten des Klageverfahrens überhaupt durch übereinstimmenden Willenserklärungen
einen (zweiseitigen) Vergleichsvertrag im Sinne von § 54 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geschlossen haben oder, was näher liegt, die Beklagte hinsichtlich der Gewährung von Arbeitslosengeld in voller Höhe ab
dem 25.02.2014 eine einseitige Zusage (Zusicherung im Sinne von § 34 SGB X) unabhängig von einem Entgegenkommen der Klägerin abgegeben und die Klägerin ebenfalls durch einseitige Erklärung die weitergehende
Klage hinsichtlich der Gewährung von vollem Arbeitslosengeld ab dem 01.01.2014 zurückgenommen hat. In jedem Fall ist mit einem
"schriftlichen Vergleich" im Sinne von Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG nur ein hier nicht vorliegender, unter Mitwirkung oder auf Veranlassung des Gerichts geschlossener Vergleich nach §
202 SGG i.V.m. §
278 Abs.
6 ZPO (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R -, [...] Rn. 22) und ab dem 25.10.2013 nach §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG gemeint (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 05.01.2015 - L 19 AS 1350/14 B -, [...] Rn. 30 a.E.; Straßfeld, SGb 2013, 562, 566).
Dies folgt bereits aus der Entstehungsgeschichte der seit dem 01.08.2013 geltenden Fassung der Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2.
Alt. VV RVG. Nach der Begründung des Entwurfs zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz sollte durch die Ergänzung der Ziffer 3106 Satz
2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG eine Angleichung an Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG erfolgen (vgl. BT-Drucks 17/11471, S. 275 zu Nr. 29 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa). Nach der ganz herrschenden Rechtsprechung
zu dieser Vorschrift ist ein "schriftlicher Vergleich" nur ein solcher, der nach §
278 Abs.
6 ZPO oder §
106 Satz 2
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) unter konstitutiver Mitwirkung des Gerichts geschlossen wird (vgl. BGH, Beschl. v. 27.10.2005 - III ZB 42/05 -, [...] Rn. 9 und Leitsatz; Beschl. v. 10.07.2006 - II ZB 28/05 -, [...] Rn. 6 und Leitsatz 1; OVG Berlin, Beschl. v. 16.03.2009 - OVG 1 K 72.08 -, [...] Rn. 8; VG Berlin, Beschl. v. 23.06.2008
- 14 KE 227.06, 14 V 29.05 -, [...] Rn. 6). Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber diese herrschende Praxis bekannt
war und er diese in die Neufassung von § 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG übernehmen wollte.
Der Senat verkennt dabei nicht, dass vornehmlich in der Literatur gegen die herrschende Gerichtspraxis vertreten wird, auch
ein privatschriftlicher Vergleich ohne Mitwirkung des Gerichts außerhalb von §
278 Abs.
6 ZPO und §
106 Satz 2
VwGO falle unter Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG (so Schons, in: Hartung/Schons/Enders, RVG, 2. Aufl 2013, Nr. 3104 Rn. 26 f.; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2013, VV 3104 Rn. 69; LAG Hamburg, Beschl. v. 16.08.2010 - 4 Ta 16/10 -, [...] Rn. 12 a.E.). Diese Auffassung überzeugt jedoch nicht.
Die Verwendung des Terminus "Vergleich" in Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG und Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG macht deutlich, dass es um einen bereits seiner äußeren Form nach als "Vergleich" erkennbaren Prozessvergleich gehen soll.
Dies ergibt sich auch aus Ziffer 1000 VV RVG und deren Entstehungsgeschichte. In dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber bewusst das Kriterium des gegenseitigen Nachgebens
und damit eines Vergleichs im Sinne von §
779 BGB aufgegeben, um den unter der Geltung des früheren § 23 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) häufig ausgetragenen Streit darüber, welche Abrede noch und welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu werten ist,
zu vermeiden. Würde in Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG und Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG jeder außergerichtliche Vergleich eine fiktive Terminsgebühr auslösen, würde der Streit über die Frage, ob die Anforderungen
des §
779 BGB erfüllt sind, den der Gesetzgeber bei der Einigungsgebühr nach Ziffer 1000 VV RVG vermeiden wollte, bei der Terminsgebühr wieder aufflammen. Damit würde das Anliegen des Gesetzgebers konterkariert (dazu
überzeugend und ausführlich VG Berlin, a.a.O.).
Zudem zeigt das Erfordernis der "Schriftlichkeit", dass nur Vergleiche nach §
278 Abs.
6 ZPO, §
106 Satz 2
VwGO und §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG gemeint sein können. In diesen Vorschriften wird gleichfalls die "Schriftlichkeit" des Vergleichsvorschlags bzw. seiner Annahme
betont. Dies legt nahe, dass nur die in diesen Vorschriften geregelten "schriftlichen" Prozessvergleiche eine fiktive Terminsgebühr
nach Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. VV RVG und Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG auslösen können. Es wäre für die Beteiligten eines Gerichtsverfahrens zudem eine überflüssige, weil auf eine Selbstverständlichkeit
bezogene Forderung, wenn die geforderte "Schriftlichkeit" auch außergerichtlich durch Einhaltung der einfachen Schriftform
erfüllbar wäre (so auch überzeugend VG Berlin, a.a.O.).
Schließlich entspricht die Beschränkung auf Vergleiche nach §
278 Abs.
6 ZPO, §
106 Satz 2
VwGO und §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG auch dem Sinn und Zweck von Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 und Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 VV RVG. Dieser besteht nicht etwa darin, einen Anreiz dafür zu setzen, dass der Rechtsanwalt auf eine gütliche Einigung hinwirkt
(so aber unzutreffend Müller-Rabe, a.a.O.). Diesen Zweck verfolgen allein die Ziffern 1000 ff. VV RVG. Die fiktive Terminsgebühr dient in erster Linie dazu, dem Anwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung eines
Termins in den Fällen zu nehmen, in denen das Gericht von den im Prozessrecht vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen will,
den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung zu beenden (vgl. BT-Drucks. 17/11471, S. 275 zu Nummer 28 Buchstabe a, S. 276
zu Nr. 29 Buchstabe a) Doppelbuchstabe dd)). Zugleich soll der Anwalt keinen Gebührennachteil dadurch erleiden, dass durch
eine in der Hand des Gerichts liegende andere Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet wird (vgl. BGH,
Beschl. v. 25.09.2007 - VI ZB 53/06 -, [...] Rn. 6 m.w.N.). Dementsprechend setzen sowohl die Ziffer 3104 Abs. 1 Nr. 1 1. und 2. Alt. und Nr. 2 VV RVG als auch Ziffer 3106 Satz 2 Nr. 1 1. Alt. und Nr. 2 VV RVG ein Handeln des Gerichts voraus, das auf die Vermeidung einer mündlichen Verhandlung gerichtet ist, nämlich die erklärte
Absicht einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ein Verfahren nach §
495a ZPO oder eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Von daher ist es folgerichtig, die Regelungen der Ziffern 3104 Abs. 1 Nr.
1 3. Alt. VV RVG und 3106 Satz 2 Nr. 1 2. Alt. VV RVG auf die in §
278 Abs.
6 ZPO, §
106 Satz 2
VwGO und §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG geregelten Fälle des schriftlichen Prozessvergleichs zu beschränken. Nur in diesen Fällen ist die Mitwirkung des Gerichts
für die vergleichsweise Beendigung des Rechtsstreits und damit für die Entbehrlichkeit der mündlichen Verhandlung konstitutiv.
In den Fällen von §
106 Satz 2
VwGO und §
101 Abs.
1 Satz 2
SGG geht die Initiative für die vergleichsweise Beendigung sogar stets vom Gericht aus, das einen Vergleichsvorschlag in Form
eines Beschlusses unterbreitet. Der Ansatz einer fiktiven Terminsgebühr soll dem Anwalt in diesen Fällen das Interesse daran
nehmen, auf einer mündlichen Verhandlung zu bestehen, damit in dieser dann ein zu protokollierender Prozessvergleich geschlossen
werden kann. Einigen sich die Beteiligten ohne konstitutive Mitwirkung des Gerichts durch außergerichtlichen Vergleich, verzichten
sie selbst aus freien Stücken ohne entsprechende gerichtliche Veranlassung auf eine mündliche Verhandlung. In diesen Fällen
bedarf es keines gebührenrechtlichen Anreizes zur Vermeidung einer mündlichen Verhandlung, weil die Beteiligten diese ohnehin
nicht durchführen wollen. Das Bestreben, den Rechtsstreit unstreitig zu beenden, wird bereits durch den Ansatz einer Einigungsgebühr
nach Ziffern 1000 ff. VV RVG hinreichend honoriert.
5. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG).
6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).