Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Nach früheren erfolglosen Rentenverfahren beantragte die im Jahr 1971 geborene Klägerin im Juni 2015 erneut die Gewährung
einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Psychiatrie Z ein
und ließ die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet durch Prof. F begutachten. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, die Klägerin
könne mit den Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig vom Gutachter nicht beobachtbar, kombinierte Persönlichkeitsstörung
und anhaltende somatoforme Schmerzstörung noch mindestens sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig
sein. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab (Bescheid vom 18.5.2016; Widerspruchsbescheid vom 24.8.2016).
Das SG Stralsund hat nach Einholung eines Gutachtens der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie L, einschließlich eines
neuro-psychologischen Zusatzgutachtens der B (Gutachten vom 22.10.2017; ergänzende Stellungnahme vom 2.1.2018), die Klage mit Urteil vom 4.7.2018 abgewiesen. Das LSG hat auf Antrag der Klägerin ein psychiatrisches Gutachten der Ärztin
R eingeholt und ihre Berufung zurückgewiesen. Die Sachverständige hat nach ambulanter Untersuchung der Klägerin festgestellt,
die Klägerin könne mit einer 30-minütigen Pause maximal drei Stunden täglich leichte Tätigkeiten verrichten. Als Diagnosen
hat R festgehalten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotionalen-instabilen, zwanghaften, anakastischen und narzisstischen
Anteilen, eine rezidivierend depressive Störung, derzeit mittelgradige depressive Episode, sowie eine anhaltende somatoforme
Schmerzstörung, Panikstörung. Das LSG hat dazu ausgeführt, nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens, insbesondere dem Ergebnis
der Begutachtung durch die Sachverständige L, bestehe bei der Klägerin noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen unter Leistungseinschränkungen.
Das LSG hat sich insbesondere unter Berücksichtigung des im Gutachten von R - auch in Übereinstimmung mit früheren Gutachten
- beschriebenen Tagesablaufs der Klägerin von einem zeitlich eingeschränkten Leistungsvermögen nicht überzeugen können (Urteil vom 1.4.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie macht als Zulassungsgrund einen Verfahrensmangel geltend (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG).
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Der geltend gemachte
Grund für die Zulassung einer Revision wurde nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht.
Die Klägerin macht geltend, das LSG sei den Schlussfolgerungen der Gutachterin R nicht gefolgt, ohne dies näher zu begründen.
Mit ihrem Vorbringen, das Gericht habe sich "nicht annähernd dezidiert mit dem Gutachten auseinandergesetzt", und selbst die
Beklagte habe das Gutachten "für gut befunden", wendet sie sich zunächst gegen eine unzutreffende Beweiswürdigung durch das
LSG (vgl §
128 Abs
1 Satz 1
SGG). Darauf kann ein Verfahrensmangel von vornherein nicht gestützt werden (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG).
Soweit ihr Vortrag dahin gehend zu verstehen ist, dass das LSG seine Entscheidung nach §
128 Abs
1 Satz 2, §
136 Abs
1 Nr
6 SGG nicht ausreichend begründet hat, ist ein Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Das Gericht muss alle wesentlichen
Fragen abhandeln, dabei aber nicht notwendig auf alle Einzelheiten eingehen, sondern nur die Leitgedanken wiedergeben (vgl BSG Beschluss vom 17.2.2016 - B 6 KA 50/15 B - RdNr 9 mwN). Vor diesem Hintergrund lässt sich der Beschwerdebegründung weder entnehmen, dass die im Einzelfall erforderliche Beweiswürdigung
völlig fehlte noch dass einzelne Ansprüche, Angriffs- oder Verteidigungsmittel überhaupt nicht behandelt wurden (vgl im Einzelnen zu Mängeln bei der Begründung Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
136 RdNr 7e mwN). Vielmehr gibt die Klägerin selbst auf Seite 2 ihrer Beschwerdebegründung die wesentlichen Entscheidungsgründe des LSG auch
im Hinblick auf das Gutachten von R wieder.
Mit ihrer weiteren Rüge, das LSG habe keinen Hinweis erteilt, dass dem Gutachten von R nicht gefolgt werde, und es hätte zumindest
ein weiteres Gutachten nach §
106 SGG einholen müssen, hat die Klägerin einen Verfahrensmangel ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Aus ihrer Beschwerdebegründung
erschließt sich weder das Erfordernis eines solchen Hinweises (zu den Voraussetzungen einer sog Überraschungsentscheidung vgl BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 5 R 262/18 B - juris RdNr 8 mwN) noch, dass sie einen entsprechenden Beweisantrag zur Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gestellt hat (zu den Anforderungen an eine solche Rüge der Amtsermittlungspflicht vgl BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7 mwN). Im Übrigen ist ein Tatsachengericht nur ausnahmsweise zu einer weiteren Beweiserhebung verpflichtet, auch wenn bereits mehrere,
sich teilweise widersprechende Gutachten vorliegen. Es besteht kein allgemeiner Anspruch auf Überprüfung eines oder mehrerer
Sachverständigengutachten durch ein sog Obergutachten. Ausnahmen davon sind hier ebenfalls nicht dargelegt (vgl dazu BSG Beschluss vom 27.4.2021 - B 13 R 125/20 B - juris RdNr 7 mwN).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.