Gewährung einer höheren Regelaltersrente
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Regelaltersrente.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger auf seinen im November 2012 gestellten Antrag ab dem 1.1.2013 eine Regelaltersrente (Bescheid vom 18.12.2012). Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, wegen fehlender Versicherungspflicht dürften Beiträge zur Krankenund
Pflegeversicherung nicht in Abzug gebracht werden. Auch seien Beitragszeiten für eine Dozententätigkeit an der Kreisberufsschule
(F-Schule) in M ab Juni 1976 noch nicht berücksichtigt. Die für die Jahre 1977 bis 1979 gespeicherten Bruttoentgelte seien
unzutreffend. Mit Bescheid vom 26.3.2013 setzte die Beklagte aufgrund eines zwischenzeitlich beantragten Zuschusses zur freiwilligen
Kranken- und Pflegeversicherung einen neuen Auszahlungsbetrag fest. Mit Widerspruchsbescheid vom 31.7.2013 wies die Beklagte
den Widerspruch im Übrigen zurück. Eine Beitragszahlung für die Tätigkeit an der Kreisberufsschule sei weder nachgewiesen
noch glaubhaft gemacht. Die Höhe der Bruttoarbeitsentgelte für die Jahre 1977 bis 1979 sei korrekt erfasst. Die Einzugsstelle
habe die Arbeitsverdienste nachträglich korrigiert.
Im Klageverfahren vor dem SG Hannover hat die Beklagte den Zeitraum 1.9.1976 bis 31.12.1976 als Pflichtbeitragszeit anerkannt
(Schreiben vom 18.12.2013) und mitgeteilt, die Monate August 1976 sowie Januar bis November 1977 seien bereits im Versicherungskonto berücksichtigt
(Schreiben vom 15.8.2014). Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.4.2018). Einen Antrag des Klägers auf Tatbestandsberichtigung hat das SG abgelehnt (Beschluss vom 15.6.2018). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Die Rentenberechnung sei korrekt erfolgt. Der Kläger habe weitere Pflichtbeitragszeiten
als Dozent (1.2. bis 31.7.1976 und 1.1. bis 31.7.1978) und höhere Bruttoarbeitsentgelte als Rechtsanwalt in den Jahren 1977
bis 1979 nicht glaubhaft gemacht. Niedrigere Bruttoarbeitsentgelte seien mit Vormerkungsbescheid vom 4.6.1991 bindend festgestellt.
Wäre dies vom Kläger als unzutreffend angesehen worden, wäre die Einlegung eines Rechtsbehelfs zu erwarten gewesen (Urteil vom 11.3.2021).
Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er macht als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler geltend (§
160 Abs
2 Nr
1 und
3 SGG). Dazu rügt er "Verstöße gegen §§
103 SGG (Untersuchungsmaxime), 106
SGG (Aufklärungspflicht des Vorsitzenden), 157
SGG (Umfang der Prüfung, neue Tatsachen und Beweismittel) sowie Artikel
3,
103 GG".
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist. Die geltend gemachten
Gründe für die Zulassung einer Revision wurden nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
1. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist in der Beschwerdebegründung nicht formgerecht dargelegt. Eine Rechtssache
hat nur dann iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§
162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung des Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen
Bedeutung muss der Beschwerdeführer daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre
(konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm
angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Daran fehlt es hier.
Der Kläger formuliert als Fragen von grundsätzlicher Bedeutung:
"wenn unterschiedliche Versicherungsverläufe von der Beklagten dargestellt werden, ob es dann zulässig ist, nur den Versicherungsverlauf
zugrunde zu legen, der für den Rentenempfänger nachteilig ist",
"ob es zulässig ist, dass die Einzugsstelle ohne Beteiligung des Rentenempfängers Stornierungen und nachfolgend Korrekturmeldungen
vornimmt, und zwar in einem nicht vorgesehenen rechtswidrigen Verfahren und im Rahmen eigener angenommener Kompetenz ohne
Ermächtigungsgrundlage",
"ob ein Rentenempfänger ohne rechtsstaatliche Beteiligung dem Verfahren der Einzugsstelle rechtsmittellos ausgesetzt ist."
Der Kläger formuliert damit schon keine aus sich heraus verständlichen abstrakt-generellen Rechtsfragen zur Auslegung, zum
Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht. Die Bezeichnung einer solchen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht an ihr
die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (vgl dazu BSG Beschluss vom 22.4.2020 - B 5 R 266/19 B - juris RdNr 5 mwN). Die suggestiv formulierten Fragen des Klägers lassen die rechtlichen Anknüpfungspunkte in keiner Weise erkennen.
Darüber hinaus stellen sich nach Auffassung des Klägers folgende weitere Fragen: "Welche Rechtsqualität haben Vormerkungsbescheide?
Müssen sie als solche gekennzeichnet werden? Welche formalen Anforderungen sind an sie zu stellen? Wie kann ihre Bestandskraft
angegriffen werden? Wenn mehrere Vormerkungsbescheide (Versicherungsverläufe) mit gebuchten Pflichtbeiträgen vorliegen - bedarf
es dann überhaupt noch einer Glaubhaftmachung? Besteht bei divergierenden Vormerkungsbescheiden (Versicherungsverläufen) eine
besondere Hinweispflicht?" Nach §
149 Abs
5 SGB VI stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf enthaltenen und
nicht bereits geklärten Daten durch Bescheid fest. Zur verbindlichen Feststellung von rentenversicherungsrechtlich bedeutsamen
Tatbeständen in einem solchen Vormerkungsverfahren existiert bereits eine umfangreiche Rechtsprechung (vgl grundlegend BSG Urteil vom 16.12.1997 - 4 RA 67/97 - SozR 3-2600 § 58 Nr 13 S 70 f und zum Umfang zulässiger Feststellungen zuletzt BSG Urteil vom 21.3.2018 - B 13 R 19/14 R - SozR 4-2600 § 149 Nr 5 RdNr 15 f). Dazu enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Ausführungen. Sie genügt daher schon nicht ansatzweise den Anforderungen
des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG.
2. Verfahrensfehler hat der Kläger ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet,
dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung hierzu jeweils
folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen
Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen
als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände,
die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme
und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen
kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt
aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl dazu im Einzelnen ua BSG Beschluss vom 3.4.2020 - B 9 SB 71/19 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 20.1.2021 - B 5 R 248/20 B - juris RdNr 7). Der Kläger hat schon keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag wiedergegeben, den er bis zum Schluss des Berufungsverfahrens
aufrechterhalten hat. Allein der Hinweis auf einen bereits in der Klageschrift vom 14.8.2013 gestellten Beweisantrag genügt
dafür nicht.
Auch ein Verfahrensmangel in Form einer sog Überraschungsentscheidung wird nicht hinreichend bezeichnet. Der Kläger trägt
dazu vor, das LSG habe entschieden, er habe die beitragspflichtigen Bruttoarbeitsentgelte für die Jahre 1977 bis 1979 nicht
glaubhaft gemacht. Darauf hätte das LSG zuvor hinweisen müssen, zumal es in seinen Entscheidungsgründen ausdrücklich auf die
(nicht wahrgenommene) Möglichkeit der Vorlage von (Jahres-)Entgeltabrechnungen aus seiner Tätigkeit als angestellter Anwalt
hingewiesen habe. Eine Überraschungsentscheidung ist jedoch nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine
andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten
rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende
gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung
der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (vgl BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 5 R 262/18 B - juris RdNr 8 mwN).
Die Beschwerdebegründung lässt nicht erkennen, aus welchen Gründen das LSG dem rechtskundigen Kläger Hinweise zur Notwendigkeit
weiterer Glaubhaftmachung von Beitragszahlungen hätte erteilen müssen. Soweit der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde
die Beitragszahlung "weiter glaubhaft" macht und erstmals im Verfahren eine Rentenauskunft der Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte vom 3.2.1984 sowie einen Ausdruck der Beklagten ("Fiktives Konto") vom 16.5.2013 vorlegt, kann auf eine vermeintliche
Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung die Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 67 und Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - B 5 RS 10/18 B - juris RdNr 11). Dies gilt auch hinsichtlich seines weiteren Vortrags, es bestünde Vertrauensschutz und eine Stornierung und nachfolgende
Korrektur von Beitragszahlungen hätten ohne seine Beteiligung nicht erfolgen dürfen.
Soweit der Kläger als Verfahrensfehler eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG) rügt, hat er diesen ebenfalls nicht hinreichend bezeichnet. Hierzu hätte er ausführen müssen, welchen erheblichen Vortrag
das Gericht bei seiner Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen hat bzw welches Vorbringen des Rechtsuchenden verhindert worden
ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruhen kann (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 27.1.2020 - B 5 RE 3/19 B - juris RdNr 14). Auch dies ist nicht geschehen.
Darüber hinaus trägt der Kläger vor, ein "weiterer Verfahrensfehler und gleichzeitig eine Grundrechtsverletzung" liege darin,
dass ihm durch das LSG als Rechtsanwalt "eine gesteigerte Verantwortung zugewiesen" worden sei. Er werde dadurch diskriminiert,
dass das LSG im Falle der Unrichtigkeit des Vormerkungsbescheides vom 4.6.1991 von ihm die Einlegung eines Rechtsbehelfs erwartet
habe. Damit greift er die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das LSG an. Eine solche Rüge ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
jedoch ausgeschlossen.
Leitet eine Beschwerde einen Revisionszulassungsgrund aus einer Verletzung von Normen des
GG ab, darf sie sich auch nicht auf die bloße Benennung angeblich verletzter Rechtsgrundsätze beschränken, sondern muss unter
Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zu den (konkret) gerügten Verfassungsnormen bzw -prinzipien in substanzieller Argumentation darlegen, welche gesetzlichen
Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergeben soll (stRspr, zB bereits BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11 S 14; aus jüngerer Zeit BSG Beschluss vom 11.2.2020 - B 10 EG 14/19 B - juris RdNr 11 mwN). Auch dies ist nicht geschehen. Der Kläger behauptet lediglich einen Verstoß gegen Art
3 Abs
1 GG, ohne sich mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum allgemeinen Gleichheitssatz zu befassen.
Schließlich zeigt der Kläger mit seiner lediglich einen Satz umfassenden Rüge einer überlangen Verfahrensdauer nicht auf,
inwiefern die von ihm angefochtene Entscheidung des LSG iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG hierauf beruhen kann. Sofern damit eine Entschädigungsklage vorbereitet werden soll (vgl §
198 Abs
3 GVG), ist das für die Frage der Revisionszulassung ohne Bedeutung.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.