Rente wegen Erwerbsminderung
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Klägerin begehrt noch Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.5. bis zum 30.11.2012 und die Zeit ab dem 1.11.2014.
Ihr im Mai 2012 gestellter Antrag wurde zunächst abgelehnt, weil sie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen
nicht erfülle (Bescheid vom 1.2.2013, Widerspruchsbescheid vom 10.10.2013). Aus diesem Grund hat auch das SG mit Urteil vom 16.6.2016 die Klage abgewiesen. Nachdem das beigeladene Jobcenter den Bezug von Arbeitslosengeld II vom 21.8.2008
bis zum 6.5.2012 mitgeteilt hatte, bewilligte die Beklagte Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1.12.2012
bis zum 31.10.2014 (Bescheid vom 21.11.2019, Widerspruchsbescheid vom 12.2.2021). Das LSG hat ärztliche Berichte beigezogen und im Oktober 2020 den Facharzt für Neurologie S1 mit der Erstellung eines Gutachtens
beauftragt. Die Beweisanordnung hat das LSG mit Beschluss vom 11.10.2021 aufgehoben, nachdem die Klägerin zwei Untersuchungstermine
nicht wahrgenommen hatte. Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach §
124 Abs
2 SGG zugestimmt. Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 19.11.2021 zurückgewiesen. Hinsichtlich der Zeit vor Beginn
der befristet bewilligten Rente hat sich das LSG vor allem auf ein für die Beklagte nach ambulanter Untersuchung der Klägerin
am 10.10.2012 erstelltes neurologisch-psychiatrisches Gutachten gestützt. Für die Zeit ab dem 1.11.2014 ergäben sich aus den
im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen keine Erkenntnisse, die auf ein eingeschränktes Leistungsvermögen hindeuten könnten,
zumal die Klägerin sich wegen der Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Gebiet, die Grundlage der Feststellung der Erwerbsminderung
gewesen seien, in keiner Behandlung befunden habe. Bei dieser Sachlage sei eine weitere Aufklärung von Amts wegen nicht angezeigt.
Die Klägerin hat mit einem am 21.12.2021 beim BSG eingegangenen Schreiben ohne nähere Konkretisierung Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt und eine Erklärung über ihre persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse (Erklärung) vorgelegt. Auf Nachfrage hat sie am 4.1.2022 angegeben, von welchem LSG und
unter welchem Aktenzeichen die Entscheidung ergangen ist, die sie angreifen möchte.
II
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.
1) Es ist bereits zweifelhaft, ob der Antrag auf PKH sowie die Erklärung in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form
(§
73a Abs
1 Satz 1
SGG, §
117 Abs
2 und
4 ZPO) bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht worden sind (vgl zu diesen Voraussetzungen BSG Beschluss vom 11.1.2018 - B 9 SB 87/17 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 13.1.2021 - B 5 R 16/20 BH - juris RdNr 3). Voraussetzung für die Bewilligung von PKH ist nach der Rechtsprechung des BSG und der anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass sowohl der (grundsätzlich formlose) Antrag auf PKH als auch die Erklärung
in der für diese gesetzlich vorgeschriebenen Form, dh auf dem durch die Prozesskostenhilfeformularverordnung eingeführten
Vordruck, bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden (BSG Beschluss vom 11.1.2018 - B 9 SB 87/17 B - juris RdNr 3; BSG Beschluss vom 6.11.2017 - B 10 EG 2/17 BH - juris RdNr 2, jeweils mwN). Da das Urteil des LSG der Klägerin am 26.11.2021 zugestellt worden ist, endete die einmonatige Beschwerdefrist (§
160a Abs
1 Satz 2, §
64 Abs
2 und
3 SGG) am 27.12.2021. Die Klägerin hat zwar innerhalb der Frist einen Antrag auf PKH gestellt. Sie hat diesen nicht näher bezeichneten
Antrag aber erst am 4.1.2022 konkretisiert, indem sie mitgeteilt hat, gegen welche Entscheidung sie sich wenden möchte. Zuvor
konnte ihr Antrag keinem Verfahren zugeordnet werden. Auch hat die Klägerin zwar fristgerecht die Erklärung vorgelegt, das
vorgelegte Formular indes nur in den Abschnitten A bis C ausgefüllt. Zu den Abschnitten E bis J hat sie keinerlei Angaben
gemacht, sodass eine substantielle Prüfung der Frage, ob sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht
in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aufzubringen, nicht möglich ist. Die Vorlage eines Bescheides, aus dem sich
der Bezug von Leistungen nach dem SGB II ergibt, ist insbesondere im Hinblick auf mögliches Vermögen nicht ausreichend (vgl BSG Beschluss vom 21.11.2019 - B 5 R 231/19 B - juris RdNr 4, s auch den - fett gedruckten - Ausfüllhinweis vor Abschnitt E des PKH-Formulars, der sich nur auf Leistungen
zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII <Sozialhilfe> bezieht).
2) Ungeachtet dessen fehlt es für die Bewilligung von PKH an der erforderlichen Erfolgsaussicht. Einem Beteiligten kann für
das Verfahren vor dem BSG nach §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
Nach Prüfung des Streitstoffs anhand der beigezogenen Gerichtsakten und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin
ist nicht zu erkennen, dass sie mit Hilfe eines Prozessbevollmächtigten eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich begründen
könnte.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
a) Dass sich hier Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG stellen, ist nicht ersichtlich. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie
eine Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer bestimmten Rechtsvorschrift mit höherrangigem
Recht aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig
sein. Die Voraussetzungen, unter denen eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist, ergeben sich unmittelbar aus §
43 SGB VI. Die Anwendung dieser Voraussetzungen ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22). Dass sich im Fall der Klägerin eine in diesem Zusammenhang noch nicht geklärte Grundsatzfrage stellen könnte, ist nicht
erkennbar.
b) Es ist auch nicht ersichtlich, dass das LSG einen abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem solchen des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (Zulassungsgrund der Divergenz, §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
c) Ebenso wenig ist ein Verfahrensmangel festzustellen, der gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte. Nach Halbsatz 2 dieser Bestimmung kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht
auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Hierzu ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG darzulegen, dass ein anwaltlich vertretener Beteiligter einen Beweisantrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt
und noch zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl etwa BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN; BSG Beschluss vom 21.2.2018 - B 13 R 28/17 R, B 13 R 285/17 B - juris RdNr 14 mwN). Bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt
der Zustimmung zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §
124 Abs
2 SGG (vgl etwa BSG Beschluss vom 13.8.2018 - B 13 R 397/16 B - juris RdNr 15). Zwar sind an Form, Inhalt, Formulierung und Präzisierung eines Beweisantrags verminderte Anforderungen zu stellen, wenn
ein Beteiligter - wie die Klägerin - in der Berufungsinstanz durch keinen rechtskundigen Prozessbevollmächtigten vertreten
gewesen ist (vgl zB BSG Beschluss vom 8.6.2021 - B 13 R 160/20 B - juris RdNr 10 mwN). Auch ein unvertretener Kläger muss aber dem Gericht deutlich machen, dass er noch Aufklärungsbedarf sieht (vgl BSG Beschluss vom 8.6.2021 - B 13 R 160/20 B - juris RdNr 10 mwN). Dabei genügt es, dass dem Vorbringen Anhaltspunkte zu entnehmen sind, dass der Kläger eine weitere Aufklärung für erforderlich
gehalten hat (BSG Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 17/15 B - juris RdNr 5). Dies ließe sich hier nicht anforderungsgerecht darlegen.
Selbst wenn man in den wiederholten Hinweisen der Klägerin, dass auch nach Auffassung des von der Beklagten gehörten Sachverständigen
S2 eine weitere Begutachtung für die Zeit nach 2014 erfolgen solle, einen möglicherweise zum Ausdruck kommenden Beweisantrag
sehen wollte, ließe sich nicht darlegen, dass sie diesen aufrechterhalten habe. Nachdem das LSG bereits mit Schreiben vom
21.9.2021 angekündigt hatte, auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen zu entscheiden, wenn die Klägerin nicht zum Untersuchungstermin
bei dem Sachverständigen erscheine, hat es spätestens durch die Ladung zum Termin am 19.11.2021 und die gleichzeitige Anfrage,
ob einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt werde, eindeutig zu erkennen gegeben, dass es keine weiteren Ermittlungen
mehr durchführen werde. Mit Schreiben vom 1.11.2021 hat die Klägerin einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt,
ohne auch nur ansatzweise zu verdeutlichen, dass sie weitere Ermittlungen für erforderlich hält. Auch in ihrem Schreiben vom
4.10.2021, mit dem sie ua auf das gerichtliche Schreiben vom 21.9.2021 reagiert hat, findet sich kein greifbarer Anhaltspunkt
dafür, dass sie eine weitere Begutachtung von Amts wegen beantragen wollte (anders etwa in dem BSG-Beschluss vom 23.6.2015 - B 1 KR 17/15 B - juris RdNr 1, 5, wo die "hilfsweise Begutachtung nach Aktenlage" beantragt worden ist). Ist somit nicht ersichtlich, dass eine Verletzung von §
103 SGG erfolgreich gerügt werden könnte, muss offenbleiben, wie die Entscheidung des LSG in der Sache zu beurteilen ist.
Da der Klägerin keine PKH zusteht, entfällt damit zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der
PKH (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).