Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten bei der Berechnung einer Altersrente für Frauen
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Fall einer Auslandserziehung
Gründe
I
Die im Jahr 1949 geborene Klägerin begehrt die Berücksichtigung weiterer Kindererziehungszeiten bei der Berechnung ihrer ab
Oktober 2010 bewilligten Altersrente für Frauen (Bescheid vom 13.9.2010). Sie wurde in den Niederlanden geboren und zog im September 1979 nach Deutschland um, wo sie im Dezember 1986 die deutsche
Staatsbürgerschaft erwarb. Ihr Ehemann, mit dem sie seit dem 30.11.1972 verheiratet ist, leistete vom 1.7.1970 bis zum 30.9.1974
Wehrdienst bei der Bundeswehr. Er war ab dem 24.6.1972 in den Niederlanden stationiert und wurde nach seinem Ausscheiden aus
der Bundeswehr für die Wehrdienstzeit in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung nachversichert. Der Sohn der Klägerin
und ihres Ehemannes wurde im Januar 1974 in Belgien geboren. Die Familie lebte von Oktober 1974 bis zum Umzug nach Deutschland
im September 1979 in den Niederlanden; in dieser Zeit studierte der Ehemann der Klägerin in A und absolvierte zeitweise Wehrübungen.
Im Februar 1976 kam eine Tochter zur Welt. Die Klägerin nahm im Jahr 1986 an Lehrgängen für Schwesternhelferinnen bzw für
Hausund Familienpflege teil und durchlief von 1993 bis 1995 eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Ab Januar 1989 sind in ihrem
Versicherungskonto Pflichtbeitragszeiten gespeichert.
Der beklagte Rentenversicherungsträger berücksichtigte bei der Berechnung der Altersrente der Klägerin für ihren Sohn eine
Kindererziehungszeit für die ersten zwölf Kalendermonate sowie Berücksichtigungszeiten und ab 1.7.2014 (Bescheid vom 19.9.2014) einen Zuschlag für Kindererziehung. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 6.10.2014, mit dem sie die fehlende Anerkennung
einer Kindererziehungszeit für ihre Tochter beanstandete, lehnte die Beklagte eine Korrektur der Bescheide vom 13.9.2010 und
vom 19.9.2014 ab (Bescheid vom 25.2.2015; Widerspruchsbescheid vom 26.5.2015). Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG Lübeck vom 6.2.2018 und des LSG vom 13.12.2021). Das LSG hat ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Änderung der Rentenbescheide vom 13.9.2010 und vom 19.9.2014 nach §
44 SGB X lägen nicht vor. Die Klägerin habe während der Erziehung der Tochter im ersten Lebensjahr ihren gewöhnlichen Aufenthalt in
den Niederlanden gehabt. Die Umstände, unter denen nach §
56 Abs
3 Satz 2 oder 3
SGB VI ausnahmsweise eine Erziehung außerhalb Deutschlands berücksichtigt werden könne, seien nicht erfüllt. Zwar habe der Ehemann
nach der Geburt der Tochter im Jahr 1976 für mehrere Wochen Wehrübungen absolviert. Allein die Ausübung einer grundsätzlich
versicherungspflichtigen Beschäftigung sei aber nicht ausreichend; eine tatsächliche Beitragsentrichtung für diese Zeiten
habe die Klägerin nicht nachgewiesen. Auch nach Europarecht komme eine Gleichstellung der in den Niederlanden erfolgten Kindererziehung
nicht in Betracht, zumal die Klägerin vor der Geburt ihrer Tochter in Deutschland nicht beschäftigt gewesen sei und auch keine
Beiträge zur Rentenversicherung gezahlt habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung ihrer Rechtssache geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Die
Klägerin hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Revisionszulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG erforderlichen Weise dargelegt. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage zu revisiblem Recht (§
162 SGG) aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch
das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung dieses Revisionszulassungsgrundes (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG) muss die Beschwerdeführerin daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete)
Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten
Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN; BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 RS 10/21 B - juris RdNr 5). Diesen Anforderungen wird die für die Klägerin vorgelegte Beschwerdebegründung nicht gerecht.
1. Sie bezeichnet zunächst als grundsätzlich bedeutsam "die erweiternde rechtliche Auslegung der Regelung des §
56 III 2
SGB VI auf Kindererziehungszeiten im Ausland, ohne dass Pflichtbeitragszeiten notwendig(en) seien".
Dabei handelt es sich bereits um keine aus sich heraus verständliche Rechtsfrage zur Auslegung eines der in §
56 Abs
3 Satz 2
SGB VI genannten Tatbestandsmerkmale. Der wiedergegebenen Formulierung kann lediglich entnommen werden, dass die Klägerin der Ansicht
ist, die Erziehung eines Kindes im Ausland müsse auch dann der Erziehung im Inland gleichgestellt werden, wenn der erziehende
Elternteil während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes keine Pflichtbeitragszeiten in der deutschen gesetzlichen
Rentenversicherung hat. Dazu führt sie aus, die Anwendung des §
56 Abs
3 SGB VI durch die Beklagte und das LSG habe zur Folge, dass Kindererziehungszeiten, die während ihres nur vorübergehenden Auslandsaufenthalts
angefallen seien, unberücksichtigt blieben, obwohl sie sich nicht vom deutschen Sozialversicherungssystem gelöst habe. Kindererziehungszeiten
seien jedoch Pflichtbeitragszeiten, die sich direkt auf die Rentenhöhe auswirkten. Eine in Deutschland lebende Person werde
durch sie in etwa so gestellt, als hätte sie Beiträge aufgrund des Durchschnittsverdienstes aller Versicherten gezahlt, obwohl
eine tatsächliche Beitragszahlung nicht erfolge. Dieser Situation entspreche der Umstand, dass sie - die Klägerin - sich bei
der Geburt ihrer Tochter im Ausland aufgehalten habe. Die in §
56 Abs
3 Satz 2
SGB VI geforderte "tatsächliche Beitragszahlungspflicht" für im Ausland befindliche Personen stehe deshalb im Widerspruch zur gesetzlichen
Annahme einer Beitragsfiktion.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit diesem Vortrag nachvollziehbar erläutert, aus welchen Gründen sie die Entscheidung
des LSG für falsch hält ("Die Zurückweisung der Klage durch das LSG erfolgte zu Unrecht."). Aus ihren Darlegungen geht jedenfalls nicht hervor, nach welchen allgemein anerkannten Grundsätzen der juristischen Methodik
eine "erweiternde rechtliche Auslegung" des §
56 Abs
3 Satz 2
SGB VI dahingehend, dass das dort enthaltene Tatbestandsmerkmal "und während der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes
wegen einer dort ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten hat" im Fall einer Auslandserziehung
keine Rolle spielt, überhaupt in Betracht kommen könnte. Damit ist nicht erkennbar, dass sich eine Rechtsfrage dieses Inhalts
ernsthaft stellen könnte. Das gilt umso mehr, als nach dem von ihr ausdrücklich in Bezug genommenen Tatbestand des LSG-Urteils
die Klägerin sich bei der Geburt ihrer Tochter im Jahr 1976 nicht lediglich vorübergehend in den Niederlanden aufhielt, sondern
seit ihrer eigenen Geburt dort lebte und erst im Jahr 1979 nach Deutschland umzog. Ungeachtet dessen fehlt es an jeglichen
Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit der benannten Frage im Lichte der bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung
zu §
56 Abs
3 SGB VI (s dazu die Nachweise im Urteil des Senats vom 21.10.2021 - B 5 R 28/21 R - juris RdNr 18 ff, 22 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2600 § 56 Nr 11 vorgesehen).
2. Die Klägerin führt des Weiteren an, der EuGH habe im Urteil vom 19.7.2012 (C-522/10 <Reichel-Albert> - NZS 2012, 935) die ihrer Ansicht nach in §
56 Abs
3 SGB VI für eine Berücksichtigung von Auslandserziehungszeiten geforderte "sogenannte Klammerwirkung einer vorher und nach Versicherung"
im Grundsatz bestätigt, jedoch eine Auslegung im Sinne des Art 21 AEUV (Freizügigkeit der Unionsbürger) verlangt. Das System der nationalen Pflichtversicherungszeiten sei aber für sie, die "zum
Zeitpunkt der Kindererziehungszeiten noch niederländische Staatsbürgerin war, nachteilig und damit als europarechtlich zweifelhaft
zu bewerten". Auch hieraus ergibt sich nicht, dass sich die Frage der Vereinbarkeit der Regelung in §
56 Abs
3 Satz 2 und
3 SGB VI mit Europarecht im Fall der Klägerin ernsthaft stellen könnte. Nach den tatsächlichen Feststellungen im LSG-Urteil, auf die
die Klägerin Bezug nimmt, hatte sie zum Zeitpunkt der Geburt und Erziehung ihrer Tochter in den ersten Lebensjahren selbst
noch nicht von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht. Vielmehr ist sie erst im Jahr 1979 aus ihrem Heimatland Niederlande
nach Deutschland übergesiedelt und hat hier erstmals im Jahr 1989 Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Weshalb
es "europarechtlich zweifelhaft" sein soll, wenn in dieser Konstellation die Kindererziehungszeit für die Tochter gegebenenfalls
nur bei der von ihr seit November 2014 bezogenen niederländischen Rente Berücksichtigung findet, hat die Klägerin nicht in
nachvollziehbarer Weise mit juristischen Argumenten zu erläutern vermocht. Mit den Ausführungen im LSG-Urteil zu der einschlägigen
europarechtlichen Bestimmung in Art 44 EGV 987/2009 sowie dazu, dass die Rechtsprechung des EuGH zu Kindererziehungszeiten kein anderes Ergebnis gebiete, befasst sie
sich in ihrer Beschwerdebegründung nicht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.