Anspruch auf Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für stationäre Liposuktionen
Anforderungen an eine Versorgung mit Potentialleistungen im Rahmen eines individuellen Heilversuchs nach Erlass einer Erprobungsrichtlinie
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für vier stationäre Liposuktionen (Fettabsaugungen) zur Behandlung
des Lipödems der Klägerin.
Die bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherte, 1976 geborene Klägerin beantragte am 6.4.2018 befundgestützt (W B, 21.2.2018:
Lipödem Typ IV, Stadium II) die Versorgung mit vier stationären Liposuktionen der Beine und Oberarme. Die Beklagte lehnte
den Antrag nach negativer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ab (Bescheid vom 24.4.2018;
Widerspruchsbescheid vom 26.9.2018). Während des Widerspruchsverfahrens erfolgte die erste stationäre Liposuktion (W B vom
20.8. bis 23.8.2018; Kosten: 3017 Euro), während des Klageverfahrens die zweite und die dritte (W B vom 3.12. bis 6.12.2018,
vom 1.4. bis 4.4.2019; Kosten: 3017 Euro und 3600 Euro). Das SG hat die auf Kostenerstattung und zukünftige Kostenübernahme gerichtete Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 8.7.2019).
Während des Berufungsverfahrens erfolgte die vierte stationäre Liposuktion (W B vom 12.8. bis 15.8.2019; Kosten: 3858 Euro).
Die Klägerin hat ua vorgetragen, sie leide unter einem Lipödem im Stadium III. Das LSG hat unter Bezugnahme auf Urteile des
erkennenden Senats vom 24.4.2018 (B 1 KR 13/16 R und B 1 KR 10/17 R) die Berufung der Klägerin, mit der sie zuletzt die Erstattung von 13 492 Euro begehrt hatte, zurückgewiesen. Die Klägerin
habe keinen Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V. Stationäre Liposuktionen gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); sie erfüllten das
Qualitätsgebot des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V nicht. §
137c Abs
3 SGB V senke das Qualitätsgebot nicht ab. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem am 7.12.2019 ohne Rückwirkung in Kraft getretenen
Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 19.9.2019 zur "Liposuktion bei Lipödem im Stadium III" (Urteil vom 19.12.2019).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des §
137c Abs
3 Satz 1
SGB V, aus dem sich ihr Anspruch auf Versorgung mit stationären Liposuktionen ergeben habe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Dezember 2019 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier
vom 8. Juli 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September
2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 13 492 Euro zuzüglich Zinsen jeweils in Höhe von 4 vH auf 3017
Euro ab 6. September 2018, auf 3017 Euro ab dem 20. Dezember 2018, auf 3600 Euro ab dem 18. April 2019 und auf 3858 Euro ab
dem 29. August 2019 zu zahlen,
hilfsweise
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Dezember 2019 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung
und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG). Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihr
selbst bezahlten stationären Liposuktionsbehandlungen zusteht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kann nur §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V sein. Voraussetzung dafür ist, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung Anspruch auf die Liposuktionsbehandlungen
als Naturalleistungen nach §
39 Abs
1 SGB V hatte (stRspr; vgl zB BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 18/19 R - BSGE 129, 290 = SozR 4-2500 § 138 Nr 3, RdNr 8 mwN). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses
alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im
Krankenhaus notwendig sind (§
39 Abs
1 Satz 3
SGB V). Ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit einer Liposuktion ist hier einerseits nicht durch einen Beschluss
des GBA von vornherein aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen (dazu 1.), andererseits kann der Anspruch auch nicht unmittelbar
auf Richtlinien (RL) des GBA gestützt werden (dazu 2. und 3.). Die Voraussetzungen des §
2 Abs
1a SGB V hat das LSG durch Inbezugnahme der Gründe des Gerichtsbescheides zutreffend verneint; insoweit verzichtet der Senat auf weitere
Ausführungen. Ein danach verbleibender Naturalleistungsanspruch setzt voraus, dass die Liposuktionen dem maßgeblichen Qualitätsgebot
entsprachen, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich war (§
39 Abs
1 Satz 2
SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§
12 Abs
1 SGB V) erbracht wurden. Die Liposuktionen erfüllten im Behandlungszeitraum nicht die allgemeinen Qualitätsanforderungen des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V (dazu 4.). §
137c Abs
3 SGB V, der am 23.7.2015 in Kraft getreten und auf das Leistungsgeschehen von Mitte 2018 bis Mitte 2019 zeitlich anwendbar ist,
hat jedoch das allgemeine Qualitätsgebot partiell eingeschränkt (Art 1 Nr 64 Buchst b, Art 20 Abs 1 des Gesetzes zur Stärkung
der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG] vom 16.7.2015, BGBl I 1211).
Ob dessen Voraussetzungen hier vorlagen, kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden
(dazu 5.).
1. Die Liposuktion als Behandlungsmethode war während der stationären Behandlungen der Klägerin nicht durch einen Beschluss
des GBA vom GKV-Leistungskatalog ausgenommen (§
137c Abs
1 Satz 2
SGB V). Der GBA hat das entsprechende Methodenbewertungsverfahren nur ausgesetzt und ein Erprobungsverfahren auf der Grundlage
der Erprobungs-Richtlinie (Erp-RL) Liposuktion veranlasst (Beschluss vom 20.7.2017 zum auf Antrag der Patientenvertretung
[§ 140f SGB V] vom 20.3.2014 mit Beschluss vom 22.5.2014 eingeleiteten Methoden-Bewertungsverfahren zur Liposuktion bei Lipödem
unter Änderung der RL zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus [Abschnitt B Nr 3.1 der Anlage II der RL Methoden
Krankenhausbehandlung mit Wirkung vom 18.10.2017, BAnz AT 17.10.2017 B3]; mit demselben Beschluss vom 20.7.2017 Einleitung
des Beratungsverfahrens zur RL zur Erprobung gemäß §
137e SGB V der Liposuktion bei Lipödem; Beschluss vom 18.1.2018 über eine RL zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem mit Wirkung
vom 10.4.2018 [Erp-RL Liposuktion; BAnz AT 9.4.2018 B1]). Der GBA hat rechtsfehlerfrei den Potentialbegriff bestimmt und im
Falle der Liposuktion zutreffend angewandt (zur gerichtlichen Kontrolldichte von RL des GBA vgl BSG vom 18.12.2018 - B 1 KR 11/18 R - BSGE 127, 188 = SozR 4-2500 § 137e Nr 2, RdNr 14 ff). Die Erp-RL Liposuktion sieht in § 1 Satz 2 vor, dass die Studie durch eine unabhängige
wissenschaftliche Institution nach Maßgabe der Erp-RL Liposuktion entworfen, durchgeführt und ausgewertet wird. Beginn der
vom Zentrum für Klinische Studien (ZKS) der Universität zu Köln gemeinsam mit der Hautklinik des Klinikums Darmstadt betreuten
Studie war der 15.12.2020 (vgl den Nachweis bei Good Clinical Practice Network, Bewertung zwischen der chirurgischen Therapie
des Lipödems und der komplexen physikalischen Entstauungstherapie allein, https://ichgcp.net/de/clinical-trials-registry/NCT04272827;
siehe auch https://www.g-ba.de/studien/erprobung/lipleg-studie/). Interessentinnen konnten bis 31.12.2019 ihren Teilnahmewunsch
anmelden (https://www.erprobung-liposuktion.de/). Die Studie ist noch nicht abgeschlossen. Das Datum für den primären Abschluss
soll der 1.9.2024 und das Datum für die Fertigstellung der 1.9.2025 sein (vgl den Nachweis bei Good Clinical Practice Network,
aaO).
2. Soweit sich aus der Erp-RL Liposuktion im Rahmen des Auswahlverfahrens zunächst ein Anspruch der Klägerin auf ermessensfehlerfreie
Entscheidung über ihre Teilnahme am Erprobungsverfahren ergeben hat (vgl BSG vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R - BSGE 125, 262 = SozR 4-2500 § 137e Nr 1, RdNr 27 ff), eröffnet dies der Klägerin keinen Kostenerstattungsanspruch.
Ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V erfordert im Falle von Ermessensleistungen, dass der Versicherte aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch
auf Verschaffung der beantragten Leistung hatte. Ein solcher Anspruch ist hier ausgeschlossen, weil das Auswahlverfahren vorsah,
dass über die Teilnahme der Versicherten, die die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten, durch ein Losverfahren zu entscheiden
war, um die rund 450 Teilnehmerinnen der Studie zu bestimmen (vgl GKV-Spitzenverband, https://www.erprobung-liposuktion.de/pages/faq.html).
Das Losverfahren als Entscheidungsmodus begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, wenn es ordnungsgemäß durchgeführt
wird (vgl BVerwG 4.10.2005 - 6 B 63.05 - GewArch 2006, 81 = juris RdNr 5). Gegenteilige Feststellungen hat das LSG nicht getroffen und sind auch nicht ersichtlich. Eine dahingehende
Verfahrensrüge (§
164 Abs
2 Satz 3
SGG) hat die Klägerin nicht erhoben.
Hinsichtlich der Liposuktionen an beiden Armen war ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Einbeziehung
in die Studie ausgeschlossen, weil die Erp-RL Liposuktion nur die Liposuktion des Lipödems der Beine zum Gegenstand hat (§
3 Abs 1 Erp-RL).
3. Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht auf die RL Methoden Krankenhausbehandlung des GBA stützen. Der Beschluss des
GBA vom 19.9.2019 änderte Anlage I der RL Methoden Krankenhausbehandlung. Deren Nr 14 sieht nunmehr - befristet - vor, dass
die Liposuktion bei Lipödem im Stadium III zu den Methoden gehört, die für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderlich
sind (RL Methoden Krankenhausbehandlung, BAnz AT 6.12.2019 B2, iVm der RL über Maßnahmen zur Qualitätssicherung nach §
136 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGB V bei Verfahren der Liposuktion bei Lipödem im Stadium III, BAnz AT 6.12.2019 B4). Diese Änderung trat jedoch mit Wirkung vom
7.12.2019 in Kraft, und damit hier erst nach Durchführung der vierten und letzten Liposuktion. Auf den Ausprägungsgrad des
Lipödems der Klägerin vor den Behandlungen kommt es deshalb nicht an.
4. Die durchgeführten Liposuktionen entsprachen nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot nach §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V. Hiernach haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu
entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies erfordert für die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (stRspr;
näher dazu BSG vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R - SozR 4-2500 § 137c Nr 13 RdNr 21 und 33, jeweils mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 15 mwN). Die Liposuktionsbehandlungen der Klägerin entsprachen im Zeitpunkt ihrer Durchführung
2018/2019 diesem Maßstab nicht, wie gerade die Erp-RL Liposuktion belegt, die dazu dient, eine abschließende Beurteilung darüber
herbeizuführen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Liposuktion bei Lipödem dem allgemeinen Qualitätsgebot entspricht
(vgl auch BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 18).
5. Ob die Klägerin einen Anspruch auf die Liposuktionen nach Maßgabe des §
137c Abs
3 SGB V hatte, kann der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen des LSG nicht abschließend beurteilen.
a) Nach §
137c Abs
3 SGB V idF des GKV-VSG dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach §
137c Abs
1 SGB V getroffen hat (vgl dazu oben 1.), im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen
Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, die Behandlungsalternative
also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs
1 Satz 1 gestellt worden ist, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs 1 - wie hier bei Durchführung der Liposuktionen
2018/2019 - noch nicht abgeschlossen ist (dazu oben 1.). Im Anwendungsbereich des §
137c SGB V ist das allgemeine Qualitätsgebot des §
2 Abs
1 Satz 3
SGB V durch §
137c Abs
3 SGB V partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung. An die Stelle des allgemeinen Qualitätsgebots
tritt der Potentialmaßstab. Dies hat der erkennende Senat mit Urteil vom 25.3.2021 unter Aufgabe seiner bisherigen stRspr
entschieden (ausführlich dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 22 ff).
b) Der Senat hat darauf abgestellt, dass der Anwendungsbereich von Potentialleistungen zur Gewährleistung eines ausreichenden
Patientenschutzes für den Fall einer noch nicht existierenden Erp-RL wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung
ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens eng auszulegen ist. Der Potentialmaßstab des §
137c Abs
3 SGB V geht unter den nachfolgend dargestellten Einschränkungen als lex specialis dem allgemeinen Qualitätsgebot vor. Versicherte
haben außerhalb eines auf einer Erp-RL beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung Anspruch auf
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es 1. um eine schwerwiegende,
die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Standardbehandlung verfügbar
ist und wenn 3. die Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (vgl ausführlich dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15 RdNr 30 ff).
c) Diese Voraussetzungen für einen Anspruch auf Potentialleistungen außerhalb eines Erprobungsverfahrens gelten auch für die
Zeit nach Erlass einer Erp-RL weiter. Die Gründe für diese Voraussetzungen sind auch nach dem Erlass einer Erp-RL unverändert
zutreffend, solange und soweit der GBA keine Regelungen nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V getroffen hat (dazu d).
Auch nach Inkrafttreten einer Erp-RL ist weiterhin die Evidenz dafür, dass die Methode nicht nur Potential hat, sondern tatsächlich
dem Qualitätsgebot entspricht, noch nicht belegt. Nur die Teilnahme an dem durch die Erp-RL und das Studiendesign vorgegebenen
Erprobungsverfahren bietet ein ausreichend schützendes Setting, das die Gefahren einer nur potentiell gleich oder besser als
die Standardbehandlung wirksamen Behandlungsmethode kompensiert. Im Widerstreit zwischen Innovation und Patientenschutz ist
bei fehlenden kompensatorischen Sicherungen in Gestalt des geschützten Settings der Studie dem Patientenschutz Vorrang einzuräumen.
d) Der GBA kann nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V weitere Qualitätsanforderungen festlegen. Die Vorschrift bestimmt (idF durch Art 6 Nr 18 des Gesetzes zur Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung [Krankenhausstrukturgesetz - KHSG] vom 10.12.2015,
BGBl I 2229): Für Krankenhäuser, die nicht an der Erprobung teilnehmen, kann der GBA nach den §§ 136 bis 136b Anforderungen
an die Qualität der Leistungserbringung regeln.
Dadurch kann der GBA im Interesse des Patientenschutzes einerseits zusätzliche Qualifikationsanforderungen für die an der
Erprobung nicht teilnehmenden Krankenhäuser festlegen, um der Patientensicherheit außerhalb des geschützten Settings der Studie
kompensatorisch Rechnung zu tragen. Es ist ihm auch nicht verwehrt, aus Gründen der Klarstellung die ohnehin nach dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse (§
2 Abs
1 Satz 3
SGB V) zu beachtende Struktur- und Prozessqualität (vgl dazu BSG vom 16.8.2021 - B 1 KR 18/20 R [TAVI]) normativ zu beschreiben oder patientenschützende Vorgaben des Studiendesigns zu übernehmen und den nicht teilnehmenden
Krankenhäusern verbindlich vorzugeben. Der GBA hat im Fall der Liposuktion jedenfalls zum Zeitpunkt des hier maßgebenden Leistungsgeschehens
keine ergänzenden Vorgaben für die nicht teilnehmenden Krankenhäuser nach §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V vorgesehen.
e) Begrenzungen für Ansprüche auf Potentialleistungen ergeben sich auch aus den Erp-RLn iVm §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V und dem jeweiligen Studiendesign selbst. §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V (in der Ursprungsfassung durch Art 1 Nr 56 des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung [GKV-Versorgungsstrukturgesetz
- GKV-VStG] vom 22.12.2011, BGBl I 2983) bestimmt: Der Gemeinsame Bundesausschuss regelt in der Richtlinie nach Absatz 1 Satz
1 die in die Erprobung einbezogenen Indikationen und die sächlichen, personellen und sonstigen Anforderungen an die Qualität
der Leistungserbringung im Rahmen der Erprobung. Er legt zudem Anforderungen an die Durchführung, die wissenschaftliche Begleitung
und die Auswertung der Erprobung fest.
Diese Vorgaben gelten aber nur für an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser. §
137e Abs
2 Satz 3
SGB V stellt für die nicht an der Erprobung teilnehmenden Krankenhäuser eine abschließende Regelungsermächtigung des GBA dar. Eine
Regelungslücke, die es gebieten könnte, die Regelungsermächtigung nach §
137e Abs
2 Satz 1 und
2 SGB V hinsichtlich patientenschützender Regelungen entsprechend auf nicht an der Erprobung teilnehmende Krankenhäuser zu erstrecken,
liegt nicht vor. Soweit diese Regelungen und das Studiendesign Eingrenzungen vornehmen und Anforderungen an Struktur- und
Prozessqualität aufstellen, kommt ihnen nur im tatsächlichen Sinn eine indizielle Bedeutung zu. Dies betrifft die Frage, ob
die Methode auch für von der Erp-RL nicht erfasste Indikationen Potential hat. Es betrifft auch die Frage, ob und in welchem
Umfang die in der Erp-RL und dem Studiendesign vorgegebene Struktur- und Prozessqualität nach dem Maßstab des gesicherten
Nutzens auch außerhalb des Erprobungsverfahrens zu beachten ist.
f) Der Senat kann offenlassen, ob Krankenhäuser, die an der Erprobung teilnehmen, Versicherte, die keine Studienteilnehmer
sind, mit einer Potentialleistung behandeln dürfen, wenn keine schwerwiegende Erkrankung vorliegt und die Möglichkeiten der
Standardbehandlung noch nicht erfolglos ausgeschöpft sind. Der Senat muss hierüber nicht entscheiden, weil die Klägerin die
Liposuktionen bereits mehr als ein Jahr vor Studienbeginn (vgl dazu 1.) in einem an der Erprobung beteiligten Krankenhaus
durchführen ließ.
g) Kann danach bereichsspezifisch der Potentialmaßstab zur Anwendung kommen, gelten die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs
auf Krankenhausbehandlung uneingeschränkt (vgl dazu BSG vom 25.3.2021 - B 1 KR 25/20 R - BSGE 132, 67 = SozR 4-2500 § 137c Nr 15, RdNr 43).
6. Da keine Feststellungen zu den Anspruchsvoraussetzungen vorliegen, ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen. Es hat der
bisherigen, nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung folgend und daher von seinem Standpunkt aus zutreffend, keine weiteren Tatsachen
festgestellt. Das LSG muss insbesondere feststellen, ob es sich bei dem Lipödem der Klägerin um eine schwerwiegende, die Lebensqualität
auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelte, vor den Operationen keine andere Standardbehandlung (mehr) verfügbar
war und die Operationen auch ansonsten wirtschaftlich erfolgten, also nicht über das als Naturalleistung Geschuldete hinausgingen.
Zudem sind die Rechnungsstellungen für die vier Operationen der Höhe nach zu prüfen, sofern Ansprüche dem Grunde nach bejaht
werden. Dies gilt insbesondere für die Inrechnungstellung einer Umsatzsteuer von 19 vH (vgl zur Steuerfreiheit von Umsätzen
nach § 4 Nr 14 Buchst b Satz 2 Doppelbuchst aa Umsatzsteuergesetz; vgl jedoch auch BSG vom 2.9.2014 - B 1 KR 11/13 R - BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 27 f).
7. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.