Feststellung einer chronischen Dissektion der Aorta ascendens Typ A mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz als weitere
Unfallfolge
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten in dem der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit darüber, ob die Feststellung einer chronischen
Dissektion der Aorta ascendens Typ A mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz als weitere Unfallfolge festzustellen ist.
Der Kläger erlitt im Dezember 1998 einen als Arbeitsunfall anerkannten Verkehrsunfall. Als Unfallfolge wurde eine motorisch
komplette und sensibel inkomplette Tetraplegie nach C4/C5-Luxationsfraktur und C2 bis C5 Bogenfraktur anerkannt. Im März und
April 2013 wurde der Kläger wegen einer chronischen Dissektion der Aorta ascendens Typ A mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz
stationär behandelt. Die Beklagte lehnte nach Einholung eines kardiologischen Gutachtens sowie einer Stellungnahme ihrer Beratungsärztin
eine Anerkennung dieser Gesundheitsstörung als Unfallfolge mit der Begründung ab, ursächlich seien die anlagebedingte bikuspide
Aortenklappe und der unfallunabhängige Hypertonus (Bescheid vom 2.6.2015 und Widerspruchsbescheid vom 28.1.2016). Das SG hat die dagegen gerichtete Klage nach Einholung eines Gutachtens des Direktors der Medizinischen Klinik und Poliklinik II
des Universitätsklinikums B und einer Stellungnahme des Arztes für Pathologie am Bundeswehrzentralkrankenhaus K abgewiesen
(Urteil vom 4.6.2019) und das LSG nach Einholung eines Gutachtens gemäß §
109 SGG des Chefarztes des Zentrums für Kontinenz und Neuro-Urologie M vom 20.1.2021 die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 6.9.2021).
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger das Vorliegen von Verfahrensmängeln.
II
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist unzulässig. Die Begründung
genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil sie den geltend gemachten Zulassungsgrund des Vorliegens von Verfahrensmängeln
nicht formgerecht bezeichnet hat (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen vermeintlich begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Der von dem Kläger gerügte Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) ist nicht substantiiert bezeichnet. Diese Rüge erfordert, dass die Beschwerdebegründung (1) einen für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag
bezeichnet, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) die Rechtsauffassung des LSG wiedergibt, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen
als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigt,
die zur weiteren Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme
angibt und (5) erläutert, weshalb die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG also
von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis hätte gelangen können, wenn es das behauptete
Ergebnis der unterlassenen Beweisaufnahmen gekannt hätte (stRspr; zB BSG Beschlüsse vom 16.3.2022 - B 2 U 164/21 B - juris RdNr 16, vom 26.5.2020 - B 2 U 214/19 B - juris RdNr 5, vom 19.11.2007 - B 5a/5 R 382/06 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 5 sowie vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Zwar führt der Kläger aus, er habe im Berufungsverfahren
und in der mündlichen Verhandlung die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens unter Einbeziehung einer Nachbegutachtung
des im Bundeswehrkrankenhaus K entnommenen Resektats und einer gentechnischen Analyse zum Beweis, dass bis zur Operation im
März 2013 keine bikuspide Aortenklappe vorgelegen habe, beantragt. Wäre das LSG diesem Beweisangebot nachgegangen, wäre festgestellt
worden, dass tatsächlich keine angeborene bikuspide Aortenklappe vorgelegen habe und der in dem Gutachten gemäß §
109 SGG festgestellte unfallbedingte Zusammenhang mit den rezidivierenden Harnwegsinfekten aufgrund der neurogenen Blasenfunktionsstörung
als einzige Ursache bliebe. Die Beschwerde zeigt jedoch nicht auf, warum das LSG sich aus seiner sachlichrechtlichen Sicht
zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist im Hinblick auf das Erfordernis "ohne hinreichende Begründung" nicht formell, sondern materiell im Sinne von "ohne hinreichenden
Grund" zu verstehen. Entscheidend ist, ob sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen
müssen, den beantragten Beweis zu erheben, weil nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt
aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind, damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes zwingend
Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind.
Vor diesem Hintergrund besteht eine verfahrensrechtliche Pflicht zur Einholung weiterer Sachverständigengutachten nur dann,
wenn vorhandene Gutachten iS von §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
412 Abs
1 ZPO ungenügend sind, weil sie grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten oder von unzutreffenden sachlichen Voraussetzungen
ausgehen oder Anlass zu Zweifeln an der Sachkunde des Gutachters geben (vgl BSG Beschlüsse vom 24.3.2005 - B 2 U 368/04 B - juris RdNr 5, vom 14.12.1999 - B 2 U 311/99 B - juris RdNr 6, vom 27.1.2021 - B 13 R 77/20 B - juris RdNr 7 und vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 9). Die Beschwerdebegründung legt solche Umstände nicht dar. Das LSG ist unter Würdigung der vorhandenen Gutachten von einer
bei der Operation vorliegenden chronischen Dissektion der Aorta ascendens Typ A mit hochgradiger Aortenklappeninsuffizienz
bei bikuspidaler Aortenklappenanlage mit rezidivierenden Pleuraergüssen ausgegangen, weil die Diagnose einer bikuspidalen
Aortenklappenanlage im Entlassungsbericht explizit gestellt und von den Sachverständigen nicht in Zweifel gezogen worden sei.
Des Weiteren hat sich das LSG darauf gestützt, dass bei der anatomisch-pathologischen Untersuchung der während der Operation
entnommenen Gewebsproben mukoide Wanddegenerationen und eine mukoide Bindegewebsverquellung der bikuspiden Aortenklappe gefunden
worden seien, was auf eine primär anlagebedingte Genese der Aortenklappeninsuffizienz aufgrund der bikuspiden Aortenklappe
schließen lasse. Soweit die Beschwerde rügt, der Sachverständige habe keine gutachterlichen Feststellungen zum Vorliegen einer
bikuspidalen Aortenklappe getroffen und es sei bei dem Kläger eine bikuspidale Aortenklappe nicht zweifelsfrei diagnostiziert
worden, wendet sie sich gegen die Beweiswürdigung durch das LSG, zeigt jedoch nicht auf, dass Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt
erkennbar offengeblieben sein könnten oder die Gutachten grobe Mängel oder unlösbare Widersprüche enthalten könnten. Dies
gilt auch, soweit die Beschwerdebegründung ausführt, die Gutachten der beiden Sachverständigen würden auf der Annahme beruhen,
dass für den Kläger bei der Operation der Aortenklappe im März 2013 eine angeborene bikuspide Aortenklappe vorgelegen habe,
der Sachverständige habe sich auf eine anatomisch-pathologische Untersuchung während der Aortaoperation bezogen und keine
eigenen Feststellungen getroffen und dies gelte auch im Hinblick auf die später von dem Pathologen erfolgte Nachuntersuchung.
Aus welchen Gründen dies grobe Mängel der eingeholten Gutachten belegen könnte, wird nicht aufgezeigt. Dies gilt insbesondere
auch hinsichtlich des Vorbringens, es seien anatomischpathologische Untersuchungen zugrunde gelegt worden, die der Gutachter
nicht selbst durchgeführt habe. Der Kläger hätte darlegen müssen, aus welchen Gründen es nicht ausreichend gewesen sein könnte,
eine anatomisch-pathologische Stellungnahme zugrunde zu legen. Der auf eigener Würdigung beruhende Vortrag des Klägers reicht
deshalb nicht aus, Mängel bzw Widersprüche in den vorliegenden Gutachten aufzuzeigen, welche die Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens als zwingend erforderlich erscheinen lassen könnten.
Im Kern betrifft das Vorbringen des Klägers die Beweiswürdigung durch das LSG und dessen Beweisergebnis. Solche gegen die
Beweiswürdigung gerichteten Rügen können jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen, weil gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG ausdrücklich ausgeschlossen ist, die Nichtzulassungsbeschwerde auf Fehler der Beweiswürdigung iS des §
128 Abs
1 Satz 1
SGG zu stützen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzung der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.