Honorierung vertragsärztlicher Leistungen; Höhe des Regelleistungsvolumens für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in
den Quartalen III und IV/2006 sowie II bis IV/2007
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um eine Sonderregelung zum Regelleistungsvolumen (RLV) für die Quartale III und IV/2006 sowie die Quartale II bis IV/2007.
Die Klägerin ist seit dem 1.7.2006 als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin (KJP) zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung
in D. zugelassen. Sie gehört der Honoraruntergruppe B 2.25 des Honorarverteilungsvertrages (HVV) der beklagten Kassenärztlichen
Vereinigung (KÄV) an, in der Psychologische Psychotherapeuten (PP), (ausschließlich) psychotherapeutisch tätige Ärzte (PÄ)
und KJP zusammengefasst sind. In den streitigen Quartalen überschritt sie ihr praxisbezogenes RLV um jeweils 299 694,2 Punkte im Quartal III/2006, 145 776,6 Punkte im Quartal IV/2006, 48 333,8 Punkte im Quartal II/2007,
76 979,6 Punkte im Quartal III/2007 und 33 133,2 Punkte im Quartal IV/2007.
Die Klägerin beantragte im Juli 2006, "innerhalb der ersten Zeit mein Regelleistungsvolumen auszusetzen". Die von ihr übernommene
Praxis habe zuvor Erwachsene behandelt, sie hingegen habe nur Kinder und Jugendliche als Patienten. Die Erstdiagnostik umfasse
pro Patient ca 13 000 Punkte. Würden ihr lediglich 1000 Punkte mit einem Punktwert von 2,8 Cent zugewiesen, bedeute das bei
30 Patienten ein Quartalseinkommen von ca 840 Euro bei einer Vollzeittätigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erhöhung
des RLV ab. Für ihre Fachgruppe seien folgende RLV vorgesehen: Bei den Primärkassen für die Altersgruppe 0 bis 5 1050 Punkte, bei der Altersgruppe 6 bis 59 sowie bei der Altersgruppe
60+ 1054 Punkte; für die Ersatzkassen in der Altersgruppe 0 bis 5 956 Punkte, in der Altersklasse 6 bis 59 1166 Punkte und
für die Altersgruppe 60+ 1065 Punkte. Eine Ausnahme vom RLV aus Gründen der Sicherstellung komme angesichts der bedarfsplanungsrechtlichen Überversorgung im Planungsbereich D. nicht
in Betracht. Eine gesonderte Berücksichtigung des in der Anfangsphase deutlich höheren Aufwandes an nicht genehmigungspflichtigen
Leistungen sei nicht möglich. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück. Die Verfahren über die Widersprüche der
Klägerin gegen die Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale ruhen derzeit.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 13.2.2009 die Beklagte unter Aufhebung der angegriffenen Bescheide verurteilt, die Klägerin
erneut zu bescheiden. Im Hinblick auf die signifikanten Unterschiede zwischen den KJP einerseits und den PÄ und PP andererseits
hätten die Vertragsparteien des HVV keine einheitlichen Fallpunktzahlen festlegen dürfen. Die vom RLV erfasste Ordinationsgebühr betrage für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten 120 Punkte für alle Altersklassen,
für KJP 510 Punkte für alle Altersklassen. Die mit 1495 Punkten bewertete probatorische Sitzung falle bei ärztlichen und psychologischen
Psychotherapeuten nach den von der Beklagten vorgelegten Daten durchschnittlich 0,62-mal, bei den KJP durchschnittlich 0,84-mal
pro Behandlungsfall im Quartal an. Daraus ergebe sich, dass die Gruppe der KJP das RLV statistisch immer um mindestens 48 bis 82 % überschreite. Die Festlegung einheitlicher Fallpunktzahlen sei eine nicht hinnehmbare
ungerechtfertigte Gleichbehandlung und führe insbesondere zur Nichtbeachtung der vom Bewertungsausschuss (BewA) festgelegten
Höherbewertung des Ordinationskomplexes für die KJP. Eine Rechtfertigung der Gleichbehandlung folge nicht daraus, dass von
den 1390 PP 80 eine Doppelzulassung als PP und als KJP hätten und 183 PP auch die Genehmigung zur Behandlung von Kindern und
Jugendlichen besäßen. Auch der Umstand, dass wegen der Herausnahme der genehmigungspflichtigen Psychotherapieleistungen aus
den RLV nur ein geringer Teil der Honorarforderung betroffen sei, ändere nichts an der Rechtswidrigkeit der Gleichbehandlung. Schließlich
sei für die ersten Quartale der Neuzulassung einer KJP ein Ausnahmefall anzunehmen, der ein Abweichen vom RLV rechtfertige.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 2.2.2011 mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte über den
Antrag der Klägerin unter Beachtung seiner - vom SG teilweise abweichenden - Rechtsauffassung erneut zu entscheiden hat. Das SG habe überzeugend dargelegt, dass der HVV der Beklagten in einer den Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit verletzenden
Weise Ungleiches gleich behandle. Infolge der höher bewerteten Ordinationsgebühr und der durchschnittlich höheren Anzahl an
probatorischen Sitzungen komme es bei den KJP regelhaft zu deutlichen Überschreitungen des RLV. Soweit auf die Überschneidungen der Tätigkeiten im Fall von Doppelzulassungen oder der Genehmigung der nach der Psychotherapie-Richtlinie
zugelassenen Behandlung von Kindern und Jugendlichen durch PP hingewiesen werde, handle es sich um Ausnahmefälle. Rechtmäßig
sei die Differenzierung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung, weil sie schon von ihrer
Struktur her mit höherrangigen Vorgaben nicht vereinbar sei. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung im Rahmen
der Ausnahmeregelung nach Ziffer 6.3 HVV aus Gründen der Sicherstellung bestehe entgegen der Auffassung des SG hingegen nicht. Auch ein Härtefall liege nicht vor.
Mit ihrer Revision trägt die Beklagte vor, das LSG habe sich bereits über den Streitgegenstand hinweggesetzt. Der Antrag der
Klägerin sei hier nicht umfassend auf eine Besserstellung gerichtet gewesen, sondern auf eine Aussetzung des RLV für die erste Zeit ihrer Niederlassung, sodass eine umfassende inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der Regelungen des HVV
nicht in Betracht komme. Die Bildung der einheitlichen Fallpunktzahlen für KJP, PÄ und PP entspreche dem Beschluss des BewA
vom 29.10.2004, wonach für die dort aufgeführten Arztgruppen Arztgruppentöpfe und RLV zu berechnen seien, wobei im HVV weitere Differenzierungen oder Zusammenfassungen vereinbart werden könnten. Maßgeblich für
die Zusammenfassung sei einerseits der Umstand gewesen, dass eine Vielzahl PP eine Doppelzulassung als KJP besitze, andererseits
auch die Tatsache, dass PP oftmals über eine Genehmigung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen verfügten. Die höhere
Bewertung des Ordinationskomplexes der KJP ergebe sich aus dem im Vergleich zum Ordinationskomplex der PP weitergehenden fakultativen
Leistungsinhalt. Erbringe ein PP eine entsprechende Leistung, werde er eine weitere Leistungsposition abrechnen, sodass beide
Berufsgruppen für ein vergleichbar intensives Gespräch ähnlich hohe Punktzahlen anfordern würden. KJP rechneten im Übrigen
ebenso wie PP aus dem Kapitel 23 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) 2005 ab. Das Leistungserbringungsverhalten
und damit auch der Leistungsbedarf pro Kopf seien vergleichbar. Das RLV betreffe nur einen geringen Teil der Honorarforderung. Es habe auch nicht zu einer unzureichenden Vergütung der Klägerin
geführt, die vielmehr bereits ab dem Quartal III/2006 ein überdurchschnittliches Honorar erzielt habe. Schließlich sei die
Höhe der RLV auch unter dem Gesichtspunkt der Anfangs- und Erprobungsregelung nicht zu beanstanden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 2.2.2011 und den Gerichtsbescheid des SG Marburg vom 13.2.2009 aufzuheben und die Klage
abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen seien für eine sachgerechte Versorgung
viel zu niedrig. Insbesondere der Höherbewertung des Ordinationskomplexes der KJP werde nicht Rechnung getragen. Noch weniger
haltbar erscheine die Situation im Hinblick auf die Berufsanfänger. Aufgrund der Anzahl der probatorischen Sitzungen sei in
den ersten 3 - 4 Quartalen infolge der RLV-Begrenzung nur ein minimaler Umsatz zu erzielen. Nach der Rechtsprechung des BSG müssten die probatorischen Sitzungen so vergütet werden, dass jedenfalls die Hälfte des ursprünglich zur Kalkulation herangezogenen
Punktwertes von 2,56 Cent für solche Leistungen nicht unterschritten werde.
II
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das LSG hat ebenso wie das SG zu Unrecht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt.
1. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Antrag der Klägerin nicht nur auf eine ausnahmsweise Erweiterung der
RLV, sondern lediglich zeitlich begrenzt auf eine umfassende Besserstellung bei der Honorierung ihrer vertragsärztlichen Leistungen
gerichtet war. Der Senat hat bereits entschieden, dass in diesem Rahmen Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der Regelungen im HVV
inzident überprüft werden dürfen und müssen. Haben Vorfragen Auswirkungen für mehrere Quartale, können sie in einem eigenen
Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geklärt werden, sofern die den streitigen Zeitraum betreffenden Honorarbescheide noch nicht
bestandskräftig sind (BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 11 f mwN). Das ist hier der Fall. Gegen die Honorarbescheide für die streitbefangenen Quartale
hat die Klägerin jeweils Widerspruch eingelegt. Die Widerspruchsverfahren ruhen bis zum Abschluss des hier anhängigen Rechtsstreits.
2. Die in den streitbefangenen Quartalen geltenden HVV (Vereinbarung vom 22.6.2006 [Fortgeltung des bis zum 30.6.2006 geltenden
HVV für die Quartale III/2006 bis I/2007] und HVV idF der Entscheidung des Landesschiedsamts vom 1.11.2007 für die Zeit vom
1.4.2007 bis 31.12.2007) entsprachen mit der Bildung von RLV den Vorgaben des BewA, die dieser - gemäß der ihm nach §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V (Abs
4a aufgehoben durch Art 1 Nr 20 Buchst g durch Gesetz vom 22.12.2011, BGBl I 2983, mWv 1.1.2012) übertragenen Aufgabe - am 29.10.2004 mit Wirkung für die
Zeit ab 1.1.2005 beschlossen hatte (DÄ 2004, A 3129). Gemäß Teil III Nr 2.1 iVm Nr 3. dieses Beschlusses waren die KÄVen verpflichtet,
in der Honorarverteilung RLV in der Weise festzulegen, dass arztgruppeneinheitliche Fallpunktzahlen vorzusehen waren, aus denen durch Multiplikation mit
individuellen Behandlungsfallzahlen praxisindividuelle Grenzwerte zu errechnen waren, in deren Rahmen die Vergütung nach einem
festen Punktwert (sogenannter Regelleistungspunktwert) zu erfolgen hatte.
3. Dabei haben die Vertragspartner der HVV auch in zulässiger Weise für KJP, PP und PÄ Fallpunktzahlen in gleicher Höhe festgesetzt.
In der Anlage 1 zum Teil III des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 waren tabellarisch die erfassten Arztgruppen aufgeführt,
für die Arztgruppentöpfe und RLV zu berechnen waren. Hierzu zählten auch die KJP. Nach Satz 2 der Anlage 1 zum Teil III des Beschlusses - Benennung der Arztgruppen
- konnten weitere Differenzierungen oder Zusammenfassungen der genannten Arztgruppen vereinbart werden. Entgegen der Auffassung
der Vorinstanzen konnte eine Zusammenfassung der KJP mit den PP und den PÄ für die Festlegung von RLV hierauf gestützt werden. Der Senat billigt in ständiger Rechtsprechung den Vertragspartnern des HVV einen weiten Gestaltungsspielraum
zu. Der Gestaltungsspielraum der Normgeber der HVV findet seine Grenze in den vertraglichen und gesetzlichen Vorgaben (vgl
etwa BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 58 RdNr 24; zur Normenhierarchie vgl BSGE 105, 236 = SozR 4-2500 § 85 Nr 53, RdNr 24 mwN). Diese Grenzen haben die Vertragspartner hier bei ihrer Entscheidung, PÄ, PP und KJP
für die Ermittlung und Festlegung der RLV als einheitliche Gruppe zu behandeln, nicht überschritten.
a) Für eine Zusammenführung der KJP mit den ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten sprach hier schon der Umstand,
dass von den insgesamt 1390 im Bezirk der Beklagten zugelassenen PP 80 über eine Doppelzulassung auch als KJP und 183 über
eine Genehmigung zur Behandlung von Kindern und Jugendlichen verfügen, mithin nicht unerhebliche Überschneidungen der Fachgebiete
gegeben sind. Von insgesamt 292 KJP verbleibt damit noch eine Gruppe von 212 KJP, die ausschließlich nach den für KJP geltenden
EBM-Ä-Nummern abrechnen. Die Vertragspartner waren nicht verpflichtet, für diese Gruppe gesonderte RLV festzusetzen.
b) Die einheitlichen Fallpunktzahlen standen nicht im Widerspruch zu dem aus Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG abzuleitenden Grundsatz der Honorarverteilungsgerechtigkeit. Danach dürfen zwei Gruppen, die sich in verschiedener Lage befinden,
nur beim Vorliegen zureichender Gründe gleichbehandelt werden (vgl grundlegend BSGE 83, 205, 212 = SozR 3-2500 § 85 Nr 29 S 219 mwN). Eine solche Konstellation haben die Vorinstanzen zu Unrecht verneint. Zwischen
den KJP einerseits und den PP und den PÄ andererseits bestehen keine Unterschiede von solchem Gewicht, dass unterschiedliche
RLV geboten sind. Vergleichbar ist zunächst die Struktur der erbrachten Leistungen und des damit erzielten Honorars. Beide Gruppen
sind auf die Erbringung und Abrechnung weniger Leistungspositionen des EBM-Ä beschränkt. Es dominieren die zeitgebundenen
und genehmigungsbedürftigen psychotherapeutischen Leistungen, die von vornherein nicht Bestandteil der RLV sind. Dieses Verhältnis spiegelt sich in der Vergütungsstruktur wider. Nach den von der Beklagten übermittelten Daten lag
in den streitbefangenen Quartalen der Anteil der psychotherapeutischen Leistungen der KJP innerhalb des RLV - bezogen auf das Gesamthonorar dieser Gruppe von Leistungserbringern - zwischen 7,51 % im Quartal III/2006 und 5,93 % im
Quartal II/2007. Die Gruppe der PP generierte in demselben Zeitraum Anteile zwischen 8,29 % und 7,34 % aus den dem RLV unterliegenden psychotherapeutischen Leistungen. Die von der Klägerin vorgelegte Übersicht für die gesamte Honorargruppe
über den Leistungsbedarf in Punkten für genehmigungspflichtige psychotherapeutische Leistungen einerseits und probatorische
Sitzungen andererseits bis zum Quartal IV/2006 könnte allenfalls einen geringfügig höheren Anteil von Leistungen innerhalb
des RLV nahelegen.
Wie sich aus der von der Beklagten erstellten Übersicht ergibt, bestanden dementsprechend weder in den streitbefangenen Quartalen
noch insgesamt in den Quartalen I/2003 bis 4/2008 signifikante Unterschiede in den Nettohonoraren der PP und der KJP. Zwar
unterschritt das Nettohonorar der KJP dasjenige der PP in einzelnen Quartalen, in anderen zeigten sich aber auch geringfügige
Überschreitungen. Im Mittel bewegten sich die Differenzen deutlich unter 10 %, sodass im Wesentlichen von einer parallelen
Entwicklung der Nettohonorare ausgegangen werden kann. Dass sich die Gruppe der KJP von der Gruppe der PP weder bei den Einnahmen
aus vertragspsychotherapeutischer Tätigkeit noch bei den Praxiskosten in einer Weise unterscheiden, die getrennte Fallpunktzahlen
gebietet, belegen auch statistische Daten zur Kostenstruktur der Praxen von PP für das Jahr 2007 (Statistisches Bundesamt,
Unternehmen und Arbeitsstätten, Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen, Praxen von psychologischen Psychotherapeuten
sowie Tierarztpraxen, Fachserie 2 Reihe 1.6.1, erschienen am 5.8.2009, korrigiert am 2.9.2009, S 109 ff). Danach betrugen
die durchschnittlichen Aufwendungen insgesamt bei den KJP 34 300 Euro, bei den PP 32 200 Euro bei Reinerträgen von 65 700
Euro (KJP) und 67 800 Euro (PP). Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Beklagten plausibel, dass eine Probeberechnung
keine Auswirkungen auf den Punktwert gezeigt habe, wenn für die KJP eine eigene Honoraruntergruppe gebildet worden wäre.
c) Das Gebot einer Differenzierung ergibt sich nicht aus der unterschiedlich hohen Bewertung des Ordinationskomplexes, der
einmal im Quartal pro Behandlungsfall anfällt. Zwar konnten die KJP in den streitbefangenen Quartalen nach dem EBM-Ä 2005
einen mit 510 Punkten bewerteten Komplex abrechnen (Nr 23214 EBM-Ä aF), während der Komplex bei den PP nur mit 120 Punkten
bewertet war (Nr 23210 bis 23212 EBM-Ä aF). Auch in dem seit dem 1.1.2008 geltenden EBM-Ä ist die Grundpauschale der KJP nach
Nr 23214 höher bewertet (810 Punkte) als die Grundpauschale für ärztliche und psychologische Psychotherapeuten nach den Nummern
23210, 23211 und 23212 (230 bis 340 Punkte). Nach der Rechtsprechung des Senats erzwingt die Höherbewertung einer Leistung
im EBM-Ä aber nicht notwendig eine entsprechende Honorarregelung im HVV. So hat der Senat im Zusammenhang mit den Praxisbudgets
in der vom Quartal II/1997 bis II/2003 geltenden Fassung entschieden, dass die Erhöhung der Ordinationsgebühr für Ärzte mit
dem Schwerpunkt Rheumatologie keine Pflicht zur Anhebung des Praxisbudgets nach sich zieht (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 17 RdNr 24 ff).
Ebenso wenig hat der Senat eine Pflicht zur Erhöhung des Honorarkontingents der Kinderärzte gesehen, nachdem Leistungen der
Vorsorge- und Früherkennung höher bewertet worden waren (BSGE 86, 16, 28 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 23 S 127 ff). Die Höherbewertung bestimmter ärztlicher Leistungen im EBM-Ä, die in ihren Auswirkungen
auf Verteilungsaspekte innerhalb einer einzelnen Arztgruppe beschränkt bleibt, ist kein zwingender Grund für Korrekturen im
System der Honorarverteilung, weil andernfalls die KÄV bzw die Vertragspartner des HVV stets verpflichtet wären, Bewertungsveränderungen
bei einzelnen Leistungen zum Anlass für Änderungen der Honorarkontingente der einzelnen Arztgruppen zu nehmen. Entsprechendes
gilt für die Bildung von RLV im HVV. Die Festlegung von Fallpunktzahlen im HVV der Beklagten hat an der Höherbewertung des Ordinationskomplexes für die
KJP nichts geändert. In ihren Auswirkungen bleibt die Höherbewertung auf Verteilungsaspekte innerhalb der Arztgruppe beschränkt.
Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Höherbewertung des Ordinationskomplexes mit einem umfangreicheren Leistungsinhalt
(ua "intensive Beratung zu den therapeutischen, familiären, sozialen und beruflichen bzw schulischen Auswirkungen und deren
Bewältigung") einherging, sodass PP bei Erbringung einer vergleichbar umfassenden Leistung weitere Gebührenpositionen innerhalb
des RLV abrechnen konnten. Der Umstand, dass KJP mit der Abrechnung des Ordinationskomplexes das RLV eher ausgeschöpft haben als PP, hat jedenfalls nicht zu einer strukturellen Benachteiligung dieser Gruppe bei der Honorarverteilung
geführt. Wie bereits dargelegt, sind in der Gruppe der KJP, die nur einen geringen Teil ihres Gesamthonorars - und prozentual
sogar noch weniger als die Gruppe der PP - mit Leistungen innerhalb des RLV erzielt, signifikante Unterschiede im Gesamthonorar durch die unterschiedliche Bewertung im EBM-Ä nicht entstanden. Die Bewertung
des Ordinationskomplexes ist damit erkennbar für den durch das RLV abzubildenden arztgruppenspezifischen Leistungsbedarf nicht von maßgeblicher Bedeutung gewesen.
d) Auch die erhöhte Abrechnungsfrequenz probatorischer Sitzungen gebietet keine Erhöhung der RLV für KJP. Es kann offenbleiben, ob die medizinische Notwendigkeit besteht, dass KJP eine größere Anzahl an probatorischen
Sitzungen im Vergleich zu PP durchführen. Nach den Erhebungen der Beklagten betrug im Quartal II/2005 statistisch die durchschnittliche
Anzahl probatorischer Sitzungen pro Fall bei den KJP 0,84 gegenüber 0,62 bei den PP. Im EBM-Ä (Nr 35150) und der Psychotherapie-Richtlinie
(§ 23a) sind einheitlich eine Zahl von maximal 5 probatorischen Sitzungen vorgesehen, eine Erhöhung kommt nur für die analytische
Psychotherapie in Betracht. Umgekehrt ist eine Mindestzahl probatorischer Sitzungen vor Beginn einer genehmigungsbedürftigen
Therapie in einem Richtlinienverfahren nicht vorgeschrieben. Da die KJP insgesamt nur in geringem Maße und weniger Leistungen
als PP innerhalb des RLV erbringen, könnte eine erhöhte Zahl an probatorischen Sitzungen, insbesondere im Zusammenspiel mit der Höherbewertung des
Ordinationskomplexes, nur bedeuten, dass andere Leistungen innerhalb des RLV - zB Kriseninterventionen nach Nr 23220 EBM-Ä - unterdurchschnittlich abgerechnet werden. Ein insgesamt erhöhter Leistungsbedarf
der KJP gegenüber den PP für Leistungen aus dem RLV ist insofern nicht erkennbar.
Die Einbeziehung der probatorischen Sitzungen in die RLV ist nicht zu beanstanden. Nach Teil III Nr 4.1 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 unterliegen nur die antragspflichtigen
psychotherapeutischen Leistungen nach den Nr 35200 bis 35225 EBM-Ä nicht dem RLV. Der Senat hat für die Honorierung der probatorischen Sitzungen, die zwar grundsätzlich einer Mengenausweitung zugänglich
sind, andererseits aber in engem Zusammenhang mit den genehmigungsbedürftigen Leistungen der Psychotherapie stehen (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 38 RdNr 17-18), entschieden, dass - erforderlichenfalls nach Anwendung von Mengenbegrenzungsregelungen oä - jedenfalls
die Hälfte des ursprünglich zur Kalkulation herangezogenen Punktwertes von 10 Pfennig, mithin 2,56 Cent, nicht unterschritten
werden dürfe (BSGE 100, 254 = SozR 4-2500 § 85 Nr 42, RdNr 65). Das schließt eine Einbeziehung in die RLV nicht aus. Vielmehr ist damit klargestellt, dass auch probatorische Sitzungen nicht losgelöst von Honorarbegrenzungsmechanismen
zu honorieren sind. Zudem gewährleistet gerade die Einbeziehung in das RLV die Vergütung mit einem festen Punktwert. Der BewA durfte nach der Konzeption der RLV davon ausgehen, dass im Regelfall innerhalb der RLV eine ausreichende Honorierung der probatorischen Sitzungen gewährleistet ist. Auch die hier maßgeblichen HVV sahen in Ziffer
6.4 bzw § 2.4 rechnerisch die Bewertung der innerhalb des RLV liegenden Honoraranforderungen mit einem Punktwert von grundsätzlich 4,0 Cent vor. Der Punktwert unterlag zwar einer Quotierung,
soweit der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten
Leistungen nicht ausreichte. Diese notwendige Folge begrenzter Gesamtvergütungen stellt die grundsätzliche Privilegierung
der dem RLV unterfallenden Leistungen aber nicht in Frage. Wie im Einzelnen die Vergütung probatorischer Sitzungen unter den Bedingungen
der RLV auszugestalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung.
Im Übrigen lässt die Entwicklung der Abrechnungen der Klägerin erkennen, dass sich bei den probatorischen Sitzungen weniger
ein Problem der Festsetzung des RLV manifestiert als vielmehr typische Verwerfungen einer Anfängerpraxis zutage treten. Ebenso wie die Überschreitungen des RLV insgesamt zurückgegangen sind, ist auch die Zahl der probatorischen Sitzungen gesunken. Die Klägerin hat im ersten Quartal
ihrer Niederlassung bei einer Fallzahl von 42 die Nr 35150 EBM-Ä 109-mal abgerechnet, im letzten hier streitbefangenen Quartal
bei 56 Fällen nur noch 18-mal. Wie das LSG dargelegt hat, ist es der Klägerin in kurzer Zeit gelungen, einen Patientenstamm
aufzubauen, bei dem sie genehmigungspflichtige Psychotherapieleistungen erbringen konnte. Bereits im dritten Quartal nach
ihrer Niederlassung hatte sich die Zahl der probatorischen Sitzungen völlig normalisiert und erreichte nicht einmal mehr den
Durchschnitt der Fachgruppe.
4. Eine Erhöhung des RLV unter Sicherstellungsgesichtspunkten hat das LSG zu Recht abgelehnt. Nach Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV bzw (ab dem 1.4.2007)
§ 5 Abs 3 Buchst d HVV war der Vorstand der Beklagten ermächtigt, aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen
Versorgung praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen vorzunehmen. Der Senat hat zu Ziffer 6.3
HVV bereits entschieden, dass diese Regelung keinen allgemeinen (Auffang-)Tatbestand für alle denkbaren Ausnahmefälle enthielt,
sondern Anpassungen nur zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung zuließ (Urteile vom 29.6.2011 - B 6 KA 17/10 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 66 -, B 6 KA 18/10 R, B 6 KA 19/10 R und B 6 KA 20/10 R). Dabei hat der Senat es als sachgerecht angesehen, für die Auslegung der Ermächtigungsgrundlage des Teil III Nr 3.1 des
Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 sowie der Bestimmungen im HVV der Beklagten die Rechtsprechung des Senats zum "besonderen
Versorgungsbedarf" als Voraussetzung für eine Erweiterung von Praxis- und Zusatzbudgets, die ebenfalls im Grundsatz auf eine
arztgruppeneinheitliche Festlegung angelegt waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 17 RdNr 32), heranzuziehen und weiterzuentwickeln. Danach müssen eine im Leistungsangebot der Praxis zum Ausdruck kommende
Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung vorliegen, die messbaren Einfluss auf
den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl haben. Zur Begründung einer
versorgungsrelevanten Besonderheit genügt es nicht, lediglich ein "Mehr" an fachgruppentypischen Leistungen abzurechnen. Die
Überschreitung des praxisindividuellen RLV muss vielmehr darauf beruhen, dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden.
Eine solche Situation lag hier nicht vor. Die Klägerin macht nicht geltend, spezielle Leistungen innerhalb ihres RLV zu erbringen. Die Überschreitung ihres RLV ergab sich vielmehr ausschließlich daraus, dass sie fachspezifische Leistungen bei zunächst eher geringer Fallzahl besonders
häufig erbracht hat. Allein ihr Status als Anfängerin vermittelt der Klägerin keinen Anspruch auf Erhöhung ihres RLV unter Sicherstellungsgesichtspunkten.
5. Das LSG hat auch zutreffend entschieden, dass sie einen Anspruch auf Erhöhung ihres RLV nicht aus der Rechtsprechung des BSG zu Anfängerpraxen herleiten kann. Der Senat fordert insofern lediglich, dass Praxen in der Aufbauphase die Steigerung auf
den Durchschnittsumsatz und die Durchschnittsfallzahl der Fachgruppe möglich sein muss (vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 50 RdNr 15 mwN). Dies war nach den maßgeblichen HVV hier der Fall. Ein Anspruch auf Honorar in bestimmter Höhe besteht
auch in der Aufbauphase einer Praxis nicht. Im Übrigen bewegte sich nach den Feststellungen des LSG die Klägerin schon im
ersten Quartal ihrer Berufstätigkeit mit einem Honorar von 9569,16 Euro bei 42 Behandlungsfällen in der Nähe des Durchschnitts
ihrer Fachgruppe, der nach den von der Beklagten mitgeteilten Daten im Quartal III/2006 bei 13 444,10 Euro und 46 Behandlungsfällen
lag. Bereits im zweiten Quartal ihrer Tätigkeit IV/2006 lag die Klägerin mit einem Honorar von 26 823,08 Euro weit oberhalb
des Fachgruppendurchschnitts von 18 926,99 Euro.
6. Das LSG hat ferner zu Recht entschieden, dass für die Annahme eines Härtefalles kein Raum ist. Der Senat hat in seinen
Urteilen vom 29.6.2011 (B 6 KA 17/10 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 66 -, B 6 KA 18/10 R, B 6 KA 19/10 R und B 6 KA 20/10 R) dargelegt, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalles hier eng zu ziehen waren, weil der HVV bereits in
Ziffer 6.3 und Ziffer 7.5 Regelungen enthielt, mit denen einerseits besondere Versorgungsstrukturen und andererseits existenzbedrohende
Honorarminderungen berücksichtigt wurden. Ein Härtefall konnte daher nur noch im seltenen Ausnahmefall in Betracht kommen,
wenn trotz dieser Mechanismen im HVV durch Umstände, die der Vertragsarzt nicht zu vertreten hatte, ein unabweisbarer Stützungsbedarf
entstand. Es müssten hier sowohl die wirtschaftliche Existenz der Praxis gefährdet gewesen sein als auch ein spezifischer
Sicherstellungsbedarf bestanden haben (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 40; BSG Beschlüsse vom 28.10.2009 - B 6 KA 50/08 B - und vom 8.12.2010 - B 6 KA 32/10 B -). Ansonsten hätten allenfalls noch gravierende Verwerfungen der regionalen Versorgungsstruktur zur Anerkennung einer Härte
führen können (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 148: Einziger auch konventionell arbeitender Radiologe im Landkreis). Keine dieser Situationen
war hier gegeben.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt die Klägerin als unterliegende Partei die Kosten (§
154 Abs
1 VwGO).