Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Begriff der Abweichung
Gründe
I
Mit Beschluss vom 28.10.2020 hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung
(GdB) verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt und mit einer Divergenz begründet.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Die Klägerin hat darin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund einer Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) nicht in der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Weise bezeichnet.
Divergenz iS von §
160 Abs
2 Nr
2 SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Entscheidungen
zugrunde gelegt sind. Zur ordnungsgemäßen Bezeichnung einer Divergenz sind ein oder mehrere entscheidungstragende Rechtssätze
aus der angefochtenen Berufungsentscheidung und zu demselben Gegenstand gemachte und fortbestehende aktuelle abstrakte Aussagen
aus einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG einander gegenüberzustellen. Zudem ist näher
zu begründen, weshalb diese nicht miteinander vereinbar sind und inwiefern die Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht
(stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 21; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 17). Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen
Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung
im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz
(vgl BSG Beschluss vom 24.4.2015 - B 13 R 37/15 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f).
Soweit die Klägerin eine Divergenz darin zu sehen meint, dass die Entscheidung des LSG im Widerspruch zum Urteil des Senats
vom 16.3.1994 (9 RVs 6/93 - SozR 3-3870 § 4 Nr 9) stehe, weil es die in dieser Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze missachtet habe, fehlt es bereits an der Benennung
von divergierenden abstrakten Rechtssätzen aus der angefochtenen Berufungsentscheidung und den zitierten Entscheidungen des
Senats. Die Klägerin rügt unter Hinweis auf die genannte BSG-Rechtsprechung lediglich, dass das LSG die Umstände, die sie in Bezug auf die Auswirkungen ihrer Erkrankungen auf das tägliche
Leben vorgetragen habe, nicht berücksichtigt habe. Entgegen den im Senatsurteil vom 16.3.1994 aufgestellten Grundsätzen habe
das LSG die Funktionseinschränkungen verschiedenen ärztlichen Fachbereichen zugeordnet, Gruppen von Funktionssystemen gebildet
und auf dieser Basis den Gesamt-GdB ermittelt. Dies werde insbesondere Erkrankungen wie der "MCS" (= Multiple Chemical Sensitivity)
nicht gerecht, die nicht klar fassbar unter eine Funktionseinschränkung subsumiert werden könne. Richtigerweise hätte das
LSG ihre Einschränkungen im täglichen Leben prüfen und auf dieser Basis einen höheren GdB feststellen müssen.
Mit diesem Vortrag bezeichnet die Beschwerde indes keinen Rechtssatz des LSG, der die höchstrichterliche Rechtsprechung in
Frage stellen würde, sondern wendet sich im Kern gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Letztere entzieht §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde
weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen werden (vgl zB Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN). Allein die - behauptete - Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall - zB aufgrund der Nichtbeachtung oder fehlerhaften
Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung - rechtfertigt die Zulassung wegen Divergenz nicht (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 5.6.2020 - B 9 SB 87/19 B - juris RdNr 6; BSG Beschluss vom 16.3.2017 - B 13 R 390/16 B - juris RdNr 16).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG). Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.